§. 75.


rührend.

[322] Er tröstete seine Gemahlin und gab seinem Sohne schöne Lehren. – Der Prediger und Heraldicus junior hatten nichts weiter zu thun als den Ritter zu bewundern. »Ich würde unerkenntlich[322] seyn, wenn ich vom Vater im Himmel mehr verlangen sollte, als er mir reichlich und täglich gab. Dank ihm, daß ich lebte und daß ich sterbe! Ein Geschenk hätte ich freilich mit Danksagung empfahen: – sechzehn Ahnen für meine Sophie! Da war aber am Emsigen kein Tröpflein adlich – und ihm konnte weder durch eine Enkelin eines Fräuleins, noch durch tausend Atteste von Rechtsfreunden etwas beigelegt werden, was ihm in allen seinen Vorfahren bis auf Adam, den ich ausnehme, nicht zustand.« – Ich habe ihm keinen Stein in den Weg gelegt, weder zu Wasser noch zu Lande, und er wäre mir in Amalfi so willkommen gewesen, wie der Nachbar, der mir die Zinsen so richtig zahlt. – Wer weiß, welchem Guten auch unangenehme Vorfälle den Weg bahnen! Die Planzeichnung des gelobten Landes Jerusalem ist fertig, und wäre Hiram nicht im Irrenhause, so würden freilich die heiligen Oerter auch in natura vollendet seyn – bis auf das himmlische Jerusalem, welches erst in der letzten Session beschlossen ward und welches ich in kurzem im Original schauen werde. Gern würd' ich euch Zeichnungen senden, wird es aber angehen? Daß ich lieber David und Salomo in einer Person, als David allein gewesen wäre, wißt ihr so gut wie ich. Doch murr' ich nicht, und gern stellt es David seinem Sohne Salomo anheim, ein Werk zu vollenden, das herrlich angefangen ward. Ist dem Salomo dieß Werk bedenklich, da ihm die Ehre versagt ist, Johanniterordensritter zu werden, so fange er immerhin ein anderes an – nach Belieben. – Mein Segen über ihn und über sein Dichten und Trachten in diesem und jedem andern Weinberge des Herrn! Wahrlich, die Natur hilft mir sterben: sie ist immer bis auf die Mütze sehr gütig gegen mich gewesen; auch hab' ich ihr mit Wissen und Willen nichts in den Weg gelegt. Ich sterbe auf ihren Namen. – Meine Krankheit hat mich vom Leben nie mehr abgezogen als meine Grundsätze, die alle es dazu anlegten, ritterlich zu leben und ritterlich zu sterben.[323] – Ich saß nie, wie es von Malesicanten heißt, auf den Tod; – ich war so wenig ein Knecht des Todes, als ich je Knecht irgend eines Menschen gewesen bin. Ich lebte bis ich sterbe; ich sterbe, weil meine Stunde schlägt; ich gehe zu Bette, weil ich schläfrig bin. Eine leichte Todesart! Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele, bin ich besser als meine Väter! ist meine Losung. Mir fehlt nichts als daß ich sterbe. So sind meine letzten Stunden selbst ein herrliches Geschenk der Vorsehung, da ich in ihnen die schöne Natur bis zum allerletzten Augenblicke zu sehen und ihre Gaben, wenn gleich in kleinerem Maße zu genießen hoffen darf. – Ich war sehr für den Genuß des gegenwärtigen Augenblicks. – Besser Zeichnungen auf dem Papier für etwas Wirkliches ansehen als den heutigen Tag fliehen, ihn vernachlässigen, wie ein galanter Geck von Ehemann sein Weib vernachlässigt, weil er mit ihr copulirt ist. Die Zeit tödten, heißt den gegenwärtigen Augenblick verstoßen und es mit der Vergangenheit und der Zukunft halten. Alles hat seine Zeit: die Zeit und bald hätt' ich gesagt auch die Ewigkeit. Mit Gottes Hülfe will ich keinen Augenblick vom Leben verlieren – und allem Vermuthen