108. Gespräch

§. 108.


Gespräch,

[66] in welches Ritter und Knappe nach einer fürchterlichen Stille sich verwickelten. Beiden log die Pflicht der Verschwiegenheit ob, und so gab es hier gewaltige Umwege, und doch (besonders!) verstanden sie sich nie besser, als bei diesem mystischen Zwange. – Wer an Mystik gewöhnt ist, hat Abneigung gegen alle Deutlichkeit, er befindet sich bei ihr am übelsten. Was wir klar nennen, ist ihm[66] Dunkelheit, und bei seinem inneren Lichte sieht niemand etwas, als er selbst! – Obgleich Michael nicht die mindeste Neigung hatte sich irgend einer Lebensgefahr auszusetzen, und eben deßhalb Mördern, gleichviel Menschen oder bösen Geistern, in die Hände zu fallen, so hielt er nicht nur seinem Herrn von der Pflicht der Selbsterhaltung eine stattliche Rede, sondern war auch entschlossen, alle Gefahr und den Tod selbst mit ihm zu theilen. – Auch den Tod, rief er sich selbst zu, so untheilbar er immer seyn mag! Soll das der Erfolg von Gamaliels öffentlichen und geheimen Gebeten seyn? dachte Michael sich selbst gelassen: Wir des Todes und er das leere Nachsehen! Zwar hat der Maurerorden, den ich in allen seinen ehrenvollen Graden, so unzählig sie gleich sind, bewundern werde bis in den Tod, auch seine Höhlen; doch weiß jeder, woran er ist und nicht ist. Zwar gelobt man dort Verschwiegenheit, doch ist, des Bundeseides ungeachtet, so viel Toleranz, daß, wenn ich Gamaliel dahin bringen könnte, zu glauben was er lese, er wo nicht mehr, doch eben so viel als ich wissen würde. – Zwar ist dort, bei aller Versicherung von Gleichheit und Freiheit, Unterschied der Stände; doch sind nicht im innersten Heiligthume dienende Brüder? Hat der Hohepriester nicht seinen Hofküster, der ihm nachtritt! Wie? ist's Eigennutz, der mich zu diesen Klagen bringt? Nicht weniger! Nicht nach dem was wir sind, sondern nach dem was wir zu seyn verdienen, können wir Schätzung verlangen. Wer nach meinem Namen fragt, ist ein Weiser; wer sich nach meinen Titeln erkundigt, ist ein Thor, oder will mich dazu machen. Gern will ich nicht sehen, wenn mein Herr sieht; gern mich mit der Seligkeit derer begnügen, die nicht sehen und doch glauben, wenn nur sein theures Leben außer Gefahr ist! – Doch Gedankenkeuzzüge thun's freilich nicht. Blühen und nicht Früchte tragen, heißt wissen und nicht thun; ich will, – ich weiß nicht, was ich[67] will! Den folgenden Morgen fing Michael, ehe sie aufstiegen, an: Gnädiger Herr, wenn ich mich gleich bescheide, das Ziel Ihrer Wallfahrt nicht wissen zu können, und wenn ich gleich alles in der Welt eher, als den Vorwurf meines Gewissens, ein Schwätzer im gemeinen und ungemeinen Sinn zu seyn, über mich kommen lassen wollte, darf ich Ihnen doch diese Schrift, die aus meinem Herzen abgeflossen ist, behändigen, – und Sie bitten, wohl zu balanciren, ob Ihr Leben und das meinige (an den Vetter Reitknecht dachte er nicht) mit der Hoffnung, die Sie begeistert, das Gleichgewicht halte? Der Ritter entblätterte die Schrift, die Michael mit seinem Blute geschrieben hatte und worin er ihm verhieß, da sterben zu wollen, wo das Schicksal über sein Leben gebieten würde. Die Schrift war unbedingt und rührte den Ritter bis zu Thränen, welche sich auf dieser Blutschrift nicht übel ausnahmen. Michael konnte sich nicht entbrechen, seinem Herrn von dem Winke des Fremdlings einen Wink zu geben, und der Ritter ersetzte ihm diese Offenherzigkeit mit gleicher Münze, ohne von der Festung des eigentlichen Geheimnisses einen Fuß breit abzutreten. – Ueber Trophonius Höhle, deren der Warner gegen Michaeln zu erwähnen unbedenklich gefunden, war