§. 4.


Legende,

[6] die bei der Familie durch Tradition, und also nicht im Kasten Noä mit fünf besondern Schlössern, aufbewahrt wurde, und die ich curiositatis gratia, so wie ich sie empfangen habe, erzählen will.[6]

Es war einmal Adam Sem Ham Japhet Freiherr von Rosenthal, der wegen seiner Stärke, um bei der heiligen Schrift zu bleiben, Simson, und wegen seiner Schönheit Joseph heißen konnte. Ich würde ihn mit dem Königssohne Absalom vergleichen, wenn der Herr Vater des Prinzen Absalom von alter Familie gewesen wäre, und Se. Majestät nicht in Dero Jugend das liebe Vieh gehütet hätten. – Hierzu kommt, daß Se. königliche Hoheit an einer Eiche hangen blieben. (Schade, nicht um den Prinzen, sondern um sein schönes Haar! –) Das schwarzbraune Haar unseres Adam Sem Ham Japhets, das Absalom gewiß nicht köstlicher haben konnte; seine Ritterstirn, die sich wie ein Fächer in Falten legte und öffnete, je nachdem es Styli war; seine freiherrliche Adlernase; seine felsenfeste Brust; sein Potsdamer Wuchs – alles und jedes erhob ihn zu dem seltsamsten Manne seiner Zeit. Jeder Theil seines Körpers schien es auf eine besondere Festung anzulegen und auf sichere Eroberung Anspruch zu machen. Er war vom Schlage der Antinousse, ging übrigens, wie es sich eignet und ziemet, ländlich sittlich, ehrlich und ordentlich zu Werke, und spannte alle diese Natursegel nur auf, um den Hafen eines einzigen schönen und reichen Fräuleins zu erreichen. Diese Bescheidenheit gab allen seinen Eigenschaften ein reizendes Colorit. Sein Haus ward durch diese Heirath, durch Fleiß und Oekonomie groß, und allgemein erscholl die Rede, er werde sich, wie man es nannte, grafiren (in den Grafenstand versetzen) lassen. Bei allem, was dem Publikum zum Besten gegeben wird, ist Wahrheit die Basis; indeß, um es schmackhaft zu machen, mischt, wer die Kunst versteht, etwas für den Gaumen hinzu; er bemüht sich (um ein anderes Bild aufzustellen), durch seine falschen Steine eine Wahrheit zu erspiegeln, und jedem seiner Lügenschlösser legt er ein Fundament von richtigen Umständen; nur selten bauet er auf Sand, wie Stümper, die entweder nicht lange[7] genug im Dienste des Lügenvaters gewesen sind, oder denen es an Genie fehlt, seinem Unterrichte Ehre zu machen. – Unser Freiherr hatte wirklich öfters den Gedanken, für sein so reich gewordenes Haus den Grafenstand zu suchen, den er auch eben so wirklich gesunden haben würde. Bloß der weise Umstand, daß die von der gräflichen Familienlinie ältere Grafen gewesen wären, erzeugte die reifere Ueberlegung, lieber zu bleiben, was er war, und sich auf andere Art unsterblich zu machen. Man weiß z.B., daß er einen prächtigen Kirchthurm, drei neue Glocken und einen Riß zu einem neuen Beichtstuhle veranstalten, dem Pfarrer loci eine Speisekammer und was sich bei Küche und Speisekammer von selbst versteht – anlegen ließ; und wenn gleich einige naseweise Klüglinge ihm den Rath gaben, den Theilhabern der in seinem selbsteigenen Hospitale befindlichen Armen ein paar Pfennige zuzulegen, so fand er es doch weit rühmlicher, das Hospital durch eine schöne Uhr zu zieren, als diese Zulage einzuräumen, da es wohl auffallend den Vorzug verdient, ganz richtig zu wissen, wenn es Mittag ist, als etwas zu essen zu haben. – Sein Geld trug, wie sein Acker, tausendfältig, ohne daß er den Boden und alles, was sonst um und an ihm war, anders als landüblich behandelte. Die Glücksumstände unseres Freiherrn wurden zu groß, als daß sie nicht die todten Kohlen des Neides hätten ins Leben hauchen und sie glühend machen sollen, obgleich der Kohlendampf den Neidern oft mehr als den Beneideten schadet. Der gemeine Mann schrieb in beliebter Kürze und Einfalt dieses fast unerklärliche Glück dem Alp zu, der nicht allein drückt, sondern auch beglückt; die Philosophen damaliger Zeit behaupteten: es hätte sich im Rosenthal'schen Schlosse ein Schatz gefunden; die Juristen, die am seltensten den Punkt treffen, waren der federleichten Meinung: er hätte seine Schwäger bei der Theilung hintergangen; die Politiker sagten sich ins Ohr: er wäre ein Spion und geheimer Briefträger einer benachbarten Macht;[8] die Theologen, die er Ehren halber weidlich bewirthete, machten alle jene Aus- und Einfälle durch die fromme Belehrung caput: Gottes Segen, an dem alles gelegen sey, habe ihn reich gemacht ohne Mühe! – Niemand traf den Nagel auf den Kopf; und freilich konnte man so leicht nicht errathen, daß allein die frommen Wünsche und Einlenkungen der Unterirdischen dieß Hans so glücklich machten. Diese Unterirdischen hatten ihre Wohnung in dieß Schloß verlegt, und zwar wegen eines unangenehmen Vorfalles, der ihnen in ihrem vorigen Quartier zugestoßen war. (Bekanntlich sind kleine Leute sehr leicht aufzubringen.) Den Schwergläubigen unter meinen Lesern zu Nutz und Frommen bemerk' ich, daß die Unterirdischen angeblich kleine, fingerlange Menschlein seyn sollen, die mit einer unbeschreiblichen Leichtigkeit in ihre unterirdische Wohnung hinab und zu uns herauf kommen und, wenn sie um uns sind, sich mit der leichtesten Mühe, und fast natürlich, unsichtbar machen können. Sie haben die vortrefflichsten Augen, die ihnen selbst in der Dämmerung und bei Nacht nicht ungetreu werden. Ach! nicht nur zwischen Himmel und Erde, sondern auch in und unter der Erde gehen, nach alter Rosenthal'scher Meinung, Dinge vor, die keinem Philosophen – ausgenommen den Grafen Gabalis – geträumt haben! Wer hörte nicht, wenn am schwülen Sommertage, wo der Hirsch nach frischem Wasser schrie, die Natur sich schnell mit Flor überzog, so wie der Hof, wenn der Fürst das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt? Wer hörte nicht beim Donner und Blitz, bei Hagel und Schlossen und dem heftigsten Sturme seine pfeifende Stimmen, die so ein alter grauer Kerl, wie der Sturm, um alles in der Welt nicht herauszugurgeln im Stande ist? Wer vernahm nicht fürchterlich heisere Stimmen, die zuletzt nur pfiffen und zischten? Und wer zweifelt an der unerschütterlichen eisernen Brust des Sturms, dem es schier eine Kleinigkeit ist, alles Stimmbegabte und den tapfersten Bassisten zu[9] überkreischen? – Wer kann es erklären, wenn Hunde, oft mir nichts dir nichts, anschlagen und ihre Leute aus dem angrenzenden Quartiere durch ein Feldgeschrei ins Gewehr rufen und, wie es uns dünkt, ohne alle Ursache schneidend heulen und jammernd wehklagen? – O, des gräßlichen Weh's, das in diesen Klagen liegt! – Wer sah nicht Fenster zittern und beben, ohne daß weder Schlossen noch ein heftiger Regen dazu Anlaß gaben? – Wem blitzte nicht oft ein kalter Schauer durch alle Glieder, obgleich nichts als ein sanftes, fast unmerkliches Säuseln in der Luft seine Nerven berührte? – Wie oft wimmern nicht unsere Hausthiere und selbst das Schooßhündchen (das sich doch nicht sicherer befinden kann), ohne allen körperlichen Schmerz und ohne alle Luftveränderung? – Wer wird nicht aufmerksam gemacht durch so manchen Aufruhr unter dem Federvieh, der ohne Schatten von Ursachen entstand? – Wer kann es erläutern, warum die ältesten hölzernen Mobilien, die alle mögliche Jahreszeiten ein ganzes Säculum hindurch und länger erduldeten, die von Großmutter auf Mutter, und von Mutter auf Tochter vererbt wurden, auf einmal in Laute ausbrechen, über die ein Feldmarschall aufspringt und derentwegen der gespensterungläubige Philosoph die Feder fallen läßt, die er sich in sechs Minuten nicht aufzuheben getraut? – Wenn nicht Besuche von Unsichtbaren hieran Schuld sind, was kann es sonst seyn?

Längst hätte der Mensch die Hunde, an die er sich so unerklärlich gewöhnt, mit dem Hunderechte, das diese Creaturen, so gut wie die Tauben das ihrige, behaupten, aufgegeben; längst hätte der Mensch eine Balanz von Kosten und Vortheil gezogen und das augenscheinlichste Mißverhältniß zwischen den Diensten der Hunde und dem Aufwande, den man ihretwegen treibt, überschlagen – wenn Hunde nicht so sichere Witterung von dergleichen Erscheinungen hätten. – Eine Abschweifung! Wahr! allein ein Auszug von fünfzig Folioseiten meiner Legendennachrichten, bei dem meine Leser[10] nichts verloren haben. Damit wir indeß unsere Fingermenschen nicht unter den Händen verlieren, so setzt meine Tradition zum voraus, daß sie gar gern sich in Schlössern aufhalten, je älter je besser; nur müssen diese Schlösser bewohnt seyn, weil die Menschlein sich gar zu gern mit Menschen messen, und, wiewohl fast unsichtbar, ihres Umganges genießen. Ein besonderes Völkchen! So lange hat man vergebens Eldorado gesucht, und es bis jetzt nirgends als in Romanzen gefunden; – unter der Erde ist es, ihr Herren Sucher und Versucher! – Ach! glaubt mir – nirgends anders, als unter der Erde!

