§. 94.


Sonne

[26] Michael, der ungehalten war, daß der Werbehauptmann ihn zweimal fehlen lassen, wiegelte seine ganze Beredsamkeit auf, um seinen Herrn zu bewegen, zum Monde, einem Gasthofe, einzukehren, wovon sie unterwegs eine vortheilhafte Beschreibung eingezogen hatten; indeß gewann Michael, seiner Beredsamkeit ungeachtet, das mißliche Spiel seiner Rache nicht, und es blieb bei der Sonne. Auf einen Besuch vom Werbehauptmann hatte der Junker selbst ganz unfehlbar gerechnet, indeß wollte jener durch diese Kälte den Candidaten noch hitziger machen, und wahrlich, es ist ein plumpes, doch fast immer unfehlbares Mittel, junge Leute in einen Brennpunkt zusammenzudrängen, wenn man sie warten läßt. – Unser Werbehauptmann hielt sich in Beziehung auf seinen Novizen für nichts weniger als einen Newton, dem die Natur, wiewohl ohne Reception, ihre fünftausendjährigen Geheimnisse offenbarte und gewisser als Protagoras würde der Werbehauptmann sein Spiel gewonnen haben, wenn nicht die Dame im Meierhofe geplaudert hätte.[26]

Der Wirth zur goldenen Sonne, dem nichts von Montirungsstücken vorenthalten und verkürzt worden war, gab sich auf eine, wiewohl einstudirte Art Mühe, den Werbehauptmann ins vorige Licht zu setzen. Er versicherte, daß er das Glück gehabt, sich seinen Abschied selbst zu geben, um sich desto mehr dem Orden zu widmen. – Niemand kann zweien Herren dienen! Und sich von mehr als einem Begleiter bedienen lassen, fügte Protagoras hinzu, und war in großer Versuchung, den Gastwirth auf sich selbst zurückzuführen, der nur durch die Vielheit der Herren gewinnt, denen er dient, und je mehr er deren zählt, je berühmter ist seine Sonne. Doch beschämte Michael dießmal die Dame im Meierhofe. – Ein Fall, der ihn nicht auf die Probe stellen muß! Hast du gehört, Michael? sagte Novicius.

Ich habe mir Mühe gegeben, gnädiger Herr, über die Erzählungen der Schwiegermutter hinweg zu hören.

Warum Mühe?

Weil wir nicht im Monde, sondern in der Sonne logiren.

Ich verstehe, soll man sich aber andern zu sehr überlassen und vor Baal, er erscheine wie er wolle, die Knie beugen? – Nicht die Gottheit kann uns glücklich machen, wenn wir nicht selbst Hand aus Werk legen.

Auch ich verstehe, gnädiger Herr! – Allen Baals zum Trotz lebe der Orden!

Er lebe!

Der Besuch des Novizen bei seinem Conduktor ward schnell erwiedert, und nur eine Stunde später, so wäre der Meister dem Jünger zuvorgekommen! Dem Gastwirth zur Sonne war es nicht entgangen, daß das Zutrauen bei weitem so groß nicht sey, als es beim Novizen gegen seinen Conduktor von Rechtswegen seyn sollte, und in der That, Novicius hatte einen großen Theil der hohen[27] Meinung aufgegeben, die er ehemals vom Werbehauptmann gefaßt hatte. Am Wirth lag es freilich nicht, den Werbehauptmann zu heben. Daß er mit seiner Schwiegermutter in keine kleine Fehde gerathen, und daß die gute Frau das letzte Wort behalten, gehört nicht so eigentlich zur gegenwärtigen Geschichte; wohl aber, daß die Tochter, obgleich zum Glück unseres Junkers, nicht wie gestern und ehegestern gegen ihn sich betrug. – – Die Scene veränderte sich, der Orden ward gerechtfertigt, und ein gewandter, junger Mann erhielt den Auftrag, den Candidaten vorzubereiten. – Dieser abermalige Abschied, den der Werbehauptmann erhalten zu haben schien, setzte unsere beide Aspiranten um so weniger in Verlegenheit, als gleich beim ersten Besuch der Antrag des Junkers, seinen Begleiter mit aufzunehmen, mit Wärme bewilligt ward: – als dienender Bruder, versteht sich. Protagoras hatte um so weniger beim dienenden Bruder eine Bedenklichkeit, als es ihm nicht um Rang und Stand, sondern um Meisterschaft und Einsicht zu thun war, und die Sache zu den Füßen Gamaliels in Erwägung genommen, der Herr dient so gut als der Diener. – Es ist mir nicht erlaubt, die drei, sieben, neun und zehn Siegel der Papiere zu brechen, welche die Aufnahmen des Junkers und seines Begleiters in den Maurerorden, und alle seine viele Haupt- und Nebenzweige betreffen. Immerhin! was gewinnen, was verlieren wir? Wissen nicht in unsern wunderlosen Tagen Ungeweihete oft mehr vom Maurerorden, als active Theilnehmer desselben? Wer bei diesen ungelöseten Siegeln der Offenbarung Sanct Johannis, seines öffentlichen Gebets und seiner geheimen Wünsche ungeachtet, einbüßte – war Pastor loci, der ein für allemal sich entschlossen hatte, vom Maurerwesen und Unwesen nicht zu glauben, was er las, sondern was er hörte. Der Glaube kommt durch die Predigt. Darf ich Sr. Wohlehrwürden mit ein paar Spruchstellen auf bessere Wege leiten?[28]

Marc. 4. V. 22. Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar würde, und ist nichts Heimliches, das nicht hervorkomme. Und V. 24. Sehet zu, was ihr höret.

Nur ein Drittheil aus diesen Texten von dem herausgebracht, wozu das Evangelium am zehnten Sonntage nach Trinitatis so reiche Ausbeute darbot, wie viel weiter wär' unser Pastor in Zeichen, Wort und Berührung!

Des unglücklich Gläubigen, der hier Berge versetzt und dort nicht ein Senfkörnlein Glaubens im Vorrath hat! – Uebrigens überzeugten sich Herr und Diener gelegentlich, daß dem Pastor loci dis Unwissenheit im Orden zum Besten diene. Warum? Er überhob sich einer Arbeit, die gewiß nicht zu den leichten gehört. Auch nur bei halbem Glauben würde die Maurer-Polemik siebenmal stärker als die Thetik werden, und dieß Studium, wirb es nicht zu einem Ketzerlexikon Stoff geben, das alle zeitherige Kirchen-und Ketzerlexika bei weitem übertreffen könnte?

Brocken, die von den reichbesetzten Geheimnißtafeln fielen, deren einige Körbe der jetzt jubilirende Werbehauptmann, weiland in Rosenthal, bis auf die diätetischen Regeln vom weißen Hemde verstreute: – wo Holz gehauen wird, da fallen


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 26-29.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 1
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 2