unserm Helden kein Gelübde der Verschwiegenheit zugemuthet, – und eine Schrift, mit eigenem Blute geschrieben, verdient sie nicht mehr, als diese Erkenntlichkeit? Horatius Cocles stellte sich, als die Hetrusker bereits bis an die Brücke Sublicium vorgedrungen warm, um Rom einzunehmen, den Feinden entgegen, während der Zeit die Brücke abgeworfen und dem Feinde der Weg nach Rom abgeschnitten ward; und nun sprang er mit seinem Pferde in die Tiber, ohne Verlust und mit dem Gewinn der Unsterblichkeit. Feldherr Seidlitz behauptete, kein Kavallerist dürfe sich gefangen nehmen lassen, und stürzte mit seinem Pferde in die Spree, als sein König auf der Brücke sagte: Hier ist Seidlitz doch mein Gefangener! Er ward[68] Friedrichs Liebling und ein Held wie er! – Der Wüstling Marcus Curtius warf sich in einen Schlund, um Rom von der Pest, welche David zu seiner Zeit wohlbedächtig die Hand des Herrn hieß, zu befreien, – und wenn gleich Marcus Curtius übler abkam, als Seidlitz und Horatius Cocles, indem er sein Leben einbüßte, verfüllte er nicht die pontinischen Sümpfe? Reinigte er nicht die Luft in Rom? – Wenn Michael sich überzeugen können, daß auf der olympischen Bahn nach Trophonius Höhle ein Kleinod zu erreichen wäre; daß diese Krümmungen zum Ziel brächten, welches Ritter und Knappe beabsichtigten; und daß man sich Kenntnisse von den höhern Wesen, der Geisterwelt und was diese Welt beträfe, dem Aufenthalt Sophiens und ihrer Kammerzofe, erstürzen könnte; – mit Freuden würde er mehr Blut, als zu seinem Testament erforderlich war, aufgeopfert haben. – Wer leistete aber diese Bürgschaft? – Seine Ueberzeugung, daß es höhere Mysterien und Gemeinschaft der Menschen mit Geistern gäbe, die ihm lebendig war, sagte ihm den Dienst auf, weil, wenn gleich der Weg zur bessern Welt durchs Grab, und zur Himmelfahrt durch Höllenfahrt geht, der Fremde noch betheuert hatte, daß aus Trophonius Höhle keine Erlösung sey. Freilich! – Was hilft's, an einen Ort zu kommen, wo Heulen und Zähnklappen unglücklicher Menschen ist; wo man Höllenhunde heulen, Raben krächzen und Schlangen zischen hört, ohne nach all diesen Prüfungen etwas zu erfahren, was der Mühe werth ist? Kann denn dem göttlichen Wesen mit Angst und Furcht so gedient seyn, als den Priestern, die sich auf diese Art in Ehrwürde zu setzen suchen; die die Aufzunehmenden Leitern steigen, schleudern und sich durchwinden lassen, während der Zeit sie, an ganz sichern Orten, die dazu gehörigen Maschinen in Bewegung setzen und durch bequeme Hinterthüren sich durchschleichen? Und was soll wohl, wenn auch eine liebliche Musik auf das Angstbrüllen der Verdammten und[69] das Heulen und Geschrei der Thiere erfolgt, was soll diese theatralische Vorstellung? Daß die Gottheit einen Theil ihres Himmels und ihrer Hölle in diese Höhle beurlauben sollte, um den Aufzunehmenden zu ängsten und zu erfreuen, ist das zu denken? Dergleichen Gedanken, wiewohl in anderer Form, durchkreuzten den Kopf des Knappen, als ihm sein Herr die mariage de conscience mit der Furie entdeckte. Ich siehe Ew. Gnaden mit Leib und Seele dafür, sagte der Knappe, daß sie, bei all ihrer Häßlichkeit, Ihnen doch nicht die Erstlinge der Liebe zubringen würde; – und werden wohl die heiligen Handschuhe unsaubern Händen anpassend seyn? Nicht, als ob ich meine Bittschrift zurück verlange, gnädiger Herr, sagte er, die fest und unwiderruflich bleibt im Leben und im Tode; – doch denken Sie Sophiens und erlauben Sie mir, an Sophiens Begleiterin zu denken, die ich bis jetzt schon, wiewohl ohne Ew. Gnaden Erlaubniß, nach Ihnen am meisten geliebt habe.

