Der fünfzehnte Auftritt.

[69] Die Vorigen. Valer und Johann.


ORBIL. Ich heiße Sie willkommen, Herr Valer, ich heiße Sie willkommen! Sieht nach den Uhren des Valers.

VALER. Vergeben Sies, Herr Orbil, wenn ich Sie unterbreche –

ORBIL. Ein ordentlicher Mann unterbricht mich niemals, – allein ehe Sie sich sezzen, laßen Sie uns doch sehen, ob unsere Uhren übereinstimmen.

VALER. Minuten auf 4.

ORBIL. Minuten auf 4. Richtig – richtig – Jetzt bitte ich zu sizzen.[69]

VALER. Um Vergebung, Herr Orbil. Ich darf mich nicht eher niederlaßen, als bis es 5. schlägt – ich habe gewiße Stunden festgesetzt, da ich stehe, gewiße Stunden, da ich sitze – gewiße Stunden, da ich gehe –

JOHANN vor sich. Gewiße Stunden, da ich ich dem Orbil eine Nase drehe, gewiße Stunden, da ich meinen Johann durchprügele, und was das beste ist, gewiße Stunden, da ich mich von ihm betrügen laße. –

ORBIL. Schön, Herr Valer! darum muß ich Sie umarmen. Setzen Sie sich ja nicht vor 5. Ich stehe zur Gesellschaft mit –

VALER. Ich habe es zu meiner Schuldigkeit gerechnet, mich Ihnen in einer Lage zu zeigen, in der ich Ihnen noch vollkommen unbekannt bin. So natürlich sie mir auch ist, so hat mich doch das unbestimmte Schicksal meines Vaters –

ORBIL. Ich bin von allem unterrichtet und nehme recht großen Antheil an Ihrer Zufriedenheit.

VALER. Ein Kaufmann verliert mit seinem Vermögen nicht blos, was andre Leute verlieren, wenn sie arm werden, sondern auch seinen guten Namen, und welch ein Verlust ist das? Mein Vater der redlichste Mann war bey den fast allgemeinen Banquerotten in der grösten Gefahr. Wie sehr habe ich vor ihn gezittert! Die Verwirrungen, womit ich meinen Freunden beschwerlich gewesen –

ORBIL. O das ist alles vergeben und vergeßen! lieber Herr Valer! Wir sind alle schwache Menschen. Ist es mir doch selbst anno 40 den 1 April bei ganz ungewöhnlichen Kopfschmertzen meiner seligen Frauen fast eben so gegangen. [70] Leiser. Ich vergaß alle meine Uhren aufzuziehen – alle meine Uhren. Es bleibt unter uns, Herr Valer – – Ich wundre mich folglich gar nicht, daß bei so vieler Unruhe Ihres Herzens Ihre Uhren stehen geblieben und – – dem Himmel sei Dank, daß diese Zeit vorbei ist!

VALER. Und damit sie nie wiederkommen möge, ist mein Vater entschlossen, den Rest seines Lebens auf einem kleinen Landgut zuzubringen, und mir bei seiner eingeschränkten Lebensart ein Capital abzutreten, wovon ich auf eine anständige Weise leben kann.

ORBIL. O das sind ja vortrefliche Nachrichten – aber Sie scheinen mir bei dem allen doch noch so verlegen –

VALER zieht seine Uhr aus. Sie treffen mich zu genau, als daß ich Ihnen die Ursachen dieser Verlegenheit länger verschweigen sollte. Nur noch 15 Minuten, und alsdenn sind es eben 50 Jahre, daß mein Vater sich mit meiner Mutter verband.

ORBIL. 15 Minuten?

VALER. 15 Minuten!

ORBIL. 50 Jahre?

VALER. 50 Jahre!

ORBIL. Das ist ein merkwürdiger Umstand!

VALER. Ja und eben dieser merkwürdige Umstand bringt mich auf eine Bitte, die mein ganzes Herz an Sie thut. Ich liebe Ihre Tochter –[71]

ORBIL. Ja, Herr Valer! ja Sie sollen sie haben; aber ich beklage nur, daß Sie nicht an eben dem Tage, zu eben der Stunde sich mit ihr verloben können, da vor 50 Jahren Ihr Herr Vater – O Herr Valer, warum haben Sie nicht seine Einwilligung bei Zeiten besorgt?

VALER. Wenn dieses die einzige Schwierigkeit ist, so ist sie bereits gehoben. – – Hier ist die Einwilligung meines Vaters. Er gibt ihm einen aufgebrochenen Brief. Seit dem ich Ihre Tochter gesehen habe, habe ich sie geliebet. Sie schien mit meiner Neigung zufrieden zu seyn, und da ich von ihrem Vater keine abschlägige Antwort befürchtete: bat ich den meinigen –

ORBIL liest den Brief und sagt im Lesen. Ich kenne seine Hand. Der alte redliche Mann – Sieht nach dem dato und liest laut. In höchster Eil Berlin den 10 October – Denkt einwenig nach. den 10 October, eben den Tag, da ich vor 20 Jahren meine Leibuhr auf einer Auktion ankam. Sie haben sie doch gesehen, die große Uhr im Saal – Es ist ein feines Werk! – den 10 October! – Was für Denkwürdigkeiten vereinigen sich heute zu Ihrem Vortheil, Herr Valer – Sieht nach der Uhr. Wir haben keine Zeit zu verlieren! Ich gehe nach meiner Tochter! über – drey Minuten bin ich hier! –


Quelle:
Gottlieb Theodor von Hippel: Der Mann nach der Uhr. Halle a.d.S. 1928, S. 69-72.
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