Der vierzehnte Auftritt.

[65] Orbil. Lisette.


LISETTE will zu ihrer Herrschaft gehen.

ORBIL. Wohin Lisette?

LISETTE. Zu meiner Jungfer.

ORBIL. Hört!

LISETTE. Um Vergebung; ich bin nicht herbestellt. Will gehen.

ORBIL. Hört, sage ich euch. Was denkt ihr vom Magister?

LISETTE. Daß Sie ihm Ihre Tochter geben werden?

ORBIL. Und woher?

LISETTE. Weil er ein ordentlicher Mann ist.[65]

ORBIL. Was? habt ihr nichts von der verdammten Disputation gehört?

LISETTE. Kein Wort, Herr Orbil, ich habe gnug mit dem Programma zu thun gehabt, daß – –

ORBIL. Denkt mir nicht mehr an das verfluchte Programma, deßen unter andern elenden Kunstgriffen sich Herr Simon bedienet hat, mich für seinen Vetter einzunehmen. Der abscheuliche Kerl.

LISETTE. Wer, Herr Orbil, Simon oder der Magister?

ORBIL. Alle beide. – Indessen muß ich dem Magister doch mehr Ehrlichkeit zueignen als seinem Vetter dem Treulosen –

LISETTE. Dem Heuchler!

ORBIL. Dem Spitzbuben!

LISETTE. Dem Verräther!

ORBIL. Ich mag ihn nicht schimpfen.

LISETTE. Ich auch nicht.

ORBIL. Allein ein Bösewicht bleibt er in meinen Augen so lange er lebt.

LISETTE. Und in den meinigen desgleichen.

ORBIL. Ich unglücklicher Vater!

LISETTE. Das sind Sie nicht bei einer so schönen und tugendhaften Tochter.[66]

ORBIL. Was soll ich aber mit ihr anfangen?

LISETTE. Sie dem Herrn Valer geben!

ORBIL. Dem Valer, dem unordentlichen Menschen, ohne Taschenuhr, und ohne Ordnung –

LISETTE. Erlauben Sie, Herr Orbil. Ich habe ihn nur noch heute mit 2 Uhren gesehen.

ORBIL. Mit zwey Uhren?

LISETTE. Wie ich Ihnen sage, eine hie, eine da Sie zeigt an beide Seiten. und ich vermuthe sehr, daß er auch eine statt der Tobacksdose bei sich gehabt hat.

ORBIL. Das wäre viel! – Eine solche Veränderung würde – – aber ich habe es doch von allen seinen Nachbarn, daß er beim Aufstehen und Niederlegen nicht die gehörige Zeit halten und überhaupt –

LISETTE. Ach! die böse Welt Herr Orbil! glauben Sie doch nicht alles, was die Leute sagen. Denken Sie nur an Herrn Simon –

ORBIL. Ja der verwünschte Simon! Ich nehme mir ordentlich vor, eine ganze Stunde auf ihn zu schelten – wenn ich einmal Zeit haben werde. Er hat mir so viel gutes vom Magister gesagt –

LISETTE. Und eben so viel böses haben die Nachbarn vom Herrn Valeren gesagt. Die Welt ist böse! und gesetzt, daß auch Herr Valer zuweilen in einigen Stücken nicht ordentlich genug gewesen: so wäre es ihm sehr leicht zu vergeben.[67] Ich kenne seinen Bedienten, der hat mir versichert, daß er wegen des Vermögens seines Vaters, der, wie Sie wißen, einer der ansehnlichsten Kaufleute in Berlin ist, so zärtlich besorgt gewesen, daß seine Melancholie zuweilen seine Liebe zur Regelmäßigkeit unterbrochen hat. Jetzt ist sein Vater außer Gefahr, und ich wollte meinen Kopf sezzen –

ORBIL. Ha! Nun weiß ich die Seufzer zu verstehen, womit er mich zuweilen geärgert hat. Der arme Mensch! ich fange ihn an zu lieben –

LISETTE. O das verdient er vollkommen, Herr Orbil. Ein Mensch von einem so großen Vermögen, das nunmehro in Sicherheit –

ORBIL. Das ist das wenigste, das wenigste: aber die 2 Taschenuhren, von denen ihr mir gesagt habt –

LISETTE. Einem so schönen Körper –

ORBIL. Die er bei sich trägt –

LISETTE. Und einer noch schönern Seele –

ORBIL. Und die alle beide gehen.

LISETTE. Ohne an sein Amt zu denken, welches ihm zu Aussichten verhilft –

ORBIL. Aber was denkt ihr, ob es Schlaguhren sind?

LISETTE. Ach! Sie reden auch immer von Ihren Uhren. Ja freilich sind es Schlaguhren, Vor sich. wenn ich nicht irre.[68]

ORBIL. Das übersteigt alle meine Erwartung! Ich sollte denken, daß sich Herr Valer derselben auf die gehörige Art, beim Eßen – Trinken – Aufstehen – und Schlafengehen – Pedantisch. &c. &c. &c. bedienen werde.

LISETTE. Zweifeln Sie daran, Herr Orbil? Wer ein Amt hat, der hat Verstand, und wer 2 Uhren trägt, der sollte nicht ordentlich seyn? Ich versichere Sie, daß mir sein Bedienter Dinge erzählt –

ORBIL. Ich bin überzeugt – Geh Lisette! laufe, bitte ihn zu mir. Ich will seine Uhren sehen – ich will sie schlagen hören, ich will von allem ein Augen- und Ohrenzeuge seyn, und finde ichs so, wie du sagest: so will ich ihn bitten, daß er meine Tochter heirathen und –


Quelle:
Gottlieb Theodor von Hippel: Der Mann nach der Uhr. Halle a.d.S. 1928, S. 65-69.
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Der Mann nach der Uhr, oder der ordentliche Mann
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