§. 170.


Der Gastvetter,

[294] der das Wort führte; wenn man diesen zu starken Ausdruck in einem so kleinen, im Namen der Menschheit versammelten Cirkel gebrauchen kann, der aus edlen, prunklosen Menschen bestand, die nicht suchten das Ihre, sondern das, was der strengsten Wahrheit ist. Gewiß fällt Ihnen, sagte Johannes, Apollonius von Tyana[294] ein, der auch sieben Jünger gehabt haben soll; allein Apollonius war ein Meister, der bei uns kein Meister seyn würde. Und die Zahl sieben? Ist durch Sie entstanden; denn bis jetzt waren, trotz der Heiligkeit dieser Zahl, unser nur sechs. Hatte der Stifter des Christenthums nicht auch zweimal sechs Apostel? – Die Zahl sieben, lieber Ritter, ist bei dem allen eine Art von Naturzahl; ich bin ihr gut, ohne zu wissen, warum. Die Grundsätze des Gastvetters kennen wir, nach welchen er einen Ritter nur in so weit dafür hielt, als er sich mit Leibes- und Seelenkräften angelegen seyn ließ, das Gute zur Herrschaft über das Böse zu bringen, in sich – und, wo möglich, überall. – Wenn der Philosoph denkt, der Edelmann denkt und thut, so sind unsere Begriffe von Glückseligkeit und Tugend durch die Philosophen berichtigt und befestigt und durch die Ritter das Schöne und Erhabene auf Erden versinnlicht. Heil den Wortführern und den Thätern des Worts!

Eben diese Grundsätze herrschten in diesem Cirkel, den keine Tradition von uralter ahnenreicher Abkunft, nach väterlicher Ordensweise, ehrwürdig machen durfte. Gemeinhin stammt Tradition von einem Stümper ab, welcher der tradirten Sache nicht gewachsen war. – Auf eine Frage, sagte der Wortführer, eine Antwort, auf einen Gruß einen Dank, auf ein Warum ein Weil; was darüber ist, das ist vom Uebel. – Alte sagen was sie gethan haben, Weise was zu thun ist, Glücksritter was sie thun könnten, Kinder und Narren was sie thun wollen. – Soll ich noch mehr Worte dieses Führers mittheilen? Man mag sie in der Anlage dieses Ordens suchen und finden. Luther behauptet: die Beschaffenheit unserer regierenden Herren sey der größte Beweis der Vorsehung. Tamerlan lachte, da er den besiegten Kaiser Bajazeth sah. Nicht aus Hohn, versicherte der Ueberwinder den Ueberwundenen; ich lache, weil Gott zwei der wichtigsten Staaten einem lahmen Wicht, wie ich, und einem einäugigen, wie du, anvertraute. – Doch, sind diejenigen,[295] welche die regierenden Herren mit der Regierungslast aus allerhöchstem Zutrauen belehnen, nicht noch weit lahmer und blinder als sie selbst? Und geben diese Lehnsträger der Regenten nicht einen weit stärkern evangelisch-lutherischen Beweis der Vorsehung ab? Die höchsten Staatswürden sind nichts als ein Spiel des Glücks; und wenn man steht, wie unvorbereitet ein Liebling zu der höchsten Würde steigt, was Maitressen und Nepoten ausrichten: was muß man von der Regierung des Staats denken? Wahrlich, je höher die Aemter, desto leichter sind sie zu bekleiden. Der köstlichste dieser Staatsbeamten ist ein geschäftiger Müßiggänger. – Möchten sich immer die Fürsten für Herren von Gottes Gnaden halten, wenn sie nur nicht in ihrem allerhöchsten Namen so oft Menschen ohne alles Verdienst und Würdigkeit an diesem Vorzuge theilnehmen und die Gesichter dieser geschmückten Theilnehmer glänzen ließen, wie das Gesicht Mosis, als er vom Gesetzberge kam! – Es ist gewiß nöthig, daß unbeamtete Männer zusammentreten, um die schrecklichen Lücken so viel als möglich zu ergänzen; und wahrlich, von jeher gab es Männer, die, um desto mehr zu wirken, unbeamtet blieben, die beschäftigt waren, wenn dagegen Dienstmänner bloß den Dienst – spielten. Jene ahmten die Vorsehung nach, die auch im Dunkeln wirkt; und diesen unbekannten Edeln hat man mehr zu danken, als man denkt und versteht. Das heimliche Gericht der mittlern Zeit mag etwas von dieser Idee in sich enthalten; doch war es den Zeiten angemessen, die nicht mehr sind, und wohl uns, daß sie es nicht mehr sind! Warum auch Gericht? Wer ist es, der recht richtet? Gott! gehe nicht ins Gericht mit den Richtern, die das Volk richten! oder besser, die es quälen und martern, und war' es nur durch eine Kameelslast von Gesetzen. – Ist es nicht besser, ohne Zwangsmittel Gutes bewirken, den Willen durch der Gründe Uebergewicht bestimmen und Thäter ziehen, wahre Weisen aufmuntern, und die es nicht sind, bis zu[296] ihrer Blöße enthüllen? – Wer Licht mit Jubelgeschrei aufsteckt, will nicht erleuchten, sondern verdunkeln. Es kann herrliche Könige geben, die vom Hirtenstabe genommen und durch Pferde zur Majestät hinaufgewiehert werden, denn ihre Würde ist eine Titularwürde; werden aber die eigentlichen Vorsteher und Volksregierer von den regierenden Herren eben so willkürlich erkieset, was ist da zu erwarten, wenn die Menschheit von Tage zu Tage zum Nachdenken reist und die Vernunft den göttlichen Funken in sich gebrauchen lernt? – – Uebertriebene Begriffe von der Perfectibilität des Menschengeschlechts schaden in eben dem Grade, wie ein zu eingeschränkter Begriff von der menschlichen Vollständigkeit. Eine unrichtige Anwendung sehr richtiger Vernunftbegriffe von einer bürgerlichen Verbesserung, hat ne nicht schon edle Menschen verleitet, zu thun, was nicht taugte? Nicht alles, was theoretisch wahr ist, kann darum so leicht praktisch werden. Im alten Herkommen ist oft mehr Verstand, als in gewöhnlichen Neuerungen. Verstand kommt nicht vor Jahren. – Da der römische Senatorschuh drückt, so wie der Kreuzpantoffel des heiligen Vaters, und niemand diesen Druck empfindet, als wer den Schuh und Pantoffel trägt, was bleibt außer der Bemühung, die Last zu erleichtern, den Regenten und ihren Dienern mehr übrig, als die Vortheile der Gesellschaft mit jenem Senatorschuh- und Papstpantoffeldruck ins Gleichgewicht zu stellen? Wer dem Volk in Planipedien deutlich zeigt, daß nichts als die Gesellschaft drücke, erweiset den Königen und ihren Unterkönigen einen größern Dienst, als durch Rauchwerk und Schmeicheleien, die zur Zeit der Anfechtung abfallen.

