[Fortsetzung]


[186] Soldat. Ob mein Vater den rechten Weg eingeschlagen, mich zum Soldaten zu erziehen, mögen Feldherren und nicht Kunstrichter bestimmen. Daß ich mich aber selbst nach dieser Lebensart, nur erst da Mine todt war, herzlich gesehnt, ist ein Umstand, den ich zur Steuer der Wahrheit, sonder Arglist und Gefährde, hie und da zu erkennen gegeben. Nie würde ich diese Sehnsucht befriedigt haben, wenn es nicht dem Herrn über Leben und Tod gefallen, meine liebe, theure Mutter aus der streitenden Kirche dieser Welt in die triumphirende zu versetzen und zum ewigen Frieden in sein himmlisches Reich zu bringen, wo Ruhe ist. Sie warf zuweilen die großmütterliche Frage auf: Ob es in der andern Welt zwei Geschlechter geben würde? und mein Vater, der sich in solche Fragen nie einließ, brachte sie auf die himmlischen Heerschaaren und ließ das gute Weib im Stich. Sie war wirklich auf dem Wege zu glauben, daß dort nur männliches Geschlecht seyn würde! Indessen erklärte sie die Spruchstellen, welche die Engel als starke Helden, als edle Streiter, als Hülfsvölker der Menschen darstellten, in der Art, daß man in der andern Welt sich recht emsig bemühen würde (dem Wort: exerciren, wich sie glücklich aus), Gott zu loben! – Der Engel aber, sagte mein Vater, der in einer Nacht einhundert fünf und achtzig tausend Mann schlug? – »Das war durch eine Feldpredigt.« Und der[187] mit dem Schwerte vor dem Paradiese aufzog? fiel ich ein. Stecke dein Schwert in die Scheide; denn wer das Schwert nimmt, wird durchs Schwert umkommen.

Ohne daß man wußte, ob diese vortrefflichen Worte auf den Cherub oder mich gingen.

Noch nie bin ich über etwas so stimmig gewesen, als über die Ausführung des Entschlusses, Soldat zu werden. Es war göttlicher Ruf. Ich hatte nicht nöthig, die goldene Regel von zwei Loosen in Anwendung zu bringen und in eines flugs Ja und ins andere flugs Nein zu schreiben, sie einander gleich zu machen, eins zu greisen, und zu thun, was ich gegriffen. Es war alles Ja in mir, und Amen in mir, und wahrlich, ich empfand, daß ich eine Stimme zum Adler und Löwen hatte, die meine Mutter nur Baßpastoren erlaubte, dagegen sie der gütigen Meinung war, daß auch ein Discantist schon ein Thierchen für sein Stimmchen in der Bibel finden würde!

Der preußische Dienst hat so viel Anziehendes für mich, daß ich lange kämpfen mußte, wo ich den Tod, den lieben Tod suchen sollte. Da fiel mir noch zu rechter Zeit ein Gespräch ein, das der Professor und der Officier beim königlichen Rath über diese Materie gehalten. Es ward von einem jungen Manne gesprochen, welcher durchaus und wider seiner Eltern Willen, wie es der Professor hieß, dem Kalbfell und nicht den Prolegomenen der Metaphysik folgen wollte.

Der Kalbfell-Ausdruck fiel dem Officier auf. Er forderte den Professor. Hier ist das Duell:

Und wenn er will?

Der Verstand ist frei!

Der Wille nicht?

Wer sich auf den Verstand verläßt, was thut der?

Alles![188]

Mit der Feder?

Mit dem Kopf überall der Soldat. Freund! ich lasse Ihrem Stande alle Gerechtigkeit widerfahren; ich lasse ihm den Degen und, wenn Sie wollen, die Hand.

Und Willen?

Meinetwegen! wenn mein Stand den Verstand behält, hat er gewonnen Spiel. Den Verstand – –

Bitte zu behalten. Gegönnt von ganzem Herzen. Mit Verstand ist nicht viel anzufangen; aber was können Sie denn meinem Stande nachsagen?

Cain schlug seinen Bruder Abel todt, war der erste Alexander der Große, der erste commandirende General-Feldmarschall, ein Allerdurchlauchtigster Ueberwinder, Sieger aller Sieger!

Und das Zeichen, das ihm Gott an die Stirn hing, gelt?

Das war wohl, nach Ihrer Meinung, ein Gnadenkreuz, ein Orden? – –

Wenn Sie wollen; wenigstens schützt manches Gnadenzeichen den Träger, daß man ihn nicht Mörder schilt.

Gewonnen!

Noch nicht. Gott schuf Weiber und Männer; allein viele Männer sind Weiber, und viele Weiber Männer. Es gibt Leute, die den Baum sein höflich wegbiegen, und Leute, die ihm gerade entgegen trotzen; Leute, die bitten, und die fordern.

Fordern, Freund? Was haben wir denn Welt auf Welt abzufordern?

Die ganze Welt!

Oder nichts, als uns selbst. Ein jeder hat den Ort, wo er steht, den Platz, wo er seine Rüben Pflanzt.

Und wer ihm das nimmt?

Ist sein Feind!

Also Krieg und Soldat![189]

Vor dem die steinerne Tafel sub B, die von der Liebe des Nächsten handelt, ihn schützt: Was du nicht willst, daß dir andere thun, thue andern auch nicht.

Und wenn trotz der steinernen Tafel sub B doch ein solcher Thäter wäre?

Dann alles wider ihn, bellum omnium contra unum, solum, totum.

So wäre das menschliche Geschlecht eine Familie, wo der liebe Gott Hausvater wäre. Staaten sind unserer Herzenshärtigkeit wegen, und Soldaten?

Träume, Freund! Wir wollen nicht im Schlaf reden.

Ists Schlaf? Ists Traum? Wie gern gäbe ich, wie der Astronom, den Tag um diese Nacht! Glauben Sie nicht, Freund, daß einmal eine Heerde und ein Hirte seyn wird? Daß die Böcke ausgestoßen und die Lämmer gesammelt werden können? – Es gehen viele Lämmer in einen Stall! und in Wahrheit, die Erde ist so ein kleiner Stall eben nicht, daß nicht jedes Paar sein Königreich, sein Haus und Hof, seinen Acker haben und sich begnügen sollte mit dem, was da ist! Wir haben nichts in die Welt gebracht, und ist gewiß, daß wir auch nichts Herausnehmen werden. Der Mensch, wenn er todt ist, hat mit wenig Spannen Erde genug, und wenn er lebt, schwebt und ist, braucht er ein paar Spannen drüber. Man sollte nach Spannen messen. Die verdammten Meilen, sie mögen deutsche oder englische, oder – seyn, so sind es Wege, die den Menschen aus dem Menschen hinausführen. Die Soldaten sind eigentlich die Meilenzeiger. Sie haben alles Unglück in die Welt gebracht, sie erhalten es und werden es so lange erhalten, bis die Menschen so klug werden, daß sie kein Herz mehr haben; dann wird sich alles von selbst geben!

In den ersten fünftausend Jahren wohl nicht, und da unser Leben siebenzig währet, wenns hoch kommt achtzig, lassen[190] Sie uns die Welt nehmen, wie sie ist, und den Soldaten Soldaten seyn!

Aber das Bewußtseyn, daß er überflüssig ist, daß die Welt ohne ihn seyn könnte und, was noch mehr ist, glücklicher seyn würde – ha! solch Bewußtseyn thut weh.

Kann nicht sagen! Was würden denn die Herren Gelehrten in diesem Paradiese vorstellen?

Bewahrer der Labe des Bundes, wo geschrieben steht: Was ihr nicht wollt, daß die Leute euch thun, das thut ihnen auch nicht.

Lieber Freund! Zu so einem kleinen Bundeslädchen hat jeder in seinem Hause Platz, ohne den Gelehrten Miethe bezahlen zu dürfen.

Nun! so mag alles dahin fahren! Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sey gelobet!

Und gebenedeiet! Kurz und gut, lieber Professor! Gesetze ohne Vollstreckung sind Professores ohne Studenten!

Zur Vollstreckung sind hundert Mann genug.

Nachdem die Unterthanen sind, viel oder wenig, ruhig oder unruhig.

Man weiß nicht, ob Julian die Christen, oder die Christen den Julian verfolgt. Die Sterbescene an seinen Ort gestellt, da Julian eine Handvoll Menschenblut mit den Worten gen Himmel warf: Endlich hast du, Galiläer, doch überwunden!

Ich. Julian? –

Die wenigsten Unterthanen lassen es bis zur Execution –

Und die Nachbaren?

Müssen denken wie wir!

Müssen? Und wenn nicht?

Greift der Bürger nach seinen Waffen.

Der Professor nach dem Studentendegen.

Hat es denn nicht militiam civicam gegeben?[191]

Schneider zum Beispiele.

Fleischer, Schlosser, Schmiede, unsere Fuhrleute

Gänse zur Leibwache fürs Capitolium –

Was ich bei dieser Unterredung für vernünftige, lautere Milch in Absicht meines Entschlusses eingesogen, wird jeder selbst einsehen. So lange die Welt so ist, wie sie ist, scheint der Soldatenstand so etwas Männliches, so etwas Rüstiges an sich zu tragen, daß ich keinem jungen Menschen, falls er nicht eine Mine hat, verarge, wenn er dem Kalbfell folgt, so wenig wie dem Sokrates, daß er zwei Schlachten pro patria et gloria übernommen. Der Gebrauch, daß man das Kind die Semmel erst mit einem Pfeile treffen ließ, ehe man ihm solche bewilligte, hat er nicht sein Gutes? Und wer kann meinem Vater das Alexanderspiel vorrücken? Man sieht den Krieg als einen Staatsaderlaß an, und vielleicht nicht ohne Grund. Der Professor war der Meinung, so wie es alle Schulmänner sind, der Peditatus, das Fußvolk, sey der Kern, die Phalanx der Armee. Weil die Alten dafür gewesen, sagte der Officier, und weil die Schulofficiere selbst alle Peripatetiker, Spaziergänger sind. Der Officier war ein Reiter. Ein Pferd ist freilich ein geborner Soldat unter den Thieren, und kann es vom Reiter mit Recht heißen: doppelte Schnur reißt nicht; indessen war ich mit dem Professor sehr fürs Fußvolk. Kein Wunder, da ich Student war. Ich blieb aber auch dieser Meinung, weil ich in der Jugend schon bei der Infanterie gedient und einen rühmlichen Abschied als Alexander erfochten. Fußsoldaten sind die Richter, die das Urtheil aussprechen; die Reiter vollstrecken es nur.

Daß doch der gütige Himmel dieß Kränzchen beim königlichen Rath in Frieden erhalten wolle! Nach meinem letzten Briefe aus Königsberg lebt er noch, der Präsident desselben, dieser Mann mit einer offenen, weit offenen Stirn, schwarzem Haar und einem Auge,[192] in dem man ihn im Kleinen, allein doch ganz sah, dieser Mann, der in den Mond und auf ein Grab sehen und weinen konnte.

Es gehört, sagte der königliche Rath, Minister und General zum Kriege; einer, der das Pulver erfindet, und ein anderer, der es braucht; und dieß kam dem Professor wie gerufen. Was will denn der Soldatenstand? sing er an. Erfand nicht ein Geistlicher das Pulver? Und hat nicht Daniel einen Traktat von der Cavallerie geschrieben? Der Officier hätte, das sah man ihm an, den guten Mann nicht ohne ein Wer da? gehen lassen, wenn nicht Daniel eben von der Cavallerie geschrieben. Das brachte ihn durch.

Ueber die fremden Worte beim Exerciren war der Officier am verlegensten. Die Herren, sagte der Professor, sind alle deutsche Briefe mit französischen Aufschriften. Für ausbrechen, fortgehen, sagen sie marschiren, für Schlacht Bataille, für Rittmeister Capitain, für Rottmeister Corporal, für Feldwebel Sergeant. – Warum denn nicht Feldherr, sondern General? Von den Polen können wir deutsch lernen; da gibt's allein Groß- und Unterfeldherrn. Zwar, fuhr der Professor fort, haben die Herren freilich auch ihre deutschen Kunstwörter. So heißt z.B. der Teufel hat ihn geholt, in unserer Sprache: er ist sanft und selig im Herrn entschlafen! aber – Wer andere jagt, fiel der Officier ein, wird selbst müde; und der Professor wie ein Kanonenschuß: Man muß sein Geld nicht in einen Kasten werfen, wozu man den Schlüssel nicht hat.

Außer in den Gotteskasten, sagte der königliche Rath.

Soldat! aber wo? Eigentlich ist man Soldat fürs Vaterland. Da Curland indessen kein Vaterland ist, oder da Curland keine Soldaten hält, so war mir die ganze Welt offen. Wo? dachte ich. Der gute Officier, ohne zu wissen, was ich dachte, sprach ohne Ende und Ziel von der überwiegenden Würde eines preußischen Soldaten. Ueberzeugt, daß er mit drei Mann dreitausend[193] schlagen könnte, so daß kein Gebein von ihnen auf dem andern bleiben sollte, war ihm Alexander nicht groß. Alexander nicht? Der Professor sagte an einem tapfern Tage: Gewiß hat ein preußischer Trompeter die Mauern von Jericho zu Schanden geblasen. Unser Reiter lächelte. Wissen Sie, Freund! fuhr er fort, die Unterredung des großen Alexander mit dem Seeräuber, der sich so nahm, als wären sie Kriegscameraden? Der Reiter lächelte. Als Alcibiades, sagte der Reiter, erfuhr, daß die Athenienser ein Todesurtheil über ihn ausgesprochen, sagte er, laßt uns ein Lebensurtheil eröffnen, und dieß Urtheil in Rechtskraft setzen. Alcibiades, lieber Professor, zeigte daß er lebte.

Der Professor schwieg, ohne zu lächeln. Ich würde unserm Reiter, der wahrlich ein deutscher Brief mit einer französischen Aufschrift war, die Verachtung des großen Alexanders verziehen haben, obgleich Alexander mein Verwandter war, und worden seyn, wie er Einer, wenn nicht zu allem dem noch ein Vademecum von Werbgeschichten gekommen wäre, die der Reiter in Bereitschaft hatte, und die mehr interessiren, als die im Druck erschienenen List und lustige Begebenheiten der Herren Officier auf Werbungen. Es ist bekannt, daß Preußen für seine Kriegsmacht zu wenig Vaterländer habe, und daß durchaus auf Fremde Rücksicht genommen werden müsse. Mein Herr, sagte ein Witzling, braucht nicht Kinder, sondern Männer, als man von der Unzulänglichkeit der preußischen Landeskinder sprach. Kann man aber vom Witze sagen, daß er seinen Mann halte? – Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht, bemerkte der Professor über diesen Gegenstand. Es kommt viel darauf an, wie man ihn trägt, erwiederte der Reiter. Mag seyn! Was kann denn aber ein Fremder für innerlichen Beruf fühlen, für ein fremdes Land zu siegen, oder zu sterben? Sollte man es nicht für eine Art von Blutschande halten, wenn Fremde für Geld und gute Worte Blut[194] und Leben in die Schanze schlagen? Freilich geben auch zwei kalte Steine Feuer; allein man muß sie lange reiben; mit einem eilfertigen: Fertig, schlagt an, Feuer' ists hier nicht gethan. Zur Zeit der Anfechtung fallen die Miethlinge ab! – Gut, sagte der Reiter, daß der Spreu vom Kern stiebt! – allein noch besser, wenn keine Spreu mehr da ist. Der Professor! – Sollen Werbungen seyn, warum denn list- und lustige Begebenheiten dabei? Ists denn so unrecht, wenn ein mit List und Luft Geworbener sich mit List und Lust wieder aus dem Staube macht? Der List kann durchaus nichts anders als List entgegengesetzt werden. Verstand thut nichts dagegen. – Der Professor konnte nicht aufhören über den armen Tropf zu lachen, der als Regimentsglaser Handgelb genommen. Eine einzige von diesen interessanten Geschichten.

Ein Officier, der aus List und Luft in gemeiner Kleidung auf Menschencaperei ausging, fand, wie sich unser Reiter ausdrückte, seine Leute, die er mit Geld und guten Worten locken wollte, daß sie daran glauben sollten, so gefaßt, daß er keine Menschenfestung einnehmen konnte. Er legte sein Ueberkleid ab, fing an zu drohen, und siehe da! man legte es ihm so nahe, daß er sich ins Wasser stürzte um sich zu retten. Ungewohnt, zu Wasser Dienste zu thun, würde er sein Leben gewiß eingebüßt haben, wenn nicht ein junger Mensch, der nur an die That, nicht an die Gefahr zu denken gewohnt war, mit seiner eignen Lebensgefahr das Leben dieses Werbers gerettet hätte. Edler Mensch, sagte ihm der Gerettete, was bin ich schuldig? – Nichts, erwiederte er. – Ein Tuch wenigstens zum Trocknen! – Ich bin nie anders getrocknet, als von der Sonne. – So sey mein Freund! – Hier ließ sich der Retter bewegen, dem Geretteten die Hand zu geben und ihm zu folgen. Edler Mensch! wo gehst du hin?

Bei großen Handlungen ist kein Stand merklich. Man sieht[195] den Menschen nicht vor der That. Jetzt, da beide unter Dach waren, sah der Officier, daß die Seele seines Lebensverehrers weit über dessen Stand wäre! – Der Gerettete ließ auftragen, was das Haus vermochte. Macht nur den Versuch, es kommt nur auf euch an, wie ihr den gemeinen Mann haben wollt. Ihr habt den Stimmhammer zu seinen Gesinnungen in euren Händen! –

Der Officier, so wenig zum Stimmen aufgelegt, daß er bis auf eine sehr kleine Cultur tief unter seinem Retter stand, verhielt sich herrlich zu ihm. Man aß und trank, und ward, wie der Reiter sich ausdrückte, von innen so naß wie von außen. In diesem ausgelassenen Vergnügen nöthigte der Officier seinem Erretter ein Versprechen ab, das sogleich durch eine rothe Binde in Rechtskraft gesetzt ward. Unser Reiter nannte diese Erzählung einen Wasserfall und that so listig und lustig dabei, daß es jedem von uns wie ein zweischneidiges Schwert durch die Seele ging.

Wenn das der König wüßte, sagte der königliche Rath! – Wenn? erwiederte der Reiter; was für ein Federleser wird es ihm denn melden? Da niemand das Wort nahm, fuhr der Reiter fort: Nachdem es fällt. Was für Collision ist denn hier, wenn man die Sache beim rechten Zipfel faßt? –

Ich wünschte, diese zweischneidige Geschichte so kalt erzählt zu haben, als sie der Reiter erzählte, der mir in diesem Augenblick mit seiner List und Lust wie ein Menschenhändler vorkam! Er glaubte, daß der Retter nicht höher, als durch eine rothe Binde belohnt werden könne, da er aus einem Sklaven ein Gebieter worden! Wie man alles in der Welt nehmen kann! Das Copernicanische System scheint paradox und ist doch das wahrscheinlichste! Der Retter war freilich ein gemeiner Mann; muß man denn aber einen Degen tragen, um glücklich zu seyn?

Ich dachte nicht mehr wo? Die Russen können von Riga aus den Curländern in die Fenster sehen! Unser Reiter selbst[196] konnte den Russen nicht ein gutes Zeugniß abschlagen. Er hatte sich mit ihnen gemessen, und sein Vater, der während des dritten schleichen Kriegs in Preußen den Russen zu huldigen verbunden gewesen, hatte alles Liebes und Gutes von diesen guten Feinden genossen! – Alles, fügte er hinzu, alles haben die Russen von uns. – Mag! Man sagt freilich, die Russen ahmten nach. Besonders daß eine Nachahmung der Natur, eine Beschleichung derselben, eine unmittelbare Befolgung der Vernunft, eine Erfindung heißt, und von niemandem, als wer es versteht, Nachahmung gescholten wird. Nur wenn ein Mensch ein Menschennachahmer ist, heißt er Affe. Männchenmacher, oft Possenreißer; dann siehts aus, als wenn man im verbotenen Grade geheirathet hätte. – Ist's eine Blutschande, für ein anderes als das Vaterland den Degen blößen, so ist hier die Blutschande noch ersichtlicher. Wahr! daß kein Menschennachahmer es weit bringt und die Nase (bei jeder Nachahmung ein Hauptstück, das in Bewegung ist) hoch heben kann. Warum aber wahr? Weil der Menschennachahmer vielleicht mehr vermochte, als sein Herr und Meister, weil der Nachahmer kein Herz hatte; und weil überhaupt es nicht viel Menschen gibt, deren Bild man tragen kann.

Jeder Mensch ist Original, sagt Pope, und wie oft ist das Uneigenthümliche nichts weiter, als Rost, der sich an eignes Talent anklammert.

Das erste Wort war Russen! das zweite Krieg! und das dritte Türken! So viel Worte, so viel Gewichte. Die Türken gaben den Ausschlag.

Mein Vater konnte zwar als ein christlicher Geistlicher nicht wie Aristander in dem Alexanderspiel dienen; allein wider die Türken wäre er mit Freuden als Feldpropst gegangen.

Ich fürchte, er hätte seine Bibel sehr bald mit dem Degen verwechselt. Er hatte nach seiner angestammten Milde keinen Feind[197] in der Welt, als die Türken. Auch diese waren Feinde der Einbildung. Wäre es auf Liebesdienste angekommen, er hätte nicht ermangelt. Selbst zog er keine erbauliche Kirchenglocke wider sie. Meine Mutter besaß eine Predigt mit dieser Aufschrift, die mein Vater in seinem Bücherheere litt. – Das will schon viel sagen; was that er denn Curland und Semgallen? und was den Türken? – Wem fällt hier nicht seine Reise ein, die er mit meiner Mutter des Abends zum Grabe Christi anstellte? Des Morgens, wenn beide zu Hause wieder eintrafen, hatte keines einen Türken gesehen. – –


* * *


Junker Gotthard hatte, nach dem Tode seines Vaters, von seiner Mutter dringende Briefe, zurückzukommen. Schnell fiel ihm auf einmal seine unverkrümmte und unverkrümmte, reif wie die Natur herausgegangene, wie eine Göttin ausgewachsene Trine ein, gegen die alles, was er in Königsberg Schönes erjagt, nur mangelhafte Kopien blieben. Was das für ein Geruch ist, sagte er mir einen Abend, wenn die Pomade auf dem Kopf und die Rose am Busen im Wettstreit sind! Nun war Junker Gotthard fertig. Er sagte selbst, daß er wie aus der Pistole abgehen wollte. Unvergeßlich ist mir der Abend, da die Nachricht von seines Vaters Beförderung einging. Seine Mutter hatte mir übertragen, ihm diesen Todesfall gelegentlich im Säftchen beizubringen. Er kam mir mehr als halbes Weges entgegen. Meine Vorbereitung indessen verpfuschte mir eine Scene nicht, auf die ich es geflissentlich anlegte. Er ist geborgen, fing er an. Was meinst du, Bruder, ich werde nicht alt werden? Mit diesen Worten stützte sich Junker Gotthard auf drei Finger seiner linken Hand (er hatte starke Finger), und blieb so eine Viertelstunde. Jetzt sprang er auf und murmelte die Melodie: Wenn Mein Stündlein vorhanden [198] ist. Das Ende vom Liede, fing er zu mir nach dem dritten Vers an, das Ende vom Liede, Bruder, ist sterben. – Wir leben für nichts und wieder nichts; eins kommt zum andern, erwiederte ich; es gibt auch schöne Tage in der Welt.

Er. Summa Summarum, was ist das Leben?

Ich. Freilich, der schönste ist der Sterbetag!

Er. Gelt! es war ein Mann, mein Vater! Ich will nicht ruhmredig seyn. Ich werde nie werden, was er war! –

Wahr! Bruder! ich vergesse nie ihn und den Alten mit dem einen Handschuh, den er jetzt mit Bor- und Zunamen kennt!

Junker Gotthard holte sich den Kalender und brachte ganz richtig heraus, daß sein Vater an dem nämlichen Tage gestorben, da der ehrwürdige Alte zum letztenmal vom Gewächs des Weinstocks bei ihm getrunken! – Eine Stille!

Junker Gotthard aß den Abend keinen Bissen. Er war ernst und feierlich; Gottfried außer sich. – Beide konnten sich nicht anders nehmen, da sie herzlich betrübt waren. Gottfried weinte laut, als wollte er seinem Herrn den Rang ablaufen. Junker Gotthard keine Thräne!

