§. 112.


Zettel

[80] ward dem Ritter behändigt, dessen Inhalt ungefähr folgender war: Sie sind im Orden verloren. Kehren Sie so schnell heim, als ich diesen Gasthof verlasse, wenn Sie von meiner Bemühung, Ihr Freund zu werden, ächten Vortheil ziehen wollen. Ich bin so[80] wenig ein Ordensvertrauter, daß der Orden keinen ärgern Verfolger hat; ich bin Ordens-Saulus, ohne je Paulus werden zu wollen, noch zu können. Rache ist süß! Ich habe Sie aus Liebe zu Ihnen und aus Haß gegen die Verbindung, in die Sie treten wollen, hintergangen. Kann dieß hintergehen heißen? Dem Orden den Plan zu verderben, zu dem man es mit Ihnen anlegte, eile ich, von Ihrer Beichte Gebrauch zu machen und sie insgeheim und öffentlich mitzutheilen. – Zu Ihrem Glück ward ich dieser Verräther. – Man liebt Verrätherei und haßt Verräther. Hassen Sie mich, wenn Sie's können. Ich rette Sie, das ist Ihr Glück; ich räche mich an dem Orden, das ist das meinige.

Bestürzt und wie vom Blitz getroffen rief der Ritter den Knappen. Laß uns, sagte er, dieß Haus verlassen. Vortrefflich, erwiederte Michael. Hier wohnt Verrätherei, fuhr der Ritter fort. Und Hungersnoth, beschloß Michael, der noch nichts zu essen, noch zu trinken habhaft werden können. Man beschloß einmüthig, wiewohl nach einer langen Disknssion, in den Sperber einzuziehen. Der Gasthof zur Krone, welchem man den Spitznamen der Affe beigelegt hatte, stritt lange mit dem Sperber, und war an jener langen Diskussion Schuld; – zwar nicht wegen des eigentlichen, sondern wegen des Spitznamens. Drei Thiere, sagte der Ritter, zur Fabel und zur Wahrheit zu gebrauchen. Es blieb beim Sperber. Michael bezahlte den Löwenwirth, und in einer Stunde waren Ritter und Knappe im Sperber, wo der Wirth den Ritter versicherte, daß ein Geistlicher schon für ihn und sein Gefolge Zimmer und Stallung besprochen hätte. Seit wann? – Seit drei Tagen. – Und dieser Geistliche? – Logirt Numero Neun. Ihr Zimmer ist Sieben. Nach etwa neun Minuten erschien dieser Geistliche mit offenen Armen. Der Ritter, aus Schaden klug geworden, war so zurückhaltend, daß der Geistliche nicht früher,[81] als bis er ihm einen Brief von der nämlichen Hand, als die Einladung war, übergeben hatte, seine Zunge löste. Hier ist der Brief:

Kannst du morgen bei Sonnenaufgang beten, – und ist dein Schutzgeist nicht unzufrieden mit dir, den du vor dem Gebetversuch zu befragen hiermit angewiesen wirst, so folge dem Seelenhirten, der dich zur reinen Quelle zu leiten gesendet wird. Wache und bete!