nach werd' ich hier noch das Frühstück halten und in der andern Welt nicht zu spät zum Mittagsmahl kommen, wo Manna und Nektartrank und Speise sind. Wünscht mir eine gesegnete Mahlzeit! und ich? herzlich wünsch' ich euch eine fröhliche Nachfolge. – Was der Mensch säet, wird er ernten. – Mein Gewissen macht mir keinen Vorwurf. Ich halte mit allen Menschen, sogar mit den Türken Frieden, und über meiner Seele schwebt der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was die Welt besitzt und geben kann. – Meine unglücklich-glückliche Wechselsache und der Subhastationsrechtsstreit machten mich proceßscheu; ich kaufte mir Processe gleich bei ihrer Entstehung und ehe sie noch zu Kräften kamen, ab, ich erstickte sie in der Geburt. Ohne allen Zweifel wären sie mir sämmtlich nicht[324] so hoch zu stehen gekommen, wenn ich den breiten Weg der drei Instanzen eingeschlagen hätte. Wer den Reichthum aus einer andern Ursache schätzt, als um sich dadurch Ruhe zu kaufen, verdient nicht reich zu seyn und macht der Vorsehung Vorwürfe, daß sie Reichthümer oft an noch unverdientere Menschen spendet als Ehrenstellen. Mein Geist scheint in eben dem Maße an Stärke zuzunehmen als mein Körper ermattet, und dieß läßt mich hoffen, daß wenn mein Leib eine Leiche, Erde und zur Erde geworden, mein Geist sich in sein eigentliches Wesen versetzen wird, in welches er an frohen Tagen sich so gern entzückte! Ach, was ich so oft sagte, ist noch im Sterben meine Losung: Eldorado ist nicht hier, unter der Erde ist Eldorado. Diesen Wahlspruch legire ich meinem Einzigen. – In Eldorado ist Friede und Wonne! Doch jetzt, da es zum Sterben geht, möchte ich meine Firma verändern. Unter der Erde ist mir zu traurig, und warum nicht eine Wortveränderung, die so klein ist? Die Sache bleibt – Eldorado ist in der bessern Welt. Wie dünkt es dir am besten? Ueber der Erde scheint tröstlicher als unter der Erde. Dort oben brennen immer Lichter, unter der Erde ist es finster. Selbst die mit Blumen besäete Wiese – kann sie sich gegen den gestirnten Himmel messen? Doch sey es dir überlassen, ob über oder unter, nachdem du Lust und Liebe hast, dir eine Landkarte von der Zukunft zu zeichnen, mit der man nicht so leicht als mit der vom irdischen Jerusalem fertig werden kann. Ueberhaupt ist es übel mit den Worten, kann man sie wohl zum Stehen bringen? – Wenn der Leib untergeht, geht die Seele auf. – Thue Gutes, liebe Sophie, den Kindern und Angehörigen des Küsters, des Nachtwächters und des Hirams. – Ist dem letzten noch zu rathen und zu helfen, rathe und hilf ihm! Das Gewissen beißt mich nicht wegen dieses Dreiblattes von Leuten: ich gab ihnen nicht Aergerniß, sie nahmen es. Dem Hofmeister Heraldicus junior genannt, verehre ich eine Pension auf Lebenslang[325] von 200 Thalern. – Dem Herrn Pastor schenk' ich ein- für allemal 1000 Thaler. Eben so viel sollen unter Arme an meinem Begräbnißtage vertheilt werden. Meine liebe Sophie wird verzeihen, daß ich mich in ihr Departement, dem sie so musterhaft vorsteht, einmische. Dem Andreas Kloz, der mich zu verklagen drohte, geb' ich einen Freiheitsbrief und 100 Reichsthaler, und seiner Tochter, die ihn dazu aufhetzte, gerade so viel zum Brautschatze. Ich bin so furchtlos, daß ich nie in meinem Leben freier geredet habe und mehr meiner selbst Meister gewesen bin als jetzt! Mir braust keine Meereswoge, – es blitzt