Man entgeht mit eins, wenn man stirbt, allem, allem Elend, sagte Gottfried, und riß seinem Junker das Kleid herunter und band ihm das Kopftuch mit den Worten um: Ists mir doch, als wäre es dem seligen Herrn! –

Ich weiß nicht, ob dich oder was anders der Drücker der Flinte gewesen! – Junker Gotthard weinte heimlich. Er und ich hatten die Gewohnheit, aus dem Bette gute Nacht auszuwechseln, dießmal hielt es lange an, ehe sie seinerseits zum Vorschein kam! Ich hörte ihn weinen! – Spät kam die gute Nacht, und so mit Thränen versetzt, daß ich selbst bewegt ward! Ich kein Wort, wie gute Nacht! Wer sollte glauben, daß Junker Gotthard, dieser rauhe Jüngling, auf diese Art gute Nacht sagen könnte! Er[199] schlief bald ein. Seine drei Argos, die er in Göttingen hatte, konnte er nicht freundlich ansehen. Der Selige hatte es ihm verboten. So wie sein Schmerz nachließ, so nahm die Liebe zu den Hunden zu. Sie heißen Argos, sagte er, ich nehme sie mit. Der Schmerz, sagte ich ihm, ist eine Seelenbewegung! Die deinige hatte sie höchst nothwendig.

Ich gestehe es, sie war der Stockung nahe.

Fast. –

Ich kann mich nicht so geschwind auffreuen als mancher!

Desto besser, daß du geweint hast! –

Aber weinen! –

Würden wir wohl weinen können, wenn wir nicht weinen sollten?

Gerne hätte er, wie er sagte, seinen Vater im Sarge gesehen! Du hast mir gesagt, es gebe Gesichter, die sich da ausnehmen! Mein Vater war einer von denen, die im Tode getrost zu seyn verstanden. Es freute den Junker Gotthard, daß sein lieber Vater, wie ers nannte, zu Kreuz gekrochen und sich mit der Bibel ausgesöhnt hätte.

Seine Mutter hatte ihn von allem unterrichtet, und im Postscript, das fast eben so lang als der Brief war, vorgezeichnet, wie die Trauer beschaffen seyn sollte. Die Regel jenes Alten, die er gab, da man ein Mittel wider den Schmerz von ihm verlangte, brachte den Junker Gotthard wieder auf die drei Finger seiner linken Hand: denke an die Zukunft, als wäre sie da! – Wahrlich, eine schöne Regel!

Gibts Schmerz? könnte man fragen, und: gibts Freude? darauf antworten. Bei Gott ist Finsterniß Licht. Böses ist bei ihm Gutes. Er sieht wie Gott, und wir wie Menschen! – Podagra ist Originalschmerz! Edles Salz, uns das Leben schmackhaft zu machen, das ist Schmerz! – – –[200] Daß dem Junker Gotthard seine gute Trine einfiel, wer kann es ihm verdenken? Ich verdenke keinem, was die Natur ihm nicht verdenkt! Da ich ihn aber an die liebe Kleine, an Lorchen, erinnerte, schlug er den Kopf zurück. Kinderspiel! Das war alles, was er sagte. Junker Gotthard ward, was er nie gewesen, krank, und konnte nicht reisen. Die Aerzte widerriethen ihm die Reise, und seine Mutter, da sie die Nachricht von seiner Krankheit eingezogen, verbot sie ihm. Sie verfügte eine Zeit, damit er sich ja nicht übereilen möchte. Ihren mütterlichen Segen setzte sie darauf. – Junker Gotthard blieb, wie er mir sagte, gern meinetwegen! und ich läugne es nicht, daß ich mich ihm und seinem Gottfried in dieser Vorbereitungszeit mehr widmete, als vor diesem!

Einen Morgen traf ich ihn mit einer Taube beschäftigt. Er wollte ihr beibringen, die Wicken aus den Erbsen zu lesen! – Bruder, setze den Citronenbaum dem Fenster näher; siehst du nicht, wie er seine Aeste nach der Sonne reckt? – Natur, Bruder! – Wie kannst du glauben, daß eine Taube sich so verläugnen sollte? – Dafür ists eine Taube! erwiederte er.

Ich würde sie verachten, wenn sie keine Erbse mit verschlänge!

Zugegeben, sagte er eines Abends, da er sich durchaus noch eine Viertelpfeife länger mit mir unterhalten wollte. Alles zugegeben, eine Flinte ist doch was Großes. Jupiters Scepter! Donner und Blitz! Jupiter würde sich nicht schämen, sie zu führen.

Je aufgeklärter die Nation, je weniger wilde Thiere, erwiederte ich. Wilde Thiere, wilde Menschen!

Er. Der Sohn des Achill ging mit zwei Jagdhunden in die Versammlung der Achäer.

Ich. Wilde Thiere sind Straßenräuber.

[201] Er. Darum Jagd.

Ich. Ich. wünschte Ausrottung!

Er. Und wo denn Fleisch in der Wüste?

Ich. Wachteln! Vogelwild!

Er. Vogelwild ist Weiberwild. Männer sollten so männlich seyn und diesen Jagdabschnitt den Weibern überlassen! Nicht wahr, auch Hausthiere?

Ich. Freilich, wenn durchaus Fleisch seyn soll, wenn Manna nicht hinreichend ist. Man muß doch von jeher Gewissensbisse übers Fleisch gehabt haben, sonst würde nicht in den christlichen Kirchen die Fleischfasten ein Religionsstück worden seyn. Der Mensch, dünkt mich, ist Souverän der Erde, kann essen und trinken was er will, was sein großes Haus, die Erde, nur vermag! – Was seiner Souveränetät in Weg kommt, begeht Hochverrath! Alle schädlichen Thiere sind Verräther. Nimm England!

Er. Hasen gibts da noch

Ich. Die sind zu keinem Hochverrath aufgelegt.

Er. Der Hauptjagdartikel!

Ich. Du sprichst dein Urtel selbst. Siehe da! den Beweis, daß die Jagd mehr ein Spiel, als eine Ausübung der Majestätsrechte über die Thiere ist! – Freilich kommt der Jäger mit List, Hunden und Flinte, so wie jeder Despot; allein der Sache nahe getreten, ist er Fiskal, Richter, Henker, der im Kleinen den Monarchen spielt! – Ausrottung, Bruder, Ausrottung!

Er. Du redest, wie Moses von den Canaanitern, Hethitern, Amoritern.

Ich. Mit dem Unterschiede, daß meine Canaaniter Bären, wilde Schweine, Wölfe und andere dergleichen schadenfrohe Thiere sind.

Er. Und England?

Ich. Ich bitte.

[202] Er. Dieser Wildfang von Staat ward, was die Thiere erst waren, ward wild.

Ich. Frei, willst du sagen, und Curland, dieß Bärenland!

Er. Gute Nacht, Bruder!

Ich. Gute Nacht!

Er. Mein Vater pflegte zu sagen, der Monarchist reitet, der Aristokratist fährt, der Demokratist geht zu Fuß, wie jeder kluge Mann.

Ich. Der Despot läßt sich in der Sänfte tragen.

Er. Der Monarch liebt die Jagd.

Ich. August der Schöne, König von Polen, liebte die Jagd rasend, und der Original-König Friedrich, liebt er sie?

Schon habe ich bemerkt, daß die Frau v. G. ihrem Sohne die Trauer sehr pünktlich vorgezeichnet. Herr v. W. hätte nicht genauer seyn können, wenn von ihm ein Trauergutachten auf Ehre und Reputation wäre abgefordert worden. Wer aller dieser Trauergesetzgebung ungeachtet nicht trauerte, war Junker Gotthard!

Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen, sagte er; dem Vater mehr als der Mutter.

Herr v. G., der Selige, declamirte, nach der Relation des Junkers Gotthard, unaufhörlich wider alle Trauer. Jedes, sagte dieser Naturmann, hat seine Tracht. Die Erde grün, die Sonne Gold! Grün und Gold ist Erde und Sonne!

Bruder! sagte ich, man siehts dir nicht an. (Dieß war seine Uniform, wie wir alle wissen.)

Ihr Gelehrten habt alle kein Auge, erwiederte er.

Aber die Jagd, Bruder! verbot sie der Selige nicht?

Er selbst war Jäger; bin ich denn noch Student?

An der Taube hast du den Erb- und Gerichtsherrn von – gesehen, nicht wahr? in Lebensgröße! Sey immer eine Taube, lieber Gotthard![203]

Der Zeitpunkt kam, den ihm die besorgte Mutter bezielt hatte, und nun schieden wir an einem regnichten Tage, nach Mittag, weil es eine weite Reise war, von einander.

Es ist in diesem Buche schon so oft Abschied genommen worden, und begnüge ich mich also zu bemerken, daß der unsrige kurz und gut war, wie vieles in diesem Buch ist. Ginge ich zu Fuß, würde ich behaupten, ich ginge mit einem Springstock. – Gottfried hatte etwas Schriftliches aufgesetzt, das er mit einer Art behändigte, die nicht zu beschreiben ist.

Der Jüngling, fing Gotthard an, lehrt den Mann, der Mann den Greis. Der Grund, die Folge, pflegtest du zu sagen, lieber Bruder! Du sollst Freude an mir erleben! – Gott segne dich, lieber Gotthard, sagte ich.

Er. Du wirst dein Lebtag nicht Pastor werden.

Nach einem kleinen Wortwechsel mit dem Postillon wegen der drei Hunde brachte Junker Gotthard es in einem Augenblick durch Geld und gute Worte dahin, daß der Postillon diesen dreien Argos selbst ein Lager legte! Und nun ließ Junker Gotthard über und über blasen! Reise glücklich!

Zum erstenmal empfand ich die Glückseligkeit, allein zu seyn! Daß Leute in gewissen Jahren zum Traualtar so schwer zu bringen sind, kommt wahrlich daher, weil sie die Süßigkeiten des Einsiedlerstandes gekostet haben! – Luther sagt, wo ich nicht irre: wo reiche Leute sind, ist Theurung; wo Menschenhülfe aufhört, da sängt Gotteshülfe an! und gewiß, keinen hat Gott und die Natur verlassen! – Wahrlich, Freunde, es ist keine unrichtige Behauptung, daß der ehelose, der einsame Stand nach der jetzigen Eheweise un endlich viel zum göttlichen Leben beiträgt; daß eine gewisse Kirche die Ehelosen begünstigt, ist es Wunder?

Russen! Krieg! Türken! das waren die drei Worte, bei denen ich stehen blieb, und mich ausruhte. Auch ich war fertig,[204] nach dem Ableben meiner Mutter, wie aus der Pistole. Preußen vermied ich wohlbedächtig, ich wollte stark seyn, und wahrlich, das heilige Grab hatte mich geschwächt!


* * *


Ich kam ins russische Lager zu einer theuren Zeit. Die Türken hatten alle Lebensmittel aus der Moldau aufgeräumt, um uns das Bahnmachen, das Vorrücken zu behindern! – Solche Zäune sind im Kriege die gefährlichsten.

Fürst Gallizin (sein Name sey in der Geschichte ehrwürdig!) ließ zwei Brücken über den Dniester schlagen und brach auf mit uns. – Die Hauptmaxime des Krieges ist freier Kopf und freie Füße. Sich den Feind vom Leibe halten, ist im Großen und Kleinen ein wichtiges Glück.

Wer von mir Ulysseische Wanderungen erwartet, dem gebe ich eine gültige Anweisung auf den Homer, und wenn er will, auf den Professor Großvater, der dem Homer neben der Bibel ein Räumlein vergönnt hatte! – Wer nach einer Abhandlung wider den Soldatenstand dürstet, gehe zum Antagonisten des Reiters, dem Professor – Klein-Vater hätte ich bei einem Haar geschrieben.

Freunde! um euch nicht ganz im Bloßen zu lassen: Es ist alles in der Welt nur ein Spiel! Der Soldatenstand, wie der akademische, der Feldherr, Professor, die Stabs- und andere Offiziere, Magistrati, Baccalaurei, Licentiaten, Candidaten, Fußvolk und Reiterei, Studenten, im vollen Mond, im halben, im Viertel: nur mit dem kleinen Unterschiede, daß der Pedantismus mehr im Soldaten, als im akademischen Stande herrscht.

Ich bitte, mein Herr Obrister, dieß für keinen Druckfehler zu halten. Tausendmal habe ich gedacht, nur neue Dekorationen, das Stück ist das nämliche. Wenden Sie Ihre Zeit gut an, sagt der General und der Professor, und wenn sie Pietisten sind, setzen sie[205] hinzu: Gott segne Ihre Unternehmungen! Ich dachte so wenig, da ich Soldat ward, meinen Lebenslauf zu schreiben, als auf der Akademie. Dort wollte ich leben, hier wollte ich sterben. Auch nicht viel auseinander! Kein Wunder, daß ich bei aller menschenmöglichen Gelegenheit Muth zeigte. Wäre ich ein Katholik gewesen, vielleicht schrieb ich im Kloster Prodromum aeternitatis, Jacobs Himmelsleiter; als Protestant, sage selbst, liebe Mutter, was konnte ich an ders, als Soldat werden? Ich folgte nicht dem Kalbfell, sondern der Todesfahne, in der ein Kreuz hing, dein Lieblingszeichen, das du dir aber meines Vaters halber beim Gähnen abgewöhntest. Es gehört auch für kein groß Maul!

So und nicht anders konnte mir der Soldatenstand nur willkommen seyn; ich wollte nicht den Bürger kränken, um mir von seinem Schweiß und Blut einen Bauch des reichen Mannes anzumästen! – ich wollte siegen oder sterben. Mine selbst würde es mir nicht verzeihen, die vielleicht auf dieses Blatt blickt, wie Geister blicken, wenn ich eine Unwahrheit schriebe. Ehre mischte sich in meinen Entschluß, und wo sie nicht ist, was schmeckt? Ich war nicht verliebt in mein Leben; allein ich wollte es nicht um ein Linsengericht dahingeben.

Was kann meinen Lesern mit Scharmützel- und Schlachtrissen gedient seyn! Hätte ich geglaubt mich dadurch in bessern Ruf zu setzen, würde ich daraus, mit Gottfrieds Erlaubniß, die Beilage C gemacht haben.

Ich war bei dem Treffen, da es zwischen dem Vordertrab des Fürsten Prosorowsky und dem ottomannischen Haufen, der vom Karaman Bassa angeführt wurde, zum Angriff kam!

Ich war bei der Belagerung von Chotzim. Ueberall stand ich wie Urias, ohne sein Empfehlungsschreiben zu haben. Mein lebensgleichgültiges Herz hatte mir diesen Uriasbrief geschrieben, die Ehre hatte ihr großes Siegel mit einem Adler drauf gedrückt. Bei[206] Chotzim gab mir der Tod, mit dem ich wie mit einem guten Freunde umging, die Hand. Ich ward durch den Arm geschossen! Ich kam dieser Armkugel nicht in den Weg, ich sagte nicht: du irrst dich, hier ist der Fleck! – aufs Herz zeigend. Es ist ein besonderes Ding, das Leben, auch wenn man eine Gemüthskrankheit hat, die das Leben schwarz, wie die mondlose Nacht, und den Tod weiß, wie einen schönen Lenztag, poetisch verkünstelt! ES ist doch das Leben, worauf es angesehen ist!

Ein Armbruch ist im Kriege ein Aderlaß; ehe ich selbst dachte, war ich da, und froh, daß ich da war! Geschäfte sind dem Menschen nach unserm Weltlauf so nöthig, als das tägliche Brod. Ich kann nicht sagen, daß ich Minen drüber vergaß; allein Handlungen sind der Einbildung so entgegen, wie Wasser dem Feuer!

Gallizin, der mich bis zum Hauptmann gebracht (er war so gut, zu sagen, ich allein hätte es gethan), übergab das Commando dem Romanzow. Auch er verdient einen undanksichern Platz in der Geschichte.

Ich stand unter dem braven General Elmpt bei der Einnahme von Jassy.

Was werth zu sehen war, habe ich gesehen. Was ist doch Paris und Rom und die schönste Schweizergegend gegen diesen Schauplatz? Ich sahe mehr, als was alle Künstler zeigen können; ich sah den großen Sieg, da das türkische Lager erobert ward! – Möchten sie doch das heilige Grab verlassen, wie ihre Zelter! – Da sah ich den Prinzen Wilhelm von Braunschweig siegen! Warum nicht sterben? Was will eine Civilkrankheit von Helden? – Wie mir sein Tod nahe ging, bloß weil es ein Betttod war! Kein Prinz sollte einen Civiltod sterben!

Ich sah Bender mit Sturm erobern. Es war ein Wirbelwind; ob es gleich nur Türken galt, wandte ich doch mein Auge von der Plünderung. Feinde laufen, Prinzen ihr Leben ausschlagen[207] sehen, ist ein Anblick, der seines Gleichen nicht hat. Welch ein Abfall! die Plünderung! Drei Auftritte gingen mir bei dieser Plünderung durch die Seele. Mein Herz rief wehe! über sie. Sie sollen nicht meinen Lebenslauf verunreinigen!

Romanzow commandirte mich zum Paninschen Corps. Er schien mit mir zufrieden zu seyn und begießen zu wollen, was Gallizin gepflanzt hatte. Romanzow band mir ein paar vornehme Russen auf die Seele. Nicht sollen sie, sagte er, wie an der Schnur irgend eines Unterrichts einhergehen! – Sie sind schon vor solch einem Garn gewesen! Wir Russen sind gewohnt, die Antwort aus der Frage zu nehmen! Reim dich oder ich fress' dich, ist unsere Regel! Durch Umgang, ohne Uebergang und Curialien, wünschte ich, daß Sie dann und wann einen Funken Ihres natürlichen Verstandes in ihr Herz und ihre Seele fallen ließen. Zünden wird es, hoffe ich! – Es waren ein paar allerliebste junge Helden! Sie wußten vom Handwerk mehr, als ich; indessen schlossen sie sich so fest an mich an, als brauchten sie über alles, was sie wußten, meine Bestätigung. Die mathematische Methode ist in der Philosophie abgekommen, und ist die Mathematik heut zu Tage, da alles, was nur einen halben Kopf hat, studirt, zum Soldaten nöthiger, als Gesinnungen, als Grundsätze? Wer kann denn den Franzosen ihre Kriegskunst abstreiten? – Bücher sind nur ein Beweis für das, was in uns ist. Ihr Geist gibt Zeugniß unserm Geiste, daß wir richtig wandeln. Wie leicht wird uns manches durch Umgang, was im Buche so schwerfällig war. Ueber den Fuß, auf dem ich mit diesen jungen Helden umging, waren sie ausgelassen. Mich sollte verlangen, fing der eine an, was er von meinem Aufsatz sagen wird! – Ich durfte nur überall Natur hineinbringen! Alles war schwer von Kunst beschlagen. Ich brauchte nur den Kopf zu schütteln und alles ward glatt ausgelöscht. Gnade dem Gott, der sich unterstand, um den Deutschen[208] zu verargen! Die Russen ziehen selten aus dem Kern etwas groß. Alles wird mit der Wurzel verpflanzt! – All' mein Lebtage denke ich an einen Vormittag, wo meines Vaters Geist auf mich fiel, und wo meine beiden Freunde ausnehmend zufrieden mit mir schienen.

Wir sprachen vom obersten Commando, wozu wir die Gelegenheit nicht weit suchen durften. Nicht wahr, es sollte nach der Staatsform geformt werden? Ist die monarchisch, aristokratisch, demokratisch, so auch das Commando. Der hat sehr über den Soldaten gewonnen, der ihm einbilden kann, er wäre zu Hause! – Die Maxime ist gar nicht unüberdacht, daß man den Soldaten das Heirathen verbietet. Da merken sie es gleich, daß sie nicht zu Hause sind, wenn sie ihre Weiber nicht bei sich haben! Ein Weib und ein Schlafrock scheint einem Soldaten gleich unpassend.

Soll ein Prinz das Commando haben? Gustav Adolph und Karl der XII. scheinen fast auf ein Nein zu bringen; Peter der Erste, König Friedrich würden es bejahen.

Zum Beschluß tranken wir dem Drosselpastor zu Ehren: Vivat Academia! Es lebe Romanzow!

Meine beiden Schüler waren jung und konnten nicht umhin, sehnlichst zu wünschen, daß Lustbarkeiten, Bälle und Theater im Felde erlaubt wären! Ich schlug es ihnen rund ab. Nicht eines? Der keines, lieben Freunde! Der Kampf der Ehre und Liebe macht den fünften Actstod so schön, daß man mit Geschmack sterben will! – Im Felde muß man den Tod nehmen, wie er kommt – da hilft keine Herz-Mutter! Dieß brachte uns auf die lieben Franzosen, die ihren Feld-, Tanz- und Fechtboden, ihr Feldtheater und andere Feldplaisirs mehr haben! – Feldbibliotheken ja nicht zu vergessen! – Die guten Herren! Da sie zu sich selbst kein sonderliches Zutrauen fassen können, haben sie Zutrauen zu Festungen! Ich bin für Soldaten von deutschem Schrot und Korn.[209] Im Felde muß man Flinten blitzen sehen, und Soldaten-Volkslieder singen hören. Ein Marsch, ein Feldgeschrei, das ist alles, was von Instrumental- und Vocalmusik erlaubt ist. Laßt den Schäfer ins weiche Bett des Grases sich legen, laßt ihn beiher die Nachtigall aus einem Blüthenbaum schlagen hören! Wir haben vom Stoicismus Handgeld genommen. Wahrlich, die erhabenste philosophische Secte! Laßt uns mit der königlichen Frau Mutter so umgehen, wie Alexander mit Madame Darius, und ich mit der Babbe, welche zum Leidwesen meiner Mutter über der königlichen Würde die Grütze versalzte! Gute Mannszucht ist Empfehlung zur Huldigung! – Mannszucht ist Strenge! – wo die nicht ist, wie kann da Güte seyn? Liebe ohne Gerechtigkeit ist ein Unding! – Welche Nation denn die tapferste wäre? – Die russische, sagten meine beiden Jünger. – Leute aus bergigen Orten, fiel ich ein, sie sind allen Elementen ausgesetzt, und wer die aushalten kann, was hat der seines Gleichen zu fürchten? Die Gallier jagten den Römern wegen ihrer Größe Schrecken ein, und man sage, was man will, Friedrich Wilhelm hatte mit seinen Potsdamern in der Regel so recht, als sein Sohn, diese Riesen in alle Welt gehen zu lassen! Große Leute sind wie Mauern und Wälle. Zu ersteigen ist alles! Wie viel brechen aber darüber den Hals, ehe sie oben sind? Ich war von Jugend an sehr für Berge. Große Menschen sind Berge! Befehlshaber dürfen nicht nur nicht groß seyn, sondern hier wird oft die Größe schädlich. Höhere Wesen, wenn sie erscheinen sollten, würden sich in ein mittelmäßiges Menschenkleid einkleiden. Kein großes Genie hat Riesenhöhe! – Starke ausgewachsene Männer sind die bescheidensten! – Ich wollte mit der goldenen Regel schließen: Ein weiser Mann ist stark und ein vernünftiger Mann ist mächtig an Kräften; allein man wollte noch mehr von der Furcht, dem Hauptfeinde des Soldaten.

Ich hatte geäußert, daß man durchaus retiriren lernen müßte;[210] bei diesem einzigen müßte man im Kriege an strenge Regeln gebunden seyn. Den Feind zu weit verfolgen, heißt ihn zur Verzweiflung bringen, und dann kehrt sich auch der Feigste als Held um. Konnte nicht ein so unbekannter Mensch, als Herostrat, den Tempel zu Ephesus anstecken? Mich ärgert, wenn man seinen Namen ausspricht. Das wollte er nur. Ein einziger Strahl, so macht der Flüchtling Halt! ist feuerfest – ist Mauerbrecher!

