§. 91.


Pistole

[21] fiel. Bis jetzt ist unter unsern Reisenden fast immer klüger geantwortet als gefragt worden. Man gibt dieß unsern Katechismen schuld, wo der Frager vorschriftmäßig weit dummer als der Antworter ist. Kein Wunder, wenn Protagoras diese Methode noch von seinem Holzbündel beibehielt. Vielleicht verändert sich in §. Pistole die Scene, wenigstens gibt's Fälle, wo Pistolenfragen und Antworten von ganz besonderer Art sind. Was vom Werbehauptmann zu denken? Freilich, sagte der Junker, wäre es besser, wenn Er über der Berechnung, ob Mann oder Frau, Braut oder Bräutigam früher sterben würden? seine Montirungskammer-Rechnung nicht vernachlässigt und hier nicht eine wahre Rechnung ohne[21] Wirth gemacht hätte. Vernachlässigt? erwiderte Michael. Seine Sache steht schlechter. Ich verwette meine Montirung mit Ew. Gnaden Erlaubniß, er hat seinen armen Untergebenen zu viertel und halben Ellen entzogen – und das schreit gen Himmel. Dem Junker gingen alle die schönen Sentenzen durch Herz und Kopf, wodurch der Werbehauptmann ihn so gewaltig einnahm; doch fiel ihm auch die Behauptung der Ritterin ein, der Hauptmann zwirne seine Ausdrücke. – Das Wort Erkenntlichkeit hatte schon damals, trotz der Ziege Amalthea, die den Jupiter auf dem Berge Ida ernährte und deren Fell er zum Tapis machte, um hier der Menschen Thun und Lassen aufzuzeichnen, – den Junker etwas kopf- und herzscheu gemacht, und verfehlte nicht, sich jetzt wieder anzumelden. – – Nach etwa drei Viertelstunden, während welchen unser Held in tiefer Stille an die Zählung der Vokale, an alle die herrlichen Versicherungen, daß man im Orden keine Schlechtigkeit dulde, wenn gleich sie sich in List verkleidet und mit dem Schein des Rechts schmückt, und daß auch das witzigste Schelmstück mit Steckbriefen verfolgt würde, und mitunter auch an Jupiter und an die Ziege gedacht hatte, fing der Junker wie aus dem Schlaf erwacht an:

Michael, wer ungehört verdammt, ist, um das Wenigste zu sagen, ein schlechter Richter.

Wohlgesprochen, gnädiger Herr! Gehört aber der Werbehauptmann zu den Nichtgehörten?

Allerdings.

Hörten wir nicht die Schwiegermutter, die alles so zum Besten lehrte, als es schwerlich der Werbehauptmann zu kehren im Stande seyn würde, und sahen wir nicht seine Frau?

Der gewiß nichts von Anlage zur Vorenthaltung und Verkürzung der Montirungsstücke anzusehen war.

Mit Ew. Gnaden Erlaubnis mehr als zu viel. Eine Frau,[22] deren Gemahl den Abschied nehmen muß, die einen Vater im Meierhofe besucht, sollte die, Ew. Gnaden sind ein gerechter Richter, so seyn als sie war?

Vergiß nicht, daß sie Maurerschwester ist.

Und wenn sie Maurermutter wäre, gnädiger Herr, ich weiß, Sie sind mit der Wahrheit noch näher verwandt als mit Schwester und Mutter.

Der Junker sank wieder in seine dreiviertelstündige Stille – und nach ihrem Ablauf; Michael: ich kann den Werbehauptmann der Verkürzung und Vorenthaltung der Montirungsstücke halber nicht entschuldigen, so sehr ich's wollte. In Kleinigkeiten niedrig handeln ist schändlicher als im Größern. Es ereignen sich dazu die Gelegenheiten so oft. – Das Gemüth scheint verderbter. Da es nicht einmal einem Dreier widerstehen kann, wie weit tiefer wird es bei größern Versuchungen sinken? Auch ist man geneigt anzunehmen, daß ein dergleichen Mensch mit der Gewohnheit zu fehlen so amalgamirt sey, daß es bei ihm auf keinen Kampf, auf keine Gewissensbedenklichkeit weiter ausgesetzt wird. Man sagt, Lord –, der vielleicht von Käuflichkeit der Parlamentsstimmen traurige Erfahrungen gemacht haben mochte, behauptete, merke wohl, in einer Damengesellschaft, daß jede fräuliche Tugend verführbar sey.

In Damengesellschaft? fragte Michael.

Wie ich dir sage.

Und die Damen?

Natürlich widersprachen sie, besonders eine. – Eine Million Pfund Sterling, rief er, und die Dame schwieg. Geld her, der Kauf ist richtig, nahm er sich die Lordsfreiheit zu sagen. Zugegeben, daß er den Streit gewonnen, was meinst du von der schweigenden Dame? Ich nehme sie zur Frau, heute lieber als morgen.

Und ich stehe für ihre Tugend.[23]

Michael, du übernimmst eine große Bürgschaft!

Wer kann's bieten? –

Wir sind mehr als einig, Michael?

Desto besser!

Daran zweifle ich, besser wär's, wir wären nur ewig.

Ist der Unterschied zwischen mehr und nur so groß?

Weißt du, was mir sicherer als die Tugend deiner Millionpfundsterlingsfrau dünkt? – Daß der ein elender Mensch ist, der mit Pfennigen seine Tonnen Goldes vermehrt, mit Verkürzung der Montirungsstücke seinen Hauptmannsposten –

Gedacht gerade wie Sie, nur hätt' ich dieß Holzbündel so nicht zu legen gewußt.

Daß du nur des Hauptmanns halber den Maurerorden nicht leiden läßt.

Ich will's versuchen.

Versuchen?

Wär' er Hauptmann, nicht Werbehauptmann, unbedenklich.

Das hohe Licht des Ordens soll eben sowohl dem Verstande als dem Willen leuchten, nicht wahr?

Bei meiner armen Seele, so denk' ich. –

Es verdrießt mich, daß du nicht unrecht hast.

Es verdrießt mich selbst, gnädiger Herr, daß ich recht habe.

Die


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 21-24.
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