104. Antwort

§. 104.


Antwort,

[58] welche der Junker Michaeln gegeben hatte, und welche letzteren so herzlich schmerzte, war so buchstäblich wahr, daß sie nicht genauer und wahrer seyn konnte. Unser armer Held kannte eben so wenig als Michael das Thor, wovon die Frage galt. Diese Ungewißheit allein machte unsern Helden so muthig, wenn gleich, wie wir wissen, seitdem er zum drittenmal den Einladungsbrief gelesen hatte, Geister auf ihn wirkten. Bis dahin fehlte ihm der Begriff von göttlicher Eingebung, und sein Glaube war so schwach, daß es ihm zuweilen höchst ungläubig einfiel, auch bei der größten Anstrengung menschlicher Kräfte, behalte der liebe Gott noch immer sehr viel zur Eingebung übrig, wenn etwas Vorzügliches zum Vorschein kommen solle. Jene Ueberlassung, wobei Verstand und Wille völlig unthätig sind und nicht viel anders sich geberden, als falte man die Hände, und als lege man sie in den Schooß, hatte unser Held bis jetzt noch nicht die Ehre zu kennen. Wie viel Mühe der gute Ritter, bei so viel ungläubigen Intervallen, dem auf ihn wirkenden Geiste gemacht, ist um so begreiflicher, als er, bis auf den heutigen Tag, noch nicht einmal eine Extemporalrede eines Quäkers gehört hatte. Seine Meinung war, daß von einer Sache, worüber man nicht[58] nachgedacht, unmöglich anders als unzusammenhängend gesprochen werden könne. – Natürlich mußte ihm, bei dieser Unerfahrenheit von jener höheren Wunbergabe, jenseit unserer Vorstellungen, mit dem Auge des Geistes zu sehen, geistige Gegenstände von Angesicht zu Angesicht zu erblicken und über sich selbst herüber zu ragen, noch weniger beiwohnen. Es war ohne Zweifel eine Lection des auf ihn wirkenden Geistes, als es unserm Helden, der einem Brief ohne Namen und Ort sich so blindlings überlassen hatte, zu rechter Zeit noch einfiel, wie schon Dichter in ihren hohen Abstraktionen sich aus ihrem eigenen in einen wildfremden Zustand versetzen können, und wie diese Versetzung nicht eine freie Uebersetzung seiner selbst, sondern ein so reines, abgesondertes und unbedingtes Original sey, daß auch nichts vom vorigen Zustande übrig bleibe. – Vom Dichter zum Candidaten der Sonne, mit Flügeln der Morgenröthe, welch ein Abstand! – Man steht, unser Held ist fürwahr weiter, als er glaubt. Da größere Dinge ihn heben, sollte er sich wohl von kleineren und unbedeutenderen niederdrücken lassen? Weg mit den Schuppen von den Augen! – Er gab seinem Pferde die Sporen, und dieß ging, ohne daß er wußte, wohin. Kaum waren unsere Reisende zum Thor hinaus, als ein Bote, schön wie Ganymed auf feurigem Roß, mit einem Briefe auf unsern Helden zustürzte, und eben so schnell ihn verließ. Er erbrach den Brief, und fand, außer dem Namen eines kleinen unbeträchtlichen Fleckens und der ihm nächsten Stadt, eine Anweisung zu einem geheimen Ort und einer mystischen Stelle, die siebenmal sieben Meilen von Ort und Stelle des Empfanges des Briefes lag! – Zusehends heiterte unser Held sich auf, er wußte wohin, und sah, daß, wenn gleich er nur ein Sohn des Mondes war, er doch in Ansehung der Zahlen sich nicht auf unrichtigem Wege befände. – Wer am meisten bei dieser


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 58-59.
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