Man hat so viel, fing ich an, von der Furcht gesagt, daß gewiß der kleinste Theil richtig seyn kann! Die Deutschen gingen nie zum Rath, nie zum Fest unbewaffnet. Sie schlugen auf ihre Waffen, das hieß Ja! Die Waffen waren ihr Sprachrohr. Dieß alles nicht aus Furcht, sondern um mit den Waffen bekannt zu werden. Ordnung treibt so sehr die Furcht aus, daß ich eben hier den weisen, tiefweisen Grund des Exercirens entdeckte, das ohne diese Rücksicht Kinderspiel wäre! Eben weil es wie Kinderspiel aussieht, wird es auch von allen Kindern, sobald sie Soldaten sehen, nachgemacht! Man muß sich dicht halten, wie ein Mann, ist eine Folge dieser Regel. Ein takthaltender Marsch ist Beweis einer Phalanx. Der Mensch braucht was Unsichtbares, an das er sich hält, und das ist die Ordnung. Sobald etwas Unregelmäßiges, eine Lücke, sich vorfindet, steht der Feind, daß sein Gegner nicht mehr für einen Mann steht. Sem Muth wächset – er wagt! Er siegt! Die Furcht siegt öfter, als Grundsätze der Herzhaftigkeit. Die Furcht schützet Königreiche. Sie ist eine Kunst, wodurch wir andere glauben machen, wir fürchteten uns für nichts. Daher so viele Thrasonen, so viele Donner ohne Blitze! – Enthalte dich von allem Gewissensvorwurf, wenn du wider deine Feinde ausziehst: das ist wahrlich kein Feldpredigertext, sondern ein theures, werthes Wort! Ist's ein Gott, der uns entgegen ist; wir haben eine gerechte Sache. Ist es ein Mensch; wir sind das, was er ist. Was meinen Sie, meine Herren! würde sich Aristander[211] bedenken, die Phalanx über diese Worte in beliebter Kürze und Einfalt von den Gesinnungen eines Helden zu unterhalten? Ich wünschte, er ließe die Predigt drucken!

Die Furcht ist wahrlich ein größeres Uebel, als das, wofür man sich fürchtet! Was ist es denn, worüber dir die Zähne klappern, als Störche, worüber dir die Sporen zittern, als wollten sie einen Ton angeben? Tritt ihm doch näher; es ist dein Schatten! Die Arznei ist ärger, als die Krankheit! Junker Gotthard (bei seiner Eheverbindung kann ihm dieser Umstand weder Schaden noch Leides thun) fürchtet sich in – – in einem Zimmer allein zu schlafen, wo Alexander der Große gemalt war! Es waren doch noch andere Bilder da, sagte ich ihm, Bruder! die du, im Fall der Noth, zu Hülfe rufen können. Er war getroffen, fuhr Gotthard fort, als wollte er mit mir sprechen. Immer gerade zu auf mich! Da wandelte mich auf einmal die Vorstellung an: wie leicht kann er lebendig werden! Bruder, hast du ihm denn ins Gesicht gesehen? – Ein preußischer Corporal mit einem Stutzbart, gut getroffen, würde eher zu fürchten seyn. Alexander hat, so wie alle seines Gleichen, etwas von einer Kinderwärterin, von einer Amme, im Gesicht. Bei mir hieß es, in Rücksicht auf meine Herzensgeschichte: die Liebe treibet die Furcht aus. In Wahrheit! ein wahres Wort! Der ist unschuldig, der keine Furcht hat, der ist nicht furchtsam, der gar nichts fürchtet! Die Flamme, welche der Wind anfacht, verfliegt bald! – Wer nach Grundsätzen herzhaft ist, wer nicht schnöden Gewinnstes, oder Zeitungsewigkeit halber, die Waffen ergreift, was kann den stören? Widrige Vorfälle! Sind die nicht überall? Mars und Venus halten es mit allen. Ist Mars Zweifelhaft, so ist Venus wahrlich nicht sicher. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, würde meine Mutter sagen. In allen Sachen Herz zeigen, heißt ein großer Mann seyn.

Hand in Hand ging ich mit meinen beiden Kriegskameraden!

[212] Bialograd verglich sich. – Desto besser für mein Auge. Ibrailof ward von den Türken verlassen! Bukarest! – Bukarest!

Mit welchem Herzen schreib' ich diesen Namen! Einer meiner Jünger starb hier einen schönen Tod vor meinen Augen. Gott! welch einen Blick er mir gab! – Du Hast mir den Unterricht herrlich bezahlt. Ein unaussprechliches Honorarium. Kein König kann so lohnen! – So nimmt ein wohlgerathener Sohn Abschied von seinem Vater. Seinem Milchbruder konnte er noch die Hand reichen; mir nicht. Wir waren zu weit auseinander. Soll ich's sagen? er wollte mir seine Liebe noch sterbend beweisen! Wird mein gebrochenes Auge hierzu Kraft haben? Er warf mir eine Handvoll Blut zu mit einer Art, die gesehen werden muß! Den Abend vorher sprachen wir kein ander Wort, als vom Tode! Er war der froheste unter uns! Gern hätte ich den hochgebornen Todtengräber hergewünscht, um diese und so manche Sterbensscene zu besichtigen. Lieber Graf! hier ist der Tod ganz ein ander Wesen. Wer ihn nicht anders, als aus der Kammer kennt (und wäre da gleich ein Observatorium angelegt), weiß hier nicht, daß man stirbt. So wie die große Welt von Provincial-Flecken, so Tod von Tod. Zwar sind Sie der Meinung, der Heldentod, der Feldtod, wo der Mensch nicht Zeit und Raum hat, sich in Ordnung zu legen, eh' er dahin fährt, sey keiner Observation werth; allein Sie irren, lieber Graf. – Hier ist die große Welt des Todes.

Ich will dem Grafen nicht mit Bemerkungen das Licht halten wahrlich! ich könnte sein Schatzkästlein bereichern!

Warum aber Obst, eh' es reif ist? Warum durch's Schwert eines Türken? Mir war es, als fielen unser trefflicher Jüngling und der, so ihn schlug! Freund und Feind. Der Türke, der ihm das Leben nahm, wäre werth, bei dem Grabe Christi auf[213] die Wache zu ziehen, wie der Hauptmann unterm Kreuz. Was haben die Großen, die prädicirten Götter der Erden, mehr als den Bindeschlüssel! Der Löseschlüssel ist ihnen nicht behändigt.

Weint um meinen Edlen, ihr Jungfrauen im Lande! – Leib und Seele hätten um den Vorzug streiten können, wer schöner sey, wären sie nicht so stimmige Freunde gewesen! Wehe dem Feueranleger! Es muß Aergerniß kommen, doch wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt. Was trug sein Mund für mich, der endlich sank, wie unter einer Last, die ihm zu schwer ward? Blumen waren es nicht, die bald welken; Gesinnungen, die ewig sind, wie er! Ich habe dich verstanden, Edler! dein ganzes Gesicht war leserlich! Du hättest die Handvoll edles Blut nicht verschwenden dürfen. Es fiel auf kein gutes, dir werthes Land. Was kann man sich im Kriege mehr wünschen, als einen edlen Feind? Mich dünkt, dieß Ziel Hast du erreicht! – Verzeih Sterbender! daß ich nur ein halbes Auge auf dich verwenden konnte! ich hatte drei Viertel hochnoth für die Feinde!

Gott! wann kommt dein Reich? wann wird Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen? Jeder Irrthum hat seine Schule, sein Auditorium. Keiner kann so übertüncht werden, als die Idee vom Kriege. Wahrlich! ein übertünchtes Grab! Nicht meine Leser würden es mir vergeben, nicht ich selbst, wenn ich mich nicht selbst über diesen Edlen vergessen hätte!

Bukarest – schrecklicher Name! – war der Ort, wo auch ich den Tod fand! – ich erhielt tödtliche Wunden! – Guter Türke! ich verzeih' dir alles, auch den Stich, da ich nicht mehr den Arm bewegen konnte, der etwas türkisch war, und den du bleiben lassen können! – Sey glücklich! – Alles gab mein Leben auf. Mein andrer Lehrling starb acht Tage darauf. Sein Sterbelager war vier Schritte von dem meinigen. Für mich eine halbe Welt. Der Arzt verbot mir sogar allen Trost! Wie könnt' ich[214] ihn aber ohne den sterben lassen? Oft wenn er lechzte, wie gern hätt' ich ihm ein Glas Wasser gereicht! Könnt' ich? – Da lag ich noch ärger, als todt. So etwas, Freunde, wer kann es erzählen? Leset den Homer. Ich bitt' euch! – Ich kann nicht mehr.

So viel sey euch noch unverholen, daß ich den Sterbenden mit dem Prinzen Wilhelm von Braunschweig am meisten aufrichtete, der ein Schwestersohn König Friedrichs war! Auch er, sagt' ich, starb im Kriege. Eben so wenig unmittelbar. An den Nebenumständen des Krieges starb er, die, so Wie die Krankheiten, ärger als der Tod sind. Ich werde auch als Held auferstehen, sagte er in einer Nacht. Wie denn anders? antwortete ich, und hatte eine Thräne in den Augen. Er starb.

Was konnte ich mehr verlieren! Meine beiden Freunde! Mich selbst! Ich lag vier Wochen ohne alle Hoffnung! Ist's Sünde und Schande, in solcher Lage die Lebensschnur selbst abreißen, die ein Arzt mit solchen unaussprechlichen Schmerzen anknüpfen will? Hält die Schnur da, wo sie angeknüpft ist, am längsten, und ein eisern Band da, wo es brach, und durch Feuer und Schlag zusammengeschmiedet war? Keine dieser Fragen stellten in meiner Leidenszeit mich zur Rede, Ich hatte nicht Zeit, im Allgemeinen zu fragen.

Der Civilsterbende wollte durchaus auf dem Schlachtfelde eingescharrt werden. Auch ich mußte ihm versprechen, eben da den Krieg ausschlafen zu wollen. Sein Testament ist erfüllt, was ihn selbst betraf! Ich zwar wache noch; allein ein Theil meines Lebens ist auf dem Schlachtfelde bei Bukarest verscharrt! Ich liege in deiner Nachbarschaft, edler Jüngling! – Deine Wünsche sind erfüllt!

Romanzow, wie er gehört was vorgefallen, soll höchst zufrieden mit meinem Unterricht gewesen seyn, und soll den Edlen[215] und mir eine Leichenrede gehalten haben, die kürzer und dringender gewesen, als die ungebetene des Organisten in L – bei Minchens Grabe. – Kommt er auf, war der Schluß dieser Leichenrede, ist er Brigadier. Ich war schon seit einiger Zeit Major worden!

Wahrlich, Freunde! dieß war ein Examen trotz dem beim Professor Großvater. Was ist ein Blitz einer Hausmütze durchs Stubenritzchen gegen Kriegsblitze? – Zwar lebt jeder seines Lebens, zwar stirbt jeder seines Todes, jedem ist sein Pfund Leben und sein Pfund Tod zugewogen, wie der hochgeborne Todtengräber sehr einsichtsvoll behauptet; doch glaube ich, daß mancher dieß Pfund ins Schweißtuch vergraben, und mancher damit wuchern kann. Der Kriegswucher, was meinen Ew. Hochgeboren, ist er nicht der reichlichste? Er trägt tausendfältig und zwar Leben und Tod. Kaum lebt man, wenn man den Tod nicht in der Nachbarschaft hat. Die weisesten Leute haben von jeher Todesbetrachtungen für Lebensregeln gehalten. Wo ist der Tod bei lebendigem Leibe dem Gefunden, dem Starken so nah, als im Kriege?- Wo kann man ihn mit mehr Leibes- und Seelenkraft denken, als eben hier? Ihr Weisen des Alterthums, und ihr der neuern Zeit, warum habt ihr nicht über Kriegstod geschrieben? – Sie hochgeborner Todtengräber, warum nicht über den Kriegstod eine Redeübung angestellt? Weil der Krieg eine von den Künsten ist, welche die Menschen gesucht haben, die von Gott aufrichtig gemacht find! Wahr! allein auch wahr, daß jeder Weise im Privatkreise alles zum Guten lenkt, so wie Gott der Herr es pro Publico thut!

Prahle nicht, lieber Reiter! Herz haben und im Kriege seyn, ist solch ein Unterschied, wie Grundsätze haben und nach Neigungen verfahren – handeln und sich mit einem Gewebe von Empfindungen behelfen! – Jedermann, der ein gutes Gewissen hat, und sich bewußt ist eins haben zu können, kann von sich sagen: das that ich!

Auch ich, Freunde! würde es sagen, wenn ich wirklich gethan[216] und nicht bloß gelitten hätte. Glaubt nicht, ihr Kleingläubigen, jenen Schreihälsen, jenen Zahnärzten, jenen Nachtwächtern, die nicht aufhören können. Schlachten zu malen, als wären es Thaten! Der commandirende General allein hat gethan; alles, was nicht er selbst oder sein Rath ist, leidet! – Mit Vielen kriegen, mit Wenigen zu Rath gehen! Wer kann mir sagen, daß ihn nicht Schauder ergriffen, wenn er zwei Heere, auftreten gesehen, und sich mitunter? Ihr, die ihr bis jetzt dafür hieltet, daß es Todesfurcht sey, habt euch, wie mich dünkt, Hintergangen, denn auch mich schauderte! Es ist eher Menschenfurcht, Mangel der Lebensart, als Schrecken des Todes! Seht einen Haufen Menschen bei einander, ist es nicht die nämliche Anwandlung? Sie ist so angreifend nicht; vorhanden ist sie. Wenn ich schwach bin, bin ich stark, könnte man hier sagen. Wenn ich allein bin, fürcht' ich mich, falls ich gesund bin, vor keinem. Junker Gotthard, der sich vor dem Alexander dem Großen im Bilde fürchtet, macht keinen Einwand. Frische und gesunde Leute sind sogar geborne Freidenker! – Ich würde sie Fleisch- und Blutphilosophen heißen. – Frische und gesunde Leute, sag' ich; denn, wenn ich einen Spötter sehe, dessen Körper wie ein zerrissenes Kleid aussteht, weiß ich, daß seine letzten Stunden zu seiner Zeit im Druck erscheinen. Wie kommt's, daß der Mensch, der doch die menschliche Schwäche kennt, sich vor nichts so sehr als Menschen fürchtet? Der Mensch hat keine natürliche Rüstung und Waffen, das, was außer ihm ist, sich vom Halse zu halten. Nicht Element, nicht Thier kann er allein zwingen, und doch ein Kronprinz der Natur. Vereinigt aber steht alles für einen Mann. Tausend Köpfe, tausend Arme, sind Ein Kopf, Ein Arm! – Ists Wunder, daß er blaß wird, wenn er den Feind sieht? Zwar befindet er sich auch in guter Gesellschaft; allein die Furcht sieht immer ins Weite; was nah' ist, ist vor ihren Augen verborgen! Die Furcht hat ein Perspektiv, die Hoffnung ein Vergrößerungsglas.[217] Sonst sind sie Töchter einer Mutter. Kommt man sich näher, wird man auf einander erbittert. Man schlägt, weil man geschlagen wird. Gehört denn dazu Herz? Der Lärm, der sehr wohlbedächtig erregt wird, läßt die Vernunft zu keinem Gedanken! – Man stirbt, man weiß nicht wie! Ist das ein schwerer Tod? Hunger, Durst, Hitze, Frost sind schwer; die Schlacht ist's nicht, bis auf die Invalidenfurcht, an die kein braver Soldat denkt. Kommt es denn nicht in Anschlag, in Gesellschaft zu sterben?

Beim Seetreffen thut's der Wind. Bei Landschlachten sind Berge, Thäler und, außer diesen großen Dingen, oft die unbeträchtlichsten Kleinigkeiten, die wie ein Irrlicht den Feind verführen, daß er einen Schritt rückwärts thut. Dieß seinem Volke nur einbilden, dieß ihm nur vortaschenspielen, heißt die Schlacht gewinnen.

Der gemeine Soldat muß jung seyn; der Befehlshaber, sagt man, alt! Ich glaub' es selbst. Nur nicht zu jung, nicht zu alt. Ziska commandirte und war blind. Ein Commandeur braucht nichts, als Kopf! Ein Vorurtheil thut hier oft Wunder! Richelieu will zwar einen herzhaften General; allein Richelieu war ein Geistlicher. Wie kommt's, daß kluge Leute so sehr viel auf herzhafte Leute halten, und daß sie unter einander sich nicht sonderlich ausstehen? Sie sehen zu sehr ein, daß man mit dem Verstände eben nicht weit kommen kann, und wollen doch wo den Menschen stark finden! O ihr kluge, liebe, gute Herren! Laßt euch sagen, auch das menschliche Herz ist ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen?

Es ist ein altes Sprüchwort: Wer zum erstenmal nach Rom reist, suchet den Schalk. Zum zweitenmal findet er ihn. Zum drittenmal bringt er ihn mit.

Ei, wenn ich das auf den Krieg beuten würde!

Ich hoffe, große Kriege werden abkommen; so wie man dem[218] dreißigjährigen über einige hundert Jahre nicht mehr Glauben beimessen wird. Wozu sind auch Kriege, selbst noch ehe das Reich Gottes kommt, wozu? – So wenig durch Disputationen die Wahrheit ausgemacht wird, so wenig entscheiden Siege. Darf ich rathen? Hohe Herren, denkt mehr, eure Unterthanen zu mehren! So viel liebe Getreue im Lande, so viel Festungen. Die Bevölkerung ist, wie die Gottseligkeit, zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens!

Mit einem Statu morbi kann wohl keinem ein Dienst geschehen, sonst könnte ich damit aufwarten. Die Herren α, β, γ, von welchen Herr α der Kopfhalter war, würden mir diesen Liebesdienst gern erweisen. Es war kritischen Sammlern kein alltäglicher Fall. Eine Quetschung an der Seite, eine Zerschmetterung des rechten Armknochens!

Die unaufhörliche Versicherung der Wundärzte, nie mehr dienen zu können, war mir mehr als alles. Diesen Trost hätten die kunsterfahrnen Herren bei sich behalten können, da ich es selbst so sehr fürchtete.

Der Gedanke, obgleich er sehr natürlich war: was wirst du essen, was trinken, womit dich kleiden? beunruhigte mich keinen Augenblick. Er hat mir wenig Kummer in dieser Welt gemacht. Als Mensch kann jeder leben, wenn gleich nicht jeder als Major.

Romanzow ließ mich bei aller Gelegenheit Proben seines Wohlwollens empfinden, und das war freilich Oel und Wein in meine Wunden! Der Gedanke, in der Lehre bleiben zu sollen, schlug diesen Aufblick nieder! – Bei dem ersten Anklang der Sterbensglocke, die ich freilich nur in der Einbildung hörte, war ich auch in der Einbildung bei meinem guten Pastor zu L – in Preußen! Mine hatte ihre Ansprüche auf mich geltend gemacht! – Ich fand, daß die Liebe, solch eine Liebe wie die unsrige, durchaus nur auf gewisse Lebensperioden paßt, und doch ist, nach unserm[219] Weltlauf, so zu lieben wie wir, Tugend, hohe Aufopferung seiner selbst! Weite Ueberwindung der Natur! – Mein Leben war ein lebendiger Tod, und dieß ist eben der Zustand des Menschen, wo eine dergleichen Liebe ihr Feuer und Herd hat. Man kann nicht anders sagen, als daß auch solch eine Liebe ihre schönen Tage habe. Daß Böse hat auch sein Gutes, sagte Herr v. G., und es liegt göttliche Weisheit in diesem Ausspruche.

So war das Ende meiner kriegerischen Laufbahn. Folge, dachte ich, dem Wink deines rechten Armes. Er hat Abschied genommen, nimm du ihn auch! und so mußte ich denken. Meine Gesundheit war äußerst zurückgesetzt. Du Hast, dachte ich, was du wolltest – ein paar große Schritte näher zu Minen; allein ich widerlegte mich selbst. Wohlgehen steht vor lange leben im vierten Gebot, und krank seyn ist nicht leben, nicht sterben. Fast ists ein Mittelding, bei dem jedem ein fallen muß: o daß du kalt oder warm wärest! Es gab eine Zeit, wo ich den Tod schlechthin aussuchte, und stehe da, ich hatte weder ihn gefunden, noch das Leben behalten.

Ich erhielt meinen Abschied nicht, sondern einen Auftrag zu einer wichtigen Reise. »Ich weiß keinem dieß Geschäft zu übertragen, der es so, wie Ihr, betreiben könnte,« schrieb die Kaiserin, und ihr Wunsch, daß die Veränderung der Luft meine Gesundheit wieder herstellen möchte, war mir das, was jeder Rausch ist. Ich fühlte keinen Schmerz und reiste nach Petersburg, und sodann –

Wie bald ich von meinem Jesuitenräuschchen wieder nüchtern worden, darf ich nicht bemerken!

Wer meinen Auftrag näher kennen lernen will, dem dient zur Antwort, daß er geheim war, wer wohin? frägt, kann gründlicher beschieden werden. Freund! da, wo man früher, als in Rußland, eine Pfeife im Grünen raucht, früher Spargel ißt, und den Wein aus der ersten Hand hat. Wegen der Manschetten muß[220] ich, um die reine Wahrheit zu sagen, bemerken, daß ich sie nicht länger, wie die hiesigen gefunden! – Moden ändern sich!

Obs nicht gut wäre, kränkliche Leute zu Gesandtschaften, und was ihnen anhängt, zu brauchen? Eine Frage, die nebenher auffällt. Ich richtete treulich und sonder Gefährde aus, wozu ich gesandt war; allein meine Gesundheit hatte durch die Luftveränderung noch mehr gelitten! Ich glaubte schon, ich würde lau zu seyn aufhören, und kalt werden. – Wohl dem, der es wird! Eine so geschwinde Rückreise, als es die Geschäfte wollten, hätte mich wirklich zu Minen gebracht, da kam – mein Freund, und entledigte mich meiner Bürde! So sey es dir wieder, mein Geliebter, wenn du, lebenssatt und müde, suchest, wo du dein Haupt hinlegst. Er konnte sich nur eine einzige Nacht aufhalten, die wir durchwachten! – und wie es doch immer geht, wir dachten nicht an uns, sondern an andere. Er hatte meine beiden Anbefohlenen sehr genau gekannt! Warum, Freund! nur eine Nacht? Er konnte nicht. Armer Freund! der Schlaf wäre dir gesünder gewesen, als solch eine Todtenwache! – Gehe hin in Frieden! in Frieden!

Jetzt, Freunde! hätte ich zum Andreas-Orden gesagt: Geh mir aus der Sonne! Der gnädigste Brief der Kaiserin selbst konnte mir in dieser Lage keine frohe Stunde verleihen!


»Ich entlasse Euch aller Dienste, und, da Ihr durchaus nicht mehr als Major seyn wollt, so bleibt, was Ihr seyd, mit der Versicherung, daß Mir Eure seltene Bescheidenheit zum Wohlgefallen gereicht.

Ich wünschte, daß dieser Brief Euch nicht aus dem Wege zu Bädern träfe, wenn sie anders Eurer Gesundheitsverfassung dienlich sind. Ich schenke Euch – – Gern würde ich es sehen, wenn Ihr in Liefland – –

Wenn Ihr Eures Adels wegen Ansprüche befürchtet, so ertheile[221] ich Euch hiermit den Adel mit allen seinen Vorzügen, und soll Euch das Diplom, sobald Ihr es verlangt –

Lebet so glücklich, als Ihr es verdient, und als es wünschet

Eure gnädige Kaiserin

Katharina


Wenn solch ein Brief keine frohe Stunde mehr verleihen kann, wie lebensmüde muß man seyn! Gott! was kann solch ein Brief!

Allerdurchlauchtigste! – Nein –

Gute Kaiserin, Mutter eines Staats, der nach einer strengen Vaterregierung Peters des Großen einer Mutter nöthig hatte, um das zu werden, was er unvermerkt wird – –

Wenn diese Monarchin mit dem Könige von Preußen ein Paar worden: Welt! was meinst du?


* * *


Ich folgte dem Winke, den mir der Gnadenbrief gab, und ging nach Pyrmont. Schon die Reise schlug bei mir an. Wie gar anders ist's doch, reisen müssen, und reisen wollen. Jeder kann diese Erfahrung beim ersten besten Spaziergange anstellen! Auch selbst die Gesundheitssorge muß man dabei verlieren, sonst ist schon kein feiner Zwang dabei, den die frische Luft nicht vertragen kann!

