§. 106.


Stillschweigen.

[60] Obgleich Michael sich anfänglich einbildete, sein Herr würd' ihn, einen dienenden Bruder, wegen des harten Worts Schwätzer einer Ehrenerklärung würdigen, so ließ er doch seine Versöhnung wohlfeileren Kaufs, herzlich froh, über den Nicht-Vetter Reitknecht gesiegt zu haben. Dieser letztere mochte aus dem wunderbaren Briefe vielleicht anfänglich eine erneuete Empfehlung des Logenmitgliedes, welches in – die Pferde seines Herrn geritten hatte, erwarten; doch gab er diese falsche Hoffnung bald auf, und fand, durch doppelte Portion von Essen und Trinken, sich so hinreichend entschädigt und abgefunden, daß er die Vetterschaft darüber vergaß. – Nach Anleitung Esau's sie zu verkaufen, fiel ihm nicht ein, vielmehr behielt er sie sich wohlbedächtig auf bessere Zeiten vor.

Der Ritter, der jetzt die lebendige Erfahrung gemacht hatte, daß die hohen Sonnenbrüder, außer den Geistern, die sie auf ihre Candidaten wirken lassen, nicht nur eine Leibgarde zu Fuß, sondern auch zu Pferde halten, und sein Knappe, zufrieden durch die Zufriedenheit seines Herrn, wiederholten auf dieser Reise den[60] Geist der so reichlich erhaltenen Grade, und wurden, ich weiß noch nicht eigentlich wie? und warum? auf den Umstand geleitet, daß es Menschen Gottes gebe, die sich selbst Religion und Gesetz wären, und die sich völlig ihren Pferden überlassen könnten, ohne einen von der Leibgarde hoher Obern, es sey zu Fuß oder zu Pferde, bemühen zu dürfen. Die Traurigkeit steht mit unverwandten Augen der Seele und des Leibes auf einen Ort, wogegen die Freude von einem aufs andere in die Kreuz und Quer springt. – Um indeß jene Menschen Gottes nicht aus der Acht zu lassen (die, wie mich dünkt, noch zur leidlichsten Erklärung der Diderotschen Behauptung dienen, Religion und Gesetz wären ein Paar Krücken für Kopflahme), so behauptete der Ritter, daß der, welcher weiter als positives Gesetz und Menschensatzung zu gehen im Stande sey, dadurch, daß er das Größere erfülle, auch das Kleinere berichtige, welches der güldenen Regel, wer das Kleinere aufgebe, werde nicht Herr des Größeren, nicht im geringsten zu nahe trete.

In den Augen des billigen Richters, der nach dem Geiste und nicht nach dem Buchstaben sein Amt führt, fuhr der Ritter fort, ist der Codex des Landes nur für den gemeinen Mann und nicht für den Menschen Gottes. Und doch, bemerkte Michael, könnte es Fälle geben, wo man bei all dieser Menschheit Gottes in – gehangen, in – – gevierttheilt, in – in Oel gesotten werden, und in – vierzig Streiche weniger einen erhalten könne.

Allerdings, sagte der Ritter. Und das Gegengift, das Universale gegen Hängen, Viertheilen, in Oel sieden, und die vierzig Streiche minder einen? – Rathe!

Der Selbsttod. –

Die Kunst zu schweigen!

Sollte?

Ich stehe dafür![61]

Doch ist Kunst nicht Natur, und ehre mir Gott die Schwatzhaftigkeit der Dame im Meierhofe.

Nur die deinige nicht! – Den Knappen schmerzte dieser Vorwurf, so liebevoll er gleich dießmal erging. Zwar empfand er ihn bei weitem nicht so, wie den ersten desselben Inhalts, mit dem ihm sein Herr noch vor der Ankunft des Gardisten schwer fiel; indeß nahm sich Michael vor, sein Herz zu prüfen, und wenn er's ohne Tadel fände, zu gelegener Zeit bei seinem Herrn sich näher zu erkundigen, womit er das Scheltwort eines Schwätzers verdient hätte.

Der Ritter belehrte seinen Knappen, daß er unter der Kunst zu schweigen nicht jene plumpe Alltagstugend verstehe, die auch zur Noth ihr Gutes haben könne, sondern die Verschwiegenheit im Sonntagsfinne, in welchem sie Bescheidenheit oder Verschwiegenheit, nicht der Leides-, sondern der Seelenzunge, das Schicken in die Zeit, die Zurückhaltung, die erst sieht, was andere machen, die erst die Leute in der Gesellschaft kennen lernt, ehe sie vertraut wird, meine; und da gestand denn der Knappe gerne, zum Schweigen gebracht zu seyn, der nach manchen Nothtaufvorfällen, je länger je besser, auch die Holzbündlein dieser Art zu legen lernte. – Michael nahm sich, mit Seiner Gnaden Erlaubniß, die Freiheit zu bemerken, daß, wenn man den profanen Worten solche Freimaurerdeutungen unterlege, man zuletzt bloß durch Auslegung der Worte jedes Spiel gewinnen müsse, und sein Herr konnte sich nicht entbrechen, ihm eine gewisse Sophisterei zu empfehlen, ohne die selbst Sokrates nicht gewesen wäre und kein Mensch seyn könnte. Sie sey das, was die Höflichkeitsconventionen im gemeinen Leben wären. Die Herren Philosophen, setzte der Ritter hinzu, fischen in diesem trüben Wasser am glücklichsten; – ein großer Theil dieser Herren würde ohne dieses trübe Wasser wenig Fische fangen; wenn jetzt, bei jenem Kunstgriff, ihre Netze vor der Menge von Jüngern und Aposteln und Nachbetern reißen.[62]

Da Michael seinen Herrn nach erhaltener Parole, von Tage zu Tage, fast möchte ich sagen, von Stunde zu Stunde, ruhiger, gesprächiger und vergnügter fand, so glaubte der gute Schwätzer, der freimaurerischen Nachlese über die Kunst zu schweigen ungeachtet, die Frage nach dem Orte ihrer gegenwärtigen Bestimmung näher legen zu können. Vergebens! – der Blick seines Herrn wies ihn auf das nach obgewalteter Discussion gezogene Dekret, und gegen jeden neuen Versuch des dienenden Bruders erfolgte eine verstärktere Abweichung, so daß der Knappe auf diese Frage völlig Verzicht that, deren Beantwortung sein Herr mit desto weniger Mühe zurückhalten konnte, als er sie selbst nicht zu beantworten vermochte. Probatum est.

Etwa sieben Meilen, diesseits des Orts der Bestimmung, kamen unsere Reisenden ermüdet in eine


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 60-63.
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