§. 109.


drei

[72] Männer zu Roß auf unsere Reisenden stießen, wovon Einer vorsprang, und vom Ritter, im befehlenden Ton, wohin? zu wissen verlangte. Michael, den die Art der Frage verdroß, hatte doch an der Frage selbst kein Mißfallen. Der Ritter schwieg, und da dieser Frager mit mehr Zudringlichkeit und zuletzt mit wirklicher Beleidigung auf Beantwortung bestand, blieb dem Ritter weiter nichts übrig, als ihn nach dem Recht zu dieser Dreistigkeit zurückzufragen. Statt zu antworten, zeigte der Frager Pistolen. – Der Ritter erwiederte durch die nämliche Pantomime; – und Michael sah sehr genau, was die beiden Begleiter thun würden, um theils sich selbst in Positur zu setzen, theils seinen Nichtvetter Reitknecht zu commandiren. – Der Frager setzte sich in Schußordnung, der Ritter deßgleichen. – Ernst! fing jener an. – Der Ritter: Ich scherze nicht mit Pistolen. Eine Unterredung – sagte der Frager. Bereit, der Ritter. Sie stiegen von ihren Pferden, gingen, jeder mit seinen Pistolen, in ein benachbartes Gesträuch.[72]

Freund! sing der Frager an, Sie haben Pistolenmuth, und warum nicht den kleinern Grad des Muths, auf meine Frage zu antworten. Darf ich bitten, da vielleicht das Fragen Sie beleidigte, wohin? Der Ritter honorirte diese Bitte so wenig, als die Pistolenforderung, und der Bittende stimmte sich eben so schnell und leicht wieder um. Ich bedarf Ihrer Antwort nicht. Sie sind aufgefordert von Menschen, die Sie nicht kennen, zu Dingen, die dem vernünftigen Manne überschwenglich sind. Angeblich sind Sie in Geisterobservationen gesetzt. Haben Sie den Einfluß des Ihnen beigeordneten Genius gefühlt? Hat er mit Ihrem Geist sich so eingelassen, daß seine Existenz Ihnen kund und unläugbar ward? Auch die Loge zum hohen Licht ordnete Ihnen, da Sie Aspirant wurden, einen Genius zu, der eben so gut Fleisch und Bein hatte, als Sie; und dergleichen Mouche läßt sich denken und erklären; einen Geist aber einem in Fleisch und Blut gekleideten Geiste zugesellen, verbinden Sie dieß? Kamen Sie nicht, bei Ihrer ersten Ordensausflucht zum hohen Licht, schon mit Sonne und Mond in Collision, obgleich dort bloß von Gasthöfen die Frage war? – Was für Staub ich mache! sagte die Fliege auf dem Wagenrad. – Verstehen Sie mich, so werde ich Sie wieder verstehen, wo nicht, so ist's mir leid, ich weiß nicht, ob mehr um Ihren Verstand oder Willen.

Da der Ritter auf diese lange, harte Rede nichts antwortete, fuhr der Pistolenmann, wie es schien, noch mit mehr Festigkeit fort, wie folgt:

Mit Recht verlangten Sie meine Vollmacht zu meiner Frage; haben jene Höhlenunbekannte die ihrige gezeigt? Was für eine Bürgschaft leisteten sie, ob der so großen Verheißungen, die sie vorspiegelten? Gaben Sie nicht schon dadurch, daß Sie die Befehle dieser Unbekannten befolgten, jedem andern das Recht, sich über Sie Zumuthungen herauszunehmen? Macht's die Art, sich auszudrücken? Nichts ist[73] leichter, als über Dinge, die wir nicht kennen, der Einbildungskraft, nicht Gedanken, sondern eine Art von Gedanken zu leihen, und die Bibelausdrücke, die ein Recht auf unsere Ehrerbietung von Kindesbeinen erlangten, in dieß Garn zu ziehen. – Sie sind alle Grabe in der Maurerei durchgegangen; was ward Ihnen dafür? Sie entdeckten selbst Ihrem Johannes, dem Vertrauten Ihrer Seele, nichts von Ihrer Höhleneinladung, und hielten Ihre Verpflichtung gegen unbekannte Einladung höher, als die gegen Ihren Freund, der nur den einen Fehler hat, daß er nichts mehr, nichts minder von jeder Sache sagt, als was er davon begriffen hat. – Freilich, ein großer Fehler! Nicht aber auch die beste Anlage zum Redner, wenn anders Redner nicht, wie Poeten, in jedem wohleingerichteten Staate bürgerunfähig sind? Ließ sich Sokrates in Mysterien einweihen, obgleich seine Weigerung einige Zweifel in Absicht seiner Religion erregte, und obgleich man Gelegenheit nahm (um christlich zu reden), zu behaupten, daß er nicht zum Abendmahl ginge? Darf man bei einem guten Wein Kränze aushängen? Man befragt das Orakel nicht ungestraft; und wer erreichte je einen heiligen Ort und eine mystische Stelle, ohne zu verlieren – wäre es auch nur – Geld! – Das heißt, Viel und Wenig, je nachdem man es anzuwenden versteht. Erhielten nicht in der Maurerei falsche Spieler, Ehebrecher. Betrüger Zutritt, wenn dagegen der Mann von Kopf und Herz auf die Ehre der Aufnahme völlig Verzicht that, oder bei Ertheilung der höheren Grade so gutwillig zurückblieb, daß man wohl einsah, er sey nicht begierig, mehr Vorhänge aufzuziehen? Dieß ist der Gang aller Mysterien, so alt und so jung, so wichtig und so unwichtig sie seyn mögen. Wäre Johannes Ordensmann, wenn die Herren zum hohen Licht ihn nicht, bei all seiner Finsterniß, nöthig hätten? Würde er Ihnen in Sonneneinladungen nachstehen, wenn er minder ein offener Mann wäre? – Freund! erwiederte der[74] Ritter, auch dem Schicksale, selbst wenn es uns verwahrlost, muß man Wort und Treue halten; – – und schwieg. – Und schwieg. –