So wie es eine unsichtbare Kirche gibt oder eine Coalition, die nicht in Samaria oder in Jerusalem, sondern im Geist und in der Wahrheit Gott anbetet, die in ihren Brüdern Gott verehrt und in der Menschheit ihn siehet, so gibt es auch eine unsichtbare Staatsverfassung. In jener sind Vorsteher und Wortführer,[297] ohne daß sie die Ordines empfingen; und auch in der unsichtbaren Staatsverwaltung sind Köpfe und Herzen, die sich vor den Riß stellen. Ihr Zusammentritt würde der guten Sache schädlich seyn. Schon eine Vereinigung von sieben, die von Einem Herzen und Einer Seele sind – würde sie wohl bei öfteren Zusammenkünften eins seyn und eins bleiben und für eins gehalten werden können? Noch nie sind wir vollzählig gewesen; wir wohnen in fünf verschiedenen Staaten.

Der Ritter fand die Idee dieser edlen Männer so erhaben, daß er ihr völlig beitrat, und daß er von selbst sich aufs heiligste verband, ihr getreu zu seyn bis den Tod. Nicht auf Kopf, Herz und Vermögen wollt' er es ansehen, soviel an ihm wäre, dieß große edle Werk zu befördern. Er hatte so manchen Orden kennen gelernt, dessen geheimstes Wort die Unterjochung der menschlichen Kräfte ist; dieser beförderte sie. – Er bestand aus Menschen, wenn in jenen Orden nur Menschen gespielt werden. – Eine lächerliche Menschenmaskerade! Die Verbesserung der Menschen (die Juden nicht ausgeschlossen), die Reformation der heiligen Justiz und der unheiligen Finanzwissenschaft waren Gegenstände dieses Ordens. Die Menschen haben es schon mit Theokratien versucht; was war aber jene Regierung anders als Priesterei? Wo die Vernunft regiert, da ist wahre Theokratie, die ohne Zweifel das Ideal einer glücklichen Staatsverfassung ist. Wann sie eintreten wird? Eldorado ist oben oder unten; – kann es denn nicht auch auf Erden seyn?

Dem guten Michael konnte man ohne alle Bedenklichkeit einen Blick in dieses Heiligthum erlauben; und es schien, als wäre dieser ordensfeindliche Orden dazu gemacht, den Ritter wegen aller der Kreuz- und Querzüge zu entschädigen, die er mit seinem Knappen unternommen hatte. Eins noch fehlte zu seiner Zufriedenheit: – Sophie. Von selbst waren Gastvetter und Johannes[298] darauf bedacht, diesen stillen Wünschen des Ritters zuvorzukommen. Man fragte ihn, ob er einer


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 294-299.
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