§. 65.


Wer da?

[306] Der Junker, der, je länger je mehr über die dreiviertelstündige Unterredung beruhigt, überall die Undekannte sah, horchte voll Neugierde auf; und siehe da! ein Offizier, der nichts weiter verlangte als ein Attest, daß seine Braut die Enkelin von dem Fräulein Cousine wäre. – Die Enkelin von einem Fräulein? – Lieber Gott! erwiederte der sonst dienstfertige Ritter, wie soll ich die Richtigkeit der Enkelin beurkunden, da ich nicht weiß, daß das selige Fräulein Sohn oder Tochter gehabt hat? – Hier zu Lande, Herr Hauptmann, ist es nicht in Gebrauch, daß Fräulein Kinder[306] haben, und Eva ist die einzige rechtmäßige Ausnahme von dieser allgemeinen Fräuleinregel. Die Ritterin konnte dieses moralische Räthsel, das sie verzweifelt nannte, eben so wenig lösen; und allerdings mußt' es ihr unerklärlich vorkommen, wie Fräulein Cousine eine solche Heuchlerin seyn können. Kann etwas Aergeres, sagte der Pastor, auf Gottes Erbboden seyn, als daß ein sonst regelmäßiges Fräulein Mutter wird, ohne priesterliche Einsegnung? – – Ist davon die Frage? erwiederte der Offizier. – Ich dächte! erwiederte der Prediger; und der Hauptmann: bin ich nicht der Frager? – Das Räthsel! Die wohlselige Cousine, deren Fräuleinschaft der Gewissensrath und der Rechtsfreund Hand in Hand mit Brief und Siegel nach ihrem Hintritt corroborirten, ließ ihr Vermögen, wie wir aus ziemlich richtigen Angaben schon wissen, ihrem fünfundvierzigjährigen Sohne nach, der einen Meierhof besaß und nicht ohne Kenntnisse war. Er hatte ein armes Fräulein geheirathet (wahrlich ein besonderes Schicksal für die Fräulein! sagte der Pastor), das, von aller Welt verlassen, nichts weiter als sechzehn Ahnen einbrachte, an die indeß nie anders als an hohen Festtagen, wenn ein Glas Most das Herz der glücklichen Eheleute erwärmte, gedacht ward. Beide pflegten alsdann über ihre wunderbare Weihnachten zu lachen, er ein Findling; sie ein sechzehn Ahnen reiches Fräulein! Der Pfarrer des Ortes und der Küster hatten etwas von diesem Meierhofsgeheimnisse erfahren. Die Erbschaft vom Freitischfräulein war nicht undeträchtlich! Der Sohn erbte das Kapital, von dem die Mutter bloß Zinsen und wegen Sicherheit des Kapitals nur sehr mäßige Zinsen zog. Bei dieser Erbschaft fiel dem Sohne auch eine Handbibliothek, und in derselben eine nicht kleine Anzahl Gebet- und Gesangbücher zu. – – In einem derselben fand er Hieroglyphen von Anzeigen, die den Gedanken in ihm erregten, dem Rechtsfreunde ein baares und richtiges Geschenk auf gute Manier[307] beizubringen, falls er sich entschließen wollte, gegen diese Valuta ihm das Räthsel zu lösen. Nie indeß würd' es der Sohn auf diese Lösung ausgesetzt haben, wenn seine Gattin es nicht mit Händeringen gewollt hätte. – Wie denn so? Wollte das brave Weib nicht länger die Gattin eines Findlings seyn, durch den sie dreimal sieben Jahre glücklich gewesen war? – Sie hatten eine Tochter, die in der benachbarten Stadt in einigen ritterlichen Uebungen unterrichtet ward; und – wie es bei diesen Uebungen nicht ungewöhnlich ist – der Offizier des gegenwärtigen Paragraphen verliebte sich in sie. Seine Verwandten bestanden auf sechzehn Ahnen; und da er selbst als Johanniterritter eingeschrieben war – weßhalb sollten seine Kinder dieser Ehre ohne Noth verlustig gehen? – Es beugte ihn keine Wechselschuld und er brauchte keine zusammengetragenen Schätze einer Ameise. Freilich in der ersten Hitze gab Monsieur Egalité den ganzen Orden gegen das Linsengericht einer Sinnlichkeit auf, und das Evangelium der Gleichheit war die vernünftige lautere Milch, bei der er es sich im Kanaan der Liebe, wo Milch und Honig