Mit meiner Wiederauflebung meine uninteressirte Leser, die Spaziergänger bei dieser Schrift, aufzuhalten, wäre unverzeihlich. Gerne erzählte ich sie, aber den Kunstrichtern, die von Amtswegen die Sonne auf-und untergehen sehen, und die den grünen Grund im Naturgewande nicht ohne den albernen Gedanken ansehen können: Ei, wenn er weiß wäre! O ihr Thoren und trägen Herzens, zu glauben alle dem, was in der Natur geschrieben ist!

Ich blieb den Winter hindurch in Süden, lernte je länger je mehr den kaiserlichen Brief empfinden, bis ich endlich so hergestellt war, als[222] ein Invalide es seyn kann, dessen Körper ein immerwährendes Wetterglas ist. – Eben ein Stich im Arm, der mir den Wunsch abzwingt, daß meine Leser dergleichen Stiche nicht von selbst bemerkt haben möchten! Was geht's meinen Leser an, daß ich im Felde gewesen?

Bei meiner Hinreise ging ich durch Königsberg, wie Mine. Ich sah keinen, als Postbediente; allein was ich empfand, weiß der, der Herzen und Nieren Prüfet! – Ich müßte mich sehr irren, wenn es nicht Se. Spectabilität gewesen, die mir, da ich schon im Postwagen war, so heiter ausfielen, als gingen Sie zu Weine! – Kann gewesen seyn; denn bei meiner Rückreise erfuhr ich, daß die Hausmütze Todes verblichen sey – und daß der gute Großvater, da er keinen Blick durchs Ritzchen weiter zu befürchten hatte, gar lustig zu jubiliren angefangen. Alles in Ehren, versteht sich. Jetzt wieder in Königsberg. Ich wiederholte hier meine Studia. – Mein erster Gang war zu Sr. Spectabilität, nach dem signo depositionis. Ich fand den Großvater auf dem Sprunge zu einem Clubb, zu dem er mich mitnahm. Wie man sich doch noch als Großvater ändern kann, wenn man keinen Ritzenblick mehr zu fürchten hat! Er war seiner Bande entledigt und jetzt ungestört so froh, als wenn seine Tochter den nämlichen Tag hätte taufen lassen, als wenn der Täufling ein Söhnlein sey, und noch obenein nach dem Großvater genannt wäre. Setzen Sie sich an meine grüne Seite, sagte der Professor (eine preußische Redensart, die zur Rechten bedeutet). Ich setzte mich, und machte an dieser grünen Seite eine Anmerkung, die ich meinen Lesern nicht verschweigen kann. Der gute Großvater war kein Religionsfreund, obgleich die Bibel so wenig, wie Homer, bestäubt war. Selten ist ein Professor Großvater ein Religionsfreund. Woher, Freunde? Weil er das Wahre in seiner Lehre aus Gottes Wort geschöpft hat, und weil er einsieht, daß, wenn er seine Wissenschaft aufs Volk herabstimmen[223] solle, man nicht anders lehren würde, als Christus, der Professor des ganzen menschlichen Geschlechts.

Zu diesem Weil noch ein Paar: weil alle wahre Philosophie in Zweifel besteht, weil viel Unphilosophisches in die Religion hineingekommen, zu der jeder vernünftige, lautere Christ zu sagen gewohnt ist: »Freund, wie bist du hereingekommen und hast kein hochzeitliches Kleid an?« Solch eines Gastes halber aber die ganze Hochzeitfreude aufzuheben, ist sündlich! O ihr guten Philosophen! macht ihrs wohl wie die Engel, die das Unkraut vom Weizen trennen? Ihr reißt beim Jäten Unkraut und Weizen aus, so daß die Erde ohne Hemde nackt und bloß da ist, als wär's Wintertag, wenn der Wind allen Schnee weggetrieben! – Mich friert!

Was wollt ihr, hochgelahrte Nichtswisser! von den Concilien und den jetzigen Winkelzwiespalten in der Kirche? Fasset doch in euren eignen Busen! Wie lange ist's, daß in Deutschland alles demonstrirt ward? Man hat mir vom großen Wolf als eine sehr wahre Anecdote erzählt, daß, als ihn einer seiner Zuhörer um ein Demonstratiönchen angetreten, das er keinem abzuschlagen gewohnt war, er gleich auch jetzt damit fertig gewesen. Da der Impetrant den Aufsatz beim Lichte besah, fand er, daß sein Pythagoras das Gegentheil von seinem erwünschten Satze demonstrirt, oder zu deutsch, sonnenklar gemacht hatte. Da stand der arme Jüngling wie Butter in der Sonne! Der Lehrer nahm ihn bei der Hand. Was mehr? fing er an. Man kann alles demonstriren. Flugs demonstrirte er ihm, was zu erweisen war. Man sagt, der Jüngling sey nicht gerechtfertigt in sein Haus gegangen! Ich, wäre ich Jüngling gewesen, ich hätte es mit der ganzen Philosophie gebrochen. Die Demonstrirzeiten haben, Gott sey gelobt! aufgehört. Jetzt observirt man. Man geht auf die Jagd – – – Pulver und Schrot wird verschossen; selten trifft man. So geht alles im Cirkell Lieben Herren, wenn die Glocke zwölf geschlagen, geht's auf eins, bis[224] es wieder an zwölf kommt. – Bald Vernunft, bald Sinne! Die Philosophie ist ein Wortkram! Ich läugne es nicht, daß manches Wort abgebrannt ist, und die wüste Stelle wohl verlohnte, bebaut zu werden. Nur vergeßt nicht, Freunde Großväter, daß ihr keinen Fischzug Petri gehabt, wenn ihr hie und da Altflickereien von Schuldefinitionen angebracht, ob so oder so. – Was habe ich denn, wenn ich weiß, daß geschwind, behend, schnell, nur von leblosen Sachen, z.B. Kugel; rasch, hurtig hingegen von lebendigen gebraucht wird? Ihr legt dem Menschen Daumenschrauben an, und wenn man sich recht umsieht, ist man Tag und Nacht gefahren und immer in die Runde, und auf Einem Fleck geblieben. Schwindlich oben ein.

Unser Großvater, der wahrlich die Bibel gelesen, die dem Homer zur Seite lag, glaubte vigore commissionis kein Wort in her Bibel; allein jedes Wort in den Reisebeschreibungen war ihm heilig! Theater, Poesie mit allen At – und Pertinentien waren ihm unausstehlich; wenn aber die Reisebeschreibung auch noch so poetisch, noch so schön war, so daß man gleich beim ersten Blick sah, die Beschreibung und nicht die Reise sey die Hauptsache bei dieser Arbeit; sie war ihm Ja und Amen! Aber, lieber Großvater! – Aber, lieber Major! Mag es beim Aber bleiben, und jeder lebe seines Glaubens!

Ich kann mich irren; allein mich dünkt, mein Vater besaß das, was die Griechen ἀποφϑεγματικὴν βραχυλογίαν καὶ λακωνικὴν nannten. Herr v. G., der Selige, pflegte, um dem frühen Spargel und der Pfeife im Freien meines Vaters nicht zu nahe zu kommen, zu sagen, er sey aus Lacedämon. Herr v. G. ehrte meines Vaters Wortgriffe. Schade, sagte mein Vater, daß ich nur auf Worte herabgesetzt bin. – Zum Gluck auf Volksworte, wie ich zu Gott hoffe. Freund, sagte Herr v. G., kommen Sie, wenn's Gelegenheit gibt, auf die Bärenjagd! Mein Vater zeigte auf seine Reverende. Jagd, fügte er hinzu, um kein Wort schuldig[225] zu bleiben, ist nur Thatenspiel, Ballschlag! Zum Worte Funken selbst gehört Stahl und Feuerstein! – Pastor! beschloß Herr v. G., Sie Stahl! ich Kiesel!

Mein Vater war kein Freund von Sprüchwörtern, von faulen Knechten, von stummen Dienern, wie er zu sagen Pflegte, wohl aber von Volkssprüchen. Vox populi, sagte er, vox Dei. Ein Volksspruch ist die Unterlage zur Handlung, behauptete mein Vater. Bei Sprüchwörtern und Sentenzen guckt ein sauber gedrucktes Buch hervor!

Ehrlicher Großvater! du thust wohl, daß du zu Weine gehst; darf ich dir indessen des Herrn v. G. letzte Stunden empfehlen? Je mehr du Menschen sehen wirst, je mehr wirst du finden, daß es auf eine Definitionsspitze nicht ankommt. Lebe wohl! – Trink auf meine Gesundheit! Schreibst du, so ist dein Buch gewiß in meinem Büchervorrath. Verzeihe, daß ich unser Examen auf Muthwillen gezogen, und so manches, was du für ein Ehrenkleid hieltest, so lange noch die Ritze war!

Wer wird nicht gern mit zum königlichen Rath kommen mit der offenen, weit offenen Stirn, schwarzem Haar und einem Auge, in dem man ihn im Kleinen – allein doch ganz sieht. Ich überfiel ihn, wie er sagte, und da er keiner Erschütterungen gewohnt war, sondern immer seinen geraden Weg ging, selbst wenn er auf dem Gottesacker weinte – so kostete ihm, wie er mir den folgenden Tag versicherte, dieser Besuch eine Nacht. Niemand war von unserm Kränzchen mehr übrig als der Prediger, der aber, wie meine Leser es ziemlich deutlich gemerkt haben werden, nur zum Collektsingen und Segensprechen gebraucht werden konnte. Er war verwandt mit dem königlichen Rath, sonst hätte er nicht Sitz und Stimme erhalten! – Alles todt! Auch der Kreisrichter, wo ich den königlichen Rath kennen gelernt, und seine Frau, die schon bei meiner Abreise ihr Gehör verloren. Er, eher wie sie, an einer[226] Brustkrankheit, so wie er sich selbst prophezeit hatte! – Junker Gotthard hatte die Frau Kreisrichterin noch am Leben gefunden, und als gewesener Hausoffizier seine Schuldigkeit bei der Durchreise beobachtet. Sie hatte ihn vorgelassen. Schade! auch der Reiter todt! Der königliche Rath versicherte mich, daß dieser Offizier so sehr mein Freund gewesen, daß er bei meinem Entschluß, Soldat zu werden, sobald er erschollen, nichts weiter zu tadeln gefunden, als daß ich nicht sein College geworden.

Auch der Professor todt, der eine so vortreffliche Deklamation selbst im gemeinen Leben besaß, daß man seine Stimme eine Prosaische Melodie nennen konnte. Der letzte Zank, den er mit unserm Reiter gehabt, war über die Zeitungen, die der Reiter in hohen Ehren hielt; er aber so wenig, daß er sich der verächtlichen Bemerkung bediente: er brauche sie nicht anders, als wenn beim Rasiren ein Einschnitt sich etwa zugetragen. Sie wußten nicht, sagte der königliche Rath, daß sie beide in einer Woche in die Zeitung kommen würden! – Ich konnte den kleinsten von diesen Zügen nicht ohne ganz besondere Aufmerksamkeit hören. Alles nahm ich zu Herzen. Wir erinnerten uns so manchen Streits. Der Reiter behauptete, daß nach dem neuen Testament die Zeitungen den ersten Platz verdienten, und daß eben sie die jetzige Welt vor Barbarei schützen würden. Setzen Sie den Fall: man schriebe aus –, es hätte sich da ein Gespenst hören und sehen lassen, würde man nicht gleich aus Berlin antworten: kein wahres Wort –? Die Avancements waren indessen unserm Reiter das Hauptstück, die nun freilich weniger Interesse für die Welt haben, als wenn ein Gespenst sich sehen und hören lassen sollte. Ich ließ unverhohlen, daß eben der Zeitungs-Panegyrist Schuld daran wäre, daß ich in russische Dienste gegangen.

Der königliche Rath hatte die abgegangenen Stellen wieder besetzt, indessen hatte er, um mir die eingebüßte Nacht nicht schuldig[227] zu bleiben, außer dem Stammhalter, dem Prediger, die als ordentliche Mitglieder eingeführten Männer, den Offizier, den königlichen Rath, den Professor und noch einen verabschiedeten preußischen Offizier gebeten, der als Zöllner versorgt war. Dieser Zöllner und ich sahen uns an, und wie aus einem Munde, Alexander! Darius! Wer hätte das gedacht!

Es war im ersten Augenblick alles Du und Du. Da aber Darius hörte, ich wäre Major gewesen, beschied er sich den Augenblick, und ich hatte viel Mühe, ihn wieder an Ort und Stelle zu bringen. Benjamin? Ja er selbst? – Auch Benjamins Geschichte will ich Extrapost erzählen. Wir verließen Benjamin in einem schrecklichen Zustande.

Mine, die ihm aufgetragen, ihre Reise nach Mitau vorzubereiten, fand ihn selbst reisefertig zur andern Welt und ging von seinem Bette, betrübt bis in den Tod; Benjamin erholte sich zwar, indessen konnte er in einem halben Jahre zu keiner Fassung kommen. Man gab die Hoffnung auf, daß er je ganz zu sich selbst rückkehren würde. Endlich war er im Stande, die Scene mit seiner Schwester zu verstehen, die ihm aber wegen der so langen Zeit mit vielen Zusätzen und Verstümmelungen beigebracht ward. Meister und Meisterin hatten keine Schuld an ihm. Der alte Herr hatte keine Taube seines Sohns halber versandt, und der Meister war so voller Beobachtung der Regel: was dich nicht angeht, davon laß deinen Fürwitz, daß er, um den Darius'schen Ausdruck beizubehalten, seinen Prügel viel zu lieb hatte, um ihn unter die Hunde zu werfen. Vorerst war es auf eine Heirath mit des Meisters einziger Tochter, Christine, angelegt. Es wird doch, sagte der Meister, keine Mißheirath seyn. Da aber Christinchen sich unversehens so sehr verlaufen, wie Darius sagte, daß kein ehrlicher Mann sie aufzusuchen im Stande war, so ließen die betrübten Eltern Benjamin ziehen in Frieden. Beim Abschiede,[228] sagte Benjamin, lief es mir eiskalt übern Rücken. Es waren sehr gute Leute. Benjamin zog nicht eher Nachricht von Minen ein, als bis sie todt war! – Ich aß eben, sagte er, Brod in frische Milch eingebrockt, da ich die erste sichere Nachricht von ihrem Tode erfuhr, und ich hätte, so hungrig ich war, den Löffel nicht an den Mund bringen können, um wie vieles! – Auf meiner Wanderschaft, sagte er, hat mich manch harter Sturm erschreckt, o! wie manche rabenschwarze Nacht habe ich belebt, und wie oft bin ich ganze Tage gegangen, ohne einen Hüttenrauch zu entdecken! An einen Kirchenthurm war ohnedieß nicht zu denken.

Er kam in eine preußische Stadt, wo er dem Commandeur vorgeführt wurde! – Benjamin erschrak gewaltig, da er vom Soldaten hörte, den ihm der Offizier so süß vorpfiff! – Es ward ihm indessen alles überlassen. Eben weil er nicht gezwungen, sondern sich selbst überlassen ward, bot er sich nach vier Wochen von selbst an. Die Meisterin des Orts, wo auf kein Christinchen Rücksicht zu nehmen war, hatte ihn ohne Ursach chicanirt, und nun glaubte er, sie wieder chicaniren zu müssen. Ich warf den Plunder weg, sagte er, und ward Soldat! Das Dariusspiel hat viel dazu beigetragen. Benjamin zeigte keine kleine Geschicklichkeit im Schreiben, und da er im ganzen Städtchen privilegirter Briefsteller und Berechner war, so stand er sich so vortrefflich, daß er auf Standeserhöhung dachte, die ihm auch nicht fehlschlug. Er ward namhafter Corporal. Wie war's, wenn es aus Feuer ging? fragte ich ihn. Mußte gut seyn! erwiederte er. Freilich hatte ich noch keine Flinte, bis auf den Tag, da ich Menschenjäger ward, losgedrückt, und außer einem Taschenpuffer kein Knall- und fallendes Gewehr in meiner Hand gehabt; indessen fand sich alles nach und nach. Vorerst ward mir dann und wann eins angehangen, und vorzüglich habe ich meines Fußes halber manchen Spaß gehabt. Kommts nicht heute, kommts morgen, dachte ich, und es kam morgen! –[229] Du pflegtest mir zu sagen, daß in jeder Sache außer dem, was ins Auge fällt, noch etwas Unsichtbares wäre, außer dem, was da ist, noch ein Geist, der webt. Beim Soldatenstand ist dergleichen Geist nicht, wohl aber, wie du selbst wissen wirst, so mancher blaue Dunst, den man machen kann. Was fehlt meinem Bein? – Ich unterrichtete beim Oberstlieutenant die Kinder. Du? meinst du Nein! Jeder Mensch hat im Regiment geglaubt, ich hätte studirt; da habe ich manchmal gedacht: ich wäre schon so aus der Erbliteratenfamilie! – Der Prediger hielt mich für einen Juristen, der Auditeur für einen Theologen! – Die Herren Geehrten müssen doch selbst nicht so recht wissen, woran sie sind.

Darius ward auf Werbung vermöge ganz besonderer Empfehlung gesandt, und da er hier Gelegenheit hatte, sich ausnehmend hervorzuthun, vom Könige unmittelbar zum Lieutenant ernannt. Meine Feinde sagen: es sey ein Mißverständniß im Namen vorgefallen – und der König soll sich auf einen Corporal gleiches Namens besonnen haben, der, vor seinen Augen, wie ein Bär im Kriege gethan. Auf einmal erscholl ein Gerücht, daß alle bürgerlichen Offiziere, die nicht zu dieser Ehrenstelle während dem Kriege gekommen, in Gnaden entlassen und nach Bewandtniß der Umstände untergebracht werden sollten. Das Glück ging mir nach diesem Unglück bald wieder auf. Anfänglich nur in Gestalt eines halben Mondes; ich hatte nur eine halbe Glückswange. Dieses Halbglück war ein Mädchen, das mir wohlwollte. Es ward meine Frau. Bald darauf erschien der volle Mond. Ich bekam eine Stelle bei der Zoll- und Acciseverwaltung, wo ich außer einer Aergerniß, die mir viel zusetzt, ehrlich und ordentlich lebe! – Zur Aergerniß gab ein ganz besonderer Vorfall Gelegenheit. Benjamin Hauptmann, der nicht so gut schrieb und rechnete, wie Benjamin Darius, ward als sein Subaltern angesetzt. Der arme Mann hatte Feldzüge mitgemacht, und Darius nichts weiter, als[230] Werbdienste gethan. Natürlich, daß dieser wunderliche Wechsel den Herrn Hauptmann schmerzen mußte, und dieß um so mehr, da er sich von Adel hielt, woran indessen auch gezweifelt ward. Bruder, fügte er hinzu: es ist ein Literatusadel, den ich mir auch zuzueignen im Stande wäre. Ich konnte mich nicht des Lachens enthalten.

Benjamin unterhielt mich mit dem Für und Wider, den Adel des Herrn Hauptmanns betreffend, länger, als ich selbst wollte. Das ärgste ist, sagte er, daß unser Hauptmann von Capernaum aus einem guten Hause geheirathet und eben darum sich Anhang zusammengesprengt hat. Alles hausarm; allein desto fester halten die Kletten. Da findet denn sich hoch wo ein gnädiger Onkel, der einen Einfluß hat. So viel kannst du glauben, fuhr Darius fort, ich vergebe mir nichts. Ehre verloren, alles verloren. Da ich der Sache näher trat, oder eigentlicher, treten mußte, war der anomalisch adliche Hauptmann so wenig ein Subaltern des Darius, daß er bloß eine kleinere Stelle besaß. – Meinst du? fragte er mich.

Allerdings! und die Hitze des Subordinationsfiebers legte sich.

Freilich fürchte ich, es werde eine Palliativcur seyn. Meine Frau – – geheirathet? Ja! Ein Sohn und eine Tochter.

Benjamin ließ nicht nach, mir daß Versprechen abzufordern, daß ich bei ihm Nachtlager nehmen möchte. – So sieht er doch, fügte er hinzu, daß auch ein Major bei mir einkehren kann! Da haben wir das Subordinationsrecidiv. Ich lernte eine recht artige gute Frau Lieutenantin oder, wie sie lieber hieß, Inspektorin kennen. (Der Hauptmann war nur Einnehmer.) Sohn, und Tochter! Ein Paar liebe Kinder! Ich erschrak, an der Tochter einen entfernten Zug von Minen zu treffen, und da ich ihm nachspürte, fand ich ihn auch am Vater, und was noch mehr war, an der Mutter.[231]

Meine selige, in Gott ruhende Mutter behauptete Stein und Bein, wie sie sprach, daß Mann und Weib ein Leib wären, das heißt, was ähnliches hätten, sonst, setzte sie hinzu, würden sie sich nicht geheirathet haben. Das ist der Abdruck des Himmels, in dem bekanntlich Ehen geschlossen sind. Ich muß frei bekennen, daß ich diese Bemerkung oft bestätigt gefunden. Mag wohl immer seyn, wenn Neigungen Ehen binden! – Man liebt sich selbst im andern! – Desto angenehmer war mir der Abend!

Wir blieben spät in die Nacht zusammen. Die beiden Kleinen, die von Schlaf umfielen, mußten nicht von der Wache. Hab' ich mir nicht, sagte der Herr Inspektor, mehr im Kriegsdienst gefallen lassen? und konnte ich denn dafür, daß während der Zeit kein Krieg war? Sprach man doch jede Revue vom Marsch! – Wir wollen doch sehen, mein Kind! bemerkte die Frau Inspektorin, wer von den Kindern den Preis erhalten wird, ob unsere, oder des Einnehmers? Ich freute mich, daß Madame es auf diese Probe aussetzte, und sah wohl ein, daß die Subordinationsstreitigkeit eigentlich bei der Weiberinstanz vorlag! – So nagt doch immer, fing die Frau Inspektorin nach einer kleinen Weile an, etwas am Mark des Lebens! – Eine gute Frau bis auf die kleine Affektation, hie und da etwas, das gehen sollte, tanzen zu lassen. Ein Capriolchen nahm sie sich nicht übel. Sie las viel Romane, die alle vortrefflich gebunden waren. Sie kleidete sich sehr mit Geschmack – Ich fand sie im allerliebsten Negligé! Was sie spricht (die Frau Einnehmerin nämlich), sagte die Frau Inspektorin, ist mit welkgewordenen Blumen einer Metapher bekränzt! – Solch ein Kranz! Er ist nur auf wenige Stunden. Im Wasser halten sich die Blumen am schönsten! »Liebe Frau Inspektorin! muß aber kein Springwasser seyn!«

Meine Frau, sagte Darius, nicht wahr? geht rund herum; ich steige gleich aufs Dach! Sie stellt's zur Schau aus; ich hänge[232] es geradezu hin, wo es hängen soll! – Mein Kind! sagte sie, bei einer andern Gelegenheit, wie er heirathete (der Hauptmann nämlich), verschwand der letzte Stern von Hoffnung. Aber, erwiederte er, der Major sagt – – Mag immer, lieber Herr Major! Weibersehnen entstricken sich eher.

Unfehlbar glaubte sie ihrem Stande durch einen dergleichen Ausdruck nachzuhelfen. Mag wohl literatadlich seyn; natürlich ist er nicht. Mir wenigstens kann kein Naturstück aufstoßen, wo ich nicht etwas Aehnliches entdecke, Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch.

Sie erkundigte sich sehr herzlich nach ihrem Schwiegervater, und wollte von mir eine Beschreibung von einem Literatus, welche sie bis dahin noch nicht von ihrem Manne nach der Tablatur, wie sie es nannte, erküssen können. Ich ließ den Hermann bei Ehren! Hätte der Hauptmann von Capernaum, pro tempore Acciseeinnehmer, die Abkunft des Inspektors erfahren, Subordination! – wo wärst du geblieben? Wenn mein Mann wider seinen Vater etwas hat, was gehts mich an? Man sehe doch das galllose Schäfchen! Ernst! Ein gutes Weib! Man lasse ihr doch die welkgewordenen Blumen einer Metapher! – Was thut es denn dem Manne, wenn seine Frau in so etwas Unschuldiges verliebt ist? – Zehnmal versicherte sie mich, wahre Freundschaft daure noch, wenn gleich alle Kronen Urnen geworden! – Und alle Worte Gedanken, wollte ich schon sagen. – Ihrem Manne machte das Tulpenbeet seiner Frau, in zierlichen Ausdrücken dargestellt, keine geringe Freude, obgleich er selbst bei seiner Weise blieb, geradeswegs aufs Dach zu steigen. Freilich mußte das Dach nicht zu hoch seyn – da Benjamin Darius origetenus auf schwachen Füßen stand.

