122. Dritte Frage

§. 122.


dritte Frage

[129] betraf die Zahl der Stufen des Ordens. Der Greis beantwortete sie in der Art der Orakel, die mehr nehmen als geben. Es sind deren viele und wenige, sagte er; es hat sogar unter uns Ordensmänner gegeben, die in unsern Verbindungen nur die Bestätigung selbsteigener Kenntnisse suchten und sie fanden, zu denen indeß weder du noch dein Begleiter gehört. Jetzt Amen, mein Sohn.

Dem Ritter wurden die Augen verbunden, und er in die Kreuz und Quer geleitet. Diese gemachten Wege kamen ihm wenigstens so lang als eine Meile vor. – Jetzt nahm man ihm die Binde ab, gab ihm eine Leuchte und ließ ihn die nämlichen Stufen hinabsteigen, die er bei seinem Eintritt hinaufgestiegen war, bis er endlich an die Oeffnung kam, durch welche ihn nicht eine Diebs-, sondern eine heilige Leiter, etwa nach Art derjenigen, die dem Erzvater[129] Jakob im Traume erschien, wo die Engel auf- und abstiegen, auf Gottes gewöhnlichen Erdboden absetzte. Nicht überall, sondern nur da, wo es nichts zu steigen gab, begleitete ihn der Alte. – Gewiß wußt' er Richtsteige; und sind diese einem neunzigjährigen Greise zu verdenken? An der Oeffnung fand er ihn wieder. – Lebe wohl, Sohn, sagte er zu ihm, empfange den Gegen des Hierophanten, dessen ehrwürdiges Geschäft es ist, Menschen zu vergöttlichen und zu Mysterien einzuweihen! Wenn manches, was ich dir sagte, Knospen ansetzt, so pflege und nähre sie! Konx ompax! – Unten findest du einen Wegweiser! – Wo ist Eldorado? dachte der Ritter da er mittelst der Jakobsleiter sich auf der Erde befand, und unentschlossen blieb, ob er den Tag abwarten oder sogleich seinen Wanderstab weiter setzen sollte. Es war dicke Nacht. Den Wink wegen des Wegweisers hatte er nicht verstanden. Wo ist Eldorado, oben oder unten? dachte der Ritter unablässig, und wußte in der That nicht, ob er sich Glück wünschen oder es beklagen sollte, so und nicht anders aus den Händen der Bekannten und Unbekannten, Obern und Untern gekommen zu seyn. So stark sein Hang zum Wunderbaren auch war und bis diesen Augenblick sich erhielt, so gereuten ihn doch seine Reservate keinen Augenblick. Sophie, Mutter und Rosenthal lebten in ihm und dünkten ihm wichtig genug, das Opfer der allervorzüglichsten Stufe reichlich aufzuwiegen. Auch war es ihm schwer, sich zu überzeugen, daß diese heilige Zahl von Vorbehalten ihn zum wichtigsten aller Grade untüchtig zu machen im Stande seyn könnte. Vielleicht, dachte er, suchte man diese Gelegenheit, um mir den urersten aller Grade zu entziehen? Viel leicht legten es alle jene Versucher darauf an, von deren Bemühungen man wegen meiner Vorbehalte keinen Gebrauch zu machen nöthig fand. Die dreitägige Ordensstrafe schien dem Ritter ein Spielgefecht. Auch fing er an, zu glauben, daß der Ordensvertraute selbst seine Osterbeichte nicht für sich, sondern[130] für diesen Orden der Orden aufgefangen hätte. Warum alle diese Winkelzüge? dachte der Ritter, wozu er indeß den lehrreichen Besuch des Seelsorgers nicht rechnete. – In diesen Betrachtungen vertieft, nahm ihn ein Wegweiser, ohne ein Wort zu sagen, bei der Hand. Ohne Zweifel führte dieser ihn nicht ohne viele Umwege ins Freie, wo er ihm mit der Hand den Weg zeigte. Alle gute Geister loben Gott den Herrn! sagte der Ritter. Der Wegweiser blieb den Dank auf diesen Geistergruß schuldig und schien überhaupt so wenig Lust zum Reden zu haben, daß er weder zu sprechen anfing, noch auf die Fragen des Ritters ein lebendiges Wort erwiederte. Desto weniger Hindernisse fand der Ritter, jene Betrachtungen fortzusetzen, bis er in – – in sein voriges


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 129-131.
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