§. 74.


Offenbarung Johannis

[321] fand und einbildungskräftig benutzte. Der Tod macht weise, sagte der Ritter; und warum sollten wir an ihn bloß als an den Zerstörer unserer Natur denken? warum ihn nicht als Beförderer zur Stadt Gottes, zum himmlischen Jerusalem, ansehen – um uns im Sterben die Bitterkeit des Sarges (wahrlich, der Sarg, nicht der Tod ist bitter) zu vertreiben? – Als hätt' er sich prognosticirt! – Nun war freilich das gelobte-Landes-Jerusalem noch nicht angefangen und der Meister Hans Peter – darüber leider! ins Irrenhaus gekommen. Auch verstand man nicht die Graphik des irdischen Jerusalems, und konnte keinen Bauentwurf auf das Papier bringen; was sollte denn aus dem unsichtbaren Jerusalem werden? Nicht minder wandte die Ritterin sehr bedächtig ein, daß die vielen Perlen und die Edelsteine wohl ihre Kräfte übersteigen möchten, und daß, wenn auch z.B. die Perlen von Glas oder Wachs genommen werden sollten, Regen und Sonnenschein dieß Hauptstück im himmlischen Jerusalem verwüsten könnten, so daß keine Perle auf der andern bliebe. Aller dieser nicht kleinen Bedenklichkeiten ungeachtet, entschied doch der hohe Rath für die Meinung des Ritters – der nicht wußte, daß er seine eigene Leichenrede hielt! Und wer weiß es, wenn man seinen Schwanengesang anstimmt? Wer? – Die Ritterin selbst, so perlenschwierig sie anfänglich schien, trat aus Liebe zu ihrem Gemahl bei, ohne sich durch die Pluralität zwingen zu lassen. Vielleicht fiel ihr in dunklen Vorstellungen der treffliche Gedanke ein, daß das gelobte Jerusalem bis jetzt außer den Sessionsschmäusen[321] noch keinen Dreier gekostet hatte. – Man beklagte, in Rücksicht eigenen Unvermögens und des traurigen Schicksals des verunglückten Maurermeisters Hiram, daß es so wenig Zeichnungen von den interessantesten Aussichten dieses himmlischen Jerusalems gebe, als Symphonien für das himmlische Orchester und Melodien auf die dortige in der Offenbarung mitgetheilte Liedersammlung. Wer weiß es, sagte der Prediger, wie dort die bekannte himmlische Collekte, das dreimal Heilig gesungen werden wird, und ob das Amen des Chorus nicht mit dem Ja dieses Pilgerlebens aufhört! Niemand indeß aus der himmlisch-jerusalemschen Gesellschaft brach in den Hymnus aus: Eia! wären wir da! – Die gnädige Frau, die schon in Gedanken in den krystallenen schnurgeraden breiten Straßen ging, indeß ohne einen Schritt zu thun und sich von der Stelle zu bewegen, erklärte sich im Geist einer Amazonin, und in den Gesinnungen einer Arria, ihre Perlen ganz gern zu diesem Jerusalem in den Gotteskasten legen zu wollen. Freilich ein Scherflein! Der Pfarrer übernahm den eben abgeschlossenen Plan und der Hofmeister das Notificationsschreiben an den geistlichen Consistorialrath, obgleich der Pfarrer beiläufig erinnerte, daß es noch sehr zweifelhaft bliebe, ob dem hochehrwürdigen Consistorio mit einer vidimirten Copie des himmlischen Jerusalems gedient wäre, als wo sich die Herren Consistorialräthe, ob sie gleich dort über alle Johanniterkreuze hinweg zu leuchten die Hoffnung hätten, höchst ungern zu Rittern schlagen ließen.

Der Abschied unsers Ritters war


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 321-322.
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