Beilage C.


Einen freundlichen Gruß und alles Liebes und Gutes zum voraus, Wohlehrwürdige, Veste, Hoch- und Wohlgelahrte Frau Pastorin! Fürsichtige Seelsorgerin und Mutter meines zweiten Herrn!


nebst dienstwilliger Bitte, mir durch die Finger zu sehen, daß ich so keck bin, schriftlich Ew. Wohlehrwürden hinterm Stuhl zu stehen und auf diesem Teller ein Glas Wasser zu reichen. Wer durstig ist, steckt auch die Nase in ein Glas Wasser. Ein Schelm gibt mehr, als er hat. Mit der Zeit hoffe ich ein Spitzgläschen Wein reichen zu können. Ew. Wohlehrwürden dürfen nicht glauben, daß ich Ihr Kleid mit diesem Glas Wasser begießen werde, und wenn ich etwas vergösse, ist es doch bloß Wasser! Wo das fleckt, ist die Farbe nicht ächt. – Ew. Wohlehrwürden haben alles ächte Farben.

Ich lerne, was man nur kann. Verstand kommt nicht vor Jahren, wie ich sehe, weder in Kopf noch in Finger. Meine Herren machen sich den Spaß, zu sagen, daß ich viel Anlage zum Handwerk habe, aber blutwenig zum Gelehrten, da das Schreiben mir wunderbarlich von statten geht, und da ich die schwersten Worte von der Faust weg aufs Papier setze. Das wächst alles wie Pilze. Wenn ich nur die Herren und Bedienten unter den Worten unterscheiden könnte; aber da liegt der Hund begraben;[167] nicht der Argos meines adelichen Herrn, sondern der Hund im Sprüchwort. Wüßte ich die großen und kleinen Buchstaben zu brauchen, was würde mir dann fehlen? Im gemeinen Leben kennt man so was an der Livree; bei den Buchstaben ist alles eins, nur daß einer ein besser Gesicht als der andere hat. Die l gefällt mir über die Maßen; ein schlanker Buchstab, und überhaupt bin ich den Buchstaben gut, die gedruckt und geschrieben sich gleich sind, da weiß man doch, woran man ist. Es wird mir herzinniglich lieb seyn, zu vernehmen, wenn mein lieber Vater wohl auf wäre, der keine i, geschweige denn eine a machen kann. Für mich ist a der schwerste Buchstabe im ganzen deutschen ABC. Schwester Trinchen, die so schrieb, wie ich, ehe ich auf die Akademie ging, wird wohl noch nicht aufgeboten seyn. Meinetwegen danke dem lieben Gott für gute Gesundheit. Mir hat auf der Reise kein Finger, vom Daumen bis zum kleinen, weh gethan und meinen Herren auch nicht. Keinmal umgeworfen, aber alle Augenblick gedacht, es fiele schon. Einem der andern Herren Passagiers kam eine meerschaumene Pfeife, die in Curland ihre zehn Bauern werth gewesen, unter das Rad, und noch einer verlor seinen Hirschfänger, den er auch zu Hause hätte lassen können. Er war noch dazu nicht von Adel und trug unter dem Hut eine baumwollene Schlafmütze. Meine Herren pflegten zu sagen, daß er in einem Zuge wache und schlafe. Hätte er den Hirschfänger nicht mit gehabt, wäre er nicht verloren gegangen. Er hatte einen silbernen Griff. Das Gehenk schenkte er mir, weil ich ihm unterwegs beisprang. Sonst war er bis auf den Hirschfänger und den Hut und Mütze in einem Stück, bald hätte ich in einer Person geschrieben, nicht zu verwerfen. Schon hatte ich eher Ew. Wohlehrwürden von allen diesen Dingen dieß Glas Wasser voll Nachricht ertheilet, wenn ich nicht erst das Glas reinigen und läutern wollen. Wird sich von selbst verstehen, daß ich mich im Schreiben sichtlich gebessert habe,[168] wofür ich nächst Gott meinen Herren dienstlich verbunden bin. Ein Apfel fällt nicht weit vom Stamm, und wer nur Lust hat, kann schon auf der Akademie was lernen, es sey großer oder kleiner Buchstabe. Ew. Wohlehrwürden danke ich ganz gehorsamst für alles Gute und unter diesem Guten für die schöne Predigt, da ich Abschied nahm und den Segen empfing, den Ew. Wohlehrwürden an diese Predigt legten. Das ging mir alles durch Mark und Bein! So ein schöner Text, als wenn er auf mich gemacht wäre. Niemand kann zwei Herren dienen! Ew. Wohlehrwürden Erklärung vergesse ich nicht, solange eine Handvoll Leben in mir ist, daß nämlich dieser Spruch so wie der vom Kameel-Nadelöhr und dem Reichen zu verstehen sey. Ich habe alles gefunden, wie Ew. Wohlehrwürden es mir auf den Weg gegeben. Meine beiden Herren sind wie Mann und Frau, und ich diene also nicht zwei Herren. Sie sind so von einander unterschieden und wieder so zusammen, wie Mann und Weib.