Ob übrigens etwa eine Verwünschung, die in dergleichen alten Gebäuden zu Hause gehört, an der Figur unserer Kleinen Schuld sey, oder ob wirklich dergleichen Geschöpfe gleich anfänglich und schon bei der Schöpfung so klein gewesen, das bleibt in meinen Nachrichten weislich oder unweislich unbemerkt. Allenfalls müßte D. Swift darüber Auskunft geben. – Daß ihrer weder bei einem Tagwerk in der Schöpfungsgeschichte Mosis, noch bei dem Inventario von dem Kasten Noä der alten Welt, noch vermittelst einer Registratur bei dem Rosenthalschen Kasten Noä gedacht worden, ist nicht zu läugnen; indeß können solche Kleine leicht von Geschichtschreibern übersehen worden seyn, besonders da sie sich so gerne verstecken und die Gewohnheit haben, mit den Menschen Blindekuh zu spielen. Sie leiden nichts mehr, als das Wiedervergeltungsrecht, wenn sie übersehen werden. Genug, dergleichen Fingerlein, wie man sie in der Familie nannte, befanden sich bei oder unter dem altväterischen Schlosse des Herrn Freiherrn Adam Sem Ham Japhet, Freiherrn von Rosenthal. Schon zu seines Herrn Großvaters Zeiten hielten sie ihren Einzug in dieses Schloß; und so sehr man sich auch Mühe gab, die eigentliche Ursache zu ergründen, welche die Fingerlein bewogen haben könnte, diese Wanderung vorzunehmen, so war dennoch dieses Geheimniß[11] nicht zum Stehen zu bringen. Man hielt die Familie in dem Schlosse, dem die Fingerlein den kleinen Rücken zugekehrt hatten, für eine der glücklichsten im Lande, ohne daß sie wußte, wie sie zu diesem Segen kam. Was sie anfing, ging fort, wie die Weiden an den Wasserbächen; – ihre Rechnung war ohne Wirth gemacht, und doch richtig. Selbst der Neid schwieg. »Der Himmel gibt es ihnen im Schlafe;« mehr getraute er sich nicht ihnen nachzureden. O, des beneidenswerthen Glücks! Nach dieser böslichen Verlassung ging es der Familie nicht viel anders, als dem Kreuz- und Querträger Hiob; doch mit dem Unterschiede, daß sie nicht wie er zu sagen vermochte: Ende gut, alles gut. Man konnte nicht ausfahren, ohne ein Rad zu brechen; nicht bei dem Fürsten des Landes essen, ohne von einer bauchlauten (ventriloque) Kolik übel geplagt zu werden. Ward etwas Kluges gesprochen, so überfiel die Cavaliere ein so schläfriges Gähnen, daß sie wegen dieser Idiosynkrasie zum Sprichwort wurden. Gegen die Fräulein, die sich so geheim zu halten wußten, wie eins im Lande, hatte man, der äußersten jungfräulichen Behutsamkeit ungeachtet; in puncto puncti gar übel Verdacht, so daß nicht Stern, nicht Glück weiter, in der Familie war. Der Name dieser verlassenen Familie ist nicht mehr unter den Lebendigen, und hauset nur noch auf Leichensteinen und in Gebeinhäusern, wo man, wiewohl doch nur sehr verstümmelte Ueberbleibsel ihrer vorigen Bedeutung findet; – denn selbst im Grabe hörte die Rache der Unterirdischen dießmal nicht auf! – Diebe haben die Hauptstücke dieser Grabesherrlichkeiten verfälscht und Donner und Blitz sich an den Ruinen auf eine so gewaltsame Weise vergriffen, daß diese Ruinen (wenn man den elenden Ueberbleibseln ja diesen Ehrennamen verstatten wollte) nur Schrecken und Rache verkündigen. – Einer von den Fingerlein, und wie man sagt nicht der geringste, kam zum Großvater des Adam Sem Ham Japhet Freiherrn von Rosenthal früh Morgens um drei Uhr.[12] Den eigentlichen Tag hat man nicht ausfindig machen können; indeß soll es entweder der kürzeste oder der längste im Jahre gewesen seyn. Sonst wird bemerkt, daß die Fingerlein in der Regel des Morgens zwischen zwei und drei Uhr ihren Anzug zu melden und zwischen elf und zwölf Uhr Nachts Abschied zu nehmen gewohnt wären. Sie wurden von dem Großvater mit Freuden auf- und angenommen; wer wird sich auch nicht freuen, Gäste in seinem Hause zu haben, die mehr einbringen, als kosten? Man hört, man sieht sie nicht; bloß Sonntagskindern war es gegeben, sie zu erblicken, und nur diese wußten ein Wort von ihnen zu seiner Zeit zu erzählen. Zwar gaben sie keine verabredete Miethe; indeß strömte dem Großvater Geld und Gut von allen Ecken und Enden zu, er und sein ganzes Haus gingen auf einer Art Rosen, die keine Dornen hatte, man lebte, wie man sagt, in floribus. – Der Großvater, ward der Glückliche genannt, und all sein Dichten, all sein Trachten ging herrlich von statten. Die Erbschaft dieses Glückes fiel seinem Sohne glücklichen Andenkens zu, und auch sein Enkel Adam Sem Ham Japhet grünte und blühte, so daß der Wohlstand der von Rosenthalschen Familie weit und breit bekannt und des Redens und Singens darüber kein Ende war – Sela!

So war und blieb es, bis ein durchlauchtiges Beilager unter den Fingerlein sich ereignete, der erste Vorfall dieser Art, den man bei Familiengedenken erlebte. Zwar sind es bloß Bruchstücke, die man von der Sache weiß; ist es indeß überhaupt mehr als Bruchstück, was von den Fingerlein mit Bestand Rechtens gewußt und erzählt werden kann? Selbst da, wo sie Wohnung machen, haben nur drei, sieben, höchstens neun und allerhöchstens zehn von dem Geheimniß ihres Aufenthalts Wissenschaft. Das Geheimniß der Zahlen ist nicht jedermanns Ding. Die wenigsten Menschen[13] verstehen Drei zu zählen; Geweihte kennen Sieben und Neun, und Auserwählte, deren es in der ganzen Welt nicht über drei, höchstens sieben, geben kann, haben es bis Zehn gebracht. Die zahlreichen Betrachtungen, die meine Tradition bei dieser Gelegenheit preisgibt, muß ich übergehen, um den extraordinären Gesandten, der des Morgens zwischen zwei und drei Uhr am freiherrlich von Rosenthalschen Ehebette seine Cour machte, nicht länger warten zu lassen. Unser Herr Adam Sem Ham und Japhet legte bei dieser Gelegenheit keinen Beweis der ihm beiwohnenden Entschlossenheit ab; denn er fiel, unter uns gesagt, in ein so panisches Schrecken, daß die Frau Gemahlin ihm ein Riechfläschchen holen mußte. Auch wär' er sicher und gewiß in seinen Sünden geblieben und auf der Stelle Todes verblichen, wenn etwa, Gott sey bei uns! ein Riese als Gesandter erschienen wäre. Se. Excellenz verbaten mit unausdrücklicher Höflichkeit diese Riecherei, da sie Dero Nerven zu sehr angriffe; und es war ein Glück, daß unser Adam Sem Ham Japhet sich schon von selbst erholt und frischen Muth geschöpft hatte, würde er sonst wohl im Staude gewesen seyn, Nase und Ohren zu öffnen, um zu vernehmen, weß Geistes Kind der Gesandte wäre? Diejenigen aus meiner Lesewelt, welche glauben, daß dieser Ambassadeur extraordinaire etwa den Auftrag gehabt, zur Hochzeit einzuladen, kennen die Weise der Fingerlein noch nicht. Ihre Art und Sitte verdiente wohl einen besondern Folianten, den ich, wenn sie mir die Ehre erweisen und das alte Haus auf meinem Gute zu beziehen geruhen wollten, sehr gern ex officio schreiben würde. Das wenigste wär' es, mir bei diesem Anlaß von diesen Hochmögenden ein Privilegium exclusivum auszuwirken, dergestalt und also, daß alle Nachdrucker dieser Schrift den Nachdruck zur ewigen Scham und Schande an ihrem Leibe tragen müßten. – Wer weiß, was sie mir unter der Hand von wegen dieses Riesen von §. schon jetzt zu Gefallen[14] thun –! Wornach man sich zu achten und vor Schaden zu hüten hat! Kommt Zeit, kommt Rath.