nicht um mich her, ich sehe keine finstre Wolke, ich höre keine Donnervorboten. Nichts klirrt mir wie Ketten, ich gehe ins Land der Freiheit. Alles ist so heiter und ruhig um mich her, daß es eine Lust zu sterben ist. – Weiß ich, was ich war, als mir die Menschenrolle zugetheilt ward? Und warum will ich wissen, was ich seyn werde, da der Vorhang fällt und da mein Gewissen mir klatscht? – Ich komme auf eine andere, höchst wahrscheinlich auf eine höhere Classe, – auf eine bessere, als Prima und Secunda in Jerusalem waren, ohne allen Zweifel. – Der Tod ist eine Wiedergeburt zur Geisterwelt und zu mehr intellektuellen Kräften. – Diese Fackel der Hoffnung soll mir leuchten auf den finstern Pfaden des Todes. – Bald wird diese Rolle ausgespielt, ja wohl ausgespielt seyn! bald! Kein Tag ohne Linie! der Tod zieht die letzte diesseits – nicht auf ewig! – Der Tod ist feierlich, weil er ein Gast ist, der nur einmal kommt. – Denkt an den Gastvetter und die Unbekannte! Nur drei Wochen länger geblieben und sie wären geworden wie unser einer! Hätten wir mehr in den Orden der Verschwiegenheit aufgenommen, würde seine Aufnahme so feierlich geblieben seyn? – Würd' ich mich nicht selbst hassen, wenn ich den Tod hassen wollte? Würd' ich nicht das Leben hassen, wenn ich zittern und zagen wollte zu sterben? – Der sogenannte Tod ist eine enge Pforte[326] zum neuen Leben und einem veränderten Seyn. Wer auf Kosten des Todes lebt, ist ein ebenso großer Thor, als wenn er auf Kosten des Lebens stirbt. Leben und sterben ist aus einem Stück. Wir machen hier Platz, weil dort uns andere Platz machen. Ohne Zweifel wird es mit dem Erdentode nicht aufhören, sondern noch unendliche Male werden wir sterben, das heißt: zu einem andern und immer bessern Leben befördert werden. Sterben nicht alle, die leben? Werdet ihr nicht auch sterben? Starben unsere Vorfahren nicht? und wer wollte nicht in so guter Gesellschaft seyn, wer wohl gern allein übrig bleiben und dem ewigen Einerlei sich unterwerfen, das zuletzt anekeln muß? Wahrlich, wer vorausgeht, hat einen Schritt vor uns. Er hat vollendet; nicht alles, doch das Menschenleben: – ein besonderes Leben! Kaum hätt' ich Lust und Liebe, es von vorn anzufangen, und doch gab es herrliche Zeitpunkte in diesem Leben. Auch sterben in dem Augenblicke, da ich sterben werde, viele hundert Menschen, so daß ich gewiß nicht ohne Gesellschaft bleiben kann. Sicher werden zum Mittagsmahl, dem ich entgegen gehe, viele aus Osten, Süden, Westen und Norden anlangen, die zum erstenmale die Ehre haben, dort zu Tische zu sitzen. Kommt es auf die Lebenslänge oder auf die Lebensreife an? Wäre oder schiene der Tod nicht etwas bitter – wer würde leben? – Das Abschiednehmen, die Vorbereitungen sind das Schrecklichste. Ich nehme heute von euch Abschied, meine Lieben! und nach meiner Art etwas weitläufig, damit ich mich, wenn es zum Sterben geht, desto kürzer fassen könne. – Bis aufs Wiedersehen! mehr wird euch mein sterbender Mund nicht sagen. – Ich denke noch viele Tage, vielleicht viele Wochen bei euch zu bleiben. Lebt wohl, wohl, wohl bis aufs Wiedersehen! – Schrecklich wäre es, wenn wir uns dort zusammenfänden, ohne uns wieder zu kennen! Schrecklich! – Wir werden wiederkommen, gen Zion kommen! – Freude wird über unserm Haupte[327] seyn; wir werden uns kennen und erkannt werden, Hallelujah! Hat man einen hohen Thurm