O der wunderbaren Vermischung der Denk- und Handlungsart der Menschen! und doch wieder so allzusammen eins, daß man[233] weiter gehen könnte, als meine Mutter. Nicht bloß Mann und Weib, sondern alle Menschen haben einen gemeinschaftlichen Zug – alle etwas vom Vater Adam und Mutter Eva, denen, sie mögen gewesen seyn wie sie wollen, doch Kindespflicht eignet und gebühret.

Amalia war mit dem Krämer ehelich verbunden, und glücklich genug gewesen, fünf Kinder mit ihm zu erzielen. Junker Gotthard hatte sie nicht besucht, worüber sie sich beklagte, ohne daß der Krämer ein Wort darüber verlor!

Ich erneuerte alle meine alten Bekanntschaften, die heilige Geiststraße und den Roßgärtschen Kirchhof nicht ausgeschlossen. Die Straße, die zu meiner Zeit beim Abzuge des Malers, dessen Quartier wir bezogen, illuminirt war, soll, wie man sagt, nicht aus der Illumination herauskommen. Was die Mütter thaten, thun die Töchter nach ihnen.

Schließlich übergab ich dem Darius und vorzüglich seiner Frau, Minens Grab in L. Ich that es in Gegenwart ihrer Kinder, und so feierlich, daß alles weinte, nur der gewesene Herr Lieutenant nicht, dem man in Hinsicht der Thränen nicht so leicht aufs Dach steigen konnte. Sie gab mir das feierliche Versprechen, künftige Woche zum guten Pastor nach L. zu fahren, wo sie schon bekannt war, um ihren Kindern das Grab zu zeigen! Gern wäre sie jetzt gleich mitgekommen, wenn ich es ihr nahe gelegt; ich wollte mir aber durch kein Gewürz ein gesundes natürliches Essen verderben! Auf diesen Ausdruck bringt mich die Frau Inspektorin selbst. Sie sprach von einem Ausdruck, den sie das vor Fäulniß bewahrende Salz nannte. – Wenn die Speisen nur nicht versalzen werden, wie die königliche Frau Mutter es schon drei Tage vor dem königlichen Auftritt zu thun gewohnt war!

Darius dankte mir, wiewohl insgeheim (wer mag gern in Gegenwart seiner Frau in die Flucht geschlagen werden), für die[234] schönen Tage, die er bei einem Haare, wie die Dorfjungen, Talken genannt hätte, wenn ich ihn nicht in Zeiten ins Griechische gebracht. Ich habe diesen Kriegen, sagte der Herr Inspektor, viel zu danken. Nimmermehr würde ich seyn, was ich bin, wenn ich nicht Darius gewesen! Freilich kann wohl aus Darius nichts natürlicher als Accise-Inspektor werden! Alexander aber und Major! ist da Verhältniß, kunstrichterlicher Leser? Nicht wahr, eine versalzte Frage!

Ich fand Fronspergers Kaiserliches Kriegsrecht beim Darius, und Benjamin versicherte mich, daß ihm das Werkchen viele gute Dienste gethan. Freunde! Darf ich's wiederholen: beim Spiel eine ernsthafte Miene gemacht, so ist's Ernst; beim Ernst eine komische Miene, so ist's Spiel! Entweder ist alles Spiel, oder alles Ernst in der Welt! – Wie man es drauf anlegt! – Und nun, wenn anders meine Leser keine Tücke auf Benjamin haben, wer hätte gedacht, daß diese linke Hand sich so herausarbeiten würde. Ist ihm die Nothtaufe anzusehen? Schneider, oder Literatus, sagte seine liebe selige Mutter.

Der Major, der uns nach Königsberg brachte, war todt. Schade! Eben da ich sein College war! Der Junker war Lieutenant geworden, Benjamins Amtsbruder, nur mit dem Unterschiede, daß Benjamin ein stehendes, sein College aber ein fließendes Wasser war! Wie weit kann er's nicht noch bringen! Der fließende Lieutenant, wie er sich darüber freute, daß ich Soldat geworden! Noch lieber hätte er und der verstorbene Reiter, wirkliches Mitglied des gelehrten Kränzchens (wenn letzterer nämlich noch gelebt), gesehen, daß ich bei der Cavallerie gestanden!

Beim Abschiede gab ich dem Herrn Inspektor den Brief der Kaiserin, den ich, außer dem königlichen Rath, keinem gezeigt hatte. Dem Professor Großvater wäre, wie mich dünkt, am wenigsten damit gedient gewesen. Da war Benjamin wieder aus dem Du-Geleise[235] und bat um Verzeihung, so sehr die Subordination beleidiget zu haben. Ich hatte Mühe, ihn ins Du zurück zu bringen. Stelle Dir vor, sagte er zu seiner Frau, ohne daß ich es verhindern konnte, daß er dießmal zu Dach stieg: unser Gast ist auch geadelt und ein Gutsbesitzer. – Ihr Gesicht – wahrlich etwas zur Schau! – Gut, daß es beim Schluß war!

Lebe wohl, Königsberg, auf ewig!

Nach L – nach L –.

Ich zog durch einen andern Weg, und obgleich ich nichts that, als mich gierig nach dem heiligen Grabe umsehen, fand es doch mein Auge nicht. Der gute Pastor! Mich ärgern alle die Verzierungen, die man beim guten gemeinen Leben anbringt. Da will man seine vorigen Bekannten rathen lassen, wer man ist! Da läßt die Frau, ohne daß der Herr Gemahl es weiß, zu seinem Geburtstage ein Mahl anrichten. In der Josephsgeschichte selbst gefällt mir der Zierrath nicht. – Warum nicht gleich: ich bin Joseph, euer Bruder! – Geradezu gab ich mich dem Pastor zu erkennen, wie seinem Bruder, dem königlichen Rath, der es einen Ueberfall nannte, und der darüber um eine Nacht kam, ich weiß nicht wie. Wie es mit Minens Grabe stände, war meine erste Frage, in die sich unser Pastor nicht finden konnte. Ich umarmte ihn, und ohne ihn zur Antwort zu lassen, die er von der Ueberlegung borgen wollte, nahm ich ihn bei der Hand und da waren wir! – Nach der Zeit hat er mich versichert, daß ihm noch selbst auf dem Wege alles wie ein Traum gewesen! Da, sagte er, liegt mein Weib, Minens Nachbarin! Es war kurz vor Ostern und schon war Minens Grab so grün! so schön!

Der Pastor verließ mich, um, wie ich nach der Zeit sah, von Haupt zu Fuß sich umzukleiden. Ich sah gen Himmel, warf mich auf die Erde, auf die heilige, Minen geweihte Erde! Ich konnte nicht weinen! – Mine! Mine! war alles, was ich konnte. Ich[236] warf mich mit einer Heftigkeit aufs Grab, die kein Wort aufkommen ließ, die es erdrückt haben würde, wie ein Grausamer einen Wurm, der sich krümmt – und stehe da! so wie ich hinstürzte, fiel das Grab ein! Ein anderer wäre aufgesprungen; allein ich erschrak darüber so wenig, als ich mich über den kaiserlichen Brief erfreute. Wer kann etwas in solchen Umständen! Nach einer kleinen Weile war es mir so, als der lebendige Odem aus ihrer Nase, woraus wir ihre Rückkunft ins Leben erprobten! Gott! schrie ich und sah nun ein, daß der Sarg nachgelassen und die Erde ihm gefolgt war, als ob sie mir Platz machte! dachte ich. Ich komme bald! sagte ich so laut, daß ich's wiederhallen hörte; wo es wiederhallte, weiß ich noch nicht: allein dieß Bald im Wiederhall, wie es mich ergriff, das kann ich nicht sagen, nicht denken! Empfinden – kann ich's. In solchen Fällen laßt der Empfindung ihren Werth, ihr Empfindungsstürmer! Noch jetzt hat es mich erschüttert! Bald! Amen! bald! Amen!

Nach einer Weile fiel es mir wie ein Blitz ein, das Ende meines


ἀνέχου καὶ ἀπέχου


zu machen. Schnell riß ich die letzten Siegel auf und las:

»Du bist ein geborner Edelmann, ich heiße – –. Einen einzigen Buchstaben habe ich im Namen geändert. Wirfst du den weg, bist du, was deine Vorfahren seit undenklichen Jahren gewesen. Mein ältester Bruder, der mich verfolgte, ist Schuld an diesem allen. Wie wenig ist dieses alles. Ein geänderter Buchstabe, ein einziger, was will das sagen? Die Beilage ist die Asche von den Papieren, die im Brande drauf gingen, der sich zutrug, da du krank warst. Sie muß gelten, wenn du sie geltend machen willst. Gott segne und behüte meinen Bruder und die Seinen für und für! Auch dich segne er mit und ohne den Buchstaben – –«[237]

Mehr konnte ich vorerst nicht lesen und auch meine Leser wissen genug in meinem Lebenslauf. Das übrige gehört zum Lebenslauf meines Vaters, wovon der vierte Theil bergauf handelt. Die Beilage Asche hatte die Buchstaben so unleserlich gemacht, daß alles wie schwärze Kunst aussah.

O Freunde! Die Scene, wie ich beide Adelbriefe zusammennahm und sie auf Minens Grab legte zu ihren Füßen, könnte ich sie doch mittheilen! Ob sie gemalt im Zimmer sich ausnimmt, weiß ich nicht; aber fürs Herz! – Ich kann nicht! – Sie brachte mich zu Thränen, zu sanften, süßen Thränen. Mine war mir Welt, Leben, Alles!

Sieh! Minens Schutzgeist, steh! der du ihr das Bald so warm wiedergebracht hast, als es das Echo, das Sprachrohr der Geister, dir zubrachte! Sieh diese Treue! Sie war Minens werth! Was sollen mir diese Gnadenbriefe ohne sie? O du lieber, seliger Vater! Dank sey dir, daß du diesen Pomp in Asche verwandelt und sie zur Beilage gemacht hast! Wir sind Staub und Asche!

Der Pastor kam ganz herrlich verziert, und wollte mich seiner Entfernung halber um Vergebung bitten. Da er aber sah, was vorging, war er Willens zu bitten, daß ich ihm seinen Ueberfall verzeihen möchte. Herr Major, fing er an (dieß hatte er schon von meinem Bedienten erkatechisirt), das hat nie ein Major gethan, so lange die Welt steht! – So hat er auch keine Mine gehabt, so lange die Welt steht! – erwiederte ich, nahm ihn wieder bei der Hand, und führte ihn zu dem Grabe seines Lindenweibes. Hanna wollte durchaus, sagte er, Minens Nachbarin seyn, und wir alle wollen's seyn. Meine Tochter hat sich dieses von ihrem Manne schriftlich versprechen lassen, und er von ihr! – Hat Mine es doch dem Nathanael vergeben, lieber Major! Sie würden sich gewiß vertragen – gut begehen, hätte ich bald gesagt! – Freund, antwortete ich (selbst weiß ich nicht, wie ich dazu kam), da sind Türk'[238] und Russe Brüder! – O, lieber Herr Major! vom Türkenkriege zu reden! – Freilich hier nicht, aber doch! Ja! Ich drückte ihm die genommene Hand. Freund! das Grab Ihrer Hanna ohne Linden! – Eine wollte ich ihr geben, ausgegangen! drei Jahre nach einander gesetzt und ausgegangen! Wie todt geschlagen! Ohne Leben und Odem! Mehr als eine mochte ich nicht! Warum sollte ich Ihrer Mine die Sonne entziehen? – Die Linden nehmen sich viel heraus, wenn sie ins Wachsen kommen. Sie sind sehr sonnengeizig, ungerecht gegen alles, was unter ihnen wächst.

Nach dieser Scene gingen wir in die Kirche. Siehe! ich komme bald; halt was du hast, daß niemand deine Krone nehme, rief mir jede der vier Gegenden zu, Osten, Süden, Westen, Norden! Alles war mir so gegenwärtig, als ob es vorginge. Minens Begräbniß, Gretchens Eheverbindung!


Was Gott thut, das ist wohlgethan;

Es bleibt gerecht sein Wille!


und


Drum laß ich ihn nur walten!


Warum denkt man so gern an gehabte frohe Stunden? Wahrlich, weil das Leben so kummervoll ist, und weil wir ihm durch dergleichen Kunstgriffe förderlich und dienstlich seyn wollen. Wahrlich, die überall gütige Natur hilft auch hier, so wie in allem, unserer Schwachheit aus. Wir erinnern uns froher Tage fast eben so froh, oft froher, als wir es waren, da wir sie lebten. Die Zurückerinnerung an traurige Vorfälle geht von langen zu kurzen Tagen über und wird schwächer.

Alles war uns von Gretchens Hochzeit sichtbarlich: die Verschwendung des Puders von Seiten Nathanaels, das Kleid mit den goldbesponnenen Knöpfen des Amtmanns selbst, womit der Amtmann sich bloß ausstaffiren wollte, und das nicht zum Vorschein kam, war uns gegenwärtig.[239]

Der gute Pastor hätte nicht die Frage aufwerfen dürfen: Wie wäre es, wenn wir Gretchen besuchten? Hätte ich ihr so nahe seyn können, ohne sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen? Miß ich denn nicht ihr und ihrem Manne für die treue Pflege danken, die sie Minens Grabe angedeihen ließen? (Die Zeit hatte meinen Schmerz über Minen in Poesie gebracht, wie sie es immer thut, o! so sanft lyrisch!) Bin ich Gretchen denn nicht die Heimführung schuldig?

Es ward verabredet, zuerst Gretchen und ihren gepuderten Mann, und nach diesem den hochgebornen Todtengräber & Compagnie zu besuchen. Ich habe schon bemerkt, daß ich keine Maskeraden liebe. Warum auch die Mummerei? Da steige ich lieber den Leuten, wie der Herr Lieutenant, aufs Dach, als daß ich ihnen (auch ein Ausdruck des Herrn Inspektors) was ins Maul schmieren sollte. – Wie das absticht, der Herr Inspektor und die Frau Inspektorin:

Mein Gott! wie sich Gretchen freute! auch Nathanael!

Sie küßte mich wieder so herzlich, als wie ich zur Hochzeit kam, und den Justizrath zur Frage: Wenn? brachte. Der arme Mann mußte jetzt viel dieser Eifersucht halber ausstehen! – Jetzt war er so weit vom Wenn, daß er selbst gern darüber lachen mochte. Er hatte sich ungemein auf die Politik gelegt, und wollte durchaus die Karte herbeiholen, da sich der Herr Schwiegervater an den Türkenkrieg erinnerte. Der gute Nathanael war immer mit marschirt, hatte immer mit gekriegt und mit gesiegt. Er war, so wie sein Schwiegervater, wohlbedächtig russisch, obgleich sonst jeder Mensch eine Neigung hat, sich des Unterdrückten anzunehmen. Ist's Wunder? Es ging ja gegen die Türken! Die Anlage zur Politik, welche der Prediger bei Gelegenheit der verlornen Schildwache zeigte, hatte freilich noch nicht ihren Geist aufgegeben; indessen übertraf Nathanael seinen Schwiegervater in der Politik bei[240] weitem. Gretchen war dagegen so unpolitisch, daß sie recht geflissentlich diesem Blutvergießen auswich. Ein politisches Weib ist wahrlich das unausstehlichste unter allem aus der siebenten Bitte. Fast sollten sie das Wort Krieg nicht auszusprechen, nicht über ihr Herz zu bringen vermögen. Ein anderes, ging's um die schöne Helena! oder wenn sich ein Paar um das blaue Augenpaar der Huldgöttin der Stadt schlügen! In solchen schönen Fällen erlaube ich ihnen auch ein Wort über Krieg und Kriegsgeschrei zu sprechen!

Gretchen, du hast den besten Theil erwählt, das soll nicht von du und deinen Töchtern genommen werden ewiglich! Wie du in Reisekleidern ausgingst, liebenswürdiges Geschöpf, und mit verweinten Augen zurückkamst! – Gott lohne dich mit seinem reichlichen Gegen! – Sein Antlitz hebe Er aus dich, und sey dir gnädig!

Es war ein gutartiger, allerliebster Frühlingstag. Wir kamen früh an und frühstückten auf einem Haufen. Mir kommt das Frühstück als die natürlichste Mahlzeit vor, das sich auch die englische, die natürlichste Nation, nicht nehmen läßt. Omen Morgen, lieber Engländer!

Ich setzte mich ins Gras, und die fünf Kleinen (so viel hatte Nathanael aufzuzeigen) um mich her. Dieß brachte mir ein Vergißmeinnicht, jenes nahm mir den Hut ab; die beiden kleinsten Mädchen ergötzten sich an den blanken Knöpfen meiner Uniform!

Der gute Prediger sah diese Gruppe und sagte: »Simon Johanna, hast du mich lieb?« Weide meine Lämmer! Ich hielt diesen Spruch an, und auch noch schallt er mir ins Herz: »Weide meine Lämmer!«

Leopold, willst du ins Grüne?

Eben wollte ich bitten.

Komm!

Ohne Strohhut?

Versteht sich –[241]

Gretchen sowohl, als Nathanael behaupteten, der dritte von oben hätte viel Aehnlichkeit von mir! Ich fand es nicht. Vater und Mutter hatten ihn am liebsten. Schade, daß er nicht Alexander hieß, sagten die Eltern, der älteste hieß so! Das erste Kind war eine Tochter und hieß Mine! – Wie ich dieß liebe Mädchen an mein Herz gedrückt! Es war es, das mir Vergißmeinnicht brachte! Ich ließ mir von Gretchen das Ende ihrer Mutter erzählen, wo sehr starke Stellen darin vorkommen. Ich will meine Leser, denen ohnehin eine Todesfahrt bevorsteht, mit den nähern Umständen nicht aufhalten. – Sie starb sehr heiter. Ihr Tod war kein Lindentod. Wer nicht von dieser ihrer Krankheit gewußt hätte, würde sie in Wahrheit aus den letzten vier Wochen ihres Lebens nicht ersehen haben. Ihre Einbildungskraft war wieder eingezäunt. Ihr Auge hatte jene Wildheit nicht mehr; – es strahlte nicht, es schien nur. – In ihren Segnungen paarte sie mich noch mit Gretchen; das heißt: sie segnete mich so inbrünstig als sie, obgleich Nathanael und seine Kinder hiebei nicht zu kurz kamen. Auf den Enkel Alexander legte sie beide Hände, auf jedes andere ihrer Kinder nur eine. – Was sie froh war, sagte Gretchen, Minen zu sehen! – Gehe ein zu deines Herrn Freude!

Kaum hatte Gretchen diese für mich so rührende Geschichte vollendet, so marschirte Nathanael schon wieder zum Türkenkriege, und wollte ich wohl oder übel, ich mußte erzählen. – Gretchen bestellte während des Türkenkrieges ein natürlich schönes Mahl. Bei Tische war der Justizrath nicht von Bukarest zu bringen, bis ihn endlich Gretchen wie einen Türken schlug. Die kleine, liebe Russin! Sie vergoß über meine zwei liebe Kriegskameraden bittere Thränen! und mehr, als die Geschichte dieser jungen Helden, wollte sie nicht. Der Prinz Wilhelm von Braunschweig war ihr zu vornehm, um an ihm Theil zu nehmen.

Rechten und Fechten, sing die Lose an, und zeigte mit[242] Fingern auf Nathanael. Er gleich fertig: brummen, verstummen! und zeigte auf Gretchen! Ich gab dem Justizrath einen Blick, als wollt' ich sagen: ich bitte, meine Mutter ruhen zu lassen in Frieden!

Was Gretchen wohl ansteht, gebührt eben einem so puderreichen Manne nicht. Nathanael fühlte, daß er zu weit gegangen, und ward so still, daß ich ihn selbst mitleidsvoll durch eine Türkengeschichte aufmunterte. Wer kann immer fechten; ich fing also zu rechten an. »Ich will mich selbst richten,« schrieb Nathanael an seinen Schwiegervater, »und den Krieg Rechtens mit mir selbst anfangen.« Ein schön Stück Arbeit! Nathanael hatte redlich Wort gehalten. Nie sprach er ein Urtel über andere aus. Sich selbst hielt er in Ordnung. Vielleicht fiel er eben darum auf's Politische. Durch eine Schadenfreude über die Türken konnte er freilich keinen Schaden thun. – Wenn er ja noch mit einer Beurtheilung sich hören ließ, so war es wider die Gesetze selbst. Wider die Türken und wider die Gesetze sollte wahrlich jedem Christenmenschen ein Wort zu seiner Zeit erlaubt seyn.

Die Gesetze, sagte der Justizrath, scheeren alle Menschen über einen Kamm! Unfehlbar dachte er ans Promemoria. Wenigstens fiel es uns allen ein, obgleich wir es nicht sagten. Der Gerechte und Ungerechte wird nach einer Form behandelt, und ein gelehrter Jurist ist der, welcher aus einer Tasche nimmt, und es in die andere legt; aus der Ausgabe in die Hauptcasse! – Und unsere Philosophen, sagt' ich, was thun sie mehr? Wenn es köstlich gewesen, schlagen sie die Zinsen zum Capital. Und dann, fuhr der Prediger fort, geben sie es an einen unsichern Ort. Und dann, beschloß der Justizrath, holt der Teufel alles.

Der gute Nathanael erschrak selbst über den Teufel, da er ihn citirt hatte, so wie über's Brummen und Verstummen! Er hatte in diesen Tagen ein klein Capitälchen verloren, das er vielleicht[243] auch, wie die Philosophen, von Zinsen gesammelt! Solch Geld soll überhaupt nicht viel Segen haben.

Warum Scheltwort wider die Gesetze? sagte der Prediger. Ihr Herren habt ein gewisses Phlegma, das ihr Diensteifer nennt. Alles nur so nach dem es scheint, nichts, nach dem es ist.

Ihr Bruder! fing ich an –

Ist nicht phlegmatisch von Natur –

Ein wahrer Menschentreffer.

Mag! allein das beste Auge wird müde! –

Ich. Und furchtsam, wenn es ein paarmal fehlgeschossen.

Justizrath. Man hat so viel Mühe, sich selbst zu treffen, und hat sich doch immer vor der Nase!

Prediger. Aber nicht vor den Augen.

Ich. Vielleicht trifft man sich mehr, als es scheint. – Man publicirt uns das Urtel nicht. Es bleibt uneröffnet. Jeder Schelm weiß, daß er's ist, der kleine schielende Revisor so gut, wie ein anderer. – Die Justizform in England –

Justizrath. Freilich die beste! Die lieben Dicasteria. Laßt den Nachbar über den Nachbarn urtheilen; so wie bei uns Soldat über Soldat, Unteroffizier über Unteroffizier, Offizier über Offizier! Wenn nur das Desertionsedikt nicht wäre! – Dicasteria sind gemeinhin Hospitäler, wo viel geredet und wenig gethan wird! – Kommt einmal ein großer Kopf herein, stößt er ihn sich wund Das edle Geschöpf Gottes hatte nicht Raum in dieser Herberge!

Sollte man wohl nach diesen Datis glauben, der Justizrath habe keinen Dienstverstand? – Die Herren Rechtsgelehrten lernen die Gesetze; allein selten den Menschen. Es gibt Leidenschaften, die jeder billiget, weil sie mit ihm selbst stimmig sind. Wer zürnt über den Zorn, wenn der Eifer über eine Beleidigung kommt, die ins Allgemeine geht? Ein dergleichen Eiferer heißt ein Patriot! –[244] Trifft der Eifer einen Lehrer, der ein falscher Münzer ist, der Worte für Sachen verkauft, Schiffszwiebacke für Manna ausgibt, oder auch einen solchen, der seinem moralischen Vortrage durch seinen Lebenswandel widerspricht, dann ist dieser Eifer ein Eifer für des Herrn Haus. Bei dieser Gelegenheit, da wir dem, was ins Allgemeine schlägt, Gerechtigkeit widerfahren ließen, fing der Prediger an: Es ist so eine Sache mit dem lieben Allgemeinen! Wir wollen nur Thatsachen, die aufs Allgemeine gehen. Je allgemeiner die Benennung ist, womit man uns belegt, je weniger will man sich so benennen lassen. Mensch! kann zur Probe dienen. Ein allgemeiner Geist zieht in seinem Privathause gemeinhin den Kürzern.

