§. 2.


Familie

[1] ist eine der urururältesten auf Gottes ergiebigem Erdboden, so daß sie das Wort neu selbst bei den heiligsten und unschuldigsten Dingen so leicht nicht ertragen mochte. Ob sie das Alte Testament für den eigentlichen Stamm, und das Neue etwa für einen Ableger hielt, blieb ein Familiengeheimniß, so wie wir noch mehr auf dergleichen stoßen werden. Außer Zweifel schien es, daß sie das Neue bloß als die Fortsetzung des Alten aus christlicher Liebe[1] gelten ließ. War vom neuen Bunde die Rede, so wollten die Rosenthaler vom alten Bunde seyn, ob man gleich zur Steuer der Wahrheit nicht unangezeigt lassen kann, daß sie das Sacrament der heiligen Taufe dem Sacramente der heiligen Beschneidung rühmlichst vorzogen und überhaupt nicht in Abrede stellen wollten und konnten, recht altgläubige, zur evangelisch-lutherischen Kirchenordnung gehörige Christen zu seyn. Als ein junger Zweig des von Rosenthalschen Geschlechtes mit gewichsten Stiefeln von Universitäten zurückkehrte, ward im väterlichen Hause ein Büß- und Bettag angeordnet; und wer nicht aufhören konnte, über die wächsernen Nasen zu seufzen, die man aus Gottes Wort und aus den Rechten in dieser letzten betrübten Zeit machte war die Frau Großmama, deren wackelnder Kopf bei dieser Leichenpredigt sich rühmliche Mühe gab, dem entzahnten Munde schrecklich und erwecklich nachzuhelfen. Die alten Damen dieses Ehrengeschlechtes waren Todfeindinnen jeder neuen Mode; und wenn diese auch den ältesten Trachten auf den Familiengemälden wie Ein Ei dem andern glich, so machten sie es sich doch zur Pflicht, bei einem gothischen Geschmacke Verschwenderinnen zu seyn. Dessen ungeachtet circulirte von allem Neuen eine getreue Controle in der Familie, wiewohl nur als Präservativ, um über diese Gräuel ein desto gründlicheres Ach und Weh ausrufen zu können. Die jüngern Damen traten diesen Gesinnungen nicht völlig bei; indeß söhnten sie sich mit ihren Gothinnen durch eine gemeinschaftliche Sitte aus, nach welcher weder Damen noch Herren respective neue Schuhe und Stiefel trugen, sondern sie erst durch andere austreten ließen. Der Mißbrauch einer bekannten Spruchstelle, wodurch man noch zu dieser Frist das Inconsequente lächerlich zu machen sucht: Gleich wie der Löwe ein grimmiges Thier ist, also sollen wir auch in einem heiligen Leben wandeln, schreibt sich aus dieser Familie her. Wegen der apokalyptischen Worte: Siehe, [2] ich mache alles neu! waren sie mit den Herren Geistlichen in ewigem Zwist, und die altfränkischen Wörter, bei denen in den Wörterbüchern Warnungstafeln zu stehen pflegen, hielten sie für die ersten und besten. Es war erbaulich, ihre Briefe zu lesen! wenigstens hundert Jahre konnte man sie zurück datiren. Ob ich nun gleich bei der Stange zu bleiben und mich auf meinen Helden einzuschränken entschlossen bin (mit dem ich gewiß alle Hände voll zu thun haben werde, wobei ich indeß vielleicht den Kopf zu schonen hoffen darf), so will es doch der Zusammenhang, daß ich auch ein paar Kreuz- und Querzüge von seinen Ahnherren in beliebter Kürze und Einfalt bestehe; und da muß ich Schande halber das Wort


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 1-3.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
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