§. 3.


Stammbaum

[3] zuerst beherzigen.

Der Stammbaum dieser Altenbundes – Familie hatte, wie Europa, die Gestalt einer sitzenden Jungfer; nicht als ob Europa schon das weiteste Ziel wäre, das dieses ausgebreitete Geschlecht sich zum Territorio vorgezeichnet hatte; nicht als ob die Jungfer hier etwa ein Bild der Fruchtbarkeit vorstellte (denn die Familie wußte so gut wie ein anderer und irgend jemand, daß Jungfrauen nicht, wie Aecker, durch Fruchtbarkeit im Anschlage steigen), sondern weil Europa der Sitz des wahren Großen und alles Erhabenen und Schönen ist; und zunächst, um die Makellosigkeit, Pracht, kurz, die reine Jungfrauschaft der Rosenthalschen Familie anzudeuten. Der Stammbaum lag bei dem Seniori Familiae, um die Ehrerbietung für das Alter auszudrücken, was auch die Zahl bezeichnen sollte, die mit der Welt lief und jährlich am Charfreitage abgeändert ward; wohl zu merken, zum Andenken des Hauptmanns, der unter dem Kreuze Christi stand, und mit dem die Familie (obgleich nur vermittelst eines Streifschusses, wie sie Hochselbst im[3] Scherz es zu nennen pflegte) verwandt zu seyn nicht undeutlich zu verstehen gab. In dem jetzt laufenden Jahre hat die Stammtafel nach Sethi Calvisii Rechnung die Nummer 5741. Dieß Ehrenwerk war übrigens auf holländische Leinwand geklebt, um theils den Reichthum der Familie, und theils auch, in Rücksicht des Kleisters, die Bluts- und Gemüthsübereinstimmung des Geschlechtes zu versinnbilden. Ob es übrigens aus Pergament oder bloßem Papiere bestanden habe, wird leider! in meinen Nachrichten nicht bemerkt; und da ich es vorzüglich darauf anlege, treu befunden zu werden, so will ich diesen Umstand weit lieber mit bescheidenem Stillschweigen übergehen, als ihn voll Eigendünkel mit falschen Vermuthungen ausstatten. Vielleicht finde ich noch loco congruo Gelegenheit, diese Stammtafel anzuführen. Der dritte Paragraph mag sich mit dem Postscripte von Anmerkung begnügen, daß dem Familienkasten, in welchem dieses Kleinod von Stammbaum lag, die Form des Kastens Noä beigelegt war, so daß (obgleich, wie es sich von selbst versteht, nach verjüngtem Maßstabe) dreihundert Ellen seine Länge, fünfzig Ellen die Breite und dreißig Ellen seine Höhe hielt. Auch war er von Tannenholz und (des weisen Sittenspruchs: »wer Pech angreift, besudelt sich,« ungeachtet) mit Pech, Notabene nur inwendig, nicht ver-, sondern ausgepicht, und verdiente sonach, caeteris peribus, mit allem Rechte der Kasten Noä genannt zu werden. Außer dem Seniori Familiae gehörten zu dieser Bundeslade vier Assessoren, welche die vier an Jahren auf den Senior folgenden Freiherren von Rosenthal waren und im gemeinen Leben schlechtweg Kastenherren hießen. Jeder von den Kastenherren hatte einen Schlüssel, nach Anzahl der fünf besondern Schlösser; dem Seniori kam das Schloß in der Mitte zu, das die übrigen vier an Größe bei weitem übertraf und auch, wie Rechtens, einen großen Schlüssel erforderte, welcher gewöhnlich der Kammerherrnschlüssel genannt zu werden pflegte. Ich will dieser heiligen[4] Rolle nicht zu nahe treten, die mit so vielen Randglossen verbrämt war, daß die Tressen das Tuch, die Noten den Text kaum frische Luft schöpfen ließen. Nur auf das, was unumgänglich nöthig ist, wollen wir uns einschränken. Dahin gehört unter