Nathanael versicherte, und auch dieß war wahrlich nicht der kleinste Beweis von seinem Dienstverstande, daß er in seiner langen Praxi nie gefunden, daß ein gutdenkender Mann auf einen Dieb böse gewesen, wenn er das Seinige wieder erhalten. Wir Menschen, denk' ich, sehen es zu sehr ein, daß wir alle gleiche Rechte in der Welt haben, und danken Gott, wenn wir nur bei solchen Gelegenheiten ungeschlagen davonkommen.

Der Prediger, der noch kein Wort von seiner Sünde wider den heiligen Geist gesagt, vielmehr seinem Herrn Schwiegersohn, weil er Justizrath war, obgleich ein in Gnaden verabschiedeter, die Vorhand gelassen, holte jetzt alles ein, schlug Zinsen zum Capital, und bemerkte jedes Wort, das er in der zweiten Ausgabe dazu und davon gethan. Er sprengte, da es Nathanael ihm zu lang machte, übern Zaun, und der Schwiegersohn mußte ihm das Wort abtreten, obgleich er Justizrath war. Man kann sich um den Hals reden, – auch um den Gedanken! – Der gute Prediger fing nicht zu seiner besten Stunde an. Gretchen kam, und ich ließ den Justizrath (Gelehrsamkeit gegen Gelehrsamkeit) bei der Frage: »ob auch jemand mit der linken Hand schwören, und ob, wenn er falsch[245] geschworen, ihm die Finger abgehauen werden könnten?« und den Pastor bei der Antwort: »daß er sehnlichst wünschte, einen Sünder wider den heiligen Geist seiner zweiten Ausgabe in Kupfer vorstechen zu lassen.« Mögen sie rechten und fechten!

Gretchen und ich gingen spazieren; ein Sohn und ein Töchterchen mit uns. Eins für mich, eins für Sie! sagte die gute Hausmutter. Wer Gretchen mit ihren Kindern sahe, und nicht Luft bekam zu heirathen, hatte kein Gefühl von Unschuld. Sie zeigte mir dort eine neue Anlage zum Spaziergang, hier ein vortreffliches Grasstück. – Den Acker rahden und der Gegend zur Aber lassen, wie Gretchen es nannte, oder einen Graben ziehen, überließ sie dem Herrn Gemahl; – sie nannte das Milchdepartement ihr beschiedenes Theil, und nöthigte mich in ein allerliebstes Büdchen, ihren Thron, wie sie sagte. Allerliebst! So schön sitzt kein Monarch, als Gretchen in ihrer Milchbude. Hier ward oft frische Milch gegessen, und die schönste Wiese, die das Gütchen vermochte, lag vor'm Auge.

Wer fehlt mir, Freund, als Mine? sagte Gretchen und weinte so sanft, als man in einer Milchbude weinen muß. Sie beklagte sehr, keine Freundin in ihrer Gegend zu haben. Allein ich habe einen lieben, sehr lieben Mann! fügte sie hinzu. Wer hätte das dem Nathanael, dem Justizrath, ansehen sollen? Wenn's geregnet hat, sagte sie, wie schön ist es hier! und gab mir die Hand. Das gute Gretchen! Warum nicht alle Kinder? fragt' ich Gretchen. Gern möcht' ich mich mit diesen Kleinen ins Gras setzen! »Ich wollte mehr mit Ihnen allein seyn!« Wahr ist's, drei kleine Kinder Zusammen ist wie eine große Gesellschaft. Gretchen hatte keine andere Gesellschaft, als ihre Kinder. Zuweilen kam der Graf, und sie waren noch öfter bei ihm. Gretchen war nicht ganz für diesen Geruch des Todes zum Tode. Die Sache genau genommen, ist auch der Geruch des Lebens zum Leben, Leib und Seele gesünder.[246] Eine Person von ihrem Herzen konnte nicht anders, als tödtlich gerührt vom Grafen heimfahren. Nathanael ließ sie vorzüglich, wenn sie gesegnet war, nicht zum Grafen. Alles gut! sagte Gretchen, das hiesige Leben ist doch auch nicht zu verachten, und es ist Pflicht, zu genießen und Trost zu hoffen. Was fehlt uns denn in dieser Milchbude?

Die Milch, Gretchen.

Wollen Sie?

Ich lächelte: Nein!

Der siebenmal sieben liebe Graf! – Ist denn nicht mein Stubenornat besser, hatte er jüngst zu Gretchen gesagt, als wenn ich meine Zimmer mit geilen Bildern behangen hätte, deren jedes Feuer streut, wodurch so viele junge liebe Herzen in Brand gerathen? Viele lügen, sagt' ich, weil die Wahrheit was gewöhnliches ist! Der Graf ist nicht besonders, weil er es seyn will, sondern weil er einen Lebensconcurs gemacht hat. – Ich wußte wohl, mit wem ich sprach; Gretchen hatte aufs Haar gelernt, was ein Concurs sey.

Ich habe einen sehr lieben, lieben Mann, wiederholte Gretchen von freien Stücken. Der Concurs kann ihr unmöglich hiezu Gelegenheit gegeben haben. Mein Mann liebt mich, fuhr sie fort, und seine Kinder, ist gerecht gegen jedermann, und verlangt vom Glücke keinen Dreier mehr, als es ihm zugewendet. – Wir verloren ein kleines Capitälchen und zweimal haben wir in der Lotterie gewonnen, so daß sich alles ziemlich heben wird.

Es war Gretchen zu kalt. Sie zeigte bei aller Gelegenheit eine schwache Brust. Wenn nur die Lindenkrankheit ihrer Mutter ihr nicht den Stoff zur Hektik eingepflanzt! Schonen sie sich, Gretchen; hören Sie? schonen Sie sich! Ein großer Theil meiner Leser vereinigt seine Bitte mit der meinigen: Schonen Sie sich!

Ich wendete mich zum Wege, aus dem wir gekommen waren;[247] allein Gretchen zog mich seitwärts, um mir einen Gang zu zeigen, der nach einem meiner Vornamen hieß. Auch einen Minchenberg gab es, wo wir uns wenige Augenblicke niedersetzten. Daß wir doch nicht Geister sehen können! sagte Gretchen. Der Graf glaubt zwar drei Seelen bei ihrem Ausflug mit einem Blick erhascht zu haben. – Im Fluge, Gretchen, trügt das Gesicht am meisten. – Zum Collationiren, sagte sie, gehört Original und Copie! Liebes Gretchen, erwiederte ich, reden Sie doch wie eine wahre Justizräthin.

Wir kamen zurück und fanden den Herrn Schwiegervater und Sohn noch in gelehrten Streitigkeiten. Der Justizrath sprach über die Frage: »Ob jemand mit der Todesstrafe zu belegen, der einen Missethäter eine halbe Stunde vor des Todesurtels Vollstreckung ermordet?« und der gute Prediger: »Ob es nicht billig, daß der Verleger den Titelbogen für voll bezahle, wenn gleich nur ein Blatt beschrieben sey.« Ists doch der Titel!

Was meinen meine Leser von einem Sünder wider den heiligen Geist in Kupfer? Sollte nicht eine Silhouette mehr anzurathen seyn?

Keinen stärkern Beweis konnte wohl Nathanael ablegen, nicht mehr eifersüchtig zu seyn, als eben den, daß er sein liebes treues Weib mir anvertraute. Hat der Herr Major alles gesehen? Ja, lieber Nathanael, alles! Tausend Dank für Gang und Berg! Ich will gleiches mit gleichem vergelten, wenn mir Gott an Ort und Stelle hilft! Gretchen war mir lieb als Gretchen, und lieb ist sie mir als Frau Nathanael!

Herr Major, sagte Nathanael, sie ist Minens Schülerin!

Wer kann wohl glauben, daß es nicht drei Minuten dauerte, da wir von Gretchens Milchbüdchen bis Bukarest waren!

Dießmal waren Gretchens Brüder meine Retter. Sind sie noch, fragte ich, in Poesie-Compagnie? Vier Augen sehen mehr als zwei, sagte Gretchen und lächelte. Wie Sie doch so gütig sind,[248] fiel der Prediger ein, sich selbst an diese Maskopie zu erinnern! Denken Sie noch daran, wie ich Ihnen meine Abhandlung zum erstenmale anvertraute? Sollte ich nicht? erwiederte ich und lenkte wieder auf die beiden Compagnons ein, wovon einer in Curland Hofmeister war, der andere in dem nämlichen Ehrenamt in Preußen stand! Der Prediger empfahl mir den Curländer, wenn er wo mit v, E – s. in Collision käme! – Ich antwortete mit einem Händedruck.

Den folgenden Tag reiseten wir zum Grafen. Ich wünschte, daß Gretchen mit käme, allein ich bat sie, nicht mitzukommen, da ich wußte, daß der Geruch des Lebens zum Leben ihr lieber war. – Ich glaube je länger je mehr, weil sie die Folge der mütterlichen Lindenkrankheit selbst fühlte, und nicht fühlen wollte. Das liebe Gretchen! – Sie kam von selbst, die gute Grete. Wir fuhren alle viere! – –

Der Graf freute sich über alle Maßen. Ein Sterbender allein hätte ihn mehr erfreuen können. Man schrieb mir aus Königsberg, Sie wären da, sagte der Graf, und ich wäre fast in die Verlegenheit gekommen, Sie zu bitten, Ihren alten Freund nicht zu vergessen. – Desto besser, daß Sie ohne das gekommen sind.

Meinen Lesern ist es bekannt, wie viel der Graf von Künftigkeiten zu bestimmen gewohnt war. Es fiel ihm mancher Umstand wie aus dem Aermel. Wer wird denn wohl im dreißigsten oder vierzigsten Jahre wissen wollen, ob er es bis siebenzig oder achtzig bringen, oder eher sterben werde? Und wem ist überhaupt damit gedient, da Vorhänge aufzuziehen wo die Hand der Vorsicht sie wohlbedächtig angebracht hat? Warum soll man die Kunst lernen, fast immer die Zeit und Stunde zu wissen, wenn es mit dem Patienten aus seyn werde? Gut, keinen medicinischen Tod zu sterben; indessen würde ich es eben so ungern sehen, wenn ich wüßte: ich sterbe und ein anderer observirt mich! Wer läßt sich[249] gern observiren? Eben darum trifft der Maler am besten, der die Gestalt stiehlt! – Die Welt ist ein Garten im Norden, wie der Graf sagt, wo wenig reif wird. So wir das wissen, selig sind wir, wenn wir darnach thun! – Wie kommt das, daß ich Gretchen unvermerkt in Rücksicht ihres Geruchs beitrat? Ich weiß keine andere Ursache, als weil ich auch vierzig Jahre trage. Der Graf schien es selbst zu merken, daß ich den Antheil an seinen Anstalten nicht nahm, den ich vor diesem genommen. Dießmal, sagte er sehr fein, werden Sie nicht in – krank werden! Weil ich es bin, erwiederte ich, und, wie mich dünkt, war meine Antwort eben so richtig als seine Frage. Sie haben ein größeres Sterbehaus gesehen, Herr Major, sagte er, als das meinige! Der Justizrath und der Prediger waren froh, um vielleicht manches noch vom Türkenkriege zu hören, worüber ich, wie sie wähnten, den Grafen nicht abschlägig bescheiden würde; allein sie kamen wieder von Bukarest zurück, ohne mehr zu wissen. Ohnmöglich kann den lieben Herren solch eine schnelle Reise gut thun! Der Graf hielt sich bloß über die Frage auf: Ob man wohl im Felde, ohne seiner Pflicht etwas abzukürzen, observiren könnte? – Ich hatte ihn schon überzeugt, daß es viel Gelegenheit zu Observationen im Felde gebe, und ihm eine ganz neue Aussicht eröffnet.

Der Inspektor und seine Frau. – Sie waren zum Prediger nach L. gekommen und von L. zum Grafen, ob sie es sich gleich erst die künftige Woche zu thun vorgesetzet. Ich war Major und von Adel, und freilich hätte die Subordination gelitten, wenn Benjamin, wie er sich ausdrückte, ermangelt hätte – – Wie machst du es mit deiner Stelle? Er hatte den Einnehmer damit belehnt, lieber Major! erwiederte die Frau Inspektorin für den Herrn Inspektor. Das heißt wohl sein Amt an den Nägel hängen. Noch dasselbe Gesicht zur Schau, das die Frau Inspektorin beim Gutsbesitzer und Edelmann aufschlug! – Er selbst auch noch die[250] nämliche Subordination. Bei ihm wirkte der Edelmann, bei seiner Frau der Gutsbesitzer! – Er war aus Curland, sie aus Preußen. Bei diesen Schaugesichtern war es kein Wunder, daß die Sache weiter ging und an den Grafen kam, dem die Nachricht eben so, wie der Frau Inspektorin auffiel. Ihnen, lieber Graf! der Sie täglich sterben? – Gretchen allein war wie vorhin! – Der Justizrath räusperte sich ein wenig, da er zum erstenmal mit dem adelichen Major, dem Erbherrn auf – sprach. Dem Prediger war nichts anzumerken. Der Graf, den der Türkenkrieg bloß des Observationsstübchens halber interessirt hatte, wovon ich ihm einige Winke gegeben, nahm an meinem Adel so viel Antheil, daß die Observation jetzt auf meiner Seite war. Mein Gott! wie kann doch jemand, der täglich stirbt, an dergleichen Kleinigkeiten Theil nehmen! Vorurtheile gegen die doch der Mann, der sich vom Haufen unterscheidet, angehen soll, können die auch solch einen Mann – so beherrschen? Es ging mir nahe, diese Bühne aufgezogen zu sehen! Sein erster Blick that gleich zehn Fragen an mich, und so lieb es mir war, den Herrn Inspektor noch zu sehen, so war ich doch im ersten Augenblick nahe daran zu wünschen, daß er lieber mit seiner Hausehre beim Herrn Hauptmann geblieben, als uns gestört hätte.

Der Graf wollte die Lebensläufe aller meiner Ahnen. Lieber Graf! ich weiß sie selbst noch nicht, und suche noch hie und da Lücken auszufüllen. Zeit bringt Rosen! Wenn Sie Geduld haben, die jedem noth ist, und Gott Ihnen das Leben fristet, so sollen Sie im dritten Theil meinen Vater und im vierten meinen Großvater von oben ab sehen! Gleich ein Unterschied zwischen mir und der andern Gesellschaft. Lieber, warum das? warum die weißen Federbüsche, und die Wappen und die gräfliche Krone? Der gute Pastor in L – sagte, auf den Punkt versteht der Graf keine Brüderschaft. Da ist das Krönchen leicht gebrochen. Der Graf kannte meine Familie – sollt' er nicht? – und nichts war ihm[251] im Wege, als meine Mutter, die doch bürgerlichen Standes gewesen. Sie ist todt, lieber Graf! Freilich hebt der Tod viel, es ist nur der Ahnentafel und der Stiftsfähigkeit wegen. Ich versicherte die gräfliche Krone, weder an eine Ahnentafel zu denken, noch auf Stiftsfähigkeit je Anspruch zu machen; allein er drückte mir die Hand mit einem sehr bedeutenden: Kommt Zeit, kommt Rath! – Da Gretchen alles sah, was vorging, schien sie selbst einen Subordinationszug einführen zu wollen, den ich aber sogleich bei der Thür abwies. – Die Frau Inspektorin fand vollkommen ihre Rechnung. Sobald sie bemerkte, daß es hier auf Paar und Unpaar ankam, ging sie bei sich selbst zu Rathe, ob und in wie weit ihr der Rang über Gretchen zustände? Sie übertrug dem Herrn Inspektor hiebei Sitz und Stimme; da sie aber zu ihrem Leidwesen erfahren mußte, daß ihm der Fall zu wichtig sey, nahm sie ihres Herrn Gemahls Verfahrungsart an, stieg Gretchen zu Dache, und drängte sich der lieben Unschuldigen vor, die indessen bei dem allerersten Blick des Vordrangs so nachgebend war, daß die Frau Darius nur ein sehr kleines Dach zu steigen hatte.

Der Graf hatte die ganze Gesellschaft elektrisirt. Alles war geschlagen, bis auf Gretchen, ihren Vater und mich. Elektricität ist ein Naturblatt, auf dem viel steht, pflegte mein Vater zu sagen. Wenn wir den Altar kennten, von dem diese glühende Kohle, dieser göttliche Funke genommen ist, wären wir weiter!

In der Naturlehre, lieber Vater! Wenn du aber hier in dieser geschlagenen Gesellschaft gewesen; was für ein Feld zu moralischen Anmerkungen wäre dir da offen gewesen! Wie doch dem Menschen der Zwang so eigen werden kann! Ein kleiner Schlag, und alles gerade wie auf Drath gezogen!

Gretchen gewann bei meiner Standeserhöhung am meisten;[252] denn der Todtengeruch war sehr zum Geruch des Lebens zum Leben übergegangen.

Der Graf bat es sich zur Freundschaft aus, sobald ich mich mit meiner Familie in Verkehr gesetzt haben würde, ihm über diesen und jenen Punkt, wo seine Familienkenntnisse nicht zureichten, Auskunft zu ertheilen. Dieser und jener Punkt waren Federbusch, Wappen und dergleichen Dinge mehr! – Hie und da eine Anekdote von dem und dem in der Familie! Das war alles? Wie ich sage, keinen Tritt weiter. Ist's möglich, ein Mann, der einen Mann ohne Wappen zum Lebens-, alle Sterbende zu Sterbens-Brüdern und Schwestern annahm? – Was anderes, wenn's Leute thäten, die dem hiesigen Leben den Eid der Treue geleistet.

Ich konnte das Andenken an jene Grabschrift nicht abwehren:


Hier liegt der lebendig Todte!


Bei diesen Umständen hätten Sie die Blätter, die von der Reise zum Grafen handeln, nicht überschlagen dürfen, meine gnädige Frau! Zwar nahm ich mir die Freiheit, bei Gelegenheit der Sterbensumstände unserer guten Hanna, diese Reise eine Todesfahrt zu nennen; allein, geruhen Ew. Gnaden die Fräulein Schwester zu fragen, der es gestern, als Vestalin, auf dem Balle recht gut stand, ob nicht diese Blätter unbedenklich mitgenommen werden können?

Hier oder dort waren die letzten Worte, die ich mit dem Grafen beim Abschiede wechselte, da ich ihn beim Geruch des Todes besuchte! – Wer hätte geglaubt, daß das Hier eintreffen sollte, und zwar ein recht eigentliches Hier, voll Geruch des Lebens. Wie sich die Luft erfrischt hatte, bloß weil ich Edelmann war! – Da wir im heiligen römischen Reiche meines Adels halber waren, kamen wir, ich weiß nicht wie, auf Karl V., der sich bei lebendigem Leibe begraben ließ, um zu sehen, wie es ihm lassen würde. Ich glaube, sagt' ich, diese Probe hat sein Ende befördert. Ich[253] nicht! erwiederte der Graf, der alle Vierteljahre eine Nacht in seinem Sarge schlief; Karl V. starb aus Reue und Leid seiner niedergelegten Kronen halber! Und ohne ein Komma zu machen, war der Graf bei der Frage: ob mein Adel älter wäre, als Kaiser Karl V. glorreichen Andenkens, der, eh' er 1558 starb, sich Probe begraben ließ? Das ich nicht wüßte, erwiederte ich.

Wenn doch, dachte ich, was Sterbendes vorhanden gewesen, um den Grafen wieder einzulenken – wenn noch Eins eingeläutet würde!

Jetzt Abschied auf ewig, so wie ich ihn auf ewig vom heiligen Grabe in dieser glorreichen Gegend nehmen werde. Dort, lieber Graf, dort!

Laßt mich, lieben Leser, Abschied nehmen! Ich bitte, laßt! Gesundheittrinken ist, wie ihr wißt, ein Sinnbild des Lebens, Abschiednehmen ein Sinnbild des Todes. War es Wunder, daß der Graf beim Abschiede wieder in seinen ihm eigenen Ton fiel? Darum soll ich böse werden, weil es Nacht und Tag in der Welt ist? Vielleicht schmeckt alles süß, was schlecht bekommt. Zucker schleimt, sagt mein Hauptarzt. Vielleicht schmeckt alles widerlich, was uns eigentlich wohlbehagt! Zwischen Schein und Seyn, wie der Drosselpastor ganz recht hat, welche eine Kluft! Weil wider dieses Uebel die China nicht hilft, darum bist du böse? Gibt es nicht Hausmittel, warum China? Können denn nicht außer der Hauptstraße viele Nebenwege seyn? Sind überhaupt Uebel in der Welt? Ist es nicht alles, je nachdem man alles stellt? Genau genommen, sind bei allen Dingen die nämlichen Ingredienzen. Mütterlich hat die Natur für uns gesorgt. Wahrlich, mütterlich! – Die Hoffnung ist was Geistiges, was Unsichtbares. Sie ist Geist vom Geist. Sie ist selbst ein Geist, der uns lehret, weise zu leben und froh zu sterben. Siehe! wenn der Körper stirbt, fängt ihr Leben in Gott an. – Man nehme dem Genuß die[254] Vorstellung, die Weise, alles, was man gern hat, sich weit vorzüglicher zu denken, als es da ist, allem ein poetisches Kleid umzuhängen! – Was ist denn der Genuß? Er ist nicht Aufhebens werth! – –

Dieß war unsere Unterredung beim Scheiden. Hätte mir der Graf nicht mit den Worten die Hand gedrückt: Die bewußten Nachrichten! wahrlich, ich hätte glauben müssen, es wären zwei Grafen. – Was meint ihr? dem allem unerachtet, ein weiß Federbüschchen kann man ihm verzeihen! – Der Herr Inspektor sowohl, als die Frau Inspektorin, schienen über unsere letzte Unterredung sehr erbaut. Sie sahen die Kronen Urnen werden, und die Urnen wieder Kronen. Gretchen und den lieben Ihrigen war nichts neu. – Minchens Verwandte in Mitau vermied der Graf so sorgfältig, daß kein Zweifel übrig ist, er sey der Wohlthäter. – Doch ein hochgeborner lieber Mann! Nicht wahr? Das übel angebrachte weiße Federbüschchen thut wenig oder gar nichts zur Sache. Wir Menschen incliniren so zu zwei Principien, daß es mich nicht wundert, wenn man ein gutes und böses Wesen angenommen, die auf dem Weltthron Sitz und Stimme haben. Freilich, wenn man erwägt, daß eines das andere herunterstoßen müßte: so sieht man wohl, daß die Vernunft hiebei Anstöße findet; wo kann aber auch die Vernunft durch, ohne daß man sich den Kopf stößt? – Eine große Maschine! sagt man von einem ungewöhnlich großen Menschen. Warum Maschine? Könnte man diesen Ausdruck nicht weit eher von der Vernunft brauchen, wenn sie gleich übrigens recht sein aussieht, und sich so rein gewaschen, wie möglich? – –

Bei der rechtlichen Abstellung der beiden Principien kann man freilich dem Ausspruch der Vernunft nichts entgegen stellen; indessen haben wir doch einen, Gott dem Herrn untergeordneten, Bösen noch bis jetzt in unsern Glaubensbüchern, worüber meine Mutter singt:
[255]

Vor dem Teufel uns bewahre!


Extrapost! – In L. leutschändete ich ein wenig mit Gretchen über die Frau Inspektorin, doch so, daß diese Krone und Urne es in hoher Person anhören können. Gretchen versicherte, den Grafen von dieser Seite zwar vermuthet, noch nie aber so in Lebensgröße gekannt zu haben. – Wer hat nicht, liebes Gretchen, sein weißes Federbüschchen? Die Frau Inspektorin so gut wie der Graf, sagte Gretchen. Und der Herr Inspektor? fragte sie. Der steigt zu Dach, erwiedert' ich. Ganz böse ist der Teufel selbst nicht! Weiß Gott, ob er sich nicht noch einmal erholt, wie mancher Baum, der, wenn er ganz weggehauen ist, frisch an der Wurzel ausschlägt.

