§. 81.


Das Begräbniß

[336] gab der Einfachheit des Liebesmahls nichts nach. Gern hätte die Ritterin sich unterrichten lassen, wie die Exequien für einen Johanniterritter eigentlich einzurichten wären; indeß fand sich niemand, der die Art des Begräbnisses näher angeben konnte. Da Heraldicus junior beim Castro doloris Flickarbeit geleistet hatte, so ward ihm dieses Ehrenwerk zutrauensvoll ganz besonders übertragen; doch konnte er keinen Fingerzeig in seiner heraldischen Rüstkammer finden, und in dieser Grabesfinsterniß der Unkenntniß keine Lampe anzünden. – Am Ende sah man sich der Nothwendigkeit ausgesetzt, sich über folgende Solennitäten einzuverstehen.

Zuerst ging ein schwarz gekleideter Jüngling, der ein weißes Kreuz und eine ausgelöschte umgekehrte Fackel in beiden Händen trug, und von Zeit zu Zeit in die Worte ausbrach: Gehet! wir gehen hinauf gen Jerusalem. Sodann ward ein Paradepferd von einem Stallknecht geführt, welchem dieser Feierlichkeit halber der Charakter als Stallmeister ohne Chargenausgaben beigelegt ward. Der Anblick des Pferdes brachte die Zuschauer[336] zu den lautesten Klagen: Er ist nicht mehr! – Man hatte sich nie vorgestellt, was für Wirkung ein dergleichen Paradepferd ohne Reiter zu machen im Stande wäre. Ein Pferd dieser Art thut nicht anders, als hätt' es seinen Reiter eingebüßt; und ist das nicht ein rührender Anblick? – Wenigstens ein weit rührenderer, als wenn der Reiter das Pferd verliert. Unser Pferd hätte gewiß noch mehr Wirkung gethan, wenn der Ritter, der seit länger als drei Jahren seiner Hauptflüsse wegen kein Pferd bestiegen hatte, dieses leidtragende Paradepferd in seinem Leben geritten hätte. Doch zog man, um diese Illusionsstörung zu schwächen, in weise Erwägung, daß der Ritter es hätte reiten können! Freilich! Jetzt wurden drei Hunde an schwarzen Stricken geleitet. Daß der liebe Greif unter diesen dreien nicht war, versteht sich von selbst. – Man wollte bemerken, daß Hunde und Paradepferd Thränen in den Augen gehabt hätten. – Wer weiß, ob und warum? – Nun gingen Dienerei und Stallleute paarweise. Protagoras folgte mit dem Kammerdiener im ersten Paare, ohne daß die andern älteren, und selbst der Silberdiener und Tafeldecker, ihm den Rang streitig machten: – alle in ihren Feierkleidern mit langen Flören, die von den Hüten bis zur Erde hingen. Dann folgten sieben jungen Leute, die bei der Rosenthalschen Domänenkammer angestellt waren, schwarz gekleidet. Diesen waren die vorzüglichsten Insignien des Johanniterordens anvertraut, wozu auch ein Foliobuch, um die Ordensregel anzudeuten, gehörte. – Ein altes Rechenbuch leistete mit vielem Anstande diesen Dienst. Der Kammeldirektor trug auf einem schwarzen Kissen den Orden. Auch hatte er den Auftrag, wenn man den Sarg beisetzte, demselben die feste Versicherung anzugeloben, daß nach wenigen Generationen diese Sonne wieder aufgehen würde. Der Kammerrath, welchem man den Schnabelmantel zugetheilt hatte, war so unbeholfen, daß er dieses Ehrenstück dreimal fallen[337] ließ; auch dem Kammerdirektor entfiel, wiewohl nur einmal, der Orden. – Jetzt ward eine Fahne des Kreuzes getragen; zu beiden Seiten gingen Marschälle mit Stäben. – Der Fähnrich und die Marschälle waren mit mehr Flor von oben bis unten behangen, als alle andern. Man hatte diese drei Subjecte aus einer der nächsten Städte gemiethet, wo Marschälle und Fähnriche wohlfeil zu haben waren. Die Leiche ward von sechs mit schwarzem Tuch behängten Pferden langsam gezogen. – Unser Held war mit der Zahl 6 unzufrieden und wünschte überall 9. Warum? Weil sein Conductor bei Gelegenheit als er seinem Novicius die Zahlenobservation nahe legte, die Zahlen 3, 7, 9 und 10, als Vocale unter den Zahlen, mit Ehrfurcht nannte. – Vocales unter den Zahlen? – Hat nicht alles in der Welt seine Vocales? dachte unser Novicius. – Die zwölf Aeltesten gingen zu Fuß neben her. Unweit der Kirche erschien der Schulmeister und Organist mit seinem Musenchor von neun Knaben, die aus vollem Halse das Ritterlied: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, nach der Verbesserung des Pastors abschrien. – Bald hätt' ich vergessen, daß drei Wagen mit sechs Pferden bespannt die Leiche begleiteten. – An der Kirche ward der Sarg von den Zwölfen vom Leichenwagen gehoben und bis zum Altare getragen, den der Pastor erstiegen hatte, um über die Johanniterordensworte, Offenbarung Johannis XII. B. 7 bis 9 eine rührende Leichenrebe zu halten. Die Worte lauten wie folgt: Und es erhob sich ein Streit im Himmel. Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und der Drache stritt und seine Engel und siegte nicht, auch ward ihre Stärke nicht mehr funden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin[338] geworfen! – Die oben bemeldete Procession stand während der Leichenrede am Altar.

