§. 64.


Erscheinung

[305] veranlaßte, war natürlich; die Nachbarschaft indeß wußte nur wenig. Und dieß Wenige? – Die Erschienene wäre ihr unter dem Namen des Fräuleins Sophie von Undekannt empfohlen. Ihr Zuname sey offenbar angenommen. Auch Sophia (Weisheit) schiene nicht authentisch zu seyn, bemerkte die Nachbarin. – Diese Bemerkung richtete den aufs Haupt geschlagenen Ritter in Rücksicht des einen und ziemlich gemeinen Namens auf, – die Ritterin aber freute sich innerlich, daß Fräulein von Undekannt Sophie hieße. »Von wem empfohlen?« Von einem Verwandten aus Sachsen, nicht empfohlen, sondern auf die Seele gebunden. Sie hätte hier bloß einen jungen Cavalier drei Viertelstunden gesprochen und wäre überhaupt nur drei Tage in – – gewesen. Dieser edle Jüngling hätte sich, aller Bitte länger zu bleiben ungeachtet, keine Minute über die drei Viertelstunden aufgehalten, und – das war alles, was man wußte. Fräulein Undekannt sey äußerst für sich gewesen und habe nie gelacht oder geweint. »War sie allein mit dem Cavalier?« fragte unser Junker. Eine wahre ABC-Frage! Nein, ihre Kammerzofe war Zeugin. – »Und die?« – Auch aus dem Orden der Verschwiegenheit. Den ersten Tag sprach die Undekannte den Undekannten, den zweiten waren wir in Rosenthal. Die Nachbarin glaubte durch geheime Einflüsse krank gewesen zu seyn; sie war es den zweiten und dritten Tag zum Sterben gewesen, bis drei Stunden vor der Abreise des Fräuleins Undekannt. – Durch Auflegen ihrer Hände, wie sie[305] glaubte, sey sie schnell gesund geworden; dieß Auflegen wäre indeß unvermerkt und wie ein Streicheln vorgefallen. Man bat die Nachbarschaft, sich in Sachsen bei ihren Verwandten nach diesem wunderbaren Mädchen zu erkundigen, und Vater und Mutter, Prediger und Heraldicus junior wünschten nicht weniger Nachricht als unser Junker; denn ob er gleich hier in besonderm Sinne neugierig war, so schien ihm doch der Umstand mit dem Dreiviertelstunden-Cavalier, der Kammerzofe ungeachtet, nicht zu gefallen. Ach! du armer ABC-Darius im Liebesorden der Verschwiegen heit! – – Verliebt und neugierig seyn ist nicht weit auseinander. – Daß die Großmeisterin und die andern agirenden Personen nur ein ausführliches Scenarium vor sich hatten und in vielen Stellen improvisirten – darf ich das bemerken? Auch daß es wörtlich vorgeschriebene Scenen gegeben, versteht sich von selbst. Gleich den ersten Tag wurden Ritter und Ritterin aufgenommen, am dritten Tage unser Held. Nie schied die Nachbarschaft mit so vielen wechselseitigen Dank- und Erkenntlichkeitsbezeugungen von einander.


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 305-306.
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