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§. 161.


Baumorakel

der ächten Sophie ausgefallen? Der Baum Er? allerliebst! Der Baum Sie? verdorrte. Wie das? Ein Versehen des kleinen Spions zwischen Er und Sie. – Dieser unerwartete Vorfall (wer sollte das denken?) brachte die kleine Schwärmerin auf den unerläßlichen Gedanken, sie würde sterben. Da sie sich keiner Untreue gegen ABC bewußt war, was konnte der Untergang des Baumes Sie anders bedeuten? Vergebens verschwendete die Zofe die ersten und besten Beruhigungsgründe. Die Apostel selbst, die so wunderbare Krankheiten heilen, hätten hier bei ihrer Kunst den Kürzern gezogen. Ein wunderbarer Einfall der Zofe, den Baum bis auf seine Wurzel zu untersuchen, und ein noch wunderbareres Glück, daß Sophie gegenwärtig war; sie hätte sonst so wenig an den Befundschein als an die Trostgründe geglaubt! Jetzt fing sich durch die abgeschnittenen Wurzeln ein Räthsel an aufzuschließen, das Sophien und ihre Zofe auf so wildfremde Gedanken gebracht hatte. Man setzte von Stund an eine Probe aus, bei der über Er und Sie dem kleinen Spion kein Zweifel blieb, und nun entdeckte sich nach einiger Zeit alles. – Der kleine Spion und sein Vater gestanden den Hergang, da der Gärtner auf Wurzelmordthat betroffen ward; indeß betheuerte der letztere, von niemanden zu diesem Verbrechen beredet zu seyn. – Ich habe, sagte er, wider den mir unbekannten Er einen Haß, den ich mir selbst nicht erklären kann. Daß Er hierdurch in Sophiens Augen gewann und der Cavalier verlor, war natürlich. Er war völlig in den vorigen Stand gesetzt und mehr war nicht nöthig, um die Rache des Nebenbuhlers anzuflammen. Der Cavalier wendete alles an, damit der unschuldige Er nicht nur Sophiens Liebe verlöre, sondern noch obenein büßen möchte, und warum? weil das Bubenstück mit Er und Sie nicht[272] besser eingeschlagen war. Der Cavalier ließ mit unglaublichen Kosten und noch größerer Mühe seinen Nebenbuhler beobachten, und – man denke! – seine Verbindung mit der falschen Sophie blieb der ächten kein Geheimniß. Sie wußte alles, nur das einzige nicht, daß ABC in ihr die ächte Sophie liebte. Nach ihren unwiderleglichen Nachrichten war die Verlobte des Ritters eine zweideutige Dirne, die – Die Zofe mochte immerhin behaupten, daß auch diesen Nachrichten insgeheim die Wurzeln abgeschnitten seyn könnten, – nichts! Sie schlug Blumentöpfe, Gesträuche und Bäume mit Er und Sie in dieser Hinsicht vor, nichts! – Auf alles – nichts! – Sophie, überzeugt von der Untreue des Ritters – was wird sie thun? dem Cavalier ihre Hand anbieten? Der


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 272-273.
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