Eine Liebe

[57] Kein priesterlich Wort gab uns eigene Rechte,

Keiner Orgel Brust sprach kräftigen Segen,

In weichem Golde heilig nicht regten

Sich Kerzen, – uns schwiegen die weihenden Mächte.

Wir haben uns selber zusammen gefunden

In einsamen, kühn erglühenden Stunden,

Du mein Lieb von einst, du mein Lieb für immer.


Kein Schleier hat über der Feier gehangen,

Die Myrthe nicht knapp umgrünt deine Flechten,

Kein Gebetbuch geruht in deiner Rechten,

In schämiger Glut nicht standen die Wangen.

Keine Rose im eigenen Tau wie ein Märchen,

Kein Papa im Schwips, keine Mama im Zährchen,

Nur wir, du mein Lieb, du mein Lieb für immer.
[57]

Kein Vergißmeinnichtbach sind jene Zeiten,

Kein Hirtenlied bei blöder Flöte,

Nein, bebend und blutend stand alles in Röte,

Uns riß zueinander verzweifeltes Streiten,

Und Hader und Qualen, kampfdurchblutete,

Und Liebe, von innigen Lippen durchglutete,

Du mein Lieb von einst, du mein Lieb für immer.


Und käme ein Engel im weißen Gewande,

Und käme der weiße Engel gegangen,

Unschuldige Röte auf träumenden Wangen,

Und fände uns beide stehen im Leide

Und ständ' und spräche: »Ich nehme die Seele

Von euch, was vergangen, die brennende Fehle –

Dir und dem Lieb von einst und von immer!«


»Halt, Engel, halt ein! Die Hand von dem Leben,

Das uns in heißer Leidenschaft glühte,

Ein Scharlach im prächtig lohen Gemüte,

Mit schroffem Zorn und innigem Beben.

Ins graue Heute sehen die Tage

Wie eine Nordlicht blutende Sage,

Du mein Lieb von einst, du mein Lieb von immer!«


Quelle:
Peter Hille: Gesammelte Werke. Berlin 1916, S. 57-58.
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