§. 67.


lange,

[310] da strenge Herren bekanntlich nicht lange regieren? Weil man jedes Mitglied verpflichtet, während dieser drei Jahre, so viel an ihm ist, den Aspiranten zu erspähen, und weil jeder Aspirant von dem Augenblicke an, da er eingezeichnet zu werden das Glück hat, einen Genius erhält, den er so wenig, wie Sokrates seinen Dämon, sieht. – Und dieser Genius? – ist sein Schatten, oder er der[310] seinige, wie man will. – Und der Auftrag dieser moralischen Mouche? – Ueber Schritt und Tritt des Aspiranten zu wachen und darüber zu berichten. Von diesen Nachrichten allein hängt es ab, ob und um wie viel die Wartezeit verkürzt werde. – Also doch verkürzt? – Nach Umständen. – O die allerliebsten Umstände! Dacht' ich es doch gleich, daß aus drei Jahren, wiewohl nach Umständen, auch drei Tage werden können. Fürs erste rieth der Hauptmann ihm an:

1) es sich fest einzuprägen, daß alle Menschen frei und gleich geboren würden. Diese Lehre ist das Fundament der Maurerei und die beiden Grundpfeiler der Menschen- und Brüderliebe.

2) Diese Gleichheit und diese Freiheit werden so wenig durch Staatsverhältnisse gehoben, daß sie dieselben vielmehr bestätigen. Man kann im Namen der Gleichheit morden und im Namen der Freiheit vergiften; die Bilder der Freiheit und Gleichheit dienen oft den Tyrannen zur Parole, und zum Schild und zur Losung bei der Fahne des Verderbens. Kann sich der Jude nicht ein Scheermesser, der Taube eine Nachtigall, der Blinde ein Gemälde von Tizian und der Wassersüchtige einen großen Garten anlegen? – Da sich bei jeder Gährung Bodensatz findet, so ist jede Revolution gefährlich, und oft lenken verschlagene Köpfe das leichtgläubige Volk in noch größeres Elend. – Allmählig kommt die Natur zum Ziel, und dieß ist auch der eigentliche Gang der Menschheit. Die bürgerliche Gesellschaft ist eine Societät, woran Todte, Lebende und Werdende Theil haben; sie gibt dem Menschengeschlecht die Unsterblichkeit, und durch sie sind wir ewig! Sobald wir in eine bürgerliche Gesellschaft treten, hören wir auf, frei und gleich zu seyn; allein wir werden es auf der andern Seite weit mehr und weit erhabener. Ein größeres Maß von Kraft Leibes und der Seele beim Individuum macht Unterschiede unter den Menschen; und wenn gleich diese Unterschiede, wie es am Tage ist, einen[311] gewissen Seelenluxus und ein leibliches Wohlleben, einen leiblichen Luxus bewirken, so dienen sie doch auch dazu, daß ein Viertel im Staat (eigentlich der Hospitalitentheil) ernährt und erhalten wird, der vielleicht sonst vergangen wär in seinem Elende. Die Brocken, die von den Tischen der durch die Natur zum Vermögen berufenen Menschen fallen, übertragen jenes Viertel von Staatseinwohnern, welche von der Natur kärglich ausgestattet werden.

3) Dieser Unterschied indeß, den die Natur in der Metaphysik und Physik des Menschengeschlechts macht, muß nie Augen, Ohr und alle Sinne beleidigend abstechen: er muß verschmelzen wie Licht und Schatten, muß so gehalten werden, daß edle Thaten alle jene physischen und metaphysischen Unterschiede überwiegen. – Auch gibt es Fälle, die selbst im monarchischen Staate an Gleichheit erinnern; z.B. die ausübende Gerechtigkeit! Wahrlich, wir sind alle Brüder! Ueber diesen Weltunterschied und Zusammenhang nachzudenken, sey ihr Vorbereitungsgeschäft! (Etwa auch nach Umständen?) Vielleicht, daß ihnen Schürze und Kelle gegeben werden, um den Zusammenhang noch mehr zu befestigen, das Schadhafte desselben zu ersetzen und – o, des großen Wortes! – ihn zu verbessern. Wir bauen Kerker für das Laster, und Tempel für die Tugend; wir verfolgen das Laster, wenn gleich eine Krone seine Schutzwehr seyn, – dulden keine Schlechtheit, wenn sie sich gleich in List verkleiden und mit Schein des Rechtes schmücken sollte. – Ein Beichtiger, welcher dreimal nach einander seinem Beichtvater einen Schafbiebstahl bekannte und ihm bußfertig das Geld zum Ersatz behändigte, erwiderte auf die Beichtfrage: warum er denn diesen Umweg zur Zahlung nehme, und warum er, bei dem Vorsatze zu bezahlen, nicht lieber kaufe als stehle? »Der Vortheil ist klar: jetzt mach' ich den Preis, im andern Falle würde ihn der Verkäufer machen.« Der Beichtvater absolvirte; wir würden excommunicirt haben. – Auch das witzigste Schelmstück verfolgen wir mit Steckbriefen; wir[312] sind seine erklärten Feinde. Die Verschiedenheiten der Meinungen dagegen trennen uns nicht. Trägt der Baum gute Früchte, so hindert er nicht das Land. – Um unsere Grundsätze mit den Staatseinrichtungen zu verbinden, lehren wir, daß es einen inneren und äußeren Menschen gäbe. Der innere macht eine unsichtbare Kirche, wo alles gleich ist; der äußere eine sichtbare, wo durchaus Verschiedenheit stattfindet.

Außer der Erscheinung des Fräuleins Sophie von Undekannt hätte unserem Helden nichts Erwünschteres begegnen können. Voll Erkenntlichkeit bot er seinem Lehrer den ersten Grad des Ordens der Verschwiegenheit an, welchen dieser aber mit vollem Lachen ausschlug. Wer die Sonne gesehen hat, wird der den Mond anbeten? Auch gab er dem Angeworbenen auf, von dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, gegen jedermann, und, wohl zu merken! auch gegen seine Eltern, ein tiefes Stillschweigen zu beobachten. Der Orden, setzte er feurig hinzu, ist Vater, Mutter, Schwester, Bruder. »Auch Geliebte?« fiel unser Held ihm pfeilschnell ein. – Nein, guter Profan, die ist eine Maurerschwester. – »Kraft der Adoptionsloge?« – Woher kennen Sie die? – »Ach! eine Undekannte hat mich damit bekannt gemacht, doch so, daß mir alles undekannt geblieben ist.« – Der Bräutigam lächelte und schwieg – und schwieg! – O, wie gern hätte unser Held noch mehr Honig von seinen Lippen genossen; doch wollte der Bräutigam sich auf mehr nicht einlassen. Uebrigens nahm er sein gerichtlich bestätigtes Attestat für die Maurerschwester mit und schied von hinnen, nachdem er zuvor mit unserem Helden eine


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 310-313.
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