§. 162.


Vater und Bruder

[273] schmachtete nach Antwort aus Rosenthal, die so ausfiel, wie man sie erwarten konnte. Der Ritter verzuckerte sie; er mußte indeß aufs neue und noch einmal aufs neue die Sache des Engländers treiben, der während dieses Briefwechsels durch ein glückliches Ungefähr zu der Entdeckung kam, daß seine Sophie und der Ritter geheime Zusammenkünfte hielten. Nichts in der Welt, selbst die Verstoßung der Ritterin nicht, konnte ihn so aus der Fassung setzen. Wie diese Sache ins Reine zu bringen?

Das sind die Folgen der Unrichtigkeit! Er stellte Sophien auf das nachdrücklichste vor, wie sehr sie ihn getäuscht hätte und verlangte, daß sie sich zurück in die ihr angewiesene Rolle begeben sollte. Sie versprach es, doch schien sie nicht Lust zu haben, seine Drohungen zu fürchten. Warum auch? Sie wußte, daß er wo nicht mehr, so doch ebenso viel wie sie selbst in den Augen des Ritters verlieren müßte, wenn es hieße, Sophie sey nicht Sophie.[273] Ihr seine Unterstützung zu entziehen, dachte der Engländer, würde ungroßmüthig und gefährlich seyn. Was ist natürlicher, als daß sie aus der Noth eine Tugend macht, und so sehr in die Enge getrieben dem Ritter ihre schlechte Verfassung entdeckt? Nur einen einzigen Ausweg hatte der arme Engländer, und dieser war? den Ritter zu warnen. – Zu warnen? Wen? Den Jüngling, der soviel Umwege nicht gescheut hatte, um diesen Hafen seiner Hoffnung zu erreichen? – Und wovor? Vor Sophien, welche der Engländer selbst zur Bedingung gemacht hatte, um den höchsten Gipfel eines Glücks zu erreichen? – Und wer sollte warnen? Der Väter und Bruder! In diesem Ausdruck lag mehr, als der Engländer tragen konnte. Doch wagt' er es, und mußt' er nicht? Er suchte dem Ritter auf eine äußerst seine Weise die Gefahren der Liebe zu zeigen, wenn man sich auf Ordensbahnen befände, um eben hierdurch sein Herz vor jeder falschen Sophie zu bewahren. Eine falsche Speculation! Sophie war ihres Sieges so gewiß, daß sie die Rolle seit geraumer Zeit ganz sorglos spielte, und diese Sorglosigkeit trug nicht wenig zur Vollendung ihres Sieges bei. Michael und die Begleiterin befanden sich in eben dieser Lage. Jeden Tag entdeckte Michael neue Vollkommenheiten an seiner Gebieterin. Er war so verliebt, daß er seinen Herrn flehentlich bat, durch das Ende das Werk zu krönen, wozu der Ritter an sich selbst schon so sehr geneigt schien. Die Handschuhe sind voraus und wir müssen nach, sagte der Knappe; wahrlich es ist Zeit, gnädiger Herr, daß wir der Welt zeigen, wir verstehen Handschuhe so heiliger Art zu verschenken. – Näher konnt' es dem Ritter nicht gelegt werden. – Und wer war denn die falsche Sophie? Die Tochter einer Schauspielerin und eines ihrer Liebhaber, welcher, der Ränke seiner Buhlerin müde, sie verlassen wollte. Die Schauspielerin drohte, die Mittlerin zwischen ihm und ihr, wie sie dieses Kind nannte, ein Opfer ihrer Wuth werden zu lassen, wenn er nicht – und was? – sich noch länger[274] zum Gespötte der Welt machen und an den Bettelstab bringen wollte. Er ermannte sich, der Drohung ungeachtet, entriß dem Ungeheuer von Mutter die Hauptperson des beabsichtigten Trauerspiels und erklärte ihr in ganzem Ernst, er hätte nicht die mindeste Lust, das Lustspiel mit ihr weiter fortzusetzen. Besonders, daß Sophiens Vater und Mutter in einem Jahr ihre Lebensrollen endigten! sie, wie es hieß, aus Lebensüberdruß; er aus bitterm Aerger, daß er seinen Posten, nach seinem Ausdruck ohne zu wissen warum verlor. Vielleicht hätte ihn der Minister diesen Umgang mit einer zweideutigen Schauspielerin, den er ihm verbot, nicht so hart sollen empfinden lassen. – Und die Kammerzofe? Die Tochter eines vornehmen Geistlichen und einer Dame von Stande, die aus Grundsätzen der Ehre ihr Kind dem Findelhause in – übergeben hatten, und da für dasselbe ein ansehnlicher Zuschuß bewilligt war, wußte einer der Aufseher dieß reiche Kind mit einem andern zu vertauschen, dessen Vater ein dürftiger Geistlicher und des Aufsehers leiblicher Bruder war. Da das durch den Tausch herabgesetzte Kind bei diesen Umständen zur Classe derer gehörte, die nach erlangten vorschriftsmäßigen Jahren zu Dienstboten bestimmt waren, so schien es ein Glück für die Unglückliche, daß sie der Tochter einer Actrice, die der Engländer erzog, aufwarten konnte. Die vortreffliche Mutter unseres Ritters konnte nicht ohne Kleck im Stammbaum abkommen; was wirb aus dem dürren Holze dieser unächten Sophie werden? Wie viele Buchstabenopfer wird man fordern? und wird nicht der ganze Name bis auf jeden Punkt auf dem i ersäuft werden müssen? Noch hing es an einer Kleinigkeit zwischen der falschen Sophie und unserm Ritter, die gewiß leicht beizulegen ist. Sie wollte nach ihrer Verbindung in Rosenthal eingeführt werden, der Ritter wünschte, daß es vor derselben geschehe. Schon hatte Sophie so viele scheinbare Gründe gehäuft, daß der Ritter schwankte. Bin ich denn nicht, sagte sie, bei aller meiner Unbekanntschaft in Rosenthal[275] bekannt? Hat nicht Ihr sterbender Vater mich gesegnet und mir ein Recht auf Ihr Herz gegeben? War es nicht Ihre Hauptabsicht das Glück Ihrer Sophie zu machen? Und wirb Mutter Sophie Fehler der Förmlichkeiten auf die Wagschale legen? Sie, die so wie die Gottheit nicht auf das steht, was vor Augen ist, sondern auf das Herz? Besitz' ich nicht Ihre Maurerhandschuhe? Und wer wirb mich begleiten? Sie? was wird dann die Welt sagen! Sie nicht? was dann mein Herz! Doch, was Sie wollen, ist mein Wille; nur daß der Engländer uns nicht trennt, der nicht liebt, sondern Liebesgrillen hat! – Tag und Stunde waren verabredet, wann der Ritter seine Sophie ihrem Pflegvater entführen wollte; und so schlau der Engländer war, und so sehr er seine Sorgfalt seit einiger Zeit vermehrte, so wußte er doch so wenig von diesem Vorhaben, daß er vielmehr aus Sophiens Betragen abnehmen zu können glaubte, sie bemühe sich wider zurück in die ihr angewiesene Rolle zu kommen, wenn sie gleich noch nicht zu den sich reinigenden Seelen, viel weniger zu den Tugenden einer schon gereinigten Seele sich hinaufgeschwungen habe. Es war' auch Schande, wenn Weiber nicht über Apostel wären. – War nicht Delila über Simson und Eva über Adam? Eine Antwort von seiner


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 273-276.
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