Ew. Wohlehrwürden Herr Sohn wird einen starken, schwarzen Bart bekommen. Der liebe Gott lasse ihn dabei. Ist doch besser, als ein Judasbart, den ich in drei Kirchen am Altar abgemalt gefunden. So getroffen! Mich wundert, daß ein Barbier nicht in Gedanken dem Judas zu Halse gegangen. Man konnte ihn recht beim Bart halten. Mit dem Herrn v. G. hält es wegen des Barts schwer. Hie und da ein weißes Härchen. Sonst sind hier die Barbiere nicht in sonderlichem Ansehen und werden von den Herren Studenten Bartphilosophen genannt, welches ich Ew. Wohlehrwürden nicht verhalten kann. Große Städte, große Sünden, kam auch in Dero Abschiedsermahnung vor, und das ist wahr und wahrhaftig. Prediger die schwere Menge, mit blauen und weißen Kragen. Blau haben die Feldprediger, auch Manschetten und kleine seidene Mäntel, die man Advokatenmäntel heißt. Die Advokaten gehen hier schwarz mit kleinen Mäntelchen, die man Feldpredigermäntel[169] heißt. Sie nennen sich Priester her Gerechtigkeit; von andern ehrlichen Leuten werden sie Galgenprediger genannt. Ich konnte diese Herren lange nicht aus einander bringen, bis mich der blaue Kragen an Ort und Stelle brachte. Wie das alles hier durch einander läuft und fährt, wahrlich noch weit ärger, als in diesem Briefe. Prediger und Advokaten. Man kann vor Lärm kaum sein eigen Wort hören. Die Pastortracht, die in Curland keiner anzulegen sich erkühnen darf, er sey noch so hochwohlgeboren und hochgeschoren, ist hier etwas so Gemeines, daß alle Küster sich in Kragen und Mantel stecken, und kein Ansehen der Person zwischen Pastor und Glöckner ist. Gräuel ist es anzusehen. Es gibt sogar Leute, die beim Wagen gehen wenn Vornehme begraben Werden, ganz gemeine Kerls, Träger von den eigentlichen Leichenträgern, und auch diese Unterträger gehen mit Kragen und Mantel. Anfänglich war mein Hut mehr in der Hand als auf dem Kopf, weil ich jeden Kragen und Mantel grüßte; jetzt lasse ich's bleiben, und so bleibt auch wider meine Schuld mancher Pastor ungegrüßt, welches Ew. Wohlehrwürden nicht übel auszulegen belieben wollen. Gott grüße den Herrn, wenn er es verdient und Ew. Wohlehrwürden gleich ist in Lehre und Leben!

Um zur Hauptsache zu kommen, die Ew. Wohlerwürden mir auf meine arme Seele gebunden, so habe ich mancherlei von Ketzern auch in Curland gehört; allein wer den Teufel nicht selbst gesehen, hat keine rechte Vorstellung vom bösen Feinde. Die Ketzer sehen, Gott sey's geklagt! aus, wie wir andere Christenmenschen. Vom Kopf bis zu Füßen, nicht einmal lassen sie sich den Bart wachsen, wie Judas in den drei Kirchen. Man hat mir erzählt, daß unter den Doktoren und Schriftgelehrten sogar viele wären, die nicht reiner Lehre sind; allein hier ist jeder für sich, und Gott für uns alle. Ich habe mir einen Candidaten zeigen lassen, der seine Stimme durch eine Erkältung verloren, aber darum geht ihm kein[170] Dreier ab. Er steht sich besser, als wenn er eine Gemeinde und eine Stimme hätte. Er lebt vom Predigtmachen so gut, als einer, und wenn der Pastor unter den Mennonisten, den Reformirten, den Katholiken, selbst unter den Juden, eine Predigt nöthig hat, husch! ist er mit fertig, und wer sie hört, merkt nicht auf tausend Meilen, daß ein lutherischer Candidat ohne Stimme diese Predigt ausgeheckt. Der Herr Sohn sagt: der Mann sieht wie die Toleranz selbst aus, und da war ich noch übler mit diesem Candidaten daran wie zuvor; denn ich fand an ihm kein Abzeichen, ob ich ihm gleich zehn Straßen nachlief, wenn ich ihn gehen sah. Was er darüber gedacht hat, fahre in die nächste Predigt, die er für den Rabbi macht, welches allhier ein feister Mann ist, der wie ein Wechsler aussieht und von Moses kein Haar hat. Die Toleranz sieht wie der Herr Candidat aus, und der Herr Candidat wie ein anderer ehrlicher Mensch. Was ich mir darüber den Kopf zerbrochen habe! Gestern bemühte sich der Herr Sohn, das Wort ins Licht zu stellen, wozu ich ihm Feuerstein und Stahl reichte.

Toleranz heißt: wenn man fünf gerade seyn läßt, welches doch nicht ist, obgleich wir an jeder Hand fünf Finger haben. Wo Duldung ist, da ist auch Fortpflanzung, sagt er, und was er sagt, ist wie Amen in der Kirche. Hier zu Land ist man für beides, für Fortpflanzung und für Toleranz. Die Leute sagen: je mehr Kinder, je mehr Brod. Das finde ich nicht, und was die Toleranz betrifft, so kann ich Ew. Wohlehrwürden versichern, daß zur heiligen Advents- und Weihnachtszeit von den Chorknaben vor den Häusern der Juden, so wie vor Christen-Thüren gesungen wird: »Uns ist geboren ein Kindelein,« das ist über den Candidaten, den Predigtfabrikanten. Ew. Wohlehrwürden können nicht glauben, wie sonderbar das Lied: »Uns ist geboren ein Kindelein,« vor einer Judenthür klingt! Es verlohnt der Mühe, drum nach Königsberg zu reisen, und wenn Ew. Wohlehrwürden[171] einen so guten Major und Junker finden, wie wir, so würde Ihnen kein Haar gekrümmt, das Ew. Wohlehrwürden nicht selbst zu krümmen Lust und Belieben finden.

