In dunkler Nacht

[257] In dunkler Nacht zuweilen fahr' ich jäh empor

Aus tiefem Schlaf, und auf den leisen Atemzug

Der Liebsten horchend, lieg' ich eine Weile still

Und starre bangend in die leere Finsternis,

Wo hinterm Schirme dämmernd nur ein Lichtschein glimmt.

Kein Laut des Lebens dringt herauf vom Garten her,

Das Herz nur pocht mir in der Brust. Und stiller noch

Und stummer wird's, als sänke rings in Todesschlaf

Die weite Welt. Und plötzlich ist's, als stände still

Der sanfte Atem neben mir – mit Knistern lischt

Das Flämmchen aus, und lähmend überschauert mich

Ein eisig Grauen.

Ew'ge Mächte, käm' es je,

Daß dieses Lebens Flamme, dran das meine sich

Belebt und wärmt, des besten Weibes Liebeshauch

Verlodert' und verweht' im rauhen Todessturm

Und ich – o Gott! – in ungeheurer Einsamkeit

Zurückgeblieben – wie – wie sollt' ich das bestehn

Und nicht ihr nach hintaumeln in die ew'ge Nacht!

Ist nicht, was Holdes je auf meinem Pfad geblüht,

Nur an der Sonne dieses Auges aufgesproßt,

Und wenn sie auslischt, fänd' ich meine Straße noch

In winterlicher Wüste? Ew'ge Machte, nein,

Nur das, nur das nicht! Tut mir euer Ärgstes an,[257]

Laßt mich erblinden, laßt an Kraft und Lebensmut

Mich ganz verarmen, keiner Freude mächtig mehr –

Nur das, nur das nicht! Schon bei dem Gedanken tritt

Der kalte Schweiß mir auf die Stirn, im Busen klopft

Das Herz, wie ihn zu sprengen, mir am Gaumen klebt

Fiebernd die Zunge – auf vom Lager heb' ich mich,

Ein Licht zu zünden – da an meiner Seite tönt

Die liebe Stimme: Schläfst du nicht? Ist dir nicht wohl

Gib deine Hand mir – so! Nun wird's vorübergehn.

Du hast zu lang geschrieben.

Und die zarte Hand

In meine legend, schlummert sie von neuem ein.

Mir aber ist, als wär' an meinem Haupt vorbei

Ein Blitz gestreift, und gnädig hätte noch einmal

Das Schicksal sich erbarmt des armen Sterblichen.

Und sieh, schon kündet tröstlich sich das Frührot an.

Vom Garten leise klingt herauf ein Vogelruf

Und von dem nahen Turme der Basilika

Das Glöcklein, das zur Messe ruft.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 257-258.
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