Der Dichter und der große Pan

[259] Dichter


Der Mittag glüht,

Die Glieder ermatten.

Hier am See im Olivenschatten,

Wo der Thymian blüht,

Werf' ich mich hin.

Die Lazerten huschen davon,

Grille, die luftige Springerin,

Schnellt hinweg mit surrendem Ton,

Dann alles wieder stumm.

Des Ölbaums silberne Blätter

Und dort der Tamariskenstrauch

Wie erzgegossen; – nirgend ein Hauch!

Ewige Götter,

Wie schön ist eure Welt ringsum!

Fernab von diesem Heiligtum

Der Menschen bunte Lüge,

Ihre arme Liebe, ihr ärmerer Haß.

Hier wehn der alten Mutter Atemzüge.

Beseligend ihr Kind,

Das aus dem Quell des Schlummers Kraft gewinnt

Und aller Wünsche Genüge.

Drüben über der blauen Flut

Wie hebst du feierlich dein Haupt,

Alter Monte Baldo, tief entlaubt

Von Winters stürmender Wut!

Er schläft, der Alte.

Auf seiner Stirn die graue Falte

Scheint sich im Traume zu bewegen.

Die Füße kühlt er in der klaren Flut

Und blickt so sanft, als sei ihm wohl zumut.[259]

Wie aber? seh ich recht?

Beginnt er sich zu regen?

Er blinzt der Sonne still entgegen –

Ein Wesen von der Himmlischen Geschlecht,

Erhaben, mild und groß!

O du dort drüben, sag an,

Wer bist du, herrlicher Koloß?


Pan


Ich bin der große Pan.

Was störst du meinen Mittagsfrieden?


Dichter


O heilig Glück, daß mir beschieden,

Zu schaun, was nur die frommen Alten sahn.

So lebst du noch, Erhabner du,

Waltest in stiller Segensruh

Der Welt und ihrer Zwergengeschöpfe,

Die dein vergessend sich weise dünken?


Pan


Kindisch betrogene Tröpfe!

Keiner der Ewigen kann versinken,

Keiner vergehn.

Haben sie Augen nicht, um zu sehn,

Ohren, zu hören?

Und lassen lieber sich betören

Von jener Glocken dürftigem Gebimmel,

Die dort herab vom Kloster schallen,

Träumen sich einen neuen Himmel,

Den Weihrauchdüfte widerlich durchwallen,

Statt hier in Lorbeerhallen

Den Hauch zu trinken der reinen Flut?

Armselige Brut!

Rede mir nicht von ihnen.


Dichter


Doch mir – wie bist du mir erschienen,

Verborgner, wundersamer Gott?
[260]

Pan


Deine Seele ist rein von Spott.

Ich sah dich oft an dieser Küste schweifen,

Jetzt in Verzückung stille stehn,

Ein duft'ges Blatt vom Baume streifen

Und staunend, jauchzend weitergehn.

Nur Deinesgleichen haben mich gesehn

Zu allen Tagen;

Darfst aber nichts davon den Spöttern sagen.

Doch tätst du's auch, sie blieben dennoch blind.


Dichter


Fürwahr, ich dünke mir ein Sonntagskind!


Pan


Sonntag? Was meinst du nur?

Geht nicht die Sonne jeden Tag uns auf

Und zeigt in ihrem Lauf

Geheim' und offenbare Wunder?

Meinst du den Tag, wo jene Glocken klingen,

Wo sie vor ihrem Götzenplunder

Die unverstandnen Opfer bringen?

Doch nichts davon! Es stört den Schlaf mir nun,

Den jeder braucht, der wirken soll.

Nur diese Stund' ist mir erquickungsvoll.

Nachts, wenn die andern Götter ruhn,

Hab' ich erst eben recht zu sorgen,

Alle Wesen zu ihren Werken

Mit neuem Lebenshauch zu stärken;

Kommt dann der Morgen,

Sah Keiner mein geheimes Tun.


Dichter


Und willst du Güt'ger nun

Dich ewig meinem Aug' entziehn?


Pan


Du arglos Kind! Blick auch in Zukunft nur

Mit stiller Brust ringsum in die Natur[261]

Und such den Alten: sicher findst du ihn.

Aber nur in der stillsten Stunde

Wird das Auge dir aufgeschlossen,

Sonst tausendfach zerstückelt in der Runde

Ist die Gestalt des großen Pan zerflossen.

Nur selten sinkt dem Menschenkinde,

Das fromm den Ew'gen sich vertraut,

Vom Aug' die dichte Nebelbinde,

Daß er das Unerschaffne schaut.

Lebwohl für heut! Die Welle schäumt

Und wiegt mich neu in Schlummer.

Hab' noch nicht ausgeträumt!

Süß ist die Ruh! – –


Dichter


Und wieder nun in stummer,

Versteinter Majestät blickt er mich an.

Pan! großer Pan! –

Kein Nicken mehr, kein Ton!

Wie? schläft er schon?

War's wirklich Götterwort, das ich vernahm,

Oder ein Traum, verwundersam?

Mein alter Monte Baldo dort,

Schlaf ruhig fort!

Horch, es schauert leis in den Bäumen –

Ein Kräuseln furcht den See –

Spürten auch sie des Gottes Näh'?

Still! Laß uns ruhn und träumen!

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 259-262.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Neue Gedichte und Jugendlieder
L'Arrabbiata Und Gedichte (Dodo Press)
Andrea Delfin. Prosa und Gedichte.

Buchempfehlung

Reuter, Christian

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.

46 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon