§. 113.


Testament

[84] eröffnet haben würde. – Um sieben Uhr kam Michael von selbst; eben da er ihn rufen wollte. Du kommst wie gerufen, sagte der Ritter. Riesen Sie denn nicht? erwiederte Michael. Mit meiner Seele, versetzte der Ritter. Siehe da! meine Stunde ist kommen. Wisse, von dem, was du bis jetzt nicht wissen konntest, – – einen Theil. Wer bei wenigem treu ist, wird über viel gesetzt zu seiner Zeit. – Herzlich wünschte ich hinzusetzen zu können: Gehe du auch ein zu deines Herrn Freude! Doch ist deine Stunde noch nicht kommen. Vorerst falle die Binde von deinen Augen, und wenn du je deinen Herrn geliebt hast, beweise ihm diese Zuneigung jetzt, da er sie von dir, aus Ordenserkenntlichkeit, zu fordern glauben darf.

Schmeichelei, erwiederte Michael, ist eine Münze, mit der man am leichtesten seine Rechnung bezahlt; ich bin nicht für diese Münze. Nie werde ich vergessen, daß ich durch so viele Maurergrade durch Ihre Güte und Fürsprache geleitet ward; und wenn ich gleich keine Kiste voll Ordensbänder und Kleinodien besitze, die bei Bruder Johannes, außer dem Kreuze auf der bloßen Brust und dem Stern auf dem Hintertheil der Weste, deponirt sind, habe ich[84] nicht so viel gesehen und gehört, daß, wenn ich auch nur den ueunundneunzigsten Theil davon Gamalieln zuwenden könnte, ich ihn glücklicher machen würde, als einen König, und mich eben dadurch noch mehr?

Michael, denke nicht an das, was dahinten ist, sondern strecke dich nach dem, was vorn ist – antwortete der Ritter. Es ist mir vergönnt, dich an meiner Berufung Theil nehmen zu lassen, zu der ich mich, wie du weißt, durch Fasten leiblich bereitet habe, und jetzt geistlich bereiten will. Ich hoffe, die Zeit ist erschienen, daß ich nach Entsündigungen und Läuterungen, Licht schauen werde. Licht, Michael, ist Weihwasser der Seele, wodurch sie gereinigt wird, um mit Wesen höherer Ordnung bekannt zu werden.

Wahrlich, es ist einmal Zeit, sagte Michael, daß das Licht, das sich so lange unter Wolken hielt, Ihnen endlich Gerechtigkeit erweise. Schon oft hat seine Aechtheit mir verdächtig geschienen, da es Sie übersehen konnte. Es ist nicht richtig gesagt, doch es ist richtig gedacht, daß Licht sich selbst nicht selten im Lichte stehe; wäre sonst die Welt nicht längstens erleuchtet? – Alles hat seine Zeit, sagte der Ritter, Finsterniß und Licht. Lange war Chaos, ehe Licht ward. – Warum Abschweifung? Ich gehe, frage nicht, wohin? wo ich aber bin, soll mein Knappe auch seyn!

Michael war außer sich dieser Verheißung halber, ergriff die Hand seines Herrn, die er mit Thränen benetzte und fest an sein Herz drückte. Lesen Sie, gnädiger Herr! mehr konnte er nicht. – Etwa wieder eine Blutschrift? – Allerdings, wiewohl anderer Art.

Der Seelenhirte hatte einen Brief verloren, und da er auf fallend von der nämlichen Hand als die Anweisung geschrieben war, war es dem Ritter zu verdenken, wenn seine Knie wankten? Dieser Brief


[85] An den Bruder Aeion!


Theophil ist in der Probe geblieben. Wir haben ihn gezwungen vor seinem Ende von seiner Mutter schriftlich Abschied zu nehmen und ihr zu betheuern, daß ein Gallenfieber die Ursache seines Todes gewesen sey. Dir aber liegt ob, mit einem der Unsrigen seinen Leichnam (es waren Chiffern). Jetzt wird sich seine Geliebte wohl bequemen (wieder Chiffern). Feder und Tinte ist ein erlaubtes Gift, das schon manchen ins Grab brachte, ehe sein Stündlein vorhanden war, und eine Arznei, die von den Todten erweckt. – Den Feigen lehrt die Noth beten, den Weisen die Freude, gewisse Arbeiter im Weinberge die Politik. – (Chiffern.) Wer in allem die Probe hält, wird der auf dem Probirsteine der Liebe unächt seyn? Ein Wort zu seiner Zeit ist ein Stein Davids, um Goliathe zu stürzen. Was den Berufenen betrifft, so sind die Anzeichen des Schutzgeistes bedenklich und schwankend. – Die Berichte der unsichtbaren Vollendeten setzen es auf nähere Proben aus (Chiffern). Würde dieser Siebente, wie es fast scheint, verworfen, wer ist mehr zu bedauern, er oder sie? – Wahr ist es, sie ist ein Engel. – Vergiß des Athleten nicht, der das Unglück hatte, seinen Gegner beim Ringen zu tödten, und der, da die Richter ihm die Krone verweigerten, seinen Verstand verlor. Viele berufen, wenig auserwählt. Gegeben im Rath der zwölf Aeltesten, die auf Stühlen sitzen (Chiffer).

Daß dieser Uriasbrief dem Helden nicht gleichgültig war, versteht sich von selbst. – Ob er gleich die Deutung nicht machte oder machen wollte: Du bist der Mann des Todes; so trafen doch einige Umstände den rechten Fleck im Herzen, das, wie bekannt, ein trotzig und verzagtes Ding ist; wer kann's ergründen? Nach einer kleinen Erholung fing der Ritter an, wie folgt:

Die Schrift mit deinem Blute geschrieben ist nicht der kleinste[86] der vielen Beweise deiner Liebe. Ich würde mich mehr als dich zurücksetzen, falls ich diese Liebe nicht mit Gegenliebe erwiedern sollte. Wenn ich dir nicht dienen wollte, wäre ich werth, daß du mein dienen der Bruder bist? Mein Diener warst du nie. – Die Progression ist dir bekannt, nach welcher ich im Orden gedacht und gehandelt habe; und wohl mir, daß ich dir meinen jetzigen Vorsatz entdecken darf, den ich, will's Gott! nach drei Stunden auszuführen beginnen will und muß. Muß? griff Michael ein. Muß, erwiederte der Ritter. Setzt man den Mittelpunkt nicht in die Mitte, wie kann man eine deutliche Idee vom Umkreise haben? So wie die Radien eines Cirkels auf den Mittelpunkt desselben sich beziehen, so ist der Mittelpunkt der Zweck, worauf alles angelegt wird, und Mittelpunkt und Umkreis gehören zu jeder deutlichen Vorstellung. Zweifelst du noch am Muß? Nicht im mindesten, sagte der Knappe. Wir suchen Ueberzeugung aus sinnlicher Erfahrung, und Evidenz, da wo sich andere zu glauben begnügen. Der Mond befördert die Aushauchung der Lebenslust aus den Pflanzen nicht; hierzu wird nicht allein Licht, sondern auch eine bestimmte Wärme erfordert. – Was hilft Vernunft ohne Empfindung? Auch der Glaube thut's so wenig, wie das Wasser bei der Taufe. Mit dem lieben Glauben! Würden, wenn er nicht bloß Vorgabe wäre, die Herren Geistlichen, bei einer lebendigen und evidenten Ueberzeugung von der künftigen Welt, so sehr am Irdischen hangen? Was gilt dieses Sandkorn Leben gegen den Montblanc der Ewigkeit? – Dein Gamaliel selbst würde so ordenslüstern nicht seyn, wenn er wirklich glaubte. Alle Gläubigen, guter Michael, wenn sie gleich Mosen und die Propheten haben, sehnen sich nach Erscheinungen; und wenn einer von den Todten erstände, und sie von der andern und dritten, und vierten und fünften Welt u.s.w. überzeugte, glaube mir, dann erst würden wir sehen, was Ueberzeugung ist, und was sie wirkt. Sehen ist der edelste Sinn, dessen sich der[87] höchste Geist nicht schämen darf. Das Licht zu jedem Chaos ist doch Sinnlichkeit, so wie der geistige Ausdruck, wenn er treffen soll, sinnlich ist. Gesetzt, Michael, meine Ordensuhr schlüge unrichtig; nicht wahr, wenn sie nur richtig zeigt? Wie man es nimmt, gnädiger Herr, sagte Michael, ich weiß nicht, was minder übel ist, taub ober blind seyn. Ohne auf diesen Streifzug zu merken, fuhr der Ritter fort: Die Mysterien, denen ich zueile, sind, so wie alles, was göttlich ist, nicht an Geburt, Stand und Reichthum gebunden. Menschen machten Stände, die Gottheit schuf uns gleich. Nur daß du von Stund an mit verdoppelter Treue deine Seele in deinen Händen trägst, und dich aller Unreinigkeit und aller Speise und alles Getränkes enthältst, das zum Essen und Trinken reizet. Mit leichter Ladung und leichten Segeln, das heißt, mit Mäßigkeit und gutem Gewissen, fährt der Weise. Eine glückliche Reise! – Die Feste des Saturn sind die gemeinsten; es gibt Nektar und Ambrosia, Seelenspeise und Geistertrank. Zu diesen Festen schicke dich an, und dein tägliches Gebet sey: laß, wenn ich strauchle, wenn ich falle, nicht Feinde, sondern Freunde mich einlenken; laß mich nicht in die Hände der Menschen, sondern in die Hände, in die Zucht des Gewissens fallen. So richte deine erste Vorbereitung ein, und sie wird dir die andere, wie ich nach der Liebe hoffe, erleichtern! Schon der Maurerorden verstand das Geschenk jenes Schülers der Weisheit, der nicht Silber und Gold hatte, und sich selbst gab. »Ich bin arm, allein ich bringe mich dir. –« Die Menschheit ist wahrlich eine große Brüderschaft, unter die Gott die Erde getheilt hat!

Voll Rührung griff Michael in diese Rede, und war bis zum Verstummen dankbar, daß sein Herr die außerordentliche Güte haben wollte, in Trophonius Höhle nicht allein zu Schaden zu kommen, und daß auch er an der Ehre Theil nehmen sollte, den Hals zu brechen. »Wie sollte ich's nicht mit Freuden,[88] dachte er, in so guter Gesellschaft?« Dieser Gesinnungen ungeachtet konnte Michael (der den Rausch des Hochzeittages mit der Zofe völlig ausgeschlafen hatte) nicht umhin, dem Ritter noch einige Bedenklichkeiten zu wiederholen.

Dieser verwies ihm sein Mißtrauen mit edler Sanftmuth. Gehorsam ist besser als Opfer. Gehorsam ist Selbstopfer; ihn ohne äußern Zwang zu bewirken, ist das Geschäft des Weisen; ihn ohne Zweck zu leisten, die Würde des Tugendhaften. Die Hoffnung, fügte er hinzu, dieser Bote der Unsterblichkeit, dieser Engel Gottes wird mich leiten und stärken auf den finstern Pfaden zum Ziele. Weiß ich nicht, was jener Alte (Diogenes) sagt: Der berühmte Räuber Patäcion ist ein Eingeweihter; Epaminondas und Agesilaus sind es nicht, und wollten es nicht seyn! – Wir denken nicht alle gleich; und ist es nicht gut, daß wir insgesammt denken, nur ein jeder anders? – Gift ist oft die wirkendste Arznei, und Trübsal und Angst Richtsteige zur Verklärung. Zweifel läutern unser Wissen, Leiden das Gold unserer Tugend; das Nichtwissen des Sokrates ist vom Vielwissen abgezogen. – Wird nicht Gold, so wird Porcellan. – Und was beabsichtigten wir mit unsern Kreuz- und Querzügen, die es gewiß weder auf eine einförmige Seereise, noch auf eine Wiesenaussicht anlegten? – Kein wohlgezogener Mensch erlaubt sich Ausbrüche der Freude (ich wette, du schämst dich des Phantasie-Hochzeitschmauses mit der Begleiterin); warum sollte man sich Ausschweifungen in der Traurigkeit und in der Furcht gestatten? Nur Kranke können nicht Kälte, nicht Wärme ertragen. Gott ist mächtig in den Schwachen; oft ist der Mensch in der Schwachheit am stärksten, und in der Verzweiflung vermag er alles. Kein Kreuz ist so arg, wo die Hoffnung nicht die Präscription unterbricht, und uns an Eldorado erinnert, das oben oder unten ist. Sey getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.[89]

Wer nach diesen Todesbetrachtungen den Tod noch fürchten kann, erwiederte Michael, ist der Furcht nicht werth; – kann man weniger werth seyn? Ich fürchte den Tod nicht; doch fürchte ich ihn, ehe Ew. Gnaden Sophien, und ich die Kammerzofe kennen gelernt, und wir mit den Königinnen unserer Herzen, wenn Gott will, füufzig Jahre glücklich durchlebt haben.

Wie? Michael, rief der Ritter; hast du in so viel Schulen der Weisheit noch nicht gelernt, dich ganz und gar von der Sklaverei des Todes zu befreien? Heißt bedingt fürchten nicht fürchten? Erinnerst du dich nicht der Geschichte, welche der Seelenhirte uns so eindrucksvoll erzählte? – Als die Meister Hirame den Tempel zu Delphi vollendet hatten, und den Apoll um Belohnung baten, was erwiederte der Gott auf ihr Gebet? Sie würden ihren Lohn nach sieben Tagen empfahen. Am Ende des siebenten Tages überraschte sie der Tod in einem sanften Schlaf. Ei, ihr frommen und getreuen Knechte, ihr seyd über wenig treu gewesen, ich will euch über viel setzen; gehet ein zu eures Herrn Freude. Die Liebe, welche zwei Brüder ihrer Mutter bewiesen, als sie sich einspannten und sie zum Tempel zogen, rührte die Alte so, daß sie die Götter anflehte, diese kindliche Treue zu vergelten. Sie fanden ihren Tod im Schlaf. Wer in seinem Beruf sein Leben verliert, erhält es für eine bessere Welt; und wer nicht Pilger und Bürger zu seyn, unter Menschen zu Hause zu gehören, und unter Menschen ein Fremdling zu bleiben versteht, verkennt seine diesseitige und jenseitige Bestimmung. Zeno von Citium, der ein Rheder war, hörte von dem Verluste seines unaffecurirten Schiffes; und wie glücklich machte ihn dieß Unglück! Er ward aus einem Rheder ein Philosoph. – Von Helden, die nicht für Grillen ihres durchlauchtigsten Befehlshabers, sondern für ihr Vaterland das Leben ließen, heißt es im Geist und in der Wahrheit: Sie sind geblieben! geblieben im ehrenvollen Beruf, geblieben im ewigen Andenken der[90] Ihrigen. – Auch wir, Michael, wenn es die Vorsehung will, die alles wohl macht, daß wir in der Lehre bleiben; Sophie und ihre Zofe, meine Mutter und die Nachbarschaft, Johannes und noch viel andere Freunde und Freundinnen – werden sie uns vergessen? Werden wir nicht bleiben in ihrem Andenken im Segen? – Die bittersten Spötter könnten auf unsere Leichensteine nichts mehr schreiben, als: Sie glaubten Eldorado schon auf Erden zu finden, und Eldorado ist unter der Erde! – Ach! Michael, ich habe Stunden, wo ich die Wahrheit lebhaft empfinde; nur oben ober unten ist Eldorado. Ihre Worte des Todes, gnädiger Herr, sagte Michael, sind mir Worte des Lebens, und es fehlt nicht viel, daß ich mich stark genug fühle, mit dem Apostel (der zu einer andern Zeit überkleidet zu werden wünschte) zu sagen: Ich habe Luft abzuscheiden. – Doch ist der Laurer gleich einem Diebe zu meiden; jener bringt uns um uns selbst, dieser um Sachen. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme Schaden an seiner Seele? Ew. Gnaden besitzen so viel Seelenglück, daß Sie mit den Gebietern der wunderbaren Höhle sich weislich werden einverstanden haben. Einverstanden, griff der Ritter ein; ich bin gesichert durch Unterpfand. Seit der Berufung zu diesem großen Werke geleitet mich ein Geist, der auch jetzt mitten unter uns ist.

Den Ew. Gnaden sehen?

Den ich nicht sehe.

Doch sehen werden?

Von Angesicht zu Angesicht.

Bei meiner armen Seele! ich wünschte lieber heut als morgen.

War sein Einfluß auf unserer wunderbaren Wallfahrt im unerklärbaren Zuvorkommen nicht handgreiflich? Leitet nicht schon in dieser Welt der Weise alles? Verehrt man ihn nicht doppelt, wenn[91] er einem andern den Schein und die Sichtbarkeit abtritt – und durch ihn die Honneurs machen läßt?

Diese Spuren jener Leitung durch unerklärbares Zuvorkommen konnte Michael, der an sich sehr geistergläubig war, nicht läugnen. Sein letzter Einwand: es sey schwer zu fassen, daß Menschen durch eine höhere Geschöpfsgattung begleitet würden, falls es unter Engeln, Klassen und herrschende und dienende Brüder gäbe, war nur ein schwacher Behelf.

Michael (erwiederte sein Herr), du denkst zu gut und zu schlecht von Menschen. Menschen können so weit kommen, daß sie die Tugend der Tugend halber lieben, und sie thun, um sie gethan zu haben; die Menschen sind, bloß um Menschen zu seyn! Da freuen sich Geister, daß Menschen in eben dem Grade gute Menschen sind, als sie gute Engel: und willst du ihnen diese Freude mißgönnen? Nicht immer aber ist Menschen als Menschen, sondern gewissen durch diese Menschen auszurichtenden Thaten ein himmlischer General-Adjutant beigeordnet. Das Christenthum nicht allein, auch das heidnische Alterthum glaubte Schutzgeisterschaft. Die Behauptung des Menander, jedem Menschen würde bei seiner Geburt ein guter Dämon, und die des Empedokles, es würden ihm zwei von verschiedener Art beigeordnet, scheint sie so unrecht? – So sokratisch es übrigens war, daß ich in den letzten Stunden meines Hierseyns mich nicht mir selbst überließ, so ruft mich doch jetzt mein Schicksal. – Es geht auf Hochmitternacht. – Wir scheiden.

Michael seufzte – Gott! mit Thränen im Auge. Uns scheidet nur der Tod, sagte der Ritter. Auch der Tod nicht, gnädiger Herr! er wird gewiß so gütig seyn, mich bei Ihnen zu lassen. Ich will mich mit Blut verschreiben, auch dort Sie zu begleiten. Bin ich nicht so einsichtsvoll wie Ihr Schutzengel, an Treue weiche ich ihm nicht!

Guter Michael! treuer Begleiter! Freund und dienender Bruder![92] Du kennst mich. Ich bin keiner von jenen Unempfindlichen, denen ein Freund so aus dem Herzen wie ein Stück Eis aus den Händen schlüpft; keiner von jenen Gleichgültigen, die sich an Menschen bloß gewöhnen, die sie alsdann oft weder lassen noch behalten möchten. – Was ich bin, bin ich ganz, und die Quintessenz meiner Neigung zu dir – darf ich sie wiederholen? Es ist ein Zeichen eines guten Kindes, wenn es begehrt, daß die Amme auch der Puppe die Brust gebe. Und wenn ich dir sage, daß wo ich bin, auch mein Begleiter seyn soll, – ist es nicht mehr als Amme, Kind und Puppe? Ich übergebe dir hiermit feierlich eine schriftliche Zusage, daß so viel an mir ist, die Kammerzofe die deinige werden soll. Nicht mit Blut ist sie geschrieben, doch floß sie aus meinem Herzen. Ich küsse dich dreimal! Gott segne uns!