Bei uns essen die Juden und die Edelleute freilich Kirschen zusammen; allein man weiß wohl wie's geht, wenn paar und unpaar Kirschen essen! Ich versichere Ew. Wohlehrwürden, daß hier ein Katholik bei einem der ersten Prediger im Dienst steht. Er heißt Jo hann und ist, bis auf den katholischen Glauben, ein guter Knabe, der mich neulich in seine Kirche schleppte, wo ich eine Predigt gehört, die, Gott sey bei uns! mir so vorkam, als wäre sie lutherisch. Das soll mir eine Warnung seyn, nie mehr in unächte Kirchen zu gehen. Die preußische Luft ist so tolerant, daß man wie behext dasteht. Ew. Wohlehrwürden versichere auf Ehre, daß, Gott steh' uns bei! wenn ich mir die Augen verbände, ich ein »Vaterunser« in der katholischen Kirche beten könnte, trotz dem Johann, der beim ersten lutherischen Prediger dient. Wie sich das alles hier spricht und widerspricht! – Ein Wäscherin heirathet einen Kohlenbrenner; eine Herrenhuterin, die selbst so schlecht und recht einhergeht als könnte sie nicht drei zählen, nährt sich vom Putzmachen. Jedes geht seinen Weg. Keiner legt es an, den andern zu bekehren. Juden, das versichere Ew. Wohlehrwürden auf meinen christlichen Glauben, kommen sogar in christliche Kirchen, nicht um sich zu bekehren und zu leben, sondern um eine wohlgesetzte Predigt zu hören. In der Kirche bis auf die schöne Musik zu, ist es wie auf dem Tanzboden. Alles faßt sich an, hier mit der Hand, dort mit den Augen. Daß die Toleranz dem lieben Gott ein Gräuel sey, weiß ich wie einer, daß aber die Leute hier just so dick und fett sind, wie anderswo, ist nicht zu läugnen. Mag aber wohl ungesundes Fett seyn! Hexen glaubt' hier kein Kind von acht Tagen, das doch so in seinen besten Glaubensjahren ist. Mein adelicher Herr sagte gestern: Wenn hier[172] die alten Weiber (mit Ew. Wohlehrwürden Erlaubniß) noch so häßlich aussehen, es ist keine der Gefahr ausgesetzt, verbrannt zu werden, wiewohl auch zu meiner Zeit keine in Curland, Gott sey's geklagt! in Rauch aufgegangen. Ich möchte gern eine prasseln hören. Muß doch einen besondern Knall geben! Der Himmel weiß, wie es kommt, so häßlich sind die alten Weiber in Curland nicht, wie hier. Mag wohl kommen, weil sie hier nicht alt seyn wollen. Die Mädchen so frech, daß nur noch jüngst eine Ehefrau (ich stand hinter ihrem Stuhl so behext, wie in der katholischen Kirche) die Frage aufbrachte, warum wir nicht alle nackt gingen, wie im Paradiese? Da bin ich gut dafür, daß Ew. Wohlehrwürden das Wort »nackt« noch bis diesen Augenblick nicht ohne Röthe werden aussprechen können, und diese – war nicht einmal roth. Sie forderte ein Glas kalt Wasser. Daß dein Feuer gelöscht werde, dachte ich; allein es scheint, sie bedürfe des Löschens nicht. Ländlich, sittlich! könnte man wohl sagen, wenn bei dieser Sache auch nur das mindeste Sittliche wäre. Man hat mich versichert, daß dergleichen Mädchen mit bloßen Busen, hinter deren Stuhl man behext wie in der katholischen Kirche ist, die tugendhaftesten wären. Erbsünde hat jedes, Ew. Wohlehrwürden selbst nicht ausgeschlossen. Das grüne Holz, die Frommen, die Stillen, sollen hier zu Lande das dürre seyn, und davon kann Ew. Wohlehrwürden ein Pröbchen geben. Grad über, wo wir einwohnen, war ein Mädchen, in ihrer Art nicht uneben. Sie that so züchtig, als kennte sie den alten Adam nicht anders, als im Kupferstich, wo ich ihn auch mit Hörnern gesehen! – Sie dient, ich diene. Mein adelicher Herr kann ihre Jungfer leiden, und – was soll ich läugnen? – ich sie! Wenn ich sie nur ein wenig hart zur Hand nahm, gleich ein Schrei! und dann wieder: bringen Sie mich nicht zum Ende! Sie werden Unheil anrichten! und so weiter. Kam ich Sonntags, las sie: die in Gott andächtige Jungfer [173] mit ihren Morgens und Abends zu Gott erhabenen Händen, an Sonn- und Festtagen, sowohl durch auserlesene Sprüche der heiligen Schrift, andächtige Gebete und geistliche Lieder vorgestellet, als in beigefügten saubern Kupferbildern entworfen von M. Nicolao Haas, Pastore Primario und Inspectore der evangelischen Kirchen und Schulen zu Budißin.

Stade, druckt's und verlegt's Caspar Holwein. Im Jahr 1717.