Diese lange Rede hatte ihn in weit größere Verlegenheit gesetzt, als die Pistolenbravade und als die Unterredung mit dem Fremdlinge; denn außerdem, daß sie mit den Bedenklichkeiten übereinstimmte, die Ritter und Knappe unter einander gewechselt hatten, lag nicht der größte Theil derselben in der Natur der Sache? Später besann sich der Ritter auf das Trostwort, daß der Glaube durchaus eine Sache sey, über die uns niemand zur Rede und Antwort stellen könnte und woraus keine Folgen zu ziehen wären. Nicht jeder Mensch sey an Major, Minor und Conclusio gebunden. Es hat Menschen gegeben, sagte er, die nicht wußten, was sie wollten, und doch große Männer wurden. – Sowohl Ignatius Lojola als Zinzendorf waren inconsequent; doch schlugen ihre Schüler in dieses Chaos Licht und Leben. Wenn ich zu Petern ein Zutrauen habe, so kann Paul nicht das nämliche fordern. – Manche Menschen thun alles, was sie thun, Gutes und Böses, als Ausnahme; manche thun alles nach der Regel. Sokrates, einer der edelsten unter den Menschen, hatte, außer seiner excolirten Vernunft und seiner Weisheit, den untrüglichsten Wegweisern, noch Einen Dämon, der ihn nicht antrieb, sondern zurückhielt, der schwieg, wenns gelingen sollte, und sprach, wenn ein mißliches Ende bevorstand. – Es gefällt mir nicht an Sokrates, in Beziehung auf diesen Dämon, daß er keinen, auch nicht den vertrautesten seiner Schüler, auf Tabor führte, um ihm seinen Dämon erscheinen zu lassen;

daß er zu viel und zu wenig über diesen Dämon sprach;

daß er sich sogar zu Hokuspokus herabließ, und z.B. im tiefsten Nachdenken, in der größten Sonnenhitze stand, und so bis an den folgenden Tag verweilte. – Wer kann so lange ungestört[75] nachdenken? und mit der Wahrheit, ihrem Urquell, der Gottheit, ober seinem Schutzgeist, anhaltend sich beschäftigen? So du betest, gehe in dein Kämmerlein, schließ die Thür zu, und laß dein Herz reden.

Und wie? legte Sokrates sich nicht sogar einen göttlichen Vorzug bei? Er der nichts zu wissen behauptete, konnte behaupten, die Götter ließen ihn ein Blatt in den Büchern der Vorsehung lesen.