Ob es dem Pastor leicht oder schwer geworden, die Regeln der Taktik bei diesem himmlischen Kriege zu enträthseln und die Türken, den Großherrn, Großvezier, Veziere, Bassen, Agas in dieser Weissagungsstelle zu finden, muß ich wohlerfahrnen Auslegern der Apokalypse zu entscheiden überlassen. Cato schloß alle seine Reben: ego vero censeo, Carthaginem esse delendam; und unser in Gott ruhender Ritter behauptete bei der Anwesenheit des in Gott andächtigen Consistorialraths und seines weltlichen Gesellen, daß viele Geistliche ihre Texte, so wie viele ungeschickte Aerzte ihren Patienten, behandelten, und an seinem Prediger Exempel nehmen könnten, der mit seinen Texten, auch selbst mit den widerspenstigsten, die sich schwer deuten ließen, sanft, wie mit gutartigen Kindern, umginge. Es war nichts übereck in der Leichenrede, sagte der Nachbar, der bei Gelegenheit der Aufnahme unseres Helden an der Verschwiegenheit zum Ritter ward, obgleich wenn er auch der wohlerfahrenste Scheidekünstler in der Redekunst gewesen wäre, es ihm Mühe gemacht haben würde, hier etwas auszusüßen und abzusiegen. Die Ritterin war zu betrübt, um sich durch eine Altarrede über Michael und seine Engel stören zu lassen. Desto besser! – Protagoras der Begleiter war so stolz, als würde sein Namensfest gefeiert. Die Kunst zu trösten war unseres Leichenredners Sache nicht; und die meisten Menschen sind leidige Tröster. – Wer nicht das Herz künstlich verwunden, den halb oder am unrechten Orte gebrochenen Arm künstlich und gehörig ganz zu brechen versteht, besitzt auch die Kunst nicht, zu heilen und zu verbinden. Die Nachbarin und ihre Töchter waren des kritischen Dafürhaltens, daß unser Leichenredner auch selbst in der Offenbarung Johannis einen bessern Text hätte auftreiben, können; indeß nahm sich unser Vocalheld Michaels und seiner Engel an,[339] und die Damen traten bei. – Da ist ja, sagte der Nachbar auf den Junker und seine Tochter zeigend, Michael und seine Engel; und machte seine Töchter roth – den Junker nicht. – Der Begleiter lächelte; ich möchte wissen, warum?

Als etwas Besonderes ward bemerkt, daß auf Stirn und Gesicht unseres Ritters sich keine Falte zeigte. – Kein Fluch, sagte die Ritterin, beunruhigte den Seligen; seine Rechnung war rein und richtig abgeschlossen, und kein Deficit quälte seine scheidende Seele. – Will man sagen, er war tugendhaft, weil er keine Gelegenheit hatte lasterhaft zu seyn, fügte die Nachbarin hinzu, so irrt man: er war reich. – Der Nachbar bemerkte: seine leichten Ideenspiele berührten ihn noch sanfter, als Schmetterlingsflügel – und auch niemanden von seinen Freunden und Freundinnen fielen sie schwerer. Die ABC-Töchter weinten, ich weiß nicht, ob um ihren Herzen Luft zu machen, oder ob dem ABC-Junker zu Liebe. Heraldicus junior schloß mit dem Dank an den Leichenconduct: »Wir haben gethan, was wir zu thun schuldig waren. Der Unvergeßliche« (das Legat begeisterte seine Zunge) »hat eine gewisse Feierlichkeit naturalisirt; und die Rosenthalsche romantische Gegend schien diese Neigung zu begünstigen! – Was an äußerer Feierlichkeit abging, Verewigter! das ersetzten unsere Herzen.« – – Ohne Zweifel wird man auch mir erlauben, mich in diese Nachreden zu mischen. Schwärmer genießen alles voraus, Philosophen alles hinterher. Geht da! den Grund von dem runzellosen Gesichte der Schwärmer im Leben und im Tode, und von den Furchen in den Gesichtern der Philosophen, die sich in ihren Hoffnungen so oft betrogen finden! – Gott tröste sie!

Daß ich übrigens die veralteten und verjährten deutschen Wörter unseres Ritters nicht beibehalten, sondern nur selten davon ein Pröbchen gegeben habe, wird meine Leserwelt hoffentlich mit Dank erkennen. – Hiermit


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 336-340.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 1
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