Ich ermahnte den Inspektor seinen Vater ja nicht zu vernachlässigen, wenn gleich Hermann keine Taube nach ihm ausgesandt. Die Frau Inspektorin, die hiebei den Klingklang vom Literatus vermißte, bereicherte meine Aufmunterung mit ein paar schönen Redensarten, womit sie das Herz des Herrn Gemahls, wie sie sagte, zur Sanftmuth bethauen wollte. Wenn wir am schönen Abend, sing sie an, Hand in Hand dahinschleudern, und der Mond sich in meinen Thränen bespiegelt, wenn ich an so manche heilige Schauer zurückdenke, die ich in – – beim Grafen empfand, da er Abschied nahm – wenn – Sie wollte fortfahren, allein Darius fiel ihr ins Wenn. Man seh' doch! sagt' er, auch du bemühst dich, mein Kerbholz zu vergrößern und den Major aufzuwiegeln? Noch blieb Madame in ihrer Fassung. Leute von gewissem Stande, fuhr sie fort, sollten sich durch Zuthätigkeit gegen ihre Verwandten auszeichnen. Ein Ast, der den andern überwachsen will, setzt sich der Gefahr aus, daß der Bube ihn bricht, oder der Gärtner ihn wegschneidet. – Bei den meisten Menschen sind die Farben nicht recht angebracht, roth die Augen, schwarz die Zähne! – (Ihre Augen und Zähne waren, die Wahrheit zu sagen, ohne Tadel.) Jetzt stieg der[256] Herr Inspektor der Frau Inspektorin wirklich zu Dache, und sie, die sich bei dieser Gelegenheit durch Sanftmuth auszeichnen sollen, überwuchs ihren Gemahl so zusehends, daß man sie nicht wieder kannte. Ein Sonntagskleid wird am Ende ein Alltagskleid. Anstatt daß sie ihren Mann sanft, wie der Zephyr die Rosen, küssen sollen, machte sie ein Geschrei, als wenn die Hühner auffliegen wollen. Wahrlich, die Farben waren auch nicht recht angebracht! Roth die Augen, schwarz die Zähne. Der Inspektor, wie behutsam er vom Dache stieg! Er bewies sich als einen wahren Darius, der auf der Werbung Lieutenant geworden, und war, wie er sich ausdrückte, in die Pfanne gehauen. Er versprach, seinen Vater nicht zu verlassen, und ich bot mich als Mittler an, welches von beiden, vorzüglich von der Frau Inspektorin, dankbarlich aufgenommen ward.

Was machen Sie da, Gretchen? Ich kann mit dem Tuche nicht zurecht kommen. – Ich hatte Gretchen die Art gewiesen, wie sich das schöne Geschlecht in Rußland ein Tuch um den Kopf bindet. Allerliebst, sagte Gretchen. Ich wette, sie geht noch alle Morgen so, bis auf den heutigen Tag!

Ueber die Sprache der Frau Inspektorin sagte mir Gretchen so was Treffendes, daß ich es durchaus meinen Lesern mittheilen muß. Ein großer Unterschied, wenn der Himmel begießt, und wenn es die Hand des Gärtners thut! Die Blumen wissen gut, wo es herkommt!

Ich übergab Minens Grab, segnete die ganze gelobte Gegend und schied.

Ich werde es nicht mehr wiedersehen, sagte ich zu Gretchen, und zeigte aufs Grab, nachdem die Ceremonie vorbei war. – Die Frau Inspektorin hatte wie ein Kind geweint, und kein Gedanke war ihr angewandelt, ihren Rang mit dem Rang einer Justizräthin in die Schale zu legen.[257]

Am jüngsten Tage, sagte Gretchen; wenn die ganze Erde, setzte die Frau Inspektorin hinzu, nur ein Grab ist? – Der Pastor umarmte mich und bückte sich tief. – Der Inspektor sah auf sein lahmes Bein, als wollt' er sagen, dieß Dach ist mir zu hoch.


* * *


Der Drosselpastor war nicht mehr in –. Ich wollte mein Pfand einlösen, und mich ihm aufbringen; allein er war weit weggezogen, und sein Nachfolger hielt keine Leichenpredigten nach Art des vorigen. Er war seiner Esausstelle angemessen, und ein gewaltiger Drosselfänger.

Meine Absicht war, so schleunig als möglich nach meiner Heimath zu gehen, das heißt, nach Liefland auf das Gut, so die Kaiserin mir verehrt. Ich hatte meinen Rechtsfreund nach Mitau citirt, um da mit ihm alles fein zu berichtigen. Mitau, nach Junker Gotthards Meinung, die Hauptstadt der Welt, nahm ich aus, sonst wollt' ich Curland ansehen wie eine Herberge, wo man durchs Fenster steht, ob das zerbrochene Rad nicht wieder im Stande ist. War denn Lot nicht todt, Abrahams Verwandter? Und Junker Gotthard? den hatt' ich sein säuberlich gleichfalls nach Mitau beschieden, um sich hier zu rechter früher Tageszeit einzufinden! – Die Gräber der Eltern ma chen keine Gegend zur gelobten. Wenn ich gelegenere Zeit habe, dacht' ich. – Ihre Seelen, die in Abrahams Schooß von den Engeln getragen sind, werden mir immer wie gegenwärtig vor Augen schweben!

Gotthard fand ich nicht. – Der Rechtsfreund, der wohl wußte, was eine Citation war, hatte die Tagfahrt eingehalten; ein junger Mann mit einer unbefangenen Stirn. Meine Leser würden ihm ihre Rechtssachen ohne Bedenken übertragen. Ich gab ihm eine Quittung für sich, seine Erben und Erbnehmer, wegen meiner wohlbesorgten Erbschaftsangelegenheit. Was es mir angenehm ist,[258] eine Quittung zu geben und eine zu nehmen! – Das ist der Abschied in Rechtsgeschäften.

Eben wollt' ich den – –, der die russischen Angelegenheiten in Mitau betreibt, besuchen, da er selbst zu mir kam und mir ein Cabinetsschreiben übergab. Es enthielt einen Auftrag, den ich öffentlich bekannt machen könnte, wenn ich wollte. Warum sollt' ich? Dieser Auftrag erforderte eine Reise ins Land, die ich unverzüglich antrat. Ich wollte meinem lieben Gotthard von Liefland aus Vorwürfe machen und ihm die Kosten zur Last legen, mich eben dort zu besuchen, und so wollt' ich aus meiner Heimath mein Versprechen erfüllen, das ich der Frau Inspektorin in Rücksicht ihres Herrn Schwiegervaters gethan. Jetzt änderten sich diese Vorsätze, und ich hatte so wenig Ursache, die Hoffnung aufzugeben, Gotthard, den alten Herrn und wer weiß wen mehr zu sprechen, daß ich ihnen vielmehr entgegen reiste.

Ich hatte das Glück gehabt, dem Geschenke der Kaiserin durch den Ankauf eines kleinen benachbarten Gutes eine so beträchtliche Verbesserung zuzuwenden, daß, nach den Beschreibungen meines dortigen Geschäftsträgers, mich ein nicht völlig unangenehmer Aufenthalt erwartete. In dieser Rücksicht war mir der kaiserliche Auftrag im Wege, in vielem andern Betracht aber unaussprechlich willkommen.

Ich ging ohne Anstand von Mitau nach –, und sollte nach dem mir vorgezeichneten Reiseplan in – Nacht halten. Meine Sache war es nie, den Herrn des Gutes zu überfallen, wo die öffentlichen Anstalten für Dach und Fach gesorgt hatten, so sehr solch ein Ueberfall auch Sitte in Curland ist. Ich ward bei einem Amtmann eingebracht, der nach vielen Complimenten meinen Schein ansah und mein Seyn abfragen wollte. Natürlich erfuhr der Ehrenmann nur so viel, als nöthig war. Wie ich aber so wenig neugierig seyn konnte, zu fragen, wer seine hochwohlgeborne[259] Herrschaft wäre, weiß ich noch bis diesen Augenblick selbst nicht. Mein Vater war ein Fremdling in Curland, und ich war so wenig zu Wurstreisen, zu Krippenritten angeführt, daß ich, wie er, in Curland gleichfalls nicht zu Hause gehörte. Auch selbst jetzt hätt' ich, wie ich schon bemerkt, nur einen Durchzug gehalten, wenn nicht der Auftrag mich auf andere Gedanken gebracht. So viel nahm sich mein lieber Herr Amtmann die Erlaubniß, gleich zu bemerken, daß die einzige Baronesse Tochter seiner hochwohlgebornen Herrschaft morgen priesterlich verlobt werden sollte. – Da ich daran keinen Antheil nahm, vielmehr sehr zufrieden war, dieses Haus in seiner hochzeitlichen Freude nicht gestört zu haben: so verschwand mein lieber Herr Amtmann und kam mit einem Livreebedienten zurück, der sich noch die eben angelegten Manschetten und Halsbinde zurecht zog. Beide stimmten gegen einander ein Duett von Bitte an, von Sr. Hochwohlgebornen ein Nachtlager anzunehmen. Diese Art hätte mich ohne Nachfrage darauf bringen können, wo ich war. Soll ich es meinen Lesern noch besonders anzeigen, daß Herr v. W. hier sein Feuer und Herd hat? Ha, dacht' ich, nun weiß ich, warum mein guter Gotthard sich nicht in Mitau eingefunden. Er hat ein liebes Weib genommen, darum konnt' er nicht kommen, und freute mich, daß Fräulein Tinchen – (so ward sie seit einiger Zeit genannt, weil ein Lorchen in dieser Gegend kein gutes Lorchen war. Lorchen v. W. hatte gar viele Namen, die der Herr Vater ihr bloß aus Höflichkeit beilegen lassen) – also Tinchen und Junker Gotthard ein Herz und eine Seele worden! Freilich hätte ich auf dieß Duett eine Antwort auf Noten setzen sollen; allein sobald ich wußte, wo ich war, und mir Gotthards Verlobung mit dem lieben Tinchen dachte, war ich unverzüglich im Hofe. Ich wußte., wo ich die Ehre hatte zu seyn. Mein Herr Wirth und die lieben Seinigen wußten nur, daß ihr Gast ein Major sey.[260]

Ich kann sehr kurz seyn, wenn ich meinen Lesern die Gesellschaft präsentire, in die ich sie führe.

Den Herrn v. W. und die liebenswürdige Frau v. W. kennen sie. Fräulein Tinchen sind wir auch im Hofe des seligen Herrn v. G. inne geworden. Sie hatte einen Bruder, der Mücken mordete. Fräulein Tinchen ließ sich Blut von Mücken abziehen und wünschte wohl zu bekommen. – Daß der einunddreißigste Julius, an welchem Benedictus der Erste, der sechste römische Papst, nicht minder Ignatius Lojola, im 65sten Jahre gestorben, in dieser Familie denkwürdig waren, gehört so füglich nicht hieher, und kann es, wie mich dünkt, meinen Lesern sehr gleichgültig seyn, daß der verstorbene Junker Casimir v. W. am nämlichen einunddreißigsten Julius die ersten Zahnsprossen erhalten und acht Tage darauf Todes verblichen. Auch zweifle ich, daß meine Leser, die nicht selbst etwa wo einen Beinbruch erlitten, den Umstand so innigst beherzigen werden, daß der Mutter Bruder des Herrn v. W. gleichfalls am einunddreißigsten Julius ein Bein gebrochen. Wer wird sich aber nicht freuen, daß ich ihn daran erinnere, wie Fräulein Tinchen den 18. April (eben heute, da ich dieses schreibe) geboren ist, am Tage, da Alexander Magnus gestorben und Diogenes aus Sinope, der Alexander unter den Philosophen!

Kurz, ehe ich im Hofe war, befragte mich der Livreebediente, der jetzt mit Manschetten und Halsbinde völlig in Ordnung war, nach einer tiefen Bitte, es nicht auf die Rechnung strafbarer Neugierde zu schreiben, ob ich wirklich als Major gestanden, oder nur meinen Abschied als Major erhalten? Nach der Zeit erfuhr ich, daß dieser Umstand, so klein er auch scheinen dürfte, in der Etikette des Herrn v. W. einen beträchtlichen Unterschied machte. – Er lief mit der Antwort voraus, und der Herr v. W. empfing mich, einen Fuß über die letzte Stufe zum Hause gesetzt. Hätte ich es weiter gebracht, würd' er den andern Fuß gefälligst nachgezogen[261] haben! wäre ich nicht wirklich Major gewesen, würde auch der eine Fuß diese Vorbeugung nicht gemacht haben.

Ich freute mich wahrlich, den guten Herrn v. W. so fern von allen Waldhörnern zu sehen! Man sah ihm eine gewisse Zufriedenheit an, die nicht von ungefähr entstanden, sondern durch eine fröhliche Begebenheit veranlaßt war. Herr v. W. war nicht gewohnt, sich ungewöhnlich zu freuen. – Heute aber hatte sein wohlseliger Herr Großvater ein vortreffliches Geschenk von des Herzogs Durchlauchten erhalten, das noch bei her Familie aufbewahrt wurde, und in einem Porträt des Herzogs, in Gold gefaßt, bestand. Morgen war der frohe Tag, da eben dieser selige Herr Großvater, ruhmwürdigen Andenkens, sich mit der seligen Frau Großmutter ehelich verbunden. – So sehr die gute Frau v. W. die Arten und Unarten ihres theuren Herrn Gemahls mit Stillschweigen zu übergehen pflegte, war sie doch, da ihr Herr v. W, eröffnete, wie seine Tochter an dem nämlichen Tage verlobt werden sollte, ins alte Volkslied ausgebrochen:


Als der Großvater die Großmutter nahm,

War der Großvater der Bräutigam!


worüber der Herr Gemahl gewiß aus der Melodie des damaligen Freudenfestes gekommen wäre, wenn er nicht so melodiefest gewesen. Er war eigentlich nur Melodie!

Eben wie Herr v. W. den einen Fuß (ich lasse ungesagt, ob es der rechte oder der linke gewesen) nach mir ausgesetzt, war dieses herzogliche, in Gold gefaßte Geschenk, welches, wie Herr v. W. sich ausdrückte, als eine Sonne dieses Tages geleuchtet, untergegangen, und ins Freudennaturalienkabinet, wie Frau v. W. es auch in einer frohen Stunde genannt, gelegt, so daß ich auch diese Gnadengabe nicht zu Gesicht bekommen. Wer wird, fragte Herr v. G., am Pfingsttage singen: Vom Himmel hoch, da komm' ich her; und zu Weihnachten: Wer recht die Pfingsten feiern will.[262] Der heilige Abend des Verlobungsfestes war eingetreten und den brachte Herr v. G. als Brautvater mir so sichtbarlich entgegen, daß ich mich nicht entbrechen konnte, zu sagen: Man könnte aus dem Untergange der heutigen Sonne sehen, was für ein schöner Tag uns morgen erwarte! Seine Kleidung ganz fröhlich und guter Dinge. Herr v. G. sagte dem guten Herrn v. W. bei einem seiner Halbstfeste: Bruder, du bist wie ein Damenbrett gekleidet! Guter, lieber G., heute hättest du den Brautvater sehen sollen!

Ich ward ins Gastzimmer gebracht, wo ich die Hand der Frau v. W. nicht verkannte. Wie natürlich schön! – Da der Herr v. W. kein Wort an Junker Gotthard dachte, den ich doch so gewiß als zweimal zwei vier den Tag vor seiner Verlobung in – erwarten konnte, ging ich auch von meiner Regel ab. Zwar stieg ich nicht, wie der Herr Inspektor Darius, zu Dach; allein es war mir nie möglich, auch in gutem Sinn mich unter die Bäume im Garten zu verstecken, und mir Schürzen von Feigenblättern zuzuschneiden. Jetzt vergalt ich Gleiches mit Gleichem, that so zurückhaltend, wie Herr v. W. es war. So gern ich also vom guten Junker Gotthard und vom Fräulein Tinchen ein lebendiges Wort gesprochen; so zwang ich mich doch, dem Herrn v. W. gefälligst nachzugeben, der mich unterrichtete, warum ohne weiße Strümpfe kein Gallakleid stünde. Das that freilich mehr noth, als von meinem guten Gotthard reden zu hören. Beim weißen Strumpf, sagte Herr v. W., ist der Fuß dicker, beim schwarzen schrumpft er vor Ihren sichtlichen Augen ein. So wie beim langen Bart, fuhr er fort, das Auge immer trübe und klein ist, dagegen wie heiter, wenn der Bart abgenommen worden. Er stand bei dem Worte: abnehmen, lange an, unfehlbar um dem Barte nicht zu viel zu thun! Abnehmen ist ein so wohlgewähltes Wort, daß kein königlicher Bart dagegen etwas sagen könnte! – Daß mich Herr v. W. nicht kannte, war das größte Feigenblatt, so ich bei meinem Wiedervergeltungsrecht[263] anwendbar fand! – Von einem Manne, der nie gegenwärtig ist, sondern hin-oder zurückdenkt, wie kann man erwarten, daß er den Retter seiner Tochter, dem er bei der Abreise mit steifem Arm zu umarmen die Ehre erwies, da er vor ihm stand, kennen sollte? Ich fand ihn in allem wieder, das griesgrämische Gesicht nicht ausgenommen, auf das ich mich sehr lebhaft besann. Daß Sie nur ja nicht glauben, mein Herr Major, daß ich täglich in weißen Strümpfen gehe! – Alle Einerleiheit beschwert, Wechsel erleichtert, sagte mir ein gewisser Pastor – (mein Vater) ein gelehrter Mann, der aber, wie die meisten Gelehrten, zu wenig Welt hatte; und wer hat sie hier zu Lande? Man hat hier Curland; allein nicht Welt!

Wenn immer Tag wäre und immer Nacht, so wollte ich lieber kein Mensch seyn! – Freude und Traurigkeit, Sommer und Winter, das ist das menschliche Leben! Heute König, morgen todt! – Wer geht denn immer mit einem Hemde? damit ich mich dieses Wortes mit Ihrer Erlaubniß bediene. Wer wechselt denn nicht im Sommer täglich? Zwar, fuhr er fort, und zog sich eine Viertelelle länger als vorhin, liegt freilich etwas Erhabenes, etwas Großes in einem gewissen Einerlei; allein das ist nicht für jedermann! So ist Gott der Herr immer derselbe! Und was meinen der Herr Major von der schwarzen Farbe? Sie ist römisch kaiserlich! – man nenne mir aber nach ihr eine einzige Farbe, die Stich hält! – Gottes Alltagszimmer, wie oft verändert es sich! – Ich meine diese Erde! Alle Augenblicke andere Mobilien! Freilich in seinem Hauptschlosse, im Himmel, wird sich alles nach ihm richten.

Der Herr Major werden verzeihen, fuhr Herr v. W. fort, daß ich Sie mit meinen Lieblingsideen unterhalte!

Nach einigen ausgewechselten Complimenten, wobei ich die morgende Tagesfreude des Herrn v. W. sich lichterloh vermehren[264] sah, konnt' ich mich nicht länger halten, nach dem Bräutigam der Fräulein Tochter zu fragen und ein Stück von meiner Feigenblattschürze einzureißen. Wissen Sie ihn hier? erwiederte der Brautvater. Ich sollte denken, antwortete ich. Sie kennen unsere Curländer noch nicht, wie ich sehe. Die Herren wissen von keinem heiligen Abend und von keinem Fastnachttag. Brautnacht ist die Losung! – In dieser Beschreibung verkannte ich meinen guten Gotthard so wenig, daß ich ihn vielmehr augendeutlich vor mir sah, obgleich er noch nicht da war. – Ich hatte gar keine Neigung die Braut zu sehen und welch eine Mannsperson sieht eine Braut gern? Herr v. W. und ich waren aus der wohldekorirten Gaststube in ein Zimmer gegangen, wo er mir eine allerliebste Aussicht zeigen wollte, und da kamen Mutter und Tochter, bis uns noch im andern Zimmer glaubten. Man sah es ihnen an, daß sie uns hier nicht vermutheten. Tinchen in einem weißen lichten Gewande, wo sie beinahe wie ein Leibnitzsches Körperchen aussah! – Hätt' ich's nicht gewußt, ich hätte sie nicht wieder gekannt! – Sie mich aber auf den ersten Blick. Die Mutter war fast unverändert. Sie aber fand mich sehr verändert, wie sie sagte. Wer hatte nun Recht? Tinchen und ich sahen einander, und die Fassung schien uns beide im Stich zu lassen. Obgleich noch mehr da waren, kam es uns doch so vor, als wären wir unter vier Augen. Im Augenblick verloren wir den Faden. Ich fand ihn zwar wieder in der andern Secunde, Tinchen aber schien sich nicht fassen zu können. – Was fehlt der Braut? fragte Herr v. W. Etwa der Bräutigam? Kennst du denn nicht deinen Gast? Tinchens Retter, erwiederte Frau v. W. Herr Major! Herr v. W. O des frohen Tages! sagte der gütige Wirth, und bald darauf: Sind Sie denn wirklich Major? Wirklich. Herr v. W. Da ich schon aus dem Rufe in Rücksicht meines Auftrags bekannt geworden und hiernächst dem Herolde meine[265] Wirklichkeit versichert, so war die Frage fremd. Nebenher, was meinen meine Leser, ziemlich unhöflich! Ich begrüßte die gute Frau v. W. mit so vieler Achtung als Empfindung, nahm Tinchen bei der Hand, die sie sehr nachlässig weggeworfen, und wollt' ihr zum heutigen heiligen Abend und morgenden Verlobungstage Glück wünschen, da ich bemerkte, daß Mutter und Tochter einen geheimen Kummer hatten, der tiefer lag, als Herr v. W. ihn kurz zuvor anzugeben für gut fand! – War doch Tinchen fast so außer sich, als wie sie ins Wasser gefallen, und als Luischen: rett! rett! rief. O wie gern hätte ich das arme Mädchen wieder aus diesem Wasser der Anfechtung gezogen, wenn es in meinen Kräften gewesen wäre! – Endlich erholte sie sich wieder, und Herr v. W. konnte nicht vor dem Bitten um Vergebung Luft und Kraft schöpfen. Fürs erste, daß er mich verkannt, sodann daß seine Frau so unvorbereitet erschien, hiernächst, daß die Braut sich so wie ins Wasser gefallen aufgeführt. An die Frage: ob ich denn auch wirklich Major wäre? dachte er nicht, obgleich er billig dieser Frage wegen die erste Bitte um Vergebung anbringen sollen. Was hast denn du getroffen? fragte mich Junker Gotthard, da ich mit meiner Jagdprobe so schlecht in seinen Augen bestand. Dieß edle Geschöpf, war meine Antwort, die ein Blick auf Tinchen geleitete. Diese unschuldige Frage und Antwort fiel mir jetzt so sehr auf, daß ich nahe war, laut daran zu denken! Nicht wahr, Sie hätten Tinchen nicht gekannt, Herr Major? fragte mich die gute Mutter. Nein, erwiederte ich sehr aufrichtig. Und woran würde es gelegen haben, an Bild oder Rahmen? An beiden sagte ich, gnädige Frau. Tinchen war nicht gegenwärtig. – Herr v. W. hatte sich auf ganz kurze Zeit beurlaubt, und die liebe Frau v. W. entdeckte mir, daß Tinchen schon von lang her etwas in ihrem Herzen getragen; in ihrem Gewissen, fügte sie hinzu, wahrlich nicht. Sie ist so, so unschuldig, als wie sie ins[266] Wasser fiel, wie sie Ihnen den Abschiedskuß gab. Tinchen, fuhr sie fort, konnte anfänglich nicht aufhören, Ihr Lob zu verkündigen, und die Geschichte mit Mine, wie viel Ehre haben Sie damit eingelegt! – Seit einiger Zeit hat Tinchen Sie und alles vergessen, mich dünkt, auch sich selbst! – Sie ist still! – tief – was weiß ich, wie sie ist, was weiß ich, was sie ist!

Natürlich!

Nicht ganz!

Sie liebt ihre Mutter, die sie verläßt.

Die sie aber im Auge behält, wenn gleich nicht an der Hand!

Gnädigste, die Hand ist bei einer zärtlichen Liebe die Hauptfache! Unter Mutter und Tochter unentbehrlich!

Sie kann es mit so manchem Lebensvorfall aufnehmen, ihre Entfernung ist's nicht.

Ihr Bräutigam ist rauh, allein bieder und gut.

Fast sollt' ich's auch glauben.

Gewiß, Gnädige, gewiß! und solch ein Mann ist behaglicher als einer, der vorerst kriecht und nachher sein Weib verläßt, wie es hier zu Lande zu meiner Zeit Sitte war – und noch ist.

