1.

Friedrich Hölderlin

[539] Mein Liebling du! Mit hellem Griechenblick

Hattst du ermessen, in dein Los ergeben,

Den jähen Abgrund zwischen Traum und Leben

Und der Verspätung herbes Mißgeschick.


Dich tröstete dein Genius: Erschrick

Vor dieser Tiefe nicht! Hinüberheben

Wird dich ein Schwingenpaar mit sichrem Schweben,

Die ätherleichten: Dichtung und Musik.
[539]

So wandeltest du selig, Kränze windend

Der schönsten Liebe, bis Dämonentücke

Sie in den Abgrund stieß, der sie verschlang.


Du stürztest nach, qualvoll dir selbst entschwindend;

Doch nicht dein sterblich Leben ging in Stücke,

Dein Herz nur und dein Saitenspiel zersprang.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 539-540.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Neue Gedichte und Jugendlieder
L'Arrabbiata Und Gedichte (Dodo Press)
Andrea Delfin. Prosa und Gedichte.