Der Ritter verlangte Frist bis morgen früh, um sich mit dem Seelenhirten einzulassen; und dieser? spannte alle Segel der Beredsamkeit an, um den Ritter zu bestimmen, in feinen Hafen zutrauensvoll einzulaufen. Sobald der Ritter von seinen erlittenen Versuchungen anfing, bog der Seelenhirte weislich aus; indeß war der Ritter fest entschlossen, so lange mit ihm zu ringen und ihn nicht zu lassen, bis er ihn segnete. Der Seelenhirte gab nun zwar kein Wort auf die wunderbaren Vorfälle, doch konnte er sich nicht einbrechen, sein Haupt zu schütteln. Der Ritter zeigte ihm den vom angeblichen Ordensvertrauten erhaltenen Zettel, und der Seelenhirte, als thät' er's in Gedanken, zerriß ihn in neun Stücke, die er alle neun dem Vulkan opferte. Obgleich die Sonne des andern Tages nicht aufging, und dieser Skrupel unsern Ritter aus der Fassung bringen wollte, so war seine Seele doch schuldlos; und ist dieß nicht Gebet ohne Worte? – Sein Gewissen war ohne Wolken, welche diesen Morgen das Sonnenlicht verfinsterten; und wenn gleich es nicht jedermanns Ding ist, einen unsichtbaren Genius um ein Testimonium anzusprechen, so glaubte doch unser Held, desselben nicht unwürdig zu seyn, und dieser Glaube gab ihm Freimüthigkeit nicht nur vor Menschen, sondern auch (es war ein irrender edler Ritter) vor Gott! Sein Herz verdammte ihn nicht, wer konnte ihn verdammen? Jetzt begann die eigentliche Vorbereitung, mit einer Fastenempfehlung, bei der die Fische mehr noch als Fleisch widerrathen wurden. – Ueberhaupt war alles[82] Rath, nichts Anordnung im Munde des Seelenhirten; und doch hätte der Ritter eher zehn Befehle übertreten, als einen so aus dem Herzen kommenden und durchs Herz gehenden Rath. Wenn sich doch dieß unsere Seelenhirten von Gesetzgebern merken wollten. Unser Seelenhirte überließ seinem Schäflein von Ritter, ob er die dreitägige Fasten schon gleich im Sperber vollenden, oder dazu einen Flecken, etwa eine halbe Stunde von – entfernt, wählen wollte. Der Ritter, entschlossen seinen Aschermittwoch sogleich anzuheben, merkte dem Seelenhirten die Neigung ab, heute noch mit ihm Fleisch und Fisch zu essen; und so hielten sie denn ein Mahl mit Wohlgefallen, bei welchem der Seelenhirte so edel-ernsthaft blieb, daß er beim Ritter, von Schüssel zu Schüssel, von Glas zu Glas, gewann. Ein Umstand erschütterte den Ritter; und dieser? Die Erinnerung an den Jüngling, der, wie sich der Seelenhirte ausdrückte, mit Christo ungefähr in der Lage war, wie Sie mit mir. Dieser Jüngling besaß von seinem Schutzgeiste ein gutes Testimonium und Freudigkeit vor Gott. Er behauptete, alle Gebote gehalten zu haben, und doch stand er an, sein Hab und Gut zu verkaufen und es den Armen zu geben. Hätte der Jüngling, sagte der Ritter, Rosenthal gehabt, er würde es unbedenklich haben behalten können; es ist (freilich auf dem Papier) ein Heiligthum, ein irdisches und himmlisches Jerusalem. – Und Sophie? erwiederte der Seelenhirte. Wird an Sophien beim Jünglinge gedacht? Sie ist Schwester des Ordens der Verschwiegenheit, Mitglied der Adoptions-Maurer-Loge. – Ein Engel ist sie; wo sie ist, ist Eden und Himmel! Auch Eldorado? Nein! ehrwürdiger Vater, Eldorado ist oben ober unten. Wären aber mehr Sophien, würde nicht Hoffnung zu Eldorado auf Erden seyn? Der Seelenhirte ließ seinen Laien, wie Rechtens, allein fasten, und verließ ihn bald nach dem Fleisch- und Fischmahl, das sie gemeinschaftlich gehalten hatten. Nach drei Tagen, in welchen der Ritter gefastet[83] und sich geheiligt hatte, war er entschlossen, wiewohl ohne den Flecken zu berühren, wo er sein Fasten, wenn er gewollt hätte, eben so gut als in – hätte halten können, nach der Anweisung des Seelenhirten, ganz allein, zwischen eilf und zwölf Uhr Abends, zum geheimen Ort und zur mystischen Stelle zu wandern, wenn er zuvor Michaeln ein mündliches


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 80-84.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
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