Meine Einwilligung, Sophiens Begleiterin zu lieben, erwiederte der Ritter, ertheile ich dir so vollgültig, als gerne; doch vergiß nicht, daß sie auch von der Begleiterin selbst und von Sophien abhängt. – Außer sich vor Entzücken über diese Einwilligung, that Michael nicht viel anders, als ob er mit einer verlobten Braut zur Trau gehen sollte. Gern war sein Herr Gast auf Michaels Myrtenfeste; indeß vergaß sich dieser so sehr im Taumel des Vergnügens, daß er fast mit Unbescheidenheit in den Ritter drang, seine Laufbabn aufzugeben und nach Rosenthal heimzukehren. Michael! mehr erwiederte der Ritter nicht auf diese Sirenenworte, und der jauchzende Knappe fühlte seine Vorschnelligkeit. War es denn nicht seinem Herrn allein zugedacht, in Trophonius Höhle den Hals zu brechen?

Wer eine Statue mit Kenneraugen ansieht, wird eine Statue. Wahr! – Wer in die Sonne sieht, erblindet. Wahr! – Es[70] gibt Menschen, die sich Teufel schaffen, welche nirgends existiren, als in ihrem Kopf, um der Ehre werth zu seyn, sie gebannt zu haben. Wahr! – Wie sich dieß auf einander bezieht? – Ist das eine Frage? Unsere beiden Reisenden drehten sich um diese Wahrsätze, als der Ritter, durch Michaels Kleinmuth gestärkt, wie aus tiefem Schlaf erwachend, anfing:

Siehe, Michael! so wenig verstehst du dich auf Herkules! Wie, wenn der Fremde bloß eine Maske wäre, die den Herkules vom Wege der Mysterien abzuwenden es anlegte? – Wenn er mir dieß ungesuchte Glück beneidete? Es ist ein Zeichen des größten Schauspielers und des größten Bösewichts, sein Individuum so zu verläugnen, daß auch nichts davon übrig ist, weder zu sehen, noch zu hören. Die Uebertreibung der Drohungen, die, selbst in einem Roman, die Grenzen der Bescheidenheit übertreten würden, – sehen sie nicht einer Prüfung ähnlich? Und wenn gleich ich nicht in Abrede stelle, daß diese Art von Prüfung übel gewählt und unangemessen einer jeden guten Sache sey, kann man vor dem Ende den Werth der Sache beurtheilen? Zwar sollen Polizei und Justiz, in vieler Herren Landen, einen gefunden, festen Schlaf haben, wo ist aber das Land, wo, bei Polizei- und Justizschlaf, Höhlen-Greuel dieser Art sich ereignen? Und was in aller Welt, was und wer ist im Stande mich zu zwingen, Sophien untreu zu werden? Ihr die Handschuhe zu entziehen, um mich mit einer Furie ehelich zu verbinden? Würde ein gesetzloses Verfahren dieser Art nicht alle noch so feierlichst eingegangenen Bande zerreißen? Mag die Moralität, in die Kreuz und in die Quer, in die Breite und in die Länge, in die Höhe und in die Tiefe, gewinnen, wenn sie nur gewinnt! Das Barocke und eine gewisse Singularität hat von jeher Glück gemacht, und in der Regel sind Sonderlinge besser, als Alltagsmenschen. – Was ist ganz zu erklären? Und das, was wirklich ganz, bis auf den letzten Grad, erklärt werden kann,[71] verdient es diese Ergründungsmühe? Führen wir nicht in dieser Welt ein änigmatisches Leben? Und würde ewiges Licht auf unserer Erdenbahn uns nicht schädlicher noch, als ewige Finsterniß seyn? Wohnen wir auf einem Planeten oder in der Sonne? – Hier stockte der Ritter, als ob er schon zu weit gegangen wäre. – Auch würden seine Gründe auf Michael lange so kräftig nicht gewirkt haben, hätte der Redner ihm nicht den Umstand vorgeschoben, daß der Fremde, der in der Herberge gewiß keine Anlage zum Fasten bewiesen, auch für Ritter, Knappen und Reitknecht Essen vorbereiten lassen. Aber wie wußte er denn, daß wir kommen würden? Das ist die Frage, erwiederte der Ritter, als


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 66-72.
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