erstiegen – wer fürchtet nicht herab zu stürzen, obgleich ein Geländer vorhanden ist? Diese Art von Schwindel, dieß und nichts mehr nichts weniger ist der Tod. Auf Ehre und Redlichkeit nichts mehr nichts minder! – Auch soll mich niemand betrauern. – Geht, wenn ich begraben bin und auch nachher zuweilen in meine Rittergarderobe. – Solches thut zu meinem Gedächtniß. – Von meinen Bedienten erhält jeder 100 Thaler zum Geschenk; ist er unterthänig, einen Freibrief. Außer den Ordenskleidern werden Wäsche und Kleider unter sie vertheilt. Sorgt dafür, daß nicht Würmer in die Ordenskleider kommen! es wäre doch Schade! und wie lange sie sich halten können, beweist Kaiser Karls des Großen alter dalmatischer Rock, mit dem der angehende Kaiser am Krönungstage paradirt, weßhalb ihn so leicht niemand beneiden wird. – – Zwar hat meine Neigung zu Hunden gegen die vorige Zeit abgenommen, doch hab' ich noch unter ihnen Lieblinge, die ihr kennt. Laßt sie meinen Hintritt nicht empfinden. Bedauern werden sie mich ohnedieß. – Gebt ihnen, bis ihr Stündlein kommt und sie stürzen, ihren Unterhalt reichlich und vergeßt nicht, daß die Thiere sich wie wir nach Erlösung um Veredlung sehnen! – Ich fürchte, der ehrliche Greif stirbt mir nach! – und wenn wir gleich nicht zusammen an einer Tafel essen werden – es sind dort gewiß auch Domestikentische für Seelen der Thiere, da wird er sein Couvert finden. – Gewiß, lieber Greif, du wirst nicht zu kurz kommen! du braver Hund! – Wird aus der Erschienenen eine Bleibende, aus Fräulein Unbekannt Fräulein Bekannt, so grüßt Sophien von mir. Gern hätt' ich sie näher kennen lernen! Eine schöne Person! Außer meiner Sophie, von der sie viel Aehnliches hat, hab' ich sie nie schöner gesehen. – Lebt alle wohl und sterbt, wenn euer Stündlein kommt, so glücklich wie ich! – Hab' ich euch, Gemahlin[328] oder Sohn, auch nur durch eine Geberde beleidigt – vergebt! und findet es sich, daß ich ohne mein Wissen jemand Unrecht gethan, berichtigt es um Gottes willen! Ich ging meinen Lebenslauf peinlich durch und fand nur zweierlei zu ersetzen, obgleich beide Fälle noch zweifelhaft bleiben. Lieber leiden als leiden lassen; doch wer kann wissen, ob er nicht unwissend fehlte! Diese Ersetzungen vermach' ich euch, ihr guten lieben Seelen, die ich herzlich liebe und lieben werde ewig, ewig! – Er gab jedem die Hand und lebte nach diesem Abschiede noch drei Tage und dreimal drei Stunden, wie unser Held es sorgfältig verzeichnete, der nach der Abreise seines Freundes auf die Zahlen starke Jagd machte. Auf seine Rechnung gehören die Zahlen, die so wie überhaupt, so insbesondere in den letzten Paragraphen vorgekommen sind und ohne Zweifel noch vorkommen werden, obgleich unser Held gewiß auch nie vergaß, sich alle Monate drei Hemden anzuziehen und sich gewisser Speisen zu enthalten. Getrost aus Grundsätzen sterben ist ehrenwerth, und aus lichterloher Imagination? ist auch nicht zu verachten. Springen nicht Grundsätze oft über den Zaun? laufen sie nicht zuweilen aus der Schule? – Es ist gut, sie durch Imagination zu binden, die sich oft auch mit Exaltation verträgt und da noch ihre Kraft behauptet, wo Grundsätze bestehen – wie Schnee in der Sonne. – Nach einiger Zeit empfahl der Ritter seinem Sohne einen


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 322-329.
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