Was mir diese Andacht durchs Herz ging, kann ich nicht sagen. Den Titel abzuschreiben, hat mir, wie Ew. Wohlehrwürden leicht denken können, viel Mühe gemacht; aber ich that es mit Freuden, um Ew. Wohlehrwürden diese Freude zu machen. Weiß nicht, ob Ew. Wohlehrwürden diesen Haas, diesen Caspar Holwein und die in Gott andächtige Jungfer kennen. Sollte mir herzlich lieb seyn, wenn es wäre! Der Name Haas ist freilich etwas anstößig; wer kann aber für den Namen? Die Kupferstiche sind sauber. Wo ich ein andächtiges Weibsbild auf Knien fand, dacht' ich, Lieschen war' es auf ihrem Herzensknie. Das Büchelchen war mit Silber beschlagen. Können sich Ew. Wohlehrwürden von dieser in Gott andächtigen Jungfer mit ihren Morgens und Abends zu Gott erhabenen Händen an Sonn- und Festtagen vorstellen, daß sie vor vierzehn Tagen ein Söhnchen taufen lassen? Da wär' ich angekommen, wenn ich es mit ihr zu Ende gebracht! Ich habe gar viel Spott darüber von Freund und Feind erlitten, weil man nichts anders glauben wollte, als daß ich Hähnchen im Korbe gewesen! – Der Thäter soll ein liederlicher Bursch seyn, der durchs Gebetbuch gewiß nicht angelockt worden. Hab' ich doch um das Mädel geweint, wie ihr kleines Kind. Da war sie in Angst und Noth wegen ihres Kindes, und[174] wollt' ich wohl oder übel, mußte schon in einen sauern Apfel beißen und das Kind ernähren. Der Apfel ist eben so sauer nicht. Geht schon in den vierten Monat, daß ich das Kind erhalte. Ward mir indessen vom Johann, der sich auf so etwas versteht, angerathen, zum Richter zu gehen und über das alles ein Protokoll zu lösen, damit ich nicht zu Kind und Kegel käme, wozu hier zu Lande die Unschuldigsten am ersten kommen. Ist ein braver Mann der Richter, nahm kein Geld für die Schrift; wohl aber mußt' ich den Stempelbogen bezahlen, weiß nicht, warum? Besser wäre es gewesen, das Kind hätte das Geld dafür aufgepappt.

Was das wunderlichste dabei ist, so thut die in Gott andächtige Jungfer, als wäre die ganze Sach' eine Kleinigkeit! – Wie man es nimmt, freilich eine Kleinigkeit. Der Stempelbogen ärgert mich am meisten! – Wozu ist denn ein Stempelbogen nöthig, wenn man ein Kind einer in Gott andächtigen Jungfer, Stade druckt's und verlegt's Caspar Holwein, erziehen will? Johann sagt, ob Rose oder Knöspchen. Weiß nicht. Liese soll sich haben verlauten lassen: Wer wieder aufstehen kann, was thut dem der Fall? Ich denke, thut viel, und wär' es auch nur, daß alle Leute drob lachten, wenn man fällt. Sollte man glauben, Lieschen liest wieder die in Gott andächtige Jungfer, als wäre nichts vorgewesen. Mit der Zeit, merk' ich, ist man allen kleinen Kindern gut. Vater seyn oder nicht, macht nichts zur Sache. Ew. Wohlehrwürden würden dem Knäbchen selbst gut seyn, wenn Sie es sehen sollten. Ist ein feines, sauberes Kind, wie die Kupferbilder! Zwar sagt die arge, böse Welt, daß es mir ähnlich wäre; allein was sagt die nicht? Ist nur gut, daß ich das Protokoll auf Stempelpapier habe, um der argen, bösen Welt das Maul zu stopfen; zu so etwas ist ein Stempelbogen gut.