Se. Excellenz nieseten wegen des Geruchs, der Sie hart angegriffen, dreimal, und erbaten Sich (damit ich meine Leser nicht aufhalte) den Saal, der beinahe über das ganze Schloß ging und der den Fingerlein schon in vorigen Zeiten bei festlichen Anlässen war eingeräumt worden. Gern ward er bewilligt, und eben so gern die Bitte, daß sich niemand unterstehen sollte, auch nur durch die kleinste Ritze sich einen Blick zu Schulden kommen zu lassen. Der Frau Baronin Gnaden war bei dieser Gelegenheit, als eine in das Fingerleingeheimniß längst eingeweihte, nicht nur eben so schnell, sondern noch vorschneller, auf die Bitte der Fingerlein in Absicht des Saales ein deutliches und aufrichtiges Ja anzugeloben. Wenn es indeß auf Beweise ankäme, daß unsere Damen überhaupt zum Ja und wir zum Nein geneigter sind, so könnte dieser Vorfall zu keinem Belege dienen, denn die zweite Bitte blieb hinterlistig unbeantwortet, und es war allerdings ein großer Fehler, daß seine Fingerleinsche Excellenz, ohne über den zweiten Punkt dieß Ja auch von der gnädigen Frau zu vernehmen, sich bloß mit dem Ja des Herrn Barons begnügte, um, wie diese Excellenz sich gar zierlich und manierlich ausdrückte, sich dankbarlichst zu beurlauben. Da die Fingerlein schon vorher oft bei solchen Feierlichkeiten den altväterischen gothisch-prächtigen Saal inne gehabt hatten, ohne durch ein neugieriges Auge gestört zu werden, so glaubten Se. Excellenz unfehlbar, keiner so großen Peinlichkeit zu bedürfen, und welcher Gesandte wird auch gleich einem Notario publico jurato und immatriculato, ein Protokoll über seinen Auftrag aufnehmen, oder, wie ein Testamentsdeputirter, die Fragdreistigkeit besitzen, die sich bis auf den Umstand erstreckt: ob auch respective der Herr Testator und die Frau Testatricin sich bei gesundem Verstande befinden? Si vales bene est, ego valeo: (Wenn die Herren[15] nur bei gesunden Sinnen sind; ich befinde mich Gott Lob ganz wohl!) ist keine unschickliche Antwort, die einst bei einer solchen Fraggelegenheit fiel.

Der Tag erscheint. Die meisten Hausbedienten werden verschickt; und, um so viele Hindernisse, wie nur möglich, aus dem Wege zu räumen, wird den übrigen, männlichen und weiblichen Geschlechts, ein froher Tag gemacht. Sie sollten über die Freude (wie es gemeiniglich der Fall mit der Freude zu seyn pflegt) der Neugierde ausweichen. Die Traurigkeit ist unaufhörlich neugierig, welches, wie ich fast glaube, der Drang der Hoffnung verursacht. – Die freiherrliche Familie selbst behalf sich mit kalter Küche, da der Koch, der von höchst neugieriger Complexion war, verschickt und aus dem Schloß entfernt werden mußte, ob er gleich, so wie der eben so neugierige Nachtwächter, sehr gern an dem frohen Tage des Hausgesindes theilgenommen hätte und wirklich darum ansuchte, indeß abschlägig beschieden ward. Herr und Dame des Hauses unterhielten sich, wie wohl nicht anders zu vermuthen ist, von dem Feste der Fingerlein, welches diese in großer Stille anfingen, bis nach drei Stunden, gegen ihre sonstige Gewohnheit, alles ins Laute ausbrach, woraus man aber, wie die gnädige Frau sich ausdrückte, keinen Vers machen konnte. Da sie indeß, weil dießmal alles außer der Weise ging, lüstern auf einen Vers war, so ging es hier wie mit Adam und Eva im Paradiese. Man sagt, unser Adam würde nun und nimmermehr nachgegeben haben, wenn nicht die Stunde des Rendezvous mit einer Kammerzofe der Frau Gemahlin gekommen wäre, die sich unvermerkt von ihrem großen Feste schleichen sollte, um dem gnädigen Herrn ein kleines zu geben. Er hatte es darauf angelegt, daß Eva eine Promenade machen und ihn allein lassen sollte; allein der Mann denkt, die Frau lenkt. Was war zu thun? Sie schützte Kopfweh vor, das die Damen gleich bei der Hand haben, wenn sie nicht[16] spazieren gehen wollen. »Meinethalben,« sagte Adam, da die gnädige Frau dringend vorstellte und bat, und da es dem gnädigen Schäfer so vorkam, als hörte er schon die Schäferin lauschen – »Meinethalben,« wiederholte er stärker, und er würde es zum drittenmal sogar geschrien haben, wenn die gnädige Frau so viel Zeit gehabt hätte, das drittemal abzuwarten. Wohl ihm; denn es war schon ein Viertel über die verabredete Schäferstunde. – Adam aß vom verbotenen Baum, während daß Eva in einen Apfel anderer Art biß. Auf Strümpfen schlich sie sich an das heilige Schlüsselloch. O, des unglücklichen, des dreimal unglücklichen Ganges! Kaum hatte sie ihr Auge eingepaßt, so ging alles her, wie bei einem Ameisenhaufen, den man durch einen Stock aufschreckt. Die Lichter wurden mit Mund und Händen ausgelöscht, und in weniger als drei Minuten war alles aus, und zum unseligen Ende.

Bei dieser Stelle entfiel meiner Erzählerin, einer wohlbeleibten Matrone der von Rosenthalschen Familie, der letzte Zahn, den sie mit einer solchen Rührung in ihren Nähbeutel begrub, daß ich nicht wußte, worüber ich hier am ersten und besten condoliren sollte. Ich will hoffen, daß man dieser Geschichte das Zahnlose ansehen wird, denn sonst liegt die Schuld an mir, und nicht an der Erzählerin, die nach dem Leichenpomp ihres Weisheitszahnes fortfuhr, wie folget.

