§. 62.


Reise

[290] unsres Helden war mehr ein Flug, als ein Ritt. Keine einzige von allen Bedenklichkeiten erhielt Audienz. – Aber? – Kein Aber! – und wenn? – Kein Wenn! – Das Roß schien den Ritter zu verstehen: es war, als zög' es auch nach Liebe aus – und eh' es sich beide versahen, waren sie da! – da! Sprung vom Pferde und Sprung ins Haus des Nachbars waren Eins. – Die Genesene empfing unsern Helden, und er vergaß zu fragen, wie sie sich befände, und zu versichern, daß er bloß dieser Frage halben den Ritt unternommen hätte. Sein Späherblick flog umher. Fräulein Amalia, die älteste Tochter des Nachbars und der Nachbarin, die es auf unsern Helden angelegt, und gegen die er noch am wenigsten seine Kälte geäußert hatte, kam ihm in den Wurf. Suchst du mich? sprach ihr freundlicher Blick; – der seinige antwortete laut und deutlich: mit nichten. Fräulein Bärbchens Auge sprach: Herr, bin ichs? – das seinige: ist das eine Frage? – Da griff Fräulein Cäcilia mit der Augenfrage ein: etwa ich? – Gott behüte! erwiederte sein Blick. – Wenn mehr als dieses A B C und bis X Y Z unserm Alphabethelden entgegen gekommen wären; so würde auf ein sanftes Ich? ein ungestümes: Nein! die Antwort gewesen seyn. – Die kluge Mutter hatte es bis jetzt sich selbst verborgen, daß die Erschienene unserm Helden nicht übel gefallen. – So krank sie war? – Allerdings! So etwas beobachten die Weiber im Sterben. – War es vielleicht eine Schulkrankheit, um unsern Helden Fräulein Amalien zu sichern? – Nein; sie war wirklich sterbenskrank.[290] Jetzt gab ihr das Augenstreben ihres vermeintlichen künftigen Schwiegersohns eine Gelegenheit zum Scherz. – Zum Scherz? Die Liebe pflegt nicht Scherz zu verstehen. – Spaß nicht; Scherz wohl – je nachdem er fällt; oder besser, je nachdem er angelegt und angebracht wird. – Angelegt? – Freilich gibt es Fälle, wo gegen Verliebte Scherz angelegt werden kann. – – – Wer bestellt den Gruß von der Erschienenen? fing sie an. Weder A, noch B, noch C bewegte die Lippe. Man verneigte sich, als der Sucher heftiger vordrang: »Ist sie nicht mehr?« – Sie ist noch, erwiederte die Nachbarin; nur. nicht hier; – sie ist auf ihrer Rückreise! – Und nun fing die Nachbarin den Roman an, den ich indeß nach den Regeln der Kunst noch nicht erzählen kann. – Unserm Helden fiel der Muth so sehr, daß, nachdem er (wiewohl etwas spät) vom Befinden der Frau Nachbarin Erkundigung eingezogen, heimkehren wollte. Warum nicht gar! Er mußte bleiben – Er schützte Undäßlichkeit vor: eine Entschuldigung, die immer bei der Hand ist; und in Wahrheit, unser Held befand sich nicht wohl. Er mußte bleiben. – Er versprach in kurzem wieder zu kommen. Er mußte bleiben. – Das nachbarliche Haus beschloß, der Gastfreiheit zu Ehren, dem Gaste mit den A B C-Fräulein das Geleite zu geben, und in Rosenthal die jüngst abgebrochenen Tage reichlich einzuholen. Er mußte bleiben, und blieb am Ende gern, da es das einzige Mittel war, noch mehr von der Erschienenen zu erfahren. – Noch mehr? Wußte er nicht schon genug? oder war es nicht hinlänglich, daß die Erschienene eine Schwester einer Maurer-Adoptionsloge war und, ob sie gleich über diese Geheimnisse ein pythagorisches Stillschweigen behauptet, doch einen Orden im nachbarlichen Hause zurückgelassen hatte? – Einen Orden? – Allerdings einen Orden. Fräulein Amalia und ihre Mutter kannten sicher unsern Helden von dieser Seite nicht. Sie machten einen ganz falschen Angriff. – Schade! – oder nicht[291] Schade! – Doch wie? soll ich mein Buch etwa schon mit §. 62 schließen? – Unser Held brannte, wenn gleich die gute Dame ihm durch diese Schwesterschaft Amalien sicherer zuzuführen dachte. Adoptionsloge war ihm Funke zum Pulver. – Der guten Dame ging es nicht viel besser, als jenem französischen General im weltbekannten siebenjährigen Kriege, der recognosciren ritt und einen Transport mit Proviant für einen feindlichen Haufen hielt. Der Held hätte vier-bis fünftausend Portionen Brod bei einem Haare getödtet, so daß nicht eine einzige mit dem Leben davon gekommen wäre, wenn nicht der Lieferant und die hungrigen Magen seines Corps Gnade für diese Feinde gebeten, und sie durch Capitulation mit dem Speisemeister erlangt hätten. – Was mehr war, als ich meinem Helden zutraute, war die Kunst, den Brand zu verstecken. – Es brannte bei ihm innerlich. Die Fräulein A B C Ordensschwestern! Oel ins Feuer, das aber bloß für die Erschienene brannte. Hier und da flog ein Funke zum Dach hinaus, den die Fräulein A B C auffingen, als käme er ihnen zu! – Es war der Orden der Verschwiegenheit, den die Erschienene als einen Segen zurückgelassen hatte! Amalia glaubte, sich wenigstens in den vorigen Stand bei unserm Helden zu setzen, wenn er je eher, je lieber ihr Bruder würde. – Dergleichen platonische Liebe pflegt bald sich auch auf die Sinne zu ergießen, dachte die Mutter – und billigte die Schnelligkeit bei der Aufnahme. – Vom verschwiegenen Bruder zum Liebhaber, ein kleiner Schritt! – Wir wollen sehen! – Unser Held ward in den


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 290-292.
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