6.

Eduard Mörike

[542] Ein Schwabenkind, in traut umschränkter Enge

Am Quell der Heimatsagen aufgesprossen,

Von Goethes und der Griechen Hauch umflossen,

Steht deine Muse fern dem Weltgedränge.


Tiefsinnig auch durch die geheimsten Gänge

Der Menschenbrust wagt sie den Weg entschlossen,

Dann wieder übt sie ungebundne Possen

Schalkhaft im Schatten kühler Waldeshänge.


Dem Schiffer, der beschwert mit Warengütern

Vorbeizieht auf dem breiten Strom des Lebens,

Verhallt dein Lied, gleich dem Gesang der Grille.


Noch aber darbt die Welt nicht an Gemütern,

Die auch das Leise rührt, und nicht vergebens

Ward dir der Märchenzauber der Idylle.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 542.
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