§. 83.


Die Betrübniß

des Sohns über den väterlichen Verlust war so herzlich, als sie nur je bei einem Sohn gewesen ist und seyn kann; indeß konnt' er sich nicht entbrechen, während der Leichenrede über Michael und seine Engel, an den Engel zu denken, der ihm in Gestalt eines Bräutigams der Enkelin von Fräulein Cousine erschienen, und an seinen Diener Michael, der ihm von seinem Vater, im letzten Willen, als dienstbarer Begleiter zugewiesen war. Da eben dreimal drei Wochen abliefen, und ihm nach dreimal drei Stunden, von Präsentation des letzten Briefes an gerechnet, die Pflicht der Antwort oblag – wer kann es ihm verdenken, daß er während des Streits zwischen Michael und dem Drachen auf die Ausführung eines Reiseplans dachte, welcher schon längst, vor der Abreise seines Vaters nach dem himmlischen Jerusalem, vorgetragen und bewilligt war. Er sollte drei Jahre abwesend seyn. Jetzt kam es nur auf die Frage an: ob, und auf wie lange, die veränderten Umstände diese Reise aufschieben würden? Wenn gleich sein einundzwanzigstes Lebensjahr abgelaufen war, in welchem, weil dreimal sieben einundzwanzig machen, er freilich etwas Besonderes hätte unternehmen sollen, so tröstete er sich doch mit dreimal neun, und glaubte, daß, wenn er im siebenundzwanzigsten Sophien fände,[1] es alles sey, was von ihm erwartet werden könnte. – Außer dieser Präliminarfrage, wie viel andere? Wird Heraldicus junior nach dem Legat, welches ihm ohne Einschränkung und Bedingung zufiel, der Führer seyn wollen? Und wen wird die zärtliche Mutter dem einzigen so herzlich geliebten Sohne sonst zugesellen, wenn Legatarius etwa sich weigern sollte? – Das Unschickliche, sich noch im einundzwanzigsten Jahre führen zu lassen, fiel ihm nicht ein, da Prinzen von den ersten Häusern noch weit länger ihre Gouverneure behalten, so daß es kein Wunder ist, wenn regierende Herren nach der Zeit, und ihr Lebelang, sich von Leuten führen lassen, die gemeinhin weit mehr als ihre Gouverneure sind, wenn gleich sie allerunterthänigst treugehorsamste Diener (servi servorum) heißen.

Der Hauptumstand, den unser Held vor sich selbst zu verheimlichen suchte, blieb die Frage: wohin? Zur Loge, zum hohen Licht, oder zum Fräulein Unbekannt, das, wenn gleich es drei Viertelstunden mit einem Unbekannten, in Gegenwart der Kammerzofe, conversirt hatte, unserm Helden doch unablässig vor Augen schwebte – oder flitterte? War's bei so viel Fragen, die mit einander stritten, dem Junker zu verdenken, daß er vom himmlischen Kampf zwischen Michael und seinen Engeln auf einer, und dem Drachen und Schlangen auf der andern Seite, wenig oder nichts vernahm? Nach drei Tagen trat er der Sache


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 1-2.
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