Die bestürzte Baronin kam zu ihrem Gemahle, der sein Zimmer aus Furcht vor einem Nachschlüssel verriegelt hatte – was sie um so weniger befremdete, da er in dem Geschrei stand, daß er Betstunden hielte. – »Betstunden?« – Allerdings! Ist es etwa das erstemal, daß diese sich in Schäferstunden verwandeln –? Die gnädige Frau mußte es sich gefallen lassen, einen Umweg zu nehmen; und auch von dieser Seite waren Riegel vorgeschoben. In der großen Verlegenheit, worin sie sich befand, fiel ihr die Verlegenheit des Herrn Gemahls nicht auf, der nicht Zeit und Raum hatte, die Zofe wo anders, als in seinem Bücherschränke zu[17] verbergen – und ihr nicht viel weniger zerstreut, als sie es selbst war, entgegen kam. Gewiß würde er, nach der Männer Weise, über den Sündenfall der Frau Gemahlin ein lauteres Zeter erhoben haben, wenn er nicht noch vom verbotenen Apfel den Mund voll gehabt hätte. Nach dem ersten Schreck, der nun allmählig vorüberging, fand die Baronin manchen Trostgrund in der Nähe und in der Ferne, den sie ihrem Gemahl mittheilte; indeß hatte er wegen des Bücherschrankes dringenden Anlaß, diese Tröstungen in einem andern Zimmer zu vernehmen und ihnen nach und nach beizutreten. Besonders beruhigte es ihn, daß die Augen der Frau Eva gar nicht waren aufgethan worden, und daß sie weder Gutes noch Böses, sondern gerade gar nichts gesehen hatte. – Umsonst! Nach neun Tagen zwischen 11 und 12 Uhr erschien der Bote, der den Abzug eröffnete und zugleich das Todesurtheil des Ambassadeur extraordinaire beiläufig bekannt zu machen, in commissis hatte. »Ach!« sagte der bedrängte Baron, »darum zu sterben, weil man nur einmal Ja gehört hat!« Die Baronin war in Verzweiflung, an dem Tode eines Ministers Schuld zu seyn, der es an Gefälligkeit und Höflichkeit gewiß nicht hatte ermangeln lassen. Sie nahm sich die Erlaubniß, von seinen letzten Stunden Nachricht einzuziehen und zu fragen, ob er durch einen Geistlichen zum Richtplatz wäre begleitet worden? Zu ihrem nicht kleinen Troste erfuhr sie, daß er mit größerer Resignation, als viele, welche diesen Weg vor ihm gingen, den Richtplatz bestiegen und der gnädigen Eva das hinterlistig zurückgehaltene Ja mit christlicher Fassung vergeben und nicht vorbehalten hätte. »Was ist mein Verbrechen?« sagte mit andern Worten der wohlselig Hingerichtete zu den Umstehenden. »Verrieth ich mein Vaterland? Sucht' ich Wittwen und Waisen in falschem Justizspiel um das Ihrige zu bringen? Ward ich reich auf Kosten des Dürftigen? Machte ich, wie Necker, Rechnungen ohne Wirth? Ward ich Minister, weil[18] ich eine schöne Frau hatte, oder weil mich der Castrat, oder der Harfenist, oder sonst ein bedeutender Hofschranze dem Monarchen empfahl? Verführt' ich Weiber oder Töchter, indem ich Männer, Väter und Brüder durch Aemter und Pensionen gewann oder einschläferte? Macht' ich einen Lahmen zum Ballet-, oder einen Tauben zum Kapellmeister? Gab ich als Staatsdiener den Menschen auf? Der Mensch ist schön, die Menschheit ist erhaben; nur ein Haufen Menschen, ein Menschenkomplott, taugt gemeiniglich wenig oder gar nichts. – Vielleicht wird es mit der Zeit besser, wozu indeß unser guter Oberhofprediger und seine schwere und leichte Infanterie und Cavallerie sicherlich nie etwas beitragen werden. – Das Reich Gottes ist in euch, sagt der weiseste aller Lehrer auf Erden. – Ihr wißt mein Verbrechen: ich fragte nicht, was sich von selbst verstand; ich glaubte, daß unter Einem Ja, wie bei der Ehe, sich tausend Ja's von selbst verständen; ich bedachte nicht, daß Weiber zwar nicht böse, indeß neugierig sind. – Ich fluche ihr nicht, der guten Eva der Oberwelt; ich segne sie vielmehr. Sie ist keine aus der siebenten Bitte; ihr Fehler ist Leichtsinn: und wer ist davon frei bei Lebhaftigkeit und Offenheit des Charakters –? Man frage sie, was sie weiß! und ich gebe mehr als ein Leben hin (falls ich mehr als das Eine hätte, dessen Faden man gewaltsam abzureißen im Begriffe steht), wenn sie das mindeste gesehen hat. Ihr schönes, großes Auge ist viel zu stolz, um sich sogleich in ein Schlüsselloch einpassen zu lassen. Brachte sie einen Nach-, einen Diebsschlüssel in Anwendung? Bediente sie sich nicht vielmehr des allen Weibern zustehenden Rechtes des Schlüssellochs, das ihnen wegen der Untreue der meisten Ehemänner durchaus nicht zu entziehen ist? Ich sterbe, nicht weil die Baronin gesehen hat, sondern weil sie hätte sehen können; so wie die meisten des Beispiels halben zum Schaffot geführt werden – und diese sterben dann als Heilige, als Märtyrer der Gesetze. So, Freunde,[19] sterb' auch ich. Ich murre nicht; ich danke meinen Richtern; sie thaten, was sie zu thun schuldig waren; ich danke den Gesetzen, sie sind nicht für einen einzelnen, sondern für alle Fälle gegeben. Gin Gesetz auf den gegenwärtigen Fall gemacht, ist ein Machtspruch, und ein altes ist selten oder gar nicht anwendbar! Was taugt also die Justiz? – Ich danke dem Gesalbten, der bei der ganzen Sache kein anderes Interesse genommen, als daß er sich die Mühe gegeben, seinen Namen zu unterschreiben. Der seinige möge dafür, und zwar kalligraphischer, eingeschrieben werden in allen unsern Jahrbüchern bis auf den jüngsten Tag! – Mein Andenken kann nicht in Unsegen unter euch bleiben; – und an meinem Blute hat niemand Schuld, als der Moloch, der Staat, der sich so viele seiner Kinder opfern läßt. Selten schlachtet er wie Brutus; Nero und seines Gleichen sind seine Vorbilder. – Doch wie? ich schelte, weil man mich schilt? Ich vergelte Böses mit Bösem, und bin ungehalten, weil ich leide? – Wohlan, meine Lieben! ich will segnen; und es ist nicht gut, daß bisweilen Einer stirbt für Viele –? Ich verzeihe allen, die mir je unrecht thaten; verzeihet auch mir! Und ihr, die ihr euch für beleidigt hieltet, Große und Kleine, Vornehme und Geringe, vergebt, so wird euch vergeben! Wer kann wissen, wie oft er fehle –? Laßt uns versöhnt scheiden! – Was ist am Leben? Die höchste Lebensweisheit ist: an den Tod denken und sterben lernen. – Geht! ich werde heute examinirt, und ich hoffe zu bestehen in der Wahrheit. Im Tode fällt der Schein: die Schminke wird abgewischt, und wir sind in eigener Person sichtbar. Starb doch die Königin Maria als eine Heldin, welche eine andere Königin, die Putzhändlerin Elisabeth, zwar rechtskräftig, aber doch bloß darum mordete – weil Maria schöner war als sie! Starben doch so viele Menschen – ohne daß die Gesetze einen Buchstaben, geschweige denn den Geist auf sie bringen konnten – bloß durch feile Richter! Heil mir! das Gesetz, daß mich[20] verurtheilt, ist so ziemlich klar; – ganz klar ist fast keine, wenn es mit dem Fakto zusammen gepaßt wird. Niemand ist vor seinem Tode glücklich, sagte Solon; im Tode sind wir alle glücklich – alle! Guter Oberhofprediger, alle! – Ich sterbe. – Jeder, wer mich hört und sieht, wird auch sterben. – Ich habe in einer Viertelstunde vollbracht (bei diesen Worten bereitete sich der Scharf und Nachrichter vor, indem er seinen rothen Mantel von sich warf und sich mit dem blinkenden Schwert fürchterlich in Positur setzte), und über den Häuptern dieser Trauerversammlung schwebt noch immer der Fels des Sisyphus. Ich bin nach wenigen Augenblicken gewesen, und die meisten unter ihnen werden nach Stunden, Tagen und Jahren gewesen seyn! Gewesen!! Wer sein Leben lieb hat, wie können den Ananas, Caviar, Austern, Forellen, Haselhühner und dergleichen reizen? Der Gedanke, daß er auf den Tod sitzt, vergällt ihm alles. (Der Scharf- und Nachrichter winkte seinem geistlichen Collegen, dem Oberhofprediger; dieser verstand den Wink, und bat Se. Excellenz, sich kurz zu fassen. –) Kurz und gut! Lebt wohl, vergeßt mich nicht, nehmt euch meines Weibes und meiner Kinder an. Der älteste ist der nächste zur Schwadron bei den grünen Husaren, und sein Bruder will sich den Rechten widmen. Freilich könnt' er etwas Klügeres thun. Der Stabsrittmeister ist keinem vorgezogen; er hat die gewöhnliche Schule gemacht, und war drei Jahre Junker, ehe er Cornet ward. Lebt wohl!«

Die arme Baronin war dreimal in Ohnmacht gefallen, und hatte sich dreimal erholt. Der Oberhofprediger loci hatte eine sehr rührende Beschreibung von diesem Vorgange und den Wirkungen seiner Bemühungen zum Preise der göttlichen Gnade edirt – worüber sich die Baronin nicht der heißesten, bittersten Thränen enthalten konnte; und es war ein Glück daß etwas vorkam, worüber sie weinen konnte, denn eine neue Ohnmacht rückte heran, und hätte sich ohne den Ableiter des Oberhofpredigers gewiß nicht abweisen[21] lassen. Die Furchtsamkeit des Barons bei der Anmeldung, das Riechfläschchen und die Ohnmacht des wohlseligen Herrn Ministers, die ihn, als hätte er Knoblauchsgeruch eingesogen, anwandelte, wurden jetzt als die treffendsten Omina anerkannt, und der Engel des Todes schien nicht ungehalten über die Langwierigkeit dieses Wortwechsels, da die wohlselige Excellenz sein Vetter war, und da er ungern zu seinem eigentlichen Auftrage schreiten mochte. – Endlich ermannte er sich. Die Schuld ist getheilt, fing er ex abrupto an; der Sohn, den die Frau des Hauses unter ihrem Herzen trägt, wird unglücklich, und ein Dritttheil der Familie, ohne Unterschied, ob fräulich oder männlich, trägt die Zeichen unzeitiger Neugierde am Leibe sichtbarlich. »Sichtbarlich!« seufzte die Baronin. Sichtbarlich, wiederholte der Unglücksbote. »Unglücklich!« fuhr der Baron fort. Unglücklich, hallte der Würgengel nach. – Beides ist Ja und Amen worden. Das Unglück des unschuldigen Sohnes, den die Baronin unter ihrem Herzen trug, traf leider zu seiner Zeit baar und richtig ein, so wie man überhaupt die Erfahrung haben will, daß prophezeietes Unglück sich richtiger, als verkündigtes Glück, einstellen soll. Was die Zeichen der unzeitigen Neugierde betrifft, welche ein Dritttheil der Nachkommenschaft, ohne Unterschied, ob fräulich oder männlich, am Leibe zu tragen verflucht ward, so ist auch dieser Fluch erfüllt bis auf den heutigen Tag. Da indeß die Damen der Sichtbarkeit aller solcher Auswüchse mächtiglich zu widerstreben pflegen, so würde die höchste Rechenkammer in der Welt, die doch in Rücksicht der Auswüchse eine unverkennbare Stärke besitzt, das eine Dritttheil arithmetisch herauszubringen Mühe haben. – Noch einen Fluch hauchte unser Thaumaturge aus, der den auf das Alterthum seiner Familie so stolzen Baron bei der Pusillanimität, die ihn wieder anwandelte, völlig zu Boden schlug. Sein Stamm nämlich sollte, nach hundert Jahren und sieben Tagen sein Ende erreichen. Die Baronin,[22] welcher das Zeichen am Leibe und das Unglück ihres noch ungebornen Sohnes bis zum Verstummen nahe gingen, wollte den kleinen Gesandten bestechen und ihm eine Pathenstelle antragen, zu welchem Ende sie sich seinen Vornamen erbat; indeß er gab auf alle diese Höflichkeitserweisungen kein Wort, raunte dem Baron etwas ins Ohr (worüber die arme Frau in Puncto eines artigen jungen Herrn, der sie vor der Schwangerschaft sehr oft zu besuchen nicht ermangelte und jetzt, da sein Regiment – er war Fähnrich – ein entlegenes Standquartier erhalten hatte, nur schriftlich aufwarten konnte, sich allerlei Gedanken machte, ob es gleich nichts mehr und nichts weniger als die Bibliotheken-Geschichte war) – und nun verschwand er wie gewöhnlich – vor ihm Tag, hinter ihm Nacht. –

Das Säculum ist abgelaufen, ohne daß es diesem Familienzweige an Stammhaltern und Männern gebricht, die vor dem Riß stehen; woraus sich denn ergibt, daß die neueren Propheten unter diesem kleinen Volke eben den schlechten Ruf verdienen, wie die bei uns, oder daß ihre Jahre eine andere Breite und Länge haben müssen, als die man auf der Oberwelt zu kennen das Vergnügen hat. Sind doch schon die Jahrwochen des Propheten Daniel aus einem ganz anderen Kalender zu berechnen! – Vielleicht interpretirt man ihre Orakel, so wie die unsrigen, mehr aus dem Erfolg, als aus der Anzeige! – Bei Gesetzen und Prophezeiungen thut immer, die Auslegung das beste. Vielleicht schien dieser Familienzweig auch nur zu leben, da er, genau genommen, längst lebendig tobt war. In der That vegetirte ein großer Theil der Familie bloß, und schon ein gemeiner Geistlicher wäre im Stande gewesen, diese Weissagung bei so bewandten Umständen pünktlich erfüllt zu finden. – Was kümmert mich indeß jenes Fingerlein-Säculum, da das unsrige, welches sein Haupt neigt, alle Säcula in der Ober- und Unterwelt zu Spott und Schanden macht! –[23] Und wer kann das Wort Säculum ohne ein: Steh, Wanderer! aussprechen? Nicht wahr? das beste ist, so lange in Sprichworten zu reden, bis unser Stündlein kommt – und sich in Legenden zu zerstreuen, bis die Morgenröthe der Wahrheit aufgeht. – Wozu mich das Wort Säculum bringt? – Noch hab' ich zwei


Legenden:


Eine


vom ungebornen Unglücklichen;


und die andere


vom Gevatterstande.