fleußt, wohl seyn ließ. Doch wußte sein Elternpaar, besonders die vernünftige Mutter, die Freiheitsmütze ihres Sohnes Egalité so unvermerkt wieder in einen Soldatenhut zu verwandeln, daß er zur Besinnung kam. War bei diesen Umständen der Brautmutter das Händeringen zu verargen, ihr, der das Fräulein noch immer im Blute saß? – Und der Brautvater? – Besser, lieber Leser, du fragst zuerst nach der Brautgroßmutter! – Freilich, die Großmutter! – Der Rechtsfreund, der nach gehöriger Vorstellung des Findlings versicherte, daß er sich Gewissens halber verpflichtet gehalten, nicht mit diesem Geheimnisse aus der Welt zu scheiden, und daß er eben (sonderbar!) in diesem Augenblicke dieses baaren und richtigen Besuches von Gewissens wegen den Entschluß gefaßt, sein Herz zu erleichtern, nahm indeß, seines von Gewissens wegen[308] gefaßten Entschlusses ungeachtet, die positiven Beweggründe mit Dank an, und beichtete nunmehr, daß Herr von ** mit Fräulein Cousine wirklich im Kloster zu – ehelich verbunden worden wäre, worüber er das Attestat in Händen hätte. Wie gut war es, daß unser Rechtsfreund nicht lebendig gen Himmel geholt oder plötzlich zur Hölle gefahren war; der Hauptmann wäre sonst um dieß Attestat gekommen, ohne zu wissen, wie. – Daß doch alle Rechtsfreunde oder Rechtsfeinde (wie heißen diese Herren eigentlich?) nur langsam sterben möchten, um desto mehr Zeit und Raum zu haben, mit ihrem Gewissen abzuschließen! – Wird ihnen doch selbst dieser Abschluß baar und richtig bezahlt! Auch wolle der geneigte Leser und die geneigte Leserin unschwer bemerken, daß eigentlich ein Kloster ein Fräulein zur Frau machen könne, ohne daß sie aufhört, Fräulein zu bleiben. Es leben die Klöster und ihre Attestate! und der Lack! denn an dem unsrigen war er nicht gespart. Und was fehlte noch diesem gefundenen Schatze, den der Gräber desselben, wiewohl erst nach ausgestellter legaler Quittung, aushändigte? – Was noch fehlte? Zuerst sollte diese Quittung gerichtlich recognoscirt werden. Selten ist eine Krankheit, wo der Doktor nicht einen Barbier anbringen kann; eine Hand wäscht die andere. – Zweitens fehlte der Beweis, daß unser Findling der wirkliche eheliche Sohn aus dieser Klosterehe sey. Hierüber hatte sich der Rechtsfreund, ohne seinem Gewissen auf tausend Meilen zu nahe zu kommen, eidlich, und abermals gegen die Gebühr, abhören lassen; indeß fand man, wo nicht nöthig, so doch nützlich (da die Gerichte, wie es heißt, eben der Gebühren halber alles dreidoppelt bewiesen haben wollen), daß drittens auch die Schrift der Fräulein Cousine recognoscirt werden möchte. Undedenklich! – Die Ritterin recognoscirte diese Cousinenhand mit Freuden, und alles war froh, daß ein Fräulein, wenn es eine schöne Enkelin hätte, noch nach dem Ableben eine[309] Frau werden könnte, ihrer Fräuleinehre undeschadet. Unser Held hatte sich den Offizier zu seinem Freunde gemacht, der, ob er gleich nicht jener Cavalier war, welcher mit der nur drei Tage in der Nachbarschaft gebliebenen Undekannten im Beiseyn der Kammerzofe drei Viertelstunden conversirt hatte, doch etwas Wichtiges vorstellte. – Er erblickte unvermuthet beim Schlafengehen ein Kreuz auf seiner Brust, welches der Kreuzträger, sobald der Held sein Auge darauf heften wollte, mit erstaunlicher Sorgfalt verbarg. – Vielleicht, um seine Neugierde zu reizen? – Vielleicht, vielleicht auch nicht! Ohne sich mit ihm ins Kreuz einzulassen, brachte der Hauptmann ihm doch in der Quer eine große Meinung von der


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 306-310.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
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