§. 102.


Abschied

[53] von Freund Bruder Johannes war zärtlich – und vernünftig. Es gibt Zärtlichkeit, geheiligt durch die Vernunft. Die Vernunft überhaupt erleuchtet, heiligt und erhält, das Herz beruft. – In Wahrheit es verdiente Johannes um so mehr Achtung und Liebe, da er den Orden nie als Mittel mißbrauchte, zu seinem Zweck zu gelangen, selbst nicht als Nachhülfe des Mittels. – –

Johannes war zu bescheiden, um seinen Freund zu befragen: wohin? und sein Freund zu gewissenhaft, ihm etwas zu sagen,[53] was er selbst nicht wußte. – Lassen Sie mich, sagte der Ritter, Ihre sieben Dämmerungen mit drei Ermahnungen erwiedern.

Die erste war sein Freund zu bleiben ewiglich. – Mit Hand und Mund verheißen (ich stehe fürs Ja!). Die zweite sich wo möglich durch keine Bedienung im monarchischen Staat die Hände und den Kopf binden zu lassen; – in Freistaaten ists vielleicht anders, vielleicht auch nicht; wo gibt's außer Eldorado, das oben oder unten ist, einen wahren Freistaat? Nur Menschen, die ihre Bestimmung verkennen und den erhabensten Beruf Menschen zu seyn nicht überblickt haben, können nach Stellen trachten, bei denen sie nicht von der Stelle kommen. – Verzeihen Sie mir dieses Wortspiel, das mit der Wahrheit, wie oft der Fall ist, so richtig zusammen trifft. Wer von andern für seinen Kopf und sein Herz Gegenstände sich vorlegen oder zuweisen läßt; wer einer Aufforderung, eines Pönalanstoßes und einer Direktoranweisung bedarf, geschäftig zu seyn; wer sich ohne bestimmte Berufsarbeiten und Amtspflichten nicht zu lenken und zu richten weiß, ist und bleibt wo nicht noch weniger, doch ein Subalternkopf, ein Kanzellist; wogegen der Zwanglose, sich selbst Ueberlassene sich am nützlichsten und einflußreichsten beschäftigt, wenn der Präsident ihm die Sache nicht zugeschrieben hat, wenn er sie selbst wählte und wenn er sich von aller pünktlichen Nothwendigkeit entfesselt glaubt. – Thue das, so wirst du leben! – Johannes war längstens überzeugt, daß ein Unbeamteter oft Geschäfte von dem größten und wichtigsten Umfange treibe. Wenn panische Furcht und sklavische Pflicht benutzen, regieren heißt, so haben die Regierungsofficianten wahrlich keine sonderlich freie Aussicht, vielmehr führen sie ihre Aemter in Ketten und Banden ihr Lebenlang, ohne je auf Gelbstgefühl, das Kleinod edler Seelen, und Nachruhm Anspruch machen zu können, welcher uns zu Erben der Ewigkeit macht. Gibt's indeß, fügte Johannes hinzu, nicht auch in Aemtern Gelegenheit, an Gottes[54] Reich und seiner Gerechtigkeit zu arbeiten? und wo nicht mehr, doch Abderiaden abzuwenden und so manches im Staat ein Ende gewinnen zu lassen, daß man es könne ertragen? Die Philosophie des Lebens lernt sich im Amte am ersten und besten. Muß man nicht, fuhr er fort mit einer Thräne im Auge, unglücklich seyn, um sich von der Richtigkeit gewisser Grundwahrheiten zu überzeugen? Sind die Menschen nicht ohne Vorgesetzte träge? Und zugegeben, daß der Stempel des ausgezeichneten Kopfs Thätigkeit und der größte Beweis der Kraft Kraftanwendung ist, würde nicht jeder Staat einen so unfehlbaren als fraudulösen Bankerott machen, wenn er ohne Wirth rechnen und auf Zwangsmittel Verzicht leisten wollte? Glück und Ruhe geben Ehre, doch beschränken sie oft die Erkenntniß, wogegen Unglück uns für Unglück entschädigt, wenn es uns auf hohe Weisheitslehren führt, die sich sonst nicht lernen lassen. – Die Gründe von Mühe und Beschwerlichkeit, welche Ehrfreigeister wider dieses Hauptstück göttlicher und menschlicher Einrichtung anbringen, sind sie nicht unwiderlegbare Aufforderung, dieses heilige Werk zu treiben? Ich glaube, es gibt Stellen, um Ihr Wortspiel nachzuahmen, bei denen man auf der Stelle bleiben kann, doch gibt's auch andere, die Mittler zwischen Regierung und Volk sind, und Aemter dieser Art bekleiden und in ihnen einen Nachwuchs gleich edel denkender Jünglinge erziehen, ist's nicht eine Aussicht, die sich sehen läßt? Gibt's hier nicht Worte, die sich hören lassen und Thaten würdig der Ewigkeit –? –