Beide sind bestimmt, diesen Paragraphen, welcher der Form nach gewiß kein Fingerlein ist, noch näher zu erläutern.


Legende vom Gevatterstande.


Den Fingerlein geht es, wie der Gelehrsamkeit: beide haben die Gewohnheit, sich bei gewissen Familien einzuquartieren und mit dem zu begnügen, was da ist. So geschah es denn, daß die Fingerlein, nachdem sie jenes von Rosenthalsche Schloß mit den kleinen Rücken angesehen hatten, ihre Wohnung in einem andern eben derselben Familie aufschlugen und durch die Fourierschützen das Quartier einrichten ließen. Je länger sie hier hauseten, je zufriedener wurden sie mit ihrem Wirthe und seiner Gemahlin, so daß sie, wenn sie es gleich wollten, ihren inneren Hang, mit beiden sich näher zu verbinden, nicht bergen konnten. Zwar ging es so weit nicht, wie vor der betrübten Sündfluth, wo die Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen sahen, wie sie schön waren, und zu Weibern nahmen, welche sie wollten; indeß brachen die Fingerlein oft die Gelegenheit vom Zaun, um dem Herrn oder der[24] Frau des Hauses einen Besuch abzulegen, der, ob er gleich durch keine Erfrischungen aufgeheitert ward, ungewöhnlich lange währte und dem guten Baron, noch mehr aber seiner Gemahlin, der mit keinem Fingerlein gedient war, lästig fiel. – Unsre beiden Eheleute wurden oft von dem schrecklichen Gedanken ergriffen, ob die Fingerlein nicht etwa eine Gegenvisite verlangen würden, welche ihnen einer Höllenfahrt nicht unähnlich schien; indeß trösteten sie sich mit dem Umstande, daß ihre Gäste sich jederzeit ein Gewerbe bei diesen Visiten machten, so daß keine derselben zwecklos, leer und aus bloßem Ceremoniell gemacht zu seyn schien. Die Baronin befand, sich, mit Vorbewußt, gepflogenem Rath und angewandter That des Herrn Gemahls, in gesegneter Verfassung, und näherte sich ihrer Entbindung, so daß bereits eine von den berühmtesten Wehemüttern der Gegend sich gegen Wartgeld im Hause aufhielt, und der Geistliche seit vier Wochen jeden Sonntag für Geld und gute Worte um eine glückliche Entbindung der Frau Kirchenpatronin gebetet hatte. Eines Morgens erschien ein Abgeordneter, welcher der Baronin eine baldige glückliche Entbindung wünschte, und es nicht etwa bloß fallen ließ, sondern pünktlich den Antrag that, daß eine Dame fürstlichen Standes bei der Taufe zu Gevatter gebeten werden möchte. – Dieses Verlangen kam der armen Dame so unerwartet, daß sie, bei der großen Verlegenheit, in welche sie fiel, sich nicht anders zu helfen wußte, als daß sie sich zu ihrer Erklärung drei Tage Befristung erbat, um während dieser Zeit dem Herrn Gemahl darüber Vortrag thun und gemeinschaftlich mit ihm einen Entschluß fassen zu können. Der Abgeordnete lächelte dienstfreundlich, als wollte er sagen: er wisse wohl, daß dieser Aufschub bloß zu einem Vorwande diene, indem es auch unter der Erde Sitte sey, daß nicht die Damen, sondern die Herren die Referendarien in Hausangelegenheiten wären. Bei dieser Gelegenheit erfuhr die Baronin, daß das Kind, welches sie unter ihrem Herzen trug, ein[25] Fräulein sey; denn Ihro Hochfürstliche Durchlaucht hoffte, daß man Ehre dem Ehre gebühre erweisen, und nach wohlhergebrachtem Gebrauch ihr, als der Vornehmsten in der Gesellschaft, aus christlicher Demuth nachlassen würde, das neugeborne Fräulein über der Taufe zu halten. Bloß die Angst, die bei diesem Umstande am höchsten stieg, hielt die gute Baronin zurück, laut zu lachen. Das kleinste Menschenkind, dachte sie, ist ein Riese gegen Ihro Hochfürstliche Durchlaucht; und es war in der That ein Glück für die gute Dame, daß sie so dachte, und daß die Angst dem Lachen den Weg vertrat; denn ganz ohne alle Veranlassung fing jetzt der Abgeordnete an, die Hauptstücke des christlichen Glaubens zu beten, und sang darauf den Glauben so wörtlich und treu, daß wenn hier nicht die Frömmigkeit, wie vorher die Angst (ist der Unterschied unter beiden groß?) bei der Baronin ins Mittel getreten wäre, und das Lächeln über den possierlichen seinen Ton des Gesandten verhindert hätte, es ihr völlig unmöglich gewesen wäre, sich zurück zu halten. – Die Baronin wollte bemerkt haben, daß der Tit. Herr Abgeordnete die Bitte: Führe uns nicht in Versuchung, mit Thränen in den Augen gebetet hätte; und so schied denn unser katechismusfestes Fingerlein von dannen. Er sang den Tenor. – Den dritten Tag verfehlte er nicht, zu rechter Zeit und Stunde sich einzufinden, um die Antwort zu erfahren; und da die gnädige Frau bereits in der Dämmerung des ersten Fristtages diese Sache mit dem Herrn Gemahl, der alles, wie natürlich, der Frau Gemahlin anheimstellte, rechtskräftig abgeredet hatte: so erhielt der Herr Abgeordnete, der schon wegen seiner ersten vorläufigen, wiewohl nicht hoffnungslosen Antwort mit einem Orden verziert worden war, dessen Stern einem Fixstern ähnlich blitzte, ein volles Ja. – – Beiläufig ward jetzt noch die Etikette verabredet.

