Sermione

[395] »Von allen Inseln, Sirmio, und Halbinseln

Mein Augenstern, so viel' in klaren Landseen

Und Meeresweite rings der Wassergott hütet,

Wie froh erblick' ich, wie zufrieden dich wieder!«

Und wem, im Frühling landend an Catulls Eiland,

Entschlüpfte nicht gleich ihm ein Wonnestoßseufzer,

Darf er auch nicht wie er »im eignen Bett ausruhn«!

Wie lieblich, hier im lichtgepflanzten Ölwalde

Hinwandeln, oder unter schattigen Laubkronen

Des dunklen Lorbeers sich behaglich hinstrecken,

Von Anemonen rings umblüht und Würzkräutern!

Wie schön, durch Trümmer hochgewölbter Torbogen,

Durch die der See heraufglänzt in Smaragdbläue,

Hinüberschaun zu schneebedeckten Berghäuptern,

Die kahle Stirnen baden in Aprilsonne!

Nur die Zikade singt ihr schrilles Volksliedchen

Im Gras verborgen, sonst kein Laut, als einlullend

Des großen Pans eintönig tiefe Schnarchtöne.

Hier mochte wohl der Dichter friedlich ausrasten

Vom Fieber Roms und zweifelhaften Liebschaften

Und seiner Lesbia Wankelmut und Untreue.

Doch diese Villa, ungeheuren Umfanges,

Mit Hallen, Bädern, Pfeilern, des August würdig,

Die hättest du, Poete, dir erbaun lassen,

Der, nicht an Gunst der Großen dem Horaz ähnlich,

Den Freund Fabullus du zu Tisch dir einludest,

Ein köstlich Mahl verheißend, wenn er selbst nämlich

Das Essen und den Wein dazu sich mitbrächte,

Indem dein Beutel nur gefüllt mit Spinnweben?

Man weiß, wie damals Publikum und Buchhändler[395]

Ein Bändchen Lyrik schlechter noch als heut zahlten,

Und du zumal warst nimmer ein Erfolgjäger.

Nein, hier an deiner Lieblingsinsel Nordspitze

Besaßest du vielleicht ein schlichtes Landhäuschen,

Im Erdgeschoß zwei Zimmer oder drei höchstens,

Und eine Loggia mit den schönsten Ausblicken,

Und stiegst zum Bad hinunter in die Seefluten,

Die von den Gliedern wie vom Geist die Gluthitze

Der Weltstadt Rom samt ihrem Ehrgeiz abspülten.

Doch was an Wohllaut dir die Welle zurauschte,

An reinem Balsam dir Natur ins Blut flößte,

Um das beneiden konnte dich dein Nachfolger,

Der niederriß dein Häuschen und die Prachtbauten

Mit hundert Sklaven prahlerisch hier aufführte

Und ärmer blieb inmitten seiner Wollüste,

Als du, trotz deines Beutels voller Spinnweben.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 395-396.
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