79. Vigilien

§. 79.


Vigilien

[334] vor dem Begräbnisse des Ritters? In der That erbaulich. – Die Begleiter der Leiche Alexanders des Großen, die wegen ihrer Reden bekannt sind, hätten hier lernen können. Wohl dem, der am Ziele ist! (Ach freilich wohl! und wär' es auch nur ein Buchziel!) – Er hat überwunden; wir streiten noch. – Heil dem, der aus dem streitenden Jerusalem in das triumphirende einging! – Dreimal Heil dem, der, wie er, als ein gebetener Gast eilte,[334] um beim Mittagsmahle der Herrlichkeit nicht zu verspäten, wozu er eingeladen war! – Der Tod ist eine Genesung von einer langen Krankheit. Wer weiß, wann er einschläft! Eben so wenig wird man wissen, wann man stirbt. Lasset uns Gutes thun und nicht müde werden; wir ernten ohne Aufhören. – Wenn das Feuer auszugehen schien, ging man zum Castro doloris, welches dem Ritter bereitet war. Hier brannten so viel große Wachslichte, als er Jahre zurückgelegt hatte. – Zwölf Gemeinbeältesten hielten die Ehrenwache. – Die Zwölf hatten ihre Haare, ich weiß nicht warum, in einen Zopf gezwungen. Nichts kann so entstellen und schmücken, wie das Haupthaar. Hier ist die Residenz der Affectation und der Anständigkeit. – Der Geschmack läßt sich den Kopf nicht nehmen. – Die Haare unserer Zwölfe hatten das Schicksal ungesalbter Dichter, denen Worte und Gedanken sich widersetzen, wenn sie beides in einen Zopf zwingen wollen. Oder ist dieß Gleichniß nicht erhaben genug? Es ging den Zwölfen wie einem freien Staate, dessen fliegendes Haar in eine Monarchie verwandelt wird! – Da jeder von diesen Nationalgardisten dieser Feierlichkeit halber zum Andenken ein Communionskleid erhalten hatte, das, wie alle neuen Kleider, nicht sonderlich saß, so hatten sie auch von dieser Seite kein geistlich-militärisches Ansehen. – Schmerz über den Verlust eines braven Herrn, und Freude über das erhaltene Ehrenkleid durchkreuzten ihr Gemüth noch überdieß, und man konnte sich bei warmen Thränen des Lächelns nicht enthalten, diese ehrlichen Gemeindeältesten in pontificalibus zu sehen. Den folgenden Sonntag gingen alle Zwölf ad Sacra, obgleich ihre Zeit respective noch 3, 5 bis 7 Wochen lief. – Auf dem Sarge lag die ganze Rüstung und der Degen, alles ins Kreuz. Das


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Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 334-335.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
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