Ihro Hochfürstliche Durchlaucht, sagte der Herr Ritter, verlangten gar nicht eingeladen zu werden, da die Posten in der Unterwelt[26] sehr unrichtig gingen und alles durch Gesandte und Couriere abgemacht würde. Höchstdieselben würden Sich von Selbst zu rechter früher Tageszeit einstellen; indeß müßte Ihnen eine Art von Thronhimmel mit Purpur beschlagen (wozu der Herr Abgeordnete die Zeichnung überlieferte, die vom Oberbaudepartement entworfen war) nahe am Wochenbett errichtet werden. Uebrigens würde sie, wie der Ritter es nannte, nur beitreten, und beifassen, so daß immer eine andere Dame das Kind vor der sichtbaren Welt halten könnte. Endlich würde sie der Frau Baronin eine besondere Wochenvisite nicht entziehen. Bei der Taufhandlung selbst wollte sie im strengsten Incognito seyn; das heißt: das Elternpaar sollte sich mit keiner Sylbe zu ihr wenden, obgleich die ihr zukommende körperliche Verbeugung (wiewohl unvermerkt) nicht erlassen ward. Das Kind sollte Banise heißen. »Banise?« Banise, erwiederte der besternte Abgeordnete, und fügte mit anständigem Ernste hinzu: Wie ich sage, Banise. – Gern hätte die Baronin diesen Namen verbeten; da indeß alle Punkte und Klauseln bereits bewilligt waren, so konnte freilich der Banisische keinen Anstand veranlassen. Nach vielem Hin- und Her-, Vor- und Nachdenken erinnerte sich unser freiherrliches Ehepaar des Umstandes, daß die Gemahlin des Adam Sem Ham Japhet den Gesandten des Fluchs mit einer Pathenstelle bestechen wollte, der er aber, ob sie gleich sich gar höflich seinen Vornamen erbat, mit einer Art von Verachtung auswich; und so war die Vermuthung nicht unrichtig, daß jener Vorfall Gelegenheit zu dem gegenwärtigen gegeben, der immer mitlaufen können, wenn nur der verwünschte Name Banise nicht das Spiel verdorben hätte. Nie war die Wöchnerin, die sonst immer schwere Geburten gehabt, so leicht abgekommen. Die weise Frau bediente sich des merkwürdigen Ausdrucks, sie nähme dießmal das Honorarium mit Sünden; und der Baron, der, er wußte selbst nicht warum, sich eine Tochter gewünscht hatte, war vor Freuden[27] außer sich. – Die vornehmsten Personen der Gegend wurden zu Taufzeugen erkoren, und als der Tauftag erschien, der unsichtbaren Fürstin ihr besonderer Sitz nach der eingehändigten Zeichnung des Oberbaudepartements hingestellt. Dieser Sitz gehörte, wenn gleich eine unsichtbare Person ihm die Ehre erweisen wollte, ihn einzunehmen, doch zu den sichtbaren Dingen, und war so wenig das vornehmste darunter, daß vielmehr dessen Possierlichkeit einem jeden, der Autorität des Oberbaudepartements ungeachtet, auffiel. Besonders konnte die Gräfin v. **, die an sich eine stolze, übermüthige Dame war, nicht umhin zu wünschen, sie möchte das Schooßhündchen kennen lernen, welches hier ruhen würde. Die Sechswöchnerin sah sich einer Nothlügenverlegenheit ausgesetzt, und gab dieß Unwesen für Spielzeug ihres jüngsten Sohnes aus, der indeß, als er es nur betasten wollte, sehr ernstlich von diesem Noli me tangere abgewiesen ward. Natürlich stand der Name Banise obenan, und commandirte die sechs anderen, welche dem Fräulein sonst beigelegt werden sollten. Die Gräfin, die noch vor der heiligen Taufe diesen Umstand erfuhr oder erfahren mußte, weil sie sich darnach erkundigte, ließ des Namens Banise halber, da er ihrem Namen vorzutreten die Dreistigkeit hatte, ihrer Spottlaune noch mehr freien Lauf; und da sie es nicht wagen wollte, sich nach der Ursache dieses wildfremden Namens zu erkundigen (den sie aus dem Blitz-, Donner und Hagelroman vortheilhafter zu kennen Gelegenheit nehmen können, falls dieser Roman damals schon existirt hätte), so ersah sie sich (nach Art des Unwillens, der immer unruhig einen Gegenstand sucht, auf den er seine Pfeile schießen kann) den fürstlichen Sitz zum Ziel. – Die vornehmste und kleinste Taufzeugin trat mit dem Geistlichen zu gleicher Zeit ins Zimmer. Der Baronin, die sich durch die Stachelreden der Gräfin bis jetzt nicht im mindesten hatte verstimmen lassen, fiel die Figur der Fürstin nicht wenig auf. Ihro Durchlaucht erschienen[28] nicht en parure, sondern in Krönungspracht; die Königin Elisabeth hätte ihr an Ziererei weichen müssen. Es war ohnehin die erste Dame von den Fingerlein, welche die Baronin jemals sah. – Der Reifrock war erschrecklich, und der ganze Anputz kam der aufgeweckten Wöchnerin so abenteuerlich vor, daß sie Mühe hatte, ernsthaft zu bleiben. Das Derrière des Dames, worauf jeder, der den Putz versteht, am meisten zu sehen pflegt, schien völlig verfehlt, und schon eine Provinziale (welches die Baronin doch nicht im eigentlichen Sinne war, da sie die Ehre hatte, den Hof von Zeit zu Zeit zu sehen und sich von ihm sehen zu lassen) hätte alle die possierlich angebrachten Arabesken, Guirlanden und Devisen auf den ersten Blick als Grammatikalfehler des Putzes entdecken müssen. Der Taufaktus begann, und Se. Wohlehrwürden hielten eine lange Rede. Während derselben geruhten Ihro Durchlaucht Sich auf das Taufbecken zu erheben, worin, wohl zu merken, noch kein Wasser war. Die Baronin, die bis jetzt ihr Lachen, wiewohl nicht ohne saure Mühe, verbissen hatte, konnte es jetzt, da es an die Tauffragen ging, nicht länger überwinden. Die Fürstin würgte ihr Ja so sein heraus, daß sich alles umsah, als wäre ein Kätzchen so dreist, eine christliche Handlung stören zu wollen. Besonders fiel dieß Katzen-Ja der Sechswöchnerin auf, als es die Frage, galt: Entsagst du dem Teufel und allen seinen Werken und allem seinem Wesen? – Denn die Fürstin legte einen so besondern Accent auf dieses Teufels-Ja, daß die Wöchnerin, bei, aller Anstrengung sich zurückzuhalten, nicht länger in die Faust, sondern laut auflachen mußte; und dieß hörte die Fürstin so klar und deutlich, daß sie sich nicht entbrechen konnte, der Frau Gevatterin einen strafenden Blick zuzuwerfen, der indeß, wie es in dergleichen Fällen oft zu geschehen pflegt, die besondere Wirkung hatte, daß die Baronin noch herzlicher und lauter lachen mußte. Sobald das Taufwasser im Becken war, und während[29] der Fragen und Antworten, hatte die Fürstin sich auf die Perücke des wohlehrwürdigen Taufredners gesetzt. Dieser ärgerte sich gewaltiglich, daß so viel Puder auf sein Kleid und sogar in das Taufwasser fiel; und da er aus bloßem, unverständigem Widerwillen seine Perücke gleichsam abstrafen und sie ihre Unart fühlen lassen wollte, indem er sie nicht eben säuberlich zurechtsetzte, so wären Ihro Durchlaucht bei einem Haare ins Wasser gefallen – das, bei aller seiner Weihe und Heiligkeit, Höchstdenenselben doch an Leib und Leben hätte gefährlich werden können, wie denn Ihro Durchlaucht wohl am wenigsten in dieser Kleiderpracht aufgelegt schienen, das Lauchstädter Bad zu brauchen. – Der bestellte Name Banise war nicht im Stande, die Fürstin für alles dieß Herzeleid zu entschädigen; vielmehr schied sie – nachdem die Gräfin sich wegen des Namens Banise verblümt, und wegen des fürstlichen Sitzes schier öffentlich, in fürstlicher Gegenwart lustig gemacht, der Pfarrer den Küster wegen des seiner Perücke übermäßig gegebenen Puders ausgescholten, eine zweite Dame sich nach dem feinen Echo, das bei dem Tauf-Ja sich hören lassen, erkundigt, eine dritte, um sich bei der Gräfin beliebt zu machen, den fürstlichen Sitz auf einen Finger genommen und ihn leichter als einen Ball in die Höhe geschleudert hatte – voller Unwillen von hinnen. Freilich wäre schon eine dieser Anzüglichkeiten hinreichend gewesen, ein anderes fürstliches Blut in Wallung zu bringen; indeß hatte unsere Fürstin so viele Zurückhaltung, daß sie sich damit begnügte, an der Thüre der Sechswöchnerin mit zwei Fingern der rechten Hand, nämlich dem Zeige- und Mittelfinger, zu drohen, welches der armen Baronin einen nicht geringen Schreck zuzog, so daß sie von diesem Drohaugenblick an äußerst mißmuthig und verdrießlich ward. Sie nahm der Gräfin die Bitterkeit über Banisen, dem Pfarrer seine unzeitigen Scheltworte über den Küster, der zweiten Dame das naseweise Echo, und der dritten das Ballspiel so übel,[30] daß alles bitter und böse auseinander schied und die vieljährige gute Harmonie in dieser Nachbarschaft, die bis dahin wegen guter Freundschaft allgemeinen Ruf gehabt hatte, nie wieder in den vorigen Stand gesetzt werden konnte. Bei der armen Baronin wechselte von Stund' an Hitze und Kälte, und dem neuen Tochtervater war dabei so übel zu Muthe, daß er sehr gern gegen die Fürstin – von deren unerklärlichem, unzeitigem Appetit zu einem Gevatterstande auf der Oberwelt doch alles hieß Unheil, bis auf den verstreuten Puder und den Namen Banise (mit dem er besonders sehr unzufrieden schien), gekommen war – ein Anathema Maharam Motha ausgestoßen hätte, wenn er nicht vor den hitzigen und kalten Folgen, die er sichtbarlich an seiner Gemahlin sah, in Furcht gewesen wäre. »Que de bruit pour une omelette!« konnte er sich nicht überwinden auszustoßen, in der festen Hoffnung, daß die Fingerlein es nicht verstehen würden, wenn sie es auch wider Vermuthen hören sollten. – Bis in den dritten Tag ging alles im freiherrlichen Hause nicht viel besser, als in diesem Buche, in die Kreuz und in die Quer. Jetzt ließ die Fürstin sich zur Wochenvisite melden, die angenommen und mit vielem Pomp abgelegt wurde. Die fürstlichen Begleiter waren zwei Kammerherren und fünf andere Diener, zusammen sieben, und, was auffiel, keine Person weiblichen Geschlechtes – es wäre denn, daß die Kammerherren, die äußerst weibisch aussahen, sich aus unerklärlicher Fingerlein-Etikette verkleidet gehabt hätten, wovon die Geschichte indeß in keiner Randglosse etwas besagt. – Es würde schwer seyn, wirkliche Kammerherren von Weibern zu unterscheiden, und warum sollten wir bei diesem Umstande ohne Noth verweilen? – Nach einigen kalten Complimenten fing die Fürstin mit der Bemerkung an, daß sie sich von ihrer Freundschaft mehr versehen hätte, als bei so wichtigen Fragen und noch wichtigeren Antworten durch ein so befremdendes Lachen gestört zu werden. Die[31] wohlvorbereitete Baronin hatte zwar gleich die Sara bei der Hand, welche bei einem Besuche von drei Engeln auf die gesundesten Schüsseln in der Welt, Butter und Milch, Kalbsbraten und Kuchen, gelacht hätte. Auch vergaß die gute Baronin nicht, wohlbedächtig zu bemerken, daß die exemplarische Sara (bis auf den Fall, da sie ziemlich unexemplarisch sich für Abrahams Schwester ausgeben ließ) das Muster aller Weiber hoher und niedriger Abkunft wäre. Ihro Durchlaucht waren indeß nicht gemeint, sich durch 1. Buch Mose XVIII, 12 besänftigen zu lassen; doch geruheten Sie, höchlich zu versichern, die Ungezogenheiten der Mitpathen nicht auf die Rechnung der Baronin, die ohnehin groß genug wäre, setzen zu wollen. Viel Güte von einer Fürstin! – Jetzt folgten die Flüche, die sie über alle, welche sie beleidigt hatten, aussprach, und ob sie gleich in gar keinen Verhältnissen mit den begangenen Fehlern standen, so schienen sie doch recht ausgedacht zu seyn, um den Interessenten schwer zu fallen. – (Geht es mit den positiven Strafen anders? Die natürlichen allein bleiben bei der Stange.) – Wer wäre wohl von selbst darauf gekommen, daß die Frau Gräfin durch die Blattern gedemüthigt werden und auf ihren Wangen der Name Banise, zwar undeutlich, jedoch dem, der sich auf Blattern-Hieroglyphen versteht, verständlich genug, zu lesen seyn sollte! Die Blatternschrift, setzte die Fürstin hinzu, auf die sich die Physiognomisten nicht legen, weil sie sich begnügen, Nase, Augen und Stirn zu deuten, verdient gewiß nicht vernachlässigt zu werden. Die zweite Dame, fuhr sie fort, ist keines Traumes weiter werth. Ein Glück, fügte sie hinzu, das von so wenigen geschätzt wird! – Träume haben die Menschen auf die Dichtkunst gebracht, und die Dichtkunst ist die Mutter aller Erfindung, Hallelujah! Die dritte komme dreimal nach einander mit Drillingen nieder; facit Neun. Der Pfarrer endlich, der bei der heiligen Taufhandlung seinen Affekten so freien Zügel schießen ließ, gerathe nicht[32] in poetische Entzückung, sondern in Verfewuth, so, daß er sich nicht entbrechen könne, in Versen zu predigen. – »Und ich?« wollte die gute Baronin eben anheben, als die fürstliche Wahrsagerin sich zu ihr wendete: Und Sie, Frau Gevatterin – werden nie mehr niederkommen. – »Sein Wille geschehe!« erwiederte die Baronin. Und Ihre Tochter, die bestimmt war, eine Fürstin zu werden, wird es nicht. – »Wie Gott will!« erwiederte die Baronin. – »Und nun hängt es von Ihrer Wahl ab: Soll sie mit einem Fürsten einen Sprößling erzielen, der sich einen Namen mache? Oder soll sie das Weib eines Privatmannes werden, der vom Gesalbten und den von ihm Gesalbten, das heißt von seinen Ministern, nicht gekannt, froh und glücklich unter einem gutmüthigen Landvolke lebe, schwebe und sey?« – »Ich wähle das letzte,« erwiederte die Baronin. »Es sey also,« beschloß die Fürstin; »und weit Sie weise wählten,« fügte sie hinzu, »so wählen Sie noch von drei Dingen eins – für Ihre Tochter, und es soll ihr gewährt seyn: Soll sie es in ihrer Gewalt haben, die Herzen zu gewinnen, welche sie gewinnen will? Oder zu weinen oder zu schlafen, wenn sie will

Die Wahl würde keiner Dame schwer geworden seyn, da sie, wie man glaubt, es alle auf das Herzensspiel anlegen und ihre Gewinnluft außer Zweifel ist. Da die arme Baronin drei nach einander folgende Nächte kein Auge hatte schließen können, so wählte sie den Schlaf, ohne sich auf das Hazardspiel der Herzen und auf die Thronen (welche letzteren, wie man sagt, der schönen Welt ohnehin sehr leicht zu Diensten stehen) einzulassen. Kaum hatte sie gewählt, als die Prinzessin verschwand und die Baronin auf der Stelle so plötzlich einschlief, daß, wenn sie nicht entsetzlich geschnarcht hätte, der so neugierige als besorgte Gemahl gewiß geglaubt haben würde, sie sey in den Todesschlaf versunken. Adam konnte nicht fester schlafen, als ihm die Rippe genommen ward, und die Baronin[33] machte wirklich eine Probe von jenem eisernen Schlafe der weltbekannten Siebenschläfer. Sie schlief drei, sieben und neun Stunden, und noch nie hat ein Ehemann so sehnlich wie der Baron gewünscht, daß seine Gattin erwachen möchte, da die Neugierde ihn fast sehr plagte. Er lechzte nach den Resultaten der fürstlichen Visite. Noch hatte die Baronin die Augen nicht völlig geöffnet, als er sich mit seinem »Guten Morgen« dieß Geheimniß zu erschmeicheln suchte. Ueber die Unfruchtbarkeit der Frau Gemahlin zuckte er bloß stillschweigend die Achseln; laut unzufrieden war er, daß die Mutter den fürstlichen Sprößling so rund ausgeschlagen hatte, obgleich seiner Gemahlin deßfalls der Beiname: die Weise, von der fürstlichen Sibylle war beigelegt worden. »Noch lieber, bemerkte er, wäre es ihm gewesen, wenn sie gar eine förmliche Fürstin zu werden das Glück gehabt hätte;« als ob die Baronin nicht Schlacken von Erzstufen zu unterscheiden verstände! – Nachdem indeß die gute Frau ihn an so viele unglückliche Könige erinnert (ohne daß es damals schon die classische Schrift Can dide in der besten Welt gab), und nachdem sie gar liebreich hinzugefügt hatte, daß es noch weit unglücklichere Königinnen gegeben und noch gebe, so fand er Trost in ihrer Wahl des Schlafs, indem er ein großer Schlafverehrer war. »Hätte die Fürstin unter den drei zur Wahl ausgestellten Dingen einen Gürtel angeboten, vermittelst dessen man sich unsichtbar machen kann: ich wüßte nicht, was ich gewählt hätte,« sagte die Baronin; und diese Aeußerung beruhigte ihn völlig. Er schien kein Gürtelliebhaber zu seyn. Als ein vernünftiger, welterfahrner Mann hat er zu diesem Gürtelwiderwillen gewiß seine Ursachen gehabt – und wer hat sie nicht? Spät erinnerte die Baronin sich des fürstlichen Beifalls bei dieser Wahl des Schlafs. »Wohlgesprochen!« – hatte die Fürstin erwiedert; »den Seinen gibt er's im Schlafe.« – Wahr! Eldorado ist unter der Erde! –

Dankbarlich verehrte Fräulein Banise die Weisheit ihrer[34] Mutter lebenslang. Sie konnte schlafen, wenn sie wollte, und bemühte sich nicht nur, alles Uebel des Lebens sanft und selig zu verschlafen, sondern hatte auch das Glück, durch süße und angenehme Träume eins der fröhlichsten Weiber zu seyn, die je auf Gottes wachendem Erdboden gelebt haben. Es war ihr immer und in alle Wege so, wie es uns nur zuweilen ist, wenn wir recht ausgeschlafen haben. Jener weise König erwiederte dem Schmeichler auf die Versicherung, daß das gemeine Wesen so lange blühen würde, so lange er nicht aufhörte, so wohl zu befehlen: »Nicht also, sondern so lange das Volk nicht aufhören wird, so wohl zu gehorchen.« – Nicht auf das Wachen, sondern auf das Schlafen kommt es an. – Daß ihr eine gute Sentenz erhaltet, eine erbauliche Predigt hört, daß unser Heer siegte, und daß dein Kleid so wohl paßt – macht, weil Richter, Prediger, Feldherr und Schneider gut geschlafen hatten. Zum Laufen hilft nicht schnell seyn. Alexander schlief an dem Tage, der zur entscheidenden Schlacht mit Darius bestimmt war, so fest, daß sein Schwerin-Parmenio ihn mit Mühe aufwecken mußte, weil es Zeit zur Schlacht war. – Wer nicht schlafen kann, versteht der zu wachen? Wer nicht ruht, kann der arbeiten? – Unsere Banise ward von ihrem Gemahl, einem schönen reichen Jünglinge, zum erstenmal gesehen, als sie recht charakteristisch in einer Laube schlief. – Wer so schlafen kann, dachte er, ist ein edles, liebenswürdiges Geschöpf. Sie ward seine Gemahlin und die Mutter von sieben wohlgerathenen Kindern. Ihre Unterthanen liebten sie, wie ihre Mutter, und sie wollte auch nicht gefürchtet seyn. Die Worte: gute Nacht angenehme Ruhe! sprach sie liebevoll und zuweilen mit einer Art von magischer Kraft aus, so daß die, welche diesen Segenswunsch von ihr empfingen, des Schlafes, der sie geflohen hatte, wieder gewürdigt wurden. Ihren Mann und ihre Kinder hat sie oft auf diese Art curirt. Wenn sie nach abgelaufenem[35] Leben noch einmal hätte zu leben anfangen sollen – sie würde durchaus kein anderes Leben gewollt haben, so schön war ihr Schlafleben. – Ihre Krankheiten verschlief sie, und nach späten Jahren sagte man im Geist und in der Wahrheit von ihr: sie sey nicht gestorben, sondern eingeschlafen. Sie ruhe wohl – –!