andern, daß vier Arme von der Rosenthalschen Familie sich ergossen hatten. Einer war gräflich, einer bestand, wie man sagte, aus simpeln Edelleuten, zwei Arme, und bei weitem die zahlreichsten, waren freiherrlich. Die Gräflichen schrieben sich ausschlußweise Grafen von und zu Rosenthal, und hießen zuweilen die Edelsteine der Familie; die simpeln Edelleute von Rohsehnthaahl, weil sie, nach unwiderlegbaren Urkunden, von jeher des Buchstabirens rühmlichst unbeflissen gewesen waren, wobei sie sich denn auch bis auf den heutigen Tag hochansehnlich zu erhalten um so mehr Mühe geben, da sie sonst sehr leicht den Ruhm des Alterthums aufs Spiel setzen könnten. Was hülf' es dem Menschen, wenn er das Buchstabiren gewönne und nähme doch Schaden am grauen Alterthum seiner Familie? Zuweilen wurden sie die Familienecksteine genannt. – Was die beiden freiherrlichen Arme betrifft, so schrieb sich der eine mit, der andere ohne Circumflex am Ende des Namens, so daß jene, mit diesem Circumflex, auch Circumflexer hießen. Zuweilen wurden sie Elephanten genannt, und obgleich diese Benennung ihnen nicht zur Schande gereichte und von keinem Spötter erfunden zu seyn schien, so sahen sie doch diesen Namen als einen Spitz- oder Ekelnamen an. Auch hießen in dieser steinreichen Familie die ohne: Flintensteine, die mit: Steine des Anfloßes. Die Circumflexer waren wieder nach ihren Häusern unterschieden und hießen Mühl-, Reib- und Nierensteine, womit ich aber weder meinen Lesern noch mir einen Stein in den Weg legen will. Wer es seiner geben wollte, nannte jene mit dem Circumflex bloß: mit, z.B. Freiherr von Rosenthal mit. – Man hatte zu dieser Ellipsis noch eine besondere Ursache; es[5] ging nämlich die Rede, daß, so lange die Circumflexer existirt hätten, zwei Dritttheile von ihnen einen Buckel gehabt. Ob es bloß ein artiger Scherz oder eine unartige Wahrheit gewesen, daß der Stamm ohne den Stamm mit durch Brief und Siegel, durch Urtheil und Recht, gezwungen hätte, buckelig zu seyn (welcher Rechtsspruch bei Gelegenheit eines dreißigjährigen Lehnsprocesses rechtskräftig geworden war), lass' ich dahin gestellt seyn. – Wie viel durch Urtheil und Recht möglich ist, wissen wir alle. Dieser Hokuspokus macht das Gerade krumm, das Krumme gerade, erklärt Menschen für todt und spricht: kommt wieder Menschenkinder! je nachdem es im Rathe der Schöppen beschlossen ist. Ich selbst habe drei Rosenthaler gekannt, welche diesen Auswuchs (dieses Harz, wie es die anderen Arme der Rosenthalschen Familie, um es sein und lieblich zu geben, auch wohl zuweilen nannten) nicht läugnen konnten, indeß gar merklich daß widerlegten, was man in der Regel zu behaupten pflegt: daß dergleichen Ausgewachsene oder Harzige sich in Hinsicht der Seelen durch Verschlagenheit und Lift und dem Fleische nach durch körperliche Stärke auszeichnen. Wenn die Spruchstelle: »Hüte dich vor dem, den Gott gezeichnet hat,« (so wie die meisten Exegeten der höckerigen Meinung sind) geradezu auf die Buckeligen geht, so kann man mit Bestande der Wahrheit hinzufügen: Excipe die Circumflexer. – Unser Held war aus dem Stamm ohne. Wie der Stamm mit zu dem Mit gekommen, erhellt aus einer


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 3-6.
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