Nach der Beichte

[357] Ich las heut ein Novellchen in der Frühe

Am Tor von Sant' Andrea delle Fratte;

Es stand auf einem dunklen Rosenblatte,

Und zu enträtseln lohnte sich's der Mühe,


Warum von Mutwill' dieses Lärvchen sprühe,

Das eben noch zerknirscht gebeichtet hatte:

Ob es schon neue Sünden sich gestatte,

Ob noch vom schwülen Hauch der alten glühe?


Stark realistisch klang mir manche Stelle;

Die Lippen sprachen von verstohlnen Küssen,

Nur auf der Stirn sah ich ein Wölkchen liegen.


Da brach ein Lächelglanz hervor, so helle,

So süß – im stillen hab' ich seufzen müssen.

Den Schluß vermut' ich nur: daß sie sich kriegen.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 357.
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