Bei der


Legende vom ungebornen Unglücklichen


will ich mich kürzer fassen. Der ungeborne Unglückliche kam glücklich auf die Welt und war ein allgemein geliebter, schöner und fester Junge, der überall auf Händen getragen und gestreichelt wurde. Sein Milchbruder, der Sohn seiner Amme, brach in seiner Gesellschaft dreimal den Fuß und siebenmal den Arm, ward aber allemal so wohl geheilt, daß man bei jedem Bein- und Armbruche Gottlob! sagte, weil es nicht der Hals war. Unser Unglücklicher zerbrach sich nichts und auch nicht den Kopf, indeß wußte er mehr als seine Kameraden; es kam ihm alles im Spielen. Die Eltern, welche wegen der Prophezeiung den Knaben fast aufgaben, wurden bei ewigen außerordentlichen Glücksfällen dergestalt überrascht, daß sie zu glauben anfingen, die Drohung der Fingerlein hätte einen verborgenen Sinn, und die Bangigkeit, die sie der Mutter und dem Vater des Ungebornen halber auferlegt, wäre die einzige Strafe, die man beabsichtigt hätte. Auf den grünen Auen dieses süßen Traumes weideten sie sich so lange, bis ein irrender, ein landfahrender Philosoph – oder Scholasticus ambulans, wie sie zu unsrer Väter Zeiten genannt wurden, und deren es oft so viele wie der irrenden Ritter, aber weniger als der ewigen Juden (Juifs errants) gegeben haben soll – diese Straße zog unfröhlich. – Da sein Beruf bloß dahin ging, alles, was guter Dinge schien, zu betrüben, so erzählte er den in ihrem Glauben beglückten Eltern die Geschichte des Polykrates, dem alles gelang, und der, als sein[36] Freund Amasis, weiland König in Aegypten, ihn ersuchen ließ, seinem Glück einen etwas bittern Geschmack zu geben, seinen köstlichen Ring ins Meer warf, nicht um mit diesem, wie die Dogen von Venedig, eine Art von Liebesverbündniß einzugehen, sondern um sich etwas, das ihm werth war, zu entziehen. Siehe da! nach einigen Tagen erhielt Polykrates einen Fisch zum Geschenk, der, als aus ihm eine stattliche Fastenschüssel bereitet werden sollte, dem glücklichen Polykrates den Ring, den er verschluckt hatte, mit den harten Zinsen seines eigenen Lebens wiederbrachte. Amasis, der viel zu klug war, es mit einem so glücklichen Freunde länger zu halten, kündigte ihm das Capital seiner Freundschaft auf, und das Ende vom Glücksliede war ein schrecklicher Tod am Kreuze, obgleich die Tochter, die ein Traum unterrichtete, den glücklichen Vater vergebens warnen ließ, sich nicht unglücklich zu machen. – Wer nicht zuvor glücklich ist, kann nicht unglücklich werden, fügte der schwarze Magus hinzu, und verstreute so viel sieben Sachen über Glück und Unglück, daß das erstaunte Elternpaar den Entschluß faßte, die Vorsehung nicht um Glück, sondern um Unglück zu bitten. – Das Glück, sagte er, ist eine Katze: es kratzt, wenn es leckt; eine Spitzbübin: es stiehlt dort dem verdienten Manne Geld und Gut, um es dem unverdienten zuzuwenden; – es ist ein Glas, das, eben wenn es recht fein und reizend ist, am leichtesten und gemeiniglich in froher Gesellschaft bricht, wenn man mit Wohlgefallen trinken will. Schade um den schönen Wein, der hierbei verschüttet wird! – Wißt ihr nicht die Geschichte des Sesostris, Königs in Aegypten? Er hatte einen Wagen, worin Jupiter zu sitzen, sich nicht hätte schämen dürfen, und den er von vier Königen ziehen ließ. – Phöbus ausgenommen, wer hatte je ein besseres Fuhrwerk? Da eins der vier Königpferde mit unverwandtem Blick die Räder ansah, wollte Sesostris wissen, was an diesem, aus Elfenbein, Gold und Edelsteinen bestehenden Wagen[37] seine Aufmerksamkeit reize, und erhielt zur Antwort: Ich sehe den schnellen Umlauf der Räder, woran das höchste sobald das niedrigste wird! – Was that Sesostris? Er ließ ausspannen. – So schnell, setzte Magus hinzu, so schnell, wie ich anspannen lasse. Alles Bittens ungeachtet, ein Glas süßen Wein für diese bitteren Wahrheiten aus einem ehrenfesten Glase zu trinken, und Zuckerzwieback statt der bittern Salze seiner Rede, zu genießen – setzte dieser ewige Jude seinen Stab weiter, welches er durch den bildlichen Ausdruck anspannen andeutete.

Diese Lehren schlugen das Elternpaar gewaltig nieder; besonders schwebte ihnen das Kreuz, an welches Polykrates geschlagen worden, unablässig vor Augen. Sie ermahnten ihren Sohn, den sie nicht lieben wollten und eben darum desto inbrünstiger liebten – und wer konnte umhin, es zu thun? Der Neid selbst hätte es gethan, dem es überhaupt wenige oder gar keine Mühe kostet, glückliche Leute zu lieben, wenn er gewiß weiß, daß sie über ein Kleines unglücklich seyn werden. – Ob man das zuweilen wissen könne? Ich glaube, ja!

Das Polykratische unseres Unglücklichen dauerte sehr lange. Er ward Soldat, und sein Vater beförderte seinen Entschluß, weil es eben einen großen Krieg gab, damit eine Kugel ihn treffen und das Kreuz von ihm abwenden möchte. Tausend fielen zu seiner Rechten, und Tausend zu seiner Linken. Er stand, schlug Feinde und Freunde, und spielte den Meister, wo sein Auge und sein Schwert sich hinneigten. In kurzer Zeit brachte er es bis zum Feldherrn. Seine Nebenbuhler fielen, wie die Fliegen im Zimmer des Kaisers Domitian, oder zogen sich auf ihre Landhäuser zurück, da sie wohl merkten, daß sie mit einem solchen Manne nicht Schritt halten konnten. Sein Weib war so liebenswürdig und so treu, daß kein Fähnrich es wagte, ihren Reiz anders als in Gedanken zu bewundern. Als er siebenmal sieben Jahre alt war,[38] kam sein böses Stündlein! Sein liebenswürdiges Weib sank in eine unerklärliche Schwermuth. Sie glaubte, ihr Mann wolle sie heimlich vergiften; – und da sie von dieser schrecklichen Idee nicht abzubringen war und sich ihretwegen alles Genusses von Speise und Trank enthielt, so starb sie unter bitteren Klagen über ihren Ehemann, den sie so herzlich geliebt hatte. – Seine Tochter, der Abglanz det Mutter an Leib und Seele, ward von einem Jüngling geliebt, dessen Verstand und Schönheit aller Augen auf ihn zog, und der ein so getreuer Verehrer seiner Vielgeliebten war, daß alles, was lieben wollte, sich auf dieses Paar, als das Ideal reiner Liebe, bezog. – »Liebt euch, so wie Hans Greten,« sagten die Schönen; und die Jünglinge: »so wie Grete Hansen« – und siehe! Vater und Tochter werden an Einem Tage krank – und die Tochter durch die Blattern völlig entstellt, so daß nicht Gestalt und Schöne an ihr ist. Sie starb endlich nach ihrem Wunsche, dem ihr betrübter Liebhaber indeß auf keine Weise beitreten wollte; denn er betheuerte, daß die Blattern seiner Liebe, wie Unglücksfälle der Tugend, nur einen neuen Glanz beigelegt hätten. Der Vater vergaß seine Tochter, um den über ihren Hintritt verzweifelnden Jüngling zu beruhigen. Seine Kräfte nahmen seit geraumer Zeit von Tage zu Tage ab; jetzt schwanden sie von Stunde zu Stunde. Er machte ein Testament, wendete seinem Schwiegersohne sein ganzes Vermögen zu, und schien beruhigt zu seyn; allein leider nicht auf lange: – er erlebte das Unglück, daß sein Erbe seine Verlobung mit einer Dirne bekannt machte, die seiner und der Seligen so unwerth war. O, des Ruchlosen! Nicht einmal den so nahen väterlichen Tod abzuwarten! So vieler Liebe wäre ein weit minder gütiger Vater werth gewesen. Man sagte, die Dirne hätte zu diesem Drang Ursache gehabt. Der Vater schwankte ob er sein Testament ändern, oder diesen Undankbaren mit Großmuth strafen sollte. Er entschloß sich zum letzteren. Von aller Welt[39] und von seinem Schwiegersohne verlassen, hatte der Unglückliche noch einen einzigen Freund, der in Glück und Unglück ihm treu geblieben war; einen Freund, auf den seine Gattin, selbst in den Tagen ihres schwermüthigen Argwohns, nicht einen Argwohn hatte; einen Freund, der, wie er sicher annehmen konnte, auf seinem Grabe seinen Tod finden würde: seinen Hund; – und dieser wird wüthend. Ohne Hülfe? Allerdings. Er selbst muß das Todesurtheil über seinen Freund aussprechen. Ein Flintenschuß! – Es verstand sich in mehr als Einer Rücksicht von selbst, daß der Jäger ihm diesen Liebesdienst in freiem Felde erweisen würde; und, siehe da, unser Unglücklicher mußte diesen Schuß hören, den er gewiß mehr als sein Freund fühlte. – O! was ist da das Kreuz des Polykrates, welches das Elternpaar unseres Unglücklichen so erschreckte! Und der grausame Tod! – Will er denn durchaus nicht anders als ungebeten kommen? Unser Unglücklicher lebte und mußte leben, der Nachricht halber, daß der Bruder seiner Frau, den er todt geglaubt, in der größten Dürftigkeit in einem Gefängnisse schmachte, wohin ihn bestochene Richter hineingeurtheilt hatten B.R.W. Und eben, da der Unglückliche in der großen Noth war, sich noch einige Stunden Leben zu wünschen, eben da die Gerichtsdeputirten des Ortes sich schon versammelt hatten, ein Codicill diesem Gefangenen zum Besten zu verzeichnen, verlassen ihn Gedächtniß und alle Sinne, und so liegt er sieben und siebzig Tage, bis endlich der Tod allem seinem Elend ein Ende macht! Was fehlte zum möglich höchsten Gipfel des Unglücks? Daß er Gott läugne und die Hoffnung der künftigen Welt. – In der That, unser Unglücklicher starb zwei Jahre zu spät, und bewies auf eine schreckliche Weise, was außer dem schwarzen Magus viele Weise des Alterthums und neuerer Zeit behaupten: Das Glück des menschlichen Lebens läßt sich nur in der Sterbestunde berechnen.[40]

Doch es ist Zeit, die Familie mit an ihren Ort zu stellen, und zur Familie ohne und zu unserm Helden heim zu fliegen.


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 6-41.
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Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

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