Darum ist indeß nicht allem Unbegreiflichen das Leben abgesprochen. Sokrates ließ sich nicht in die Gäng- und Gäbemysterien einweihen; indeß machte er selbst Mysterien, wozu er keinem den Schlüssel gab. Vielleicht füllte dieser Umstand vorzüglich den Giftbecher, den er leeren mußte. – Ist die Gottheit ferne von einem jeglichen unter uns? Leben, weben und sind wir nicht in ihr? Können wir uns einbrechen, wenn wir Millionen und abermal Millionen Welten und ihre Sonnen am Himmel sehen, in diesem Anschauen verloren, zum Schöpfer zu dringen und zu glauben, wir schauen auch ihn? Können wir uns entbrechen, zu ihm zu beten und unsern Geist zu erheben zum Geiste der Geister? – Ists in dieser Begeisterung unmöglich, einer Art von Eingebung gewürdigt zu werden, und durch schnelle Einsicht, durch Ueberschauung einer Sache und ihrer Folgen, eine Erscheinung zu haben? Von diesem Lichte, wie viel fehlt zum wirklichen Umgange unseres Geistes, wenn gleich er noch bekörpert ist, mit unbekörperten Geistern? Jene Schnellkraft und Richtigkeit im Urtheil, ist sie von Prophetengabe und Wahrsage weit entfernt? – Wenn man, heißt es, den Erfolg des Nachdenkens und der Weisheit, oder eines glücklichen Zufalls, der zwar gemeinhin den Thoren begegnet, doch aber zuweilen auch den Weisen aufsucht, auf die Rechnung einer übernatürlichen Wirkung setzt, sey man ein Schwärmer. Wer kann aber sicher in seinem Urtheil seyn, ob es Zufall, Erfolg[76] des Nachdenkens und der Weisheit, oder – ob es was anders war? Ach Pistolenfreund! in jeder reinen Tugend sehen wir Gott! Sie stärkt und kräftigt und gründet uns, um zu Wesen uns zu gewöhnen, denen diese durch Kämpfe und Aufopferungen erungenen Siege eine Wonne zu schauen sind. – Der kindliche Sinn, wozu diese hohe Weisheit sich gewöhnt, versteht die Kunst, alles Fremdartige und jede Nebenumstandsache zu entfernen, und oft schon auf den ersten Blick zu finden, worauf es ankömmt; sollten seine Vermuthungen, aus der reinsten Absicht gefaßt, viel weniger als Vorhersagungen seyn? In der Maurerei stellt jeder sein Ziel sich selbst auf; und wenn gleich ich weder Sophien noch manches andere fand, was ich suchte, fand ich nicht mehr als Freund Bruder Johannes? Unter den Zwölfen war Judas; kann man in irgend einer Gesellschaft auf lauter Johannes und Petrus rechnen, obgleich auch dieser letzte, wenn gleich er bis Tabor kam, ehe der Hahn dreimal krähte, seinen Meister dreimal verläugnete. Verweigert man den Großen der Erde, sie aufzunehmen, so verfolgen sie den Bund; nimmt man sie auf, so erniedrigen, so entwürdigen sie ihn. – Was thut's? Kein guter Same, verstreut oder ausgestreut, bleibt ohne Frucht. – Die Folgen alles Guten sind so ewig, als die Folgen alles Bösen. – Heil dem guten Samen, wenn er das Unkraut überwächst! – Nicht brauchen alle Brüder diese großen Absichten zu bewirken. Eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond, eine andere Klarheit haben die Sterne, denn ein Stern übertrifft den andern an Klarheit. Wenn Sie Maurer sind, dürfen Ihnen diese Worte voll Maurer-Hieroglyphen nicht gedeutet werden. Das Beispiel lehret mehr, als das Gesetz. Freilich scheint das Menschengeschlecht noch nicht viel weiter. Sokrates soll gesagt haben, wenn die Gottheit nicht einen Abgesandten an die Menschen, mit seinem näher erklärten Willen, herabsende, – sey zu ihrer wirklichen Vervollkommnung[77] keine Hoffnung. Heiliger Sokrates! Haben wir nicht Mosen und die Propheten in uns, Gesetz und Evangelium? – Um dieß Buch, das in uns liegt, zu lesen, dürfen keine Wesen höherer Ordnung das menschliche Geschlecht unterrichten. Unser Lehrer, der heilige Geist, der in uns ist, kann und will er uns nicht in alle moralischen Wahrheiten leiten? Freilich gibt es Fragen, nach deren Beantwortung sich auch diesseits der Denkende, der sich unterscheidende Mensch, der Seelenflügelmann sehnt: Wo kam ich her? wo gehe ich hin? wie war's? wie wird's seyn? Ach Freund! dergleichen Fragen mit Bescheidenheit von Auserkornen gethan, sind sie Verbrechen? Sind sie Ungezogenheit und unanständige Näscherei? Macht ein ausgehangener Kranz den guten Wein schlechter? Wenn die Einladung an die Straßen und Zäune ergeht, ist sie nicht für den Blöden fast nothwendig? Und ist die Tugend den Blöden nicht hold?

Der Pistolenmann wollte einfallen, doch fuhr der Ritter fort: Ihre Einwendungen sind stark, der Ton Ihrer Stimme ist nach einem schwülen Tage schöne Abenddämmerung worden. – Doch glaub' ich mich an dem Zufall zu versündigen, wenn ich ihn nicht benutze, und eben, weil ich nichts dazu beitrug, bin ich verpflichtet, ihn als höheren Fingerzeig anzusehen. – Wo lebt der Mensch, der ohne Täuschungen wäre? Sind sie zu verachten, wenn sie Folgen eines angestrengten Nachsinnens, einer Gott ergebenen Seele, eines reinen Wandels sind? – Hypothesen sind Wesen, die vater-und mutterlos sind, die indeß Vernunft und Erfahrung zu natürlichen Vormündern haben.

Der Frager seufzte, schwang sich auf sein Pferd, und einer verlor sich nach dem andern von diesen drei Männern. Ein musterhaftes


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 72-78.
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