§. 60.


die Leidenschaft

[288] seines Sohnes; und in der That, er hatte Recht, sich zu freuen, daß er, außer dem geistlichen Jerusalem, auch ein leibliches gefunden hätte. Bis jetzt konnten keine Spuren entdeckt werden, daß sein Sohn verliebt gewesen wäre. Oft war dem Ritter die Frage eingefallen: ob etwa gar die Nothtaufe hieran Schuld sey? – Mein Sohn, fing er an, Alexander und Cäsar waren so gut Untergebene der Liebe, als Herren der Welt. – Du weißt am besten, was ich deiner Mutter aufgeopfert habe; – und, genau genommen, war sie nicht des Opfers werth? Was ich verlor, kannst du auf eben dem Wege wieder gewinnen. Läge die Schönheit bloß in Gesichtszügen – würde sie wohl unter so verschiedenen Gestalten erscheinen? – Fast jedes Volk, jeder Hof, jede Stadt, jeder Mensch hat sein besonderes Schönheitsmaß und Gewicht. Der will es rund, der eckig, dem ist die Stirn, und dem das Auge, dem die Hand, und dem der Fuß der Sitz der Schönheit. Und woher aller dieser Unterschied? Weil die Schönheit ihren[288] Sitz in der Seele hat, und weil nun diese sich bald hier, bald da durch den Körper spiegelt. Die Seele, die den Fuß zum Spiegel erwählte, hat meinen Beifall nicht; wenn sie den ganzen Körper bewohnt, o! dann ist es lieblich anzuschauen. Ein solcher Mensch scheint ein Engel. Wer Leib und Seele trennt, der tödtet. – Wenn du liebst – vergiß nicht, daß der Mensch aus zwei Theilen besteht, und daß, wenn diese nicht gepaart sind, alles andere Paaren nicht viel vermag. – So wie die Ehen zwischen Seele und Körper der Liebenden geknüpft, und, wie es heißt, nicht bloß auf Erden, sondern auch im Himmel (oder dem Geistersitze) geschlossen werden, so ist die geistliche ohne die leibliche Eheverbindung, und diese ohne jene, nicht zureichend. Der Mensch ist ein Engel und ein Thier; Seele und Leib sind seine Bestandtheile.

Diese pathetische Rede beantwortete unser Held mit einem Seufzer – und mit der Bitte, die Gastfreiheit des nachbarlichen Hauses stehenden Fußes auf die Probe setzen zu dürfen. – Noch nie war dem ganzen Hause ein Besuch so langweilig und lästig geworden, wie der von den übrigen Gästen, die es verhinderten, daß der folgende Paragraph


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 288-289.
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