Ew. Wohlehrwürden Herr Sohn wird von allen Menschen geliebt. Ich wette, wenn er Geld lehnen wollte, Juden und[175] Christen würden ihm leihen auf sein blank Angesicht. Sonst gibt man den Studenten kein Geld, sie studiren weltlich oder geistlich! Warum denn nicht? – Sein gerader Weg macht ihm Credit überall. Wenn was zu sehen ist und es ist Wache ausgestellt, Er kommt, gleich ist die Pforte offen, ich hinterher, wie Ew. Wohlehrwürden leicht denken können. Jeder Vater, der ihn ansieht, möchte ihm seine Tochter geben, und jede Tochter, das wollte ich wetten, möchte ihn auch gerne mit Herzen, Mund und Händen! Das läßt er aber bleiben. Er wird sich durch keine in Gott andächtige Jungfer anstecken lassen; ob er aber ohne Protokoll abkommen wird, zweifle sehr! Wer hier ein gutes Herz hat, kann an ein Protokoll kommen, weiß nicht wie! Selten, glaub' ich, ist jemand, der nur mit dem Stempelpapier abkommt, wie ich, wofür ich Seiner Gestrengigkeit großen Dank sage und es zu rühmen wissen werde. Lieschen ist einundzwanzig Jahr alt, und bis auf das Söhnchen ein vortreffliches Mädchen. Hoffe, daß das Kind ihr Gemüth haben werde und nicht des liederlichen Burschen. Sonst sollte mirs doch wohl um die paar Groschen leid thun, die ich meinem Munde entziehe: der Magen verliert nichts daran. Ob Ew. Wohlehrwürden Dero Abkömmling kennen würden in seiner gelben Weste und Hosen? Könnte wohl schwarz seyn, wird auch, will's Gott, werden. Gegen die Königsberg'schen Jungfern, ist gleichviel ob grünes oder dürres Holz, ist er wie Eisen und Stahl. Weiß nicht, wie es kommt! – Wünschte, daß ich gegen Lieschen auch so wäre. Bin's nicht! Weiß nicht, wie er auf gelb gefallen; keine sonderliche Farbe. Hat aber seine Grillen! Habe ihn zuweilen mit sich selbst reden gefunden und recht laut; sagt, daß es alle Leute thäten, die sich stark was einbilden könnten. Mir würde grauen, wenn ich allein seyn und reden sollte. Denk', es könnte sich doch was melden, und da war' ich übel dran. Ob er zur Uebung mit Tisch und Stühlen katechisirt, weiß nicht;[176] möchte erfahren, was Ew. Wohlehrwürden von diesem Gerede denken? Ob Röschen oder Knöspchen? sagt der Katholik; allein großer Unterschied! Ist's denn gleich, fein züchtig sich gehalten, oder Scham und Schande verloren und sich weit und breit jedem darstellen, der's begaffen und beriechen will? Ew. Wohlehrwürden werden meiner Schwester Trinchen diese Rosengeschichte nicht aufblättern. Sie und Hannchen liegen sich immer an den Ohren. Hätte zwar Hannchen halber die in Gott andächtige Jungfer je eher je lieber ehelichen können, da ich kein Buch und Tuch aufs Gewiß gegeben; Ein Hannchen aber ist mehr werth als zehn andächtige Jungfern. Werde schwerlich Hannchen zum ehelichen Gemahl nehmen.

Von Wahrzeichen weiß Ew. Wohlehrwürden wenig oder nichts zu sagen, außer die schöne Aufschrift an einem Hause, die meine Herren sich den Tag wohl zehnmal abfragen und abantworten. Der eine fängt an:

Klimm, schläfst du?

Der andere antwortet:


Treu', Glaub', das Recht und das rechte Recht,

Die haben sich alle vier schlafen gelegt!

Nun komm, du lieber Herre,

Und erweck' sie alle viere.


Zwar sind diese Worte im platten Deutsch, welches man so gut wie das Curische undeutsch heißen könnte; hab' indessen Ew. Wohlehrwürden mit diesem platten Deutsch nicht schwer fallen wollen, wohl wissend, was Ew. Wohlehrwürden schuldig bin. Mir ist in dieser Aufschrift so was vom lieben jüngsten Tage, daß ich das Haus bei Mondschein nicht ohne Schauer vorbeilaufen kann, wo diese Jüngstetagesschrift angeschrieben ist. Gehen könnt' ich nicht vorbei, um Tausende. Da dünkt mich immer, Klimm regt sich.[177] Wenn Ew. Wohlehrwürden mir bei guter Gelegenheit zu erklären die Güte hätten, wie das Recht und das rechte Recht von einander wären, würden Ew. Wohlehrwürden Ihrem Diener ein großes Licht anzünden. Mein zweiter Herr ließ sich zwar verlauten, daß das Recht im Buche, das rechte Recht im Herzen und im rechten Herzensfleck, im Gewissen, angeschrieben stünde, und daß, wo viel Recht wäre, oft am wenigsten rechtes Recht sey; das mag aber wohl er und Klimm verstehen, ich begreife da kein Wort.

Der König soll sich alle Mühe geben, Recht und rechtes Recht in sein Land zu ziehen, sowie es alle Fremde gut bei ihm haben; allein noch soll Klimm schlafen. An Recht soll es, wie man hört, nicht fehlen; mag wohl am rechten Recht! Hoffe wohl für mein Theil ungeschlagen, auch selbst ohne blaues Auge davon zu kommen, da ich das Protokoll in Händen habe. Sollte glauben, daß vor dem lieben jüngsten Tag Treu', Glaube, Recht und das rechte Recht schwerlich aufwachen werden! Diesem seligen Tage sehe mit allen frommen Christen entgegen. Wünsche gar andächtig, Ew. Wohlehrwürden desselben Tages früh Morgens um drei Uhr einen schönen guten Morgen sagen zu können. Sollte denken, daß ich den Klimm alsdann ohne Schauer bei Mondschein sehen werde!

Mein erster Herr sagte gestern gar eben, die Hoffnung sey der Steigbügel, woran wir uns halten, und das gefiel mir nicht übel. Bedaure nur, daß Ew. Wohlehrwürden nicht reiten, um dieß Gleichniß probiren zu können. – Muß bekennen, daß sich mein erster Herr durch meinen zweiten Herrn sichtbarlich verklärt, wie aus dem Steigbügel zu sehen. Hat mir seine Antwort gefallen, die er gestern gab. Sie müssen schon das Auge zumachen, sagt' ihm jemand. Das thue ich nur, erwiederte er, wenn ich schlafe.


* * *
[178]

Das übrige, was Freund Gottfried meiner Mutter zugeschrieben, stellenweis. Ueberhaupt ist mir diese Beilage in die Hand gefallen, ehe ich's mir versah. Ich hatte meinen Lesern ein ganz anderes C bestimmt, womit es mir indessen freilich wie dem Gottfried mit den großen und kleinen Buchstaben gehen können. Ich wünschte herzlich, daß ich dem Buchstaben C durchs gegenwärtige Briefbuch nichts vergeben hätte, dessen mein Vater sich als eines Unterdrückten und Nothleidenden angenommen. Er war's, der den Candidaten ohne C widerlegte und diesem Buchstab das deutsche Bürgerrecht verlieh, welches ihm meine Mutter zur Gerechtigkeit rechnete, obgleich der lettische Dichter Paul Gerhard kein Lied mit C angehoben, welches ihm meine Mutter nie ganz vergeben konnte. Daß ich Worten, denen respective große und kleine Buchstaben gebühren, diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, und dieses Briefbuch mehr leserlich von dieser Seite gemacht, sey für die Buchstabenhelden gesagt.


Königsberg, den – –


Der König hat sich in den Kopf gesetzt, die Sperlinge zu vertilgen, und es ist ein Befehl ausgeschrieben, daß jedes Männlein eine gewisse Anzahl Sperlingsköpfe jährlich einzuliefern verbunden. Ohne den Willen des himmlischen Vaters, der doch am besten wissen muß, wozu ein Sperling gut ist, fällt keiner. Wäre ich wie der König, ließ ich keinem den Kopf abdrehen. Ew. Wohlehrwürden sollten nicht glauben, wie viel Sperlinge dieser Verfolgung unerachtet in Preußen sind, besonders in den Kirchenmauern, wohin die armen Dinger sich retten und fliehen. Da sieht man doch, daß es nicht ganz gottlose Geschöpfe sind. Vor wenigen Tagen hielt mein zweiter Herr den Sperlingen eine Vertheidigung, wobei er auch vom Morgen- und Abendsegen der Raben sprach, die andächtiger auswendig beten mögen, als Lieschen aus der in Gott andächtigen Jungfer. Kann das Mädchen nicht aus den Gedanken[179] bringen. Besonders des Nachts gaukelt sie mir vor den Seelenaugen! Hoffe indessen, mit der Zeit sie gar völlig los zu werden. Mein zweiter Herr behauptet, daß es gewisse Raupen gebe, von welchen die Sperlinge den Boden reinigen. Habe nie gewußt, was eine Insel sagen wolle; bei dieser Sperlingsgelegenheit auch erfahren. In England kann man Thiere ausrotten, als Bären, wilde Schweine, Wölfe; aber Vögel zu vertilgen, muß man in England bleiben lassen. Möchte wissen, was Ew. Wohlehrwürden von Preußen und den Sperlingen denken, von denen doch ein Paar im Kasten Noah gewesen –?

Ha der Betrüger! Lieschen ist so schuldig nicht, als ich glaubte. Er hat sich durch keinen Schrei abschrecken lassen, wie andere wohlgezogene Gemüther! Hat ihr ein seines Briefchen von seiner Mutter gezeigt, die gar höchlich froh über solch eine Schwiegertochter gethan! Mich hat der Bösewicht, mit Verlaub zu melden, einen Kosaken genannt. Möchte wissen, ob so etwas nicht zu bestrafen? Fürchte nur, daß nicht ohne Stempelpapier abkommen würde. Hat einen Nickel verkleidet, der, als seiner Mutterschwester, Lieschen gar lieblich begrüßt, und nun ist Mutter und Mutterschwester nicht zu sehen, nicht zu hören. Glaube auch, daß der Bösewicht, der still wie ein toller Hund hinschleudert, sich unsichtbar machen werde. Mich einen Kosaken? Möchte nicht einmal ein Katholik seyn, wenn Papst werden könnte, so doch ein gutes Stück Brod ist. – Habe es meinem zweiten Herrn erzählt, wundert sich darob, daß alles wie aus einem Buch genommen wäre. Habe es von Lieschen, die es mir mit Thränen erzählt hat, und konnte ich nicht umhin, herzlich mitzuweinen. Was das Mädel den Tanz bedauert, wozu ich die Musik bezahle, ist nicht auszusprechen. Habe Lust, das Protokoll zu zerreißen und dem Kinde meinen Namen zu geben. Ob ich das Protokoll zerrissen zurückbehalten werde, weiß nicht! – Wollte das Kindlein Ew. Wohlerwürden gottesfürchtig empfohlen haben, wenn[180] ich unterwegs bleibe. Die Mutter ist seit gestern so voll Buße, daß, wenn sie nicht etwa eine neue Unthat bereut, welches Gott verhüten wolle, sich ein Stein über sie erbarmen könnte. Bittet, Ew. Wohlehrwürden auf allen Fall ihres Kindleins halber zu grüßen. Hoffe, daß Hannchen, wenn gleich sie's erfährt, bedenken wird, daß Tanz und Musik zweierlei ist.

– – Habe gestern eine Wallfahrt mit meinen beiden Herren zu Fuß gehalten nach der alten Stadt und deren Kirche, wo der Sohn des seligen Dr. Luther, Johannes genannt, begraben liegt. Werden auch wohl in Ferien nach Mühlhausen, ein paar Meilen von hier, reisen wo seine Tochter schläft. Man zeigt noch ihre Knochen in einem kleinen Sarge. – Soll gut für Kopfschmerzen seyn.

Will Ew. Wohlehrwürden ein paar Geschichtlein nicht verhalten, die hier viel Redens gemacht in Lehr-, Wehr- und Nährstand, wie Ew. Wohlehrwürden die Christenwelt bedachtsam eintheilen.

Ein armes Weib, die in einem benachbarten Flecken mit Brod ausgesessen, ist allda vor Hunger gestorben. Will viel sagen, frisches Brod riechen und nicht begehren seines Nächsten frisches Brod! – Ihr Brodlohn hat sie ihren zwei unerzogenen Kindern zugewendet, welche der selige Mann ihr zurückgelassen! – Wollte nicht in diesem Flecken wohnen! Muß Hagelschaden kommen und Mißwachs!

Da geht ein gedrückter Mann in die Kirche nach Trost. – Findet ihn! Der Pastor predigt recht nach seinem Herzen; nun geht's an eine Collecte für eine abgebrannte Kirche. Die Kirche hat nicht Fleisch und Bein, wie ich habe, sondern Stein und Kalk, und ist nicht mein Nächster, wie ich glaube. Der arme Mann will zur Thür hinaus, ehe die Kirchenältesten die Sammlung anheben. Siehe da! die benachbarte Thür ist verschlossen; und so muß er durch die ganze Kirche, und alles zeigt ihm mit Fingern nach. Er hatte nur einen Gulden in seinem ganzen Hause, und fünf[181] Kinder, die nach Brod den Mund aufsperrten. Mein zweiter Herr behauptet, dieser Trostlose hätte mehr gegeben, wie sie alle, obgleich er nichts gab. Er ließ sich schnöde mit Fingern nachweisen. Wenn es doch mit dem Gulden wie mit dem Oelkrüglein ginge. Gott geb's.

Hab' mir noch einige Knoten in's Schnupftuch ge macht.

Ein armes Weib bekommt drei Kinder, und hat nur mit genauer Noth ein Hemdchen vor ihrer Niederkunft zusammengebracht. Wie das dritte kommt, ringt sie die Hände. Das arme Weib will die beiden jüngsten nackt taufen lassen! – Der Prediger gab nichts als drei Segen, und wollte auch für drei bezahlt seyn. Was aber die Leute, ohne daß sie Gevattern waren, dem armen Weibe zugewandt, ist nicht zu beschreiben! Müssen doch noch mehr Gerechte hier seyn als in Sodom, wenn gleich man mit »Uns ist geboren ein Kindelein« vor den Judenthüren hausiren geht, eine Wäscherin einen Kohlenbrenner heirathet, eine Herrenhuterin Putz macht, ein stimmloser Candidat für Juden und Heiden Predigten fabricirt!

Ein großer Knoten! – Meine Herren klagen alle Morgen über die schlechte Milch. Freilich sieht sie aus, als käme sie von einer der sieben magern Kühe. Doch liegt's nicht an der Kuh und wird sie mit Wasser von den Mädchen verfälscht, die sie ausschreien! – Da geht eines dieser Milchmägdlein, und der Wind reißt ihr ihr rothes Tuch vom Halse, und nimmt es mit ins Wasser! – Weg ist's! Da steht sie mit bloßem Busen, wie die junge Frau, die nackt gehen wollte. Vom Wasser kommt's, zu Wasser geht's! So gewonnen, so zerronnen, sagten die Leute, und Ew. Wohlehrwürden werden diesen großen Knoten verzeihen.

Es ist eine extra-fromme Schule, wo ein Knabe gefragt wird: wer ist dein Vater? Soll antworten: der Teufel, wie es geschrieben steht; der Junge ist so dumm und sagt: Erzpriester in –; ist darüber hart angesehen, wie er's auch wohl verdient hat.[182]

Habe so viel von einem großen Gelehrten erzählen gehört, der im großen Weinfaß seine Wohnung genommen, und sich über alles aufgehalten, was ihm zu nahe gekommen. Ein Mann desselben Schlages ist allhier befindlich. Seiner Profession ein Jude. Sagt allen Leuten eine trockene Wahrheit, hat nur den Fehler, daß er betrügt, wie andere. Mag wohl der Faßgelehrte auch nicht ohne Tadel gewesen seyn.

Das Pflaster einer der besten Straßen wird gebessert. Was wollt ihr? fragt der Jude, da sie mit Spaten und Steinen kommen. Die – – Gasse ausbessern! Das geht nicht mit Steinen, sondern mit Friedrichsd'oren. Eine Münze, die hier fünfzehn Gulden gilt, und der der König seinen Namen gegeben hat. Ist doch nur ein Stückchen Gold, und Ew. Wohlehrwürden sollten Lieschens schönen Jungen sehen! – Ich denk' ich zerreiß das Protokoll und verwerfe die Stücke.

Der Jude ist ein sonderbarer Kauz! »Hängt ein Jude,« sag er, »wem kommt's wohl ein, zu schreien: Da hängt ein Dieb! da hängt ein Jude! sagt jeder.«

Was habt Ihr das Jahr? gestrenger Herr, fragt er einen Richter. Bald viel, bald wenig, wie es fällt, er wiederte der gestrenge Herr. Sporteln meint Ihr doch? fügte der Richter hinzu. Nicht doch beschloß der Jude, Flüche und Segen.

Der Reiche, hat er sich verlauten lassen, ist ein Kettenhund des lieben Gottes, den er an die Kisten und Kasten gestellt hat. Der Reiche bezahlt für den Armen; dieser genießt, jener trägt die Kosten.

So geht's, sagt' er, da jemand fuhr, der sich durch einen wohlthätigen Bankerott bereichert hatte; der Herr fahrt, weil er sich vergangen hat.


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Eine Hand wäscht die andere. Gottfried hat für mich ein gut[183] Bekenntniß gethan, und ich kann ihm mit gutem Gewissen Gleiches mit Gleichem vergelten! Es war kein Augendiener, sondern einer von Herzensgrunde. Wißbegierig bei mittelmäßigen Fähigkeiten. Ein seltener Fall. Ost vergaß er aus Achtsamkeit dem königlichen Rath den Teller zu nehmen, und bald gab er ihm Salz für Pfeffer und Essig für Zucker. Der königliche Rath liebte alles sehr süß. Gottfried hörte überhaupt mehr, als er sah; war nicht etwa ordentlich, sondern peinlich. Es verdroß ihn nichts mehr am Junker Gotthard, als daß er die Groschen und Pfennige oft unberechnet ließ. Herzlich freute er sich über meine Bemerkung: Bruder! zum Kaufmann und tiefen Gelehrten hast du keinen Beruf; die berechnen Pfennige. Dichter aber könntest du werden. – Nach Noten, erwiederte Junker Gotthard! Gottfried lächelte und dachte vielleicht innerlich, zum tiefen Gelehrten mehr Anlage zu haben, als der gnädige Herr!

Zuweilen übertrieb Gottfried diese Anlage. Wenn er Spielgeld wegtrug, bestand er auf eine Quittung, worüber er einmal bei einem Haare aus dem Regen in die Traufe gekommen wäre. Einen gastfreien Ausdruck nahm sich Gottfried nicht übel, und kam immer mit heiler Haut davon, wenn gleich er zu weit ging. – Seine Rechtschaffenheit blickte überall durch. Jeder nahm Partei, sobald er ihm in's Gesicht sah. Da er sich im Schreiben zu üben Gelegenheit hatte, glaubte er auch im Denken es weit gebracht zu haben. So geht es mit solchen Leuten, und was schadet es, daß es so geht? Man kommt oft mit Erfahrungsbegriffen weiter als mit Vernunftbegriffen. Bei jenen ist man unternehmend, nichts ficht uns an; bei diesen alle Augenblick ein Querstrich, ein Seitensprung. Die Vernunft ist nicht jeder Sache gewachsen, und kann manches Gehege nicht durchbrechen, wo die Erfahrung sich Bahn macht! – Die Baarschaft seiner Seelenkraft ergibt sich aus seinem Briefe. Ich habe den größten Theil seines langweiligen Briefbuchs[184] abgesichelt. Was hindert er das Land? Seine Bemerkungen über Danzig gehen alle auf das Glockenspiel heraus! In Berlin hat er keine in Gott andächtige Jungfer mit ihren Morgens und Abends zu Gott erhabenen Händen gefunden. Lieschen ist todt, ihr Kind hat Gottfried nach seinem Namen genannt, und das Protokoll nicht etwa eingerissen, sondern verbrannt. Noch eine Stelle finde ich in seinem Briefbuche, die lesenswerth seyn dürfte.

Es ist allhier Sitte, daß man die von Gottes Gnaden oder Ungnaden, wie es die Leute nennen, in den Wirthshäusern zu jedermanns Achtung, sonderlich denen daran gelegen, aufknüpft. Da hing ein ganzer Codex (meine Herren nannten es so) am Nagel, und es gefiel meinen Herren die Art, den Codex an den Nagel, zu hängen, worüber der Wirth selbst lachte, da man ihn darauf brachte. Sein Schwager, der das Bier zu versuchen gekommen war, hatte noch einen tückischern Einfall, den ich Ew. Wohlerwürden mittheilen will. Mein adelicher Herr that die Frage: Nun, Ihr haltet doch diese heilsamen Verordnungen, oder von Gottes Gnaden, wie Ihr sie nennt? – Junger Herr, einer hält sie im ganzen Dorfe. Gott verzeih' mir meine schwere Sünden! Da fiel mir der Jüngling ein, der alle zehn Gebote gehalten hatte von seiner Jugend an. Ha! dachte ich, das wird wohl so ein Enkelchen dieses Jünglings seyn, und freute mich, daß beide Herren fragten: wer? denn hätten sie nicht gefragt, so hätte ich es gethan. Wer? Der Nagel, antwortete der Bauer, und sah nach oben, als ob seine Antwort auch an dem Nagel hinge.

Aus dem nämlichen Fasse des jüdischen Diogenes. Nicht wahr? Ein besonderer Geschmack darin! Es schmeckt nach dem Fasse.

Hier sagt man, schreibt Gottfried, mutterseligallein; habe es in Curland nicht gehört. Mein zweiter Herr ist gleich mit einer Erklärung da. Will es von den sechs Wochen verstanden haben, da der Mann sein Weib, wenn er sie gleich noch so liebt, allein[185] läßt, und wo sie doch allein so selig in der Mutterfreude ist, daß sie nichts mehr begehrt. – Liese, fügte er hinzu, hat nur drei Wochen gehalten. Möchte wissen, wenn nach dem betrübten Sündenfall die sechs Wochen aufgekommen?


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Meiner Mutter Lieblingswunsch war: Gott thue wohl den guten und frommen Seelen! und so schließe ich auch diese Beilage C.

Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Lebensläufe nach aufsteigender Linie nebst Beilagen A, B, C. 3 Teile, Teil 3, Leipzig 1859, S. 165-186.
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