Michael war außer Fassung. Nach einer Weile bedauerte er schluchzend, daß seine leiblichen Dienste neunmal neun Stunden aufhörten; meine geistigen, setzte er hinzu, sollen nicht aufhören für und für. Er übergab seinem unsichtbaren Collegen seinen, wie er sich ausdrückte, ewig theuern Herrn, den er von seinen Händen fordern würde; – von seinen Händen, wenn er Hände hätte, wo nicht von seinem ganzen Wesen, ohne das, was ist, nicht seyn kann. – Vergeben Sie mir, gnädiger Herr, fing er wieder feierlich an, alle meine Fehler, meine Vorschnelligkeit, meine Schwatzhaftigkeit und alles, was noch sonst sich auf keit endet und enden könnte, in soweit es Ihnen zuwider seyn konnte und zuwider war. Mein Herz war an keinem dieser keiten schuldig. Auch verheiß' ich –

Verheiße nichts, guter Michael! du wirst ohne Verheißung erfüllen; dein glühendes Gesicht spricht lauter als Worte. Ohne Zweifel gehörte vieles auf meine Rechnung, womit ich die deinige belastete. Lebten die Menschen mit ihren eigenen Leidenschaften beständig im Kriege, und mit den Leidenschaften anderer in ewigem Frieden, wieviel besser stände es mit der Welt! Laß uns bei dieser[93] feierlichen Gelegenheit, da wir einander beichten und absolviren, da wir scheiden und nicht scheiden, uns trennen und auf ewig verbinden; – laß uns die festen Gelübde erneuern, so wie die Laster und Thorheiten ritterlich und knappelich zu bekämpfen, so die Schwatzhaftigkeit, diese niedrigste von allen Leidenschaften. Siehe! ein Schwätzer ist ein Verräther, der nicht bezahlt wird. Es scheint, edle Menschen sind im Reden unsere Lehrer, die Gottheit aber im Schweigen. – Bei den ältesten Einweihungen zu Mysterien ward Stillschweigen gelobt und geboten. – Fürwahr wunderbar! sagte ein Schwätzer einem Philosophen, der ihn anhörte. So wunderbar nicht, erwiederte dieser, als daß, der dich hört und Beine hat, nicht davoneilt als hätte er Flügel. Das ist der gewöhnliche Lohn der Schwatzhaftigkeit. Nicht wahr, ich habe dir lange Weile gemacht? fragte ein Plauderer den Aristoteles. Nein, erwiederte dieser, ich habe dich nicht gehört.

Weiß ich's nicht, gnädiger Herr? Und unvergeßlich ist mir der Vergleich meines Gamaliel, der ihm vielleicht jetzt am theuersten zu stehen kommt. Ein Schwätzer ist wie ein Vogel, der alles im Schnabel trägt, sagte Gamaliel. Flößt er es den unbesiederten Jungen ein, immerhin! – jedem andern ekelt vor dieser losen Speise. Amen! erwiederte der Ritter, und nun empfange mein Testament.

Es gibt Dinge, in welche sich die Vernunft mit ihren Einwendungen so wenig einmischen sollte als der Staat in Privatangelegenheiten. Nicht in jedem Klima reisen Menschen, nicht in allen Lagen blühen sie in ihrer ganzen Schönheit auf.

Erbrich nach neunmal neun Stunden, von 12 Uhr Nachts an gerechnet, dieses Blatt, falls ich während dieser Zeit dich nicht sehe. Gott lohne dir deine Treue, guter Michael! – Grüße meine Mutter! tröste sie! tröste Sophien! Ich muß – ich fühl' es – ich muß! – Schwer liegt es auf mir! – Ginge ich nicht, ich[94] verlöre den Verstand wie der Athlet, der seinen Gegner tödtete. Lebe wohl! Verdammt sey jeder Blick, der mir nachspäht! – Weg war er. Michael vermißte ein paar Taschenpistolen und einen


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 84-95.
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