Freund Bruder! erwiederte unser Held, ich verdenke es Ihnen nicht, daß Sie Ihre Ketten vergolden und sich nicht bloß bemühen, sondern anstrengen, Aemtern das Wort zu reden, die nicht für Köpfe Ihrer Art sind. – Gehen Sie hin in Frieden; Ihr Glaube helfe Ihnen! – Wer sein eigener Herr seyn kann, suche keinen andern neben sich. Oft werd' ich Ihrer und Ihrer Bande und Ihres Glaubens denken und Gott bitten, daß Ihr Amtsglaube[55] nicht aufhöre, der, wie der Glaube überhaupt, nicht jedermanns Ding ist. Kleine Mittel führen oft zu großen Zwecken, wenn dagegen große Aufsehen bewirkende und mit Paukenschall verbundene des Zwecks verfehlen. Finde ich Sophien, so ist mein Ziel erreicht, soweit es in dieser Welt zu erreichen steht. Völlig aus Ende kommen kann weder der Mensch noch die Menschheit in diesem Leben. – Oben oder unten ist Eldorado. Vorschmack kann es hier geben und sollte mit, durch und in ihm nicht Eldorado zu uns herabkommen und wir entkörpert und verhimmelt werden können? – Johannes sah seinen Freund Bruder mitleidig an, und dieser ging zur dritten und letzten Ermahnung über. Diese war? Den Orden mit Augen der Wahrheit und Gerechtigkeit anzusehen. – Das ist, sagte Johannes, von jeher meine Sache; mit Augen glühender Schwärmerei kann nur ein Fieberhafter schauen. – Für mich ist's ein Wunder, wenn ich sehe und höre, daß andere in unbedeutenden Dingen Wunder suchen und Wunder finden. So lange man sich Dinge natürlich erklären kann, sollte man zur Uebernatur, die nur zu oft Unnatur wird, übersteigen? Warum etwas erstürmen, was sich von selbst ergibt? Arzneien erfinden, wo keine Krankheit ist? Bei den meisten Visionen, Geistererscheinungen und Wundern sind so viel unverdauliche, abgeschmackte Dinge eingemischt, daß es das größte Wunder bei der Sache ist, hier eine göttliche Sendung und ein Wunder im Wunder entdecken und glauben zu können. Johannes wollte noch weiter reden, doch unterbrach ihn unser Held, um ihn noch unwürdiger zu machen, ein Kind der Sonne zu werden. – Leben Sie wohl! beschloß er, und um wohl zu leben, bekehren Sie sich vom Lichte des Mondes, vielleicht des Mondes im letzten Viertel, zum Licht der Sonne. Sie schieden von einander; nicht viel anders, als wenn ein Quäker mit innerem Licht von einem gewöhnlichen Menschen, dem dieses Licht ein Licht unterm Scheffel ist, scheidet. – Unser[56] Held bereitete sich zur Abreise. Da die Stadt, wo die Loge zum hohen Licht mit allen ihren At- und Pertinenzien von Graden und Systemen und Systemen und Graden brannte, viele Thore hatte, so war der Ritter in nicht kleiner Verlegenheit, welches Thor er wählen sollte. Michael litt hierbei


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 53-57.
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