Kritik

[598] Ich fürchte, daß ich nur wenigen

Mit diesen Sprüchlein gefalle.

Gastgeschenke sind Xenien,

Und geladen sind nicht alle.


Fruchtlose Polemik

Streite doch nicht mit jedem Tropf!

Du triffst, so klar und scharf du bist,

Doch nur den Nagel auf den Kopf,

Mit dem er selbst vernagelt ist.


Du kommst zu mir und harrst beklommen

Des Urteils, das mein Mund dir spricht?

Wärst du nur zu dir selbst gekommen,

Du brauchtest fremden Wahrspruch nicht.


Schaffst du ein Werk, mit dem die Welt

Nicht viel weiß anzufangen,

Wirst du nicht bloß beiseitgestellt,

Sondern so heftig angebellt,

Als hättst du ein Verbrechen begangen.


»All seine Werke mußt du kennen,

Gerecht zu schätzen des Mannes Wert.« –

Darf ich den Wein nicht sauer nennen,

Eh' ich das ganze Faß geleert?
[598]

Süß ist ein neidlos Anerkennen,

Doch eine Wollust, dann und wann

Einen aufgeblasenen Scharlatan

Recht grad heraus einen Wicht zu nennen.


Für Häupter, die der Welt entschwanden,

Ist stets ein voller Kranz vorhanden,

Wenn er sie selbst nicht mehr erfreut.

Noch immer blüht in deutschen Landen

Das deutsche Erbtalent, der Neid.


Was hilft's, daß man die Ohren verstopf'

Beim Lärmen der grünen Jungen?

Sie haben zwar nicht den hellsten Kopf,

Aber die hellsten Lungen.


Ich weiß nicht, warum der Haß besteht

Gegen die Anonymität

In unsern kritischen Blättern.

Verdanken wir, was uns im Leben trifft,

Wohltat und Pein, Labsal und Gift,

Doch auch nur namenlosen Göttern.


Und wenn du dich getadelt findst,

Magst du's zurecht dir legen:

Aus namenlosem Unsinn grinst

Ein Neidhart dir entgegen.

Doch rühmt man deine Art und Kunst,

Wie gut, nicht zu gewahren,

Daß dieses weisen Mannes Gunst

Auch Hinz und Kunz erfahren!


Lebende schonen ist gut und sittlich;

Gegen Tote sei unerbittlich.
[599]

So manche Zeitschrift bringt es heut

Mit allem Bemühn nicht weiter,

Als daß sie hohen Ruhms sich erfreut

Im Kreise der Mitarbeiter.


Warum negiert ihr frisch,

Was euch nicht recht ist?

Ist Karpfen denn kein Fisch,

Weil er kein Hecht ist?


Ein Bildner ein Stück Marmor fand,

Draus fing er an mit rüst'ger Hand

Ein trefflich Götterbild zu hauen,

Bis er mit Schrecken mußt' erschauen,

Daß durch den Block, so weiß und klar,

Eine schwarze Ader gewachsen war.

Nun sann er fleißig Tag und Nacht,

Wie er den Fehl vergessen macht',

Sucht' im Gewand ihn zu verstecken,

Mit Schattenwurf ihn zuzudecken,

Und mühte sich wohl Jahr und Tag

An seinem Werk mit Strich und Schlag,

Dann stellt' er es bescheiden aus.


Viel Gaffer liefen ihm ins Haus,

Doch als sie's kaum ringsum beguckt,

Ein jeder schon die Achseln zuckt'

Und rief: Wo hatt' er sein Gesicht?

Sieht er die schwarze Ader nicht?

Was kann ein solcher Stümper taugen?

Da haben wir doch bessre Augen!


»Mag sie nun faseln oder lügen,

Es macht doch immer ein Vergnügen,

Wenn laut von uns die Presse spricht.

Und du nur gehst mit kalten Zügen

Vorbei und achtest ihrer nicht?« –
[600]

Ich mag nicht scheintot im Sarge liegen

Und stumm vernehmen mein Totengericht.


»Aber da ist ein gescheiter Mann,

Der spricht gar klug, nur ein bißchen scharf.«

Um so schwerer verdrießt mich's dann,

Daß ich ihm nicht erwidern darf.


Der Zuschauer und der Leser

Über nichts sind sie böser,

Als wenn es der Poet nicht macht

Genau so, wie sie sich's gedacht.


Nur nicht gleich das Schwert gewetzt

Und das Beil geschliffen!

Was ihr niemals überschätzt,

Habt ihr nie begriffen.


Nehmt nicht den Zollstock gleich zur Hand

Und sprecht von größer oder kleiner.

Nullen gibt es so viel im Land;

Vor allem fragt: ist das auch Einer?


Wie sollen die Hagestolzen der Kunst

Uns Kindergesegnete lieben!

Sie hofften selbst auf der Muse Gunst,

Sind aber ledig geblieben.


»Verdrießt das Zerrbild dich nicht sehr?« –

Erst Karikatur macht populär.


Was hilft's, die Esel aufzuklären,

Daß Rosen ein bessres Futter wären?

Seid froh, daß es auch Disteln gibt,

Da Eseln sie zu fressen beliebt.
[601]

»Alles verstehn, heißt alles verzeihn.«

Im Sittlichen gilt es freilich.

Tragt ihr es in die Kunst hinein,

So wird es unverzeihlich.


Halte nur Maß im Geltenlassen,

Stumpfe nicht ab dein Lieben und Hassen.

Willst du zum Künstler dich erziehn,

Habe den Mut deiner Antipathien.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 598-602.
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