§. 107.


Herberge,

[63] der man keinen bedeutenden Namen zugestehen konnte, und so entschlossen der Ritter war, den Hunger dem Schlaf aufzuopfern, ward er doch durch ein ländliches Reisemahl überrascht, welches ein Fremder sich auftragen ließ, der sich zwar mit keiner Zudringlichkeit, wohl aber so zuthätig zu ihm gesellte, daß unser Ritter, er mochte wollen oder nicht, nicht umhin konnte, seinen Schlafplan aufzugeben. Michael schien hiermit um so zufriedener, als das Bedürfniß des Hungers ihm in der Regel weit lieber als das Bedürfniß des Schlafes war, und er die Gewohnheit hatte, der Mutter Natur mehr für das Geschenk des Hungers, als des Schlafs verbunden zu sehn. So sehr der Ritter, der so weise abgehandelten Materie zufolge, jeder neugierigen Frage gegen den Reisenden, mit dem er sich zu Tische setzte, auswich, so freigebig war dieser von selbst, ihn[63] mit seiner Reise bekannt zu machen; – und da er, durch diese Offenherzigkeit, sich den Weg zu einer gleichen Verfahrungsart gebahnt zu haben glauben mochte, befand der Ritter sich in keiner geringen Verlegenheit, als jener näher in ihn drang.

Verzeihen Sie meine Frage, sagte der Fremde, und lenkte die Verlegenheit des Ritters so zum Besten, daß es dem letzteren leid zu thun anfing, verschwiegen seyn zu müssen. – Eben war er mit sich im Streit, ob dieses Leidthun, wo nicht Uebertretung selbst wäre, doch der Uebertretung des Stillschweigens nahe käme, als der Fremde ganz von freien Stücken von dem Parole-Orte zu reden anfing. Michael lauschte um bei dieser Gelegenheit den Ort zu erfahren, ohne seinem Herrn Verdruß und dem Vetter Reitknecht Freude zu machen; – abermals vergebens. – Der Knappe mußte sich auf Special-Befehl seines Herrn entfernen, und der Reitknecht hätte laut gelacht, wenn er etwas von diesem Exilium gewußt hätte.

Sie mögen reisen wohin Sie wollen, fing der Fremde an, einen Wink – bin ich Ihnen schuldig aus Menschenliebe, – die liebste Schuld, die ich abtrage. Kennen Sie Trophonius Höhle?

Ich habe nicht das Glück.

Unglück würde angemessener seyn, – wenigstens versichern die Alten, daß die, welche hinabfliegen, die Eindrücke der Traurigkeit nicht ausglätten konnten.

Es gibt eine göttliche Traurigkeit.

Die Traurigkeit aber der Welt wirket den Tod. Er ist in Trophonius Höhle gewesen, hieß nicht viel weniger, als er ist lebendig todt. – Diesem lebendigen Tode eilen Sie entgegen, ohne auch nur im geringsten befriedigt zu werden. Die Verwirrung Ihrer Sinne gewährt Ihnen dort kein Bewußtseyn. Sie werden mit Hindernissen streiten, und Ihr Lohn wird Rauch seyn. – Man wird Sie Kämpfen aussetzen, über die man den Triumph, wenn er uns ja zu Theil wird, gern vergißt. Der geheime Ort,[64] die mystische Stelle, die man Ihnen angewiesen hat, ist der Schlund des Molochs, der sich nicht mit Kindern begnügt, er verschlingt Männer. – Was Ihnen winkte, war ein Irrlicht, das viele schon unter hohen Verheißungen hinlockte, um sie ins Verderben zu stürzen; – eine Mordgrube, die desto gefährlicher ist, da man nicht weiß, ob Menschen oder böse Geister die unglücklichen Schlachtopfer der Neugierde hinrichten.

Ich komme nicht uneingeladen! sagte der Ritter.

Schlechter Trost! – Kein Licht steckt so schnell an, als das Licht der Einbildungskraft. Drei meiner Freunde, treffliche Männer voll edlen Durstes nach Mysterien, die nicht suchten, sondern gesucht wurden, fanden hier ihr Grab. Mich rettete ein Zufall, um die zu warnen, die am Rande des Verderbens sind. Einer der Helfershelfer dieser Menschenfresser nahm an diesem Zufall aus Mitleid Theil, dessen martervollsten Tod ich bewirken würde, falls ich meinen Eid bräche und mehr entdeckte. Vermag ich mehr zu sagen? als: retten Sie sich, retten Sie Ihre Seele um nicht ein Kind des Todes und ein Kind des ewigen Verderbens zu seyn! Retten Sie sich! – Bei diesen letzten Worten sprang der Fremde auf, und erhob sie zu einem so hohen Nachdruck, daß der Ritter unmöglich gleichgültig bleiben konnte. Diese Lage benutzte der warnende Freund, indem er ihm den Inhalt jenes Briefes fast wörtlich wiederholte, von dem der Ritter, sogar gegen Johannes, ein so großes Geheimniß gemacht hatte. Ein ehrlicher Mann, sagte der Fremde, dient gern mit seinem Verstande; ein Bösewicht will uns mit List darum bringen.

Das Schrecklichste, womit der Referent von dieser Trophonius höhle neuerer Zeit wohlbedächtig das Ende krönte, war, daß der Eingefangene sich verpflichten müsse, sich mit einer von dreien Weibsbildern ehelich zu verbinden, die ihm zwar selbst zu wählen überlassen bleibe, deren Auswahl indeß um so trauriger sey, als alle[65] drei den höllischen Furien ähnlicher wären, wie ein Ei dem andern. Weit eher hätte unser Ritter mit dem Tode und dem ewigen Verderben, als mit dieser Nachricht sich ausgesöhnt. Ist das die Deutung jenes Mitternachtsgesangs:


Die Geheimnisse der Liebe sind mit der Geisterwelt verwandt?


Hingerichtete Gesundheit, zerstörter Gemüthszustand, Ehebündniß mit einer Furie! Wahrlich zu viel für die Schultern des Ritters.

Ob nun gleich Michael nicht mit in die Trophoniushöhle hinabstieg und von diesen geheimen Bekenntnissen wenig oder nichts zu erspähen im Stande war, so nahm doch der Fremde bei seinem Abschiede Gelegenheit, ihn mit in diese Höhle der Bekümmernisse zu stürzen. Der Ritter ist verloren, raunte er ihm ins Ohr. Hier wäre Subordination Gefangennehmung der Vernunft unter den Gehorsam. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern das Recht des Verstandes gilt. – Sey durch Klugheit sein Herr, ohne dich es merken zu lassen. Arznei muß nie mächtiger als die Krankheit sehn, sonst ist sie Gift. – Heil und wehe dir! Segen und Fluch, Lohn und Strafe schweben über deinem Haupt, wenn du thust oder unterlässest, was ich dir gebiete! – – Es war ein sonderbares


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 63-66.
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