Desto glücklicher diese Wahl!

Nicht Raupe, nicht Schmetterling ist für ein Herz wie Tinchen. – Gnädige Frau, ich kenne es.

Kaum in aller seiner Feinheit. Man weiß, wie junge Leute sind; allein er hätte wenigstens bedenken sollen, was Tinchen zu ertragen vermag und was ihr zu schwer ist! – Jugendliebe – –

Nichts als Jugend-, Helden- und Eulenspiegelstreiche! Tinchen und Amalchen thun nichts zur Sache! Jagd ist die Losung!

Da kam der Herr v. W., der da anfing, wo er's gelassen hatte, mit einer Bitte um Vergebung! – Er nahm Antheil an unserer Unterredung, und obgleich er wider seinen Eidam allerdings[267] so manche Bedenklichkeit hatte, so war er doch der Meinung, daß Güte des Herzens und Biedersinn über eine gewisse Zärtlichkeit gingen, woran in Curland bloß darum so viel Mißwachs wäre, weil die Höflichkeit nicht betrieben würde, die zu allen Dingen nütze sey! – Glücks genug, wenn man heut zu Tage einen Mann ohne Schulden findet, der zu seiner Zeit ein Mahl zu Ehren anrichten kann; einen Mann ohne Eigensinn, der Arten begreifen will; einen Mann, der Verstand hat und Arten zu fassen versteht! – Wieder eine Bitte um Vergebung, und warum? Weil ich Sie so lange von meinem künftigen Schwiegersohn unterhalten habe! Er ist mein Freund!

Desto besser, sagte Frau v. W. Sie bleiben doch morgen? fügte sie hinzu.

Ich bleibe.

Herr v. W. kleidete sein Gesuch, daß ich morgen noch bleiben möchte, in ein so feines Compliment, daß es zugleich für seine Gemahlin und mich Weisung enthielt, weil wir die Sache so kurz und gut berichtigt. – Man hat's, sagte er, wiewohl bei einer andern Gelegenheit, für ein Geld! – Warum sollte man nicht ein wenig Gewürz dran legen?

Es hebt.

Macht aber Hitze!

Nach dem das Gewürz ist!

Wir gingen zu Tische, und Tinchen war sehr heiter. Vater und Mutter schienen ausnehmend mit ihr zufrieden. Was mir vorzüglich auffiel, war die gütige Art, mit der sie sich gegen mich benahm! – Sie erinnerte sich an die geringste Kleinigkeit, die zu der Zeit, da ich nach Königsberg ging, vorgefallen war. Herr v. W. hatte Mühe, uns von einander zu bringen, und wenn wir anstanden, mündlich zu sprechen, waren unsere Augen in einer immerwährenden Unterhaltung; ich rettete Tinchen, und sie dankte[268] mir! – Tinchen richtete den Salat an, und ich nahm mir die Erlaubniß, sie an das examen rigorosum zu erinnern, das sie in – – überstand. Mir kam es vor, daß des strengsten Augeninnersten und Händegewichts unerachtet, womit Tinchen sonst begabt war, diesesmal die Salatingredienzien nicht nach richtigem Maß und Gewicht gemischt wurden. Zu viel Salz! – zu wenig Essig!

Die Deutschen, Herr Major! hielten auf ehrliche Geburt: alle ihre höheren Titel laufen auf geboren heraus.

Ehrenfest, Hochedel und Wohledel, Gestreng, sind noch mehr originaldeutsche Titel, als das liebe Geboren!

Erlauben der Herr Major, sagte Herr v. W. Der Franzos sagt Monsieur; wie gehts aber mit dem Geboren? Ich glaube, in Frankreich kennt selten der Sohn den Vater!

Sie haben etwas, die Franzosen, in der Sprache und in allem, was man ihnen nicht nehmen kann; nur das Geboren nicht! – Wie dreist ist ein Franzose bei aller seiner Sprachfeinheit! – Ein dummdreister Mund und ein liebliches Wort! – Man sehe nur, wie die Franzosen ihren mes Dames begegnen! Sie verstehen, in Feinheit grob zu seyn. Sie gehen, als wenn sie einen guten Freund auf der Schulter balancirten, oder wie der letzte Taschenspieler, der eine Pfeife auf der Nase tanzen ließ. Zur Höflichkeit, zur Festlichkeit, gehört auch ein Körper, der etwas auf sich nehmen kann. Ein gewisser Wuchs ist schon an sich festlich, und wenn sich ein Zwerg bückt, ist das höflich? – Da fällt mir immer der Bericht ein, den ein General dem verstorbenen Könige von Preußen über Paris erstattete: Alles Ausschuß, allergnädigster Herr! Kein Hofcavalier, der Sieben mißt! – Was ich den Franzosen nicht gönne, ist das Wort Servante. Das deutsche Dienerin ist nicht hin, nicht her; und Magd! Pfui übers Kopftuch! Wir hielten über diese Materie ein Gespräch, an dem ich[269] wie der Inhalt es zeigen wird, wenig Antheil nahm. Ich sah lieber Tinchen im Wasser, als daß ich das Fest der Deutschen wiederholte.

Der Franzose ist auswendig gelernt; der Deutsche nimmt sich, wie er sich findet; der erste Blick ist immer der beste, das sieht man beim Villard.

Was geben die Franzosen, wenn sie einen zu Gaste nöthigen? Die letztbeklatschte Comödie zu lesen, oder die heutige Zeitung; eine Limonade oben ein! – Sie sind geselliger als die Deutschen; allein ihre Gefälligkeit schränkt sich aufs Reden ein. Ists Wunder, daß in ihren Worten mehr Geschmack, als bei uns ist? Wenns aber auf Thaten ankommt, heraus! ihr Herren! wenn ihr Herz habt! Mir gefällt jener Deutsche, der, wie alle seine Landsleute, nie allein trank. Wenn dieser Biedermann keinen hatte, mit dem er Gläser anstoßen konnte, nahm er sein Stammbuch und leerte Seite vor Seite aufs Wohl seiner Freunde sein Glas! – Daß es dir wohlbekomme, ehrlicher Deutscher!

Der Engländer vergräbt alles in sich; zuweilen gräbt ers auf, um diesem oder jenem Todten den Ring vom Finger zu ziehen. Man sieht aber fast immer noch am Ringe ein Stück vom Finger!

Noch eine sehr feine Bemerkung, die Herr v. W. machte, ihm zum immerwährenden Andenken.

Man sagt: mein Röschen. Niemand mein Nelkchen! meine Lilie! meine Hyacinthe! Da sieht man doch, daß jedes Ding sein Hochwohl- und Hochedelgeboren hat, wenn man es nur nimmt, wie es zu nehmen ist!

Möchten Sie doch, liebes Tinchen, glücklich in Ihrer Ehe seyn! Wer Sie nicht auf Händen trägt, verdient keine Hand zu haben? – Junker Gotthard hat zwei Hände.

Wir standen von der Tafel auf. Ich sprach mit Tinchen; allein ohne daß sie und ich an ihren morgenden Verlobungstag dachten![270]

Wie kam das? Um vieles hätte ich sie nicht daran erinnern können.

Herr v W. hatte die Gewohnheit, alle Abende mit seinen Leuten eine Betstunde zu halten. Es war, wie er's nannte, ein schuldiger Gottesdienst! Die Frau v. W. sagte mir diese Gewohnheit mit einer so herzlichen Art, daß ich diese Abendstunde um vieles nicht verlieren wollte. Herr v W. legte es, da die Betglocke geschlagen, so geflissentlich an, mich eben so gern hinaus zu complimentiren, als ich bleiben wollte. Endlich kam es zum Wortwechsel. Warum wollen Sie sich incommodiren? fing er an, als ob das Gebet eine Beschwerde wäre, als ob es den Herrn v. W. anginge. Ich ließ nicht nach und fand, daß Herr v. W. durchs Gebet mit dem lieben Gott complimentirte, und offenbar bewies, daß er das Gespräch nicht angehört, welches zwischen meinem Vater und dem Herrn v. G. bei der Ankunft in – in dem Hause des Herrn v. G. vorfiel.

Wir gingen in das Betzimmer, wo auch, wenn das Wetter zu schlecht war, um in die Kirche zu fahren, eine Predigt gelesen ward, und Tinchen nahm mit einer Unschuld, die über alles ging, ein in schwarz Corduan gebundenes Buch, und las ein Gebet mit einer solchen Herzlichkeit, daß es mir durch die Seele ging! – War es mir doch, als wenn sie Gott sähe! Meine in Andacht trunkene Seele fand in Tinchens Herzen, Mund und Händen das ganze Ideal einer erhörten Beterin!

»Du weißt, was uns bevorsteht, und wir wissen, daß du unser Vater bist! Vater, in deine Hände befehlen wir unsern Geist! – Dein Geist! – lieber Vater, gibt Zeugniß unserm Geist, daß wir deine Kinder sind! – Geister sind so alle zusammen verwandt, und unsere Leiber hast du durch deinen lieben Sohn an Kindesstatt angenommen. Ganz sind wir dein!«

Noch eine Stelle![271]

»Lehre du uns mit deiner Welt zufrieden seyn, die du gemacht hast sehr gut. Laß uns nie vergessen, daß es an uns liegt, wenn sie uns nicht sehr gut ist! Wenn sie uns nicht sehr gut vorkommt! Dein Wille geschehe!«

Hier brach sich ein Thränchen, das Tine so lange zurückgehalten, hervor. Man hörte es an ihrer Stimme. Gehen konnte es keiner; so weit ließ Tinchen es nicht! – Wie rührend! – Jedes von uns hatte eine Thräne im Auge. Herrn v. W. allein ausgenommen, der nur nach vorgeschriebenen Noten weinte.

»Dein Wille geschehe!« Hundertmal möchte ich diese Worte hersetzen, vielleicht träfe Eine meiner Leserinnen Tinchens Ton! – »Dein Wille geschehe!«

Herr v. G. der Aeltere soll gesagt haben, den Willen hat sich der liebe Gott vorbehalten, vom Verstand hat er uns ein gutes Stück abgebrochen, und als er sagte, brach er sich Brod ab, welches er, wie wir wissen, ungern schnitt!

Mein Vater ist dagegen der unvorgreiflichen Meinung gewesen, daß dem Menschen viel Willen anheimgestellt wäre, den Verstand aber hätte sich Gott der Herr vorbehalten.

Endlich haben sie sich auf den Satz vereinigt, daß der Verstand eine herrliche Gabe Gottes sey, wenn nur nicht der Unverstand seine Lobrede übernehme!

Liebhaber, hast du je deine Geliebte beten gehört und gesehen? Lieber Gotthard! wie hättest du hier alles, alles vergessen, was nicht deine Tine ist, wenn du sie gesehen und gehört hättest! Wer verdenkt dem Gottfried seine Liebe zur in Gott andächtigen Jungfrau?

Jener Arme, der einen reichen Mann um Geld ansprach, erwiederte, da ihn der Reiche fragte: Gegen was für Sicherheit? – Ingrossation auf den Himmel! – Der Reiche gab ihm nichts,[272] weil auf diese Güter schon zu viel intabulirt wäre, wie der Reiche glaubte.

Das Gebet, Freunde! ist wahrlich eine gerichtliche Verschreibung auf die unsichtbare Welt!

Dem Wille geschehe, sagte Tinchen, und die letzten Worte:

»Dann liegen wir in unserm Grabe und schlafen unbekümmert den süßen Schlaf des Todes, und ein Bote des Herrn geht mit einem: Gesegnet seyst du dem Herrn, vorüber, bis wir eingehen zum ewigen himmlischen Reiche, das bereitet ist denen, die Gott lieben!«

Wir schieden sehr still von einander! – Die versammelte Gemeinde näherte sich (alles in gewissen Tempos) zu den Knieen des Herrn v. W.; die Frau v. W. wünschte bloß eine gute Nacht. Das Fräulein Tinchen sahen die Leute so an, als dächten sie, schön gebetet! – Niemand rührte sie an, als wäre sie ein Engel Gottes, den niemand tasten kann!

Was meinen der Herr Major, sagte Herr v. W. zu mir, das Forte piano und pianissimo weiß meine Tochter zu halten. O des Erzcomplimentisten, mit seinem Forte piano und pianisimo.

Ich konnte die Nacht kein Auge schließen. War es Wunder?

Tinchen, wie ihre Mutter des andern Tages versicherte, hatte eine noch ärgere Nacht gehabt! Die Nacht vor der Verlobung, ist sie nicht wirklich, wie meine Mutter bei Gelegenheit ihres Romans, den sie mit meinem Vater gespielt, sie nennet, eine arme Sündernacht?


In welcher Nacht ich lag so hart,

Mit Finsterniß umfangen.


Ich weiß nicht, was mir war! Schlafen konnte ich nicht, gewacht habe ich auch nicht!

Der Verlobungstag erschien, an welchem der Herr Großvater[273] des Herrn v. W. mit der Frau Großmutter sich ehelich verbunden, und ward mit einer Feierlichkeit eingeläutet, die ihres Gleichen nicht hatte. Daß Herr v. W. mit einem dicken Fuß wegen der frisch angelegten weißseidenen Strümpfe paradirte, bedarf keiner Anmerkung.

Ich sahe zeitig aus meinem Fenster, das ich öffnete. Wahrlich, ich betete, so voll war ich! Bei aufgestoßenem Fenster versteht sich. Ich weiß nicht, ob meinen Lesern noch das Vaterunser beiwohnt, da mein Vater und ich im Hofe des Herrn v. G. ausgeschlafen hatten. Wir sahen zum Fenster hinaus, und da ich Abschied in diesem so seligen Hofe von ihm nahm (es war das letztemal, daß ich meinen Vater sah!), stieß Er ein Fenster mit einer Heftigkeit auf, die mir noch auffällt. »Mein Vater! mein Vater! Wagen Israels und seine Reiter!«

Ist sie es? Sie ist es! Ich sah durch mein Fenster Tinen an einem Teiche mit einem Mädchen herumgehen, und immer in den Teich sehen. Sollte sie, dachte ich, da ihr Herr Aeltervater mit der Frau Aeltermutter sich ehelich verbunden, und auch sie Gottharden auf ewig die Hand zu geben in dem Herrn entschlossen ist, sollte sie da daß Andenken des Wasserfalls feierlich begehen? Und gleich unterdrückte ich diesen stolzen Gedanken! – Wir thaten, als sähen wir uns beide nicht, und doch sahen wir uns beide! – und wünschten es, daß wir uns sähen!

Sie verschwand!

Eine feierliche Stille im ganzen Hause! Mehr als ein Pianissimo!

Bald hätte ich zu bemerken vergessen, daß Herr v. W. mir des Abends das Geleite gegeben und des Morgens früh nach meinem Wohlseyn sich erkundigen lassen. – Frühstück ward jedem in sein Zimmer gebracht, und es kann Zehn gewesen seyn, da Herr v. W. zu mir kam in vollem Staat und mir die Visite gab. Es ward[274] mir auf den Aermel geheftet, daß ich sie ihm wiedergeben müßte; das that ich, und nun war bis zum Verlobungsmittag alles nach Ortsgebrauch berichtigt!

Man gab mir zu verstehen, ob ich nicht Luft und Liebe hätte, das Verlobungszimmer anzusehen. – Ich hatte nicht Luft und Liebe! – Da ich indessen merkte, daß diese Anregung höheren Ortes sich herschrieb, ging ich und fand ein Zimmer, wo ein Sopha stand, carmoisinroth beschlagen, darüber Großvater und Großmutter so unaufgeräumt gemalt, daß es mir vorkam, als wäre dieß gute Paar unwillig, daß man sie aus dem Schlafe störe.

Man öffnete zwei Flügelthüren, und ich fand eine solche allerliebste Uebereinkunft, daß es schien, als freuten sich die Zimmer, daß sie einander sähen. Man sah es recht, daß eins ins andre kam! Wenn eine Saite angeschlagen wird, tönt die andere, falls die Instrumente gleich gestimmt sind. Ueberall fand ich die liebe, liebe Frau v. W.

Schwerlich, dachte ich, wird es Junker Gotthard so empfinden, als ich!

Es war alles bereitet, und niemand fehlte, als der Bräutigam. Freilich bei der Verlobung ein wichtiges Stück! Da rasselte ein Wagen! und da lief alles, was nur von Domestiken laufen konnte, auf den Posten. Herr v. W. war nicht Willens, seines Schwiegersohns halber die letzte Stufe der Treppe zu beschreiten, um den Ankömmling entgegen zu nehmen; denn vorerst war er der Schwiegersohn, sodann verstand er nicht, was heiliger Abend war, und selbst an seinem Ehrentage hatte er viel zu lange auf sich warten lassen.

Wo sind denn die Damen? schrie Herr v. W., der in seine Rolle gesehen hatte. Sie hatten sich noch nicht sehen lassen, außer daß ich Tinchen am Wasser erblickte.

So erschrak Luise nicht über den unzeitigen Flintenschuß, als ich, da ich hörte, Tinchen wäre wie todt. – Ich hörte das [275] Wie nicht, und doch hat ein dergleichen Wie eine große Bedeutung! – Herr v. W. wollte nicht aus der Rolle weichen, und das war ihm in den Jahren nicht zu verdenken! Er hatte zu viel zu behalten, um sich völlig auf sein Gedächtniß verlassen zu können! – Todt! Herr v. W. todt? Was hilft der Bräutigam, wenn die Braut fehlt? Dieser Gedanke muß ihm, wie ich vermuthe, einen Stoß gegeben haben. Er war wirklich aus dem Concept, und ging zu seiner Tochter, die, wie es bald darauf hieß, immer schlechter würde. Soll denn, sagte Herr v. W., da er aus Tinens Zimmer kam, aus dem Tag der Freude ein Tag des Trauerns werden? Alles lief durch einander! Die Mutter hörte ich rufen: Meine Tochter! meine Tochter! so kläglich, als die Rett's und die Hier's von Luisen, schallten sie mir, und o! was ist in solchen Fällen der Wohlstand? Das schrecklichste, was ich weiß! Wird Gotthard, der eben gekommen, es nicht so machen, wie ehemals, und eher die Flinte abzuschießen bereit seyn, als seiner Kranken die Hand zu reichen?

Nach einem langwierigen, unverständlichen Mischmasch kam alles an Ort und Stelle. Der Herr Bräutigam hatte sich entschuldigen lassen. Sein Fürsprecher war Junker Peter, der Mückentodtdrücker, Tinchens Bruder, der mit feurigen Ross' und Wagen angekommen war. Man hörte es den Pferden an, daß sie bei einem Bräutigam im Dienst sind, sagte Herr v. W., und that sehr zufrieden, daß der Herr Schwiegersohn in Rücksicht der Pferde die Etikette als Bräutigam nicht verfehlt; was aber ihn selbst betraf, o! das war ihm zu unerträglich, als daß er über diese curische Denkart seinen Unwillen nicht äußern sollen. Die Stimme ist Jakobs, die Hände Esau's, sagte der gute Herr v. W., ohne zu bedenken, daß er dem Jakob, den er mit den kecken Bräutigamspferden verglich, eben keine sonderliche Ehre erwies. Wie doch alles in der Welt durch Mißverständnisse geschlängelt wird! Ich weiß[276] nicht, ob meine Leser sich noch an den sonst unbeträchtlichen Umstand des vermeintlichen Todes des Dr. Saft erinnern, welchen meine betrübte Sündenfallskrankheit im vierzehnten Jahre veranlaßte, und was für Kreuzwege gingen nicht aus dieser meiner Krankheit aus, bis sie alle zusammen in den zweiten Discant meines Vaters zusammentrafen:


Gott eilet mit den Seinen,

Läßt sie nicht lange weinen!


Du wirst dich so vergessen, sagte Frau v. W. zu ihrem gedrückten Manne, der wahrlich seine Jakobsstimme eingebüßt hatte, daß du deinen Gast aus dem Gesicht zu verlieren im Begriffe stehst! – Gleich ein Platzregen von Bitten um Vergebung, und doch hinter diesen wieder Glossen über Curland und Semgallen, die mein Vater nicht unhöflicher machen können! Freilich war es arg, daß die Sonne am großväterlichen Verlobungstage so unverrichteter Arbeit untergehen sollte, und ohne daß sie ein Enkelpaar begrüßt hatte! – Ein Trost fiel mir ein, der noch am heilsamsten anschlug! Wer Thorheit mit Klugheit verbessern will, gebe ja das ganze Geschäft auf. Thorheit muß Thorheit heilen! Gleich und gleich! – Großväterlicher Hochzeitstag, sagen Sie? Ja doch, Hochzeitstag! erwiederte Herr v. W., der, unter uns gesagt, sein unhöfliches Doch ersparen können, dessen ich mich nicht gewärtig war. Indessen ging es nicht mich, sondern seine unbedachtsamen Voreltern an, die zwar den Hochzeits-, nicht aber den Verlobungstag in die Archive von gelegt und in die Familienakten verzeichnet hatten, welches Herr v. W. bei dieser Gelegenheit sehr empfindlich rügte. – Nun nahm ich mir die Erlaubniß zu bemerken: Ihr Herr Vater hat auch einen Hochzeitstag gehabt? Freilich, erwiederte Herr v. W., allein wie schön wäre alles zu stehen gekommen, wenn an diesem Tage – das Beilager, griff ich ein, und an[277] jenem die Verlobung gehalten wäre? Darf ich aber Ihren selbst-eigenen Hochzeitstag, weil doch die Verlobungstage in der Familie in etwas vernachlässigt zu seyn scheinen, wenigstens nicht ahnenreich sind, darf ich – Herr v. W. merkte auf und begriff, wo ich hinaus wollte; er schien sich zu fassen, obschon er nicht umhin konnte, dem Worte Beilager einen Brandmark zu geben, und, wie er sagte, mich höchlich zu bitten, zur Ehre der Deutschen dieß Wort bis aufs Blut zu verfolgen; welches ich ihm, um seinen patriotischen Absichten nicht den Weg zu vertreten, versprach!

Tinchen genas, und die Familie versammelte sich zu einem zwar etwas spätern, allein desto einträglicheren Mittagsmahl, aus welchem indessen zwei Schüsseln, nach Anordnung des Herrn v. W., ungegessen abgetragen werden mußten, weil, wie er sagte, sie origetenus Verlobungsgerichte wären. Die eine war, dünkt mich, Kälbermilch. Herr v. W., um nicht die Regeln der Lebensart zu übertreten (er verzieh mir den harten Beilagerausdruck), verbiß seine Bitterkeit. Die Frauenzimmer schienen so zufrieden, daß selbst von Tinchens Krankheit nicht viel gesprochen wurde. Ein Wasserfall, sagte sie, da ich mich darnach erkundigte. Wenn man einmal auf'm Trocknen ist, was ist mehr? So schien sie mir auch wirklich! – Frisch, wie nach dem kalten Bade. Und die Mutter? Auch sie brauchte so wenig wie Luischen, meinen Hut voll Wasser. Die Zufriedenheit ihrer so liebenswürdigen Tochter hatte sie hinreichend getröstet!

Von Tinchens Bruder, vom Mückenhelden, bin ich noch die Beschreibung schuldig. Dieser junge Mann war auf eine so höfliche Art von seinem Herrn Vater erzogen, daß nichts darüber ging. Wen er lieb hat, den züchtigt er, scheint mir noch immer die Hauptregel der Erziehung zu seyn. Ich weiß, daß man es heut zu Tage darauf anlegt, durch gute Worte gute Plätze zu suchen. Wenn's nur ohne Nagelbohrer gehen wird![278]

Meine liebe selige Mutter schrieb meine Krankheit im vierzehnten Jahre auf die Rechnung des betrübten Sündenfalls.

Extrapost! Die Festlichkeit und Höflichkeit, welche unser theurer Herr v. W. so brüderlich zu vereinigen wußte, floß, die reine Wahrheit zu sagen, aus der Quelle des Stolzes! – Hierin folgte der Herr Sohn dem Vater buchstäblich, und da es ihm nicht verborgen bleiben konnte, daß eben die Höflichkeit das Wort Melchisedech war, welches seinem Herr Vater rings umher, in einem solchen Lande, wie Curland, übel ausgelegt ward; so machte er sich noch eine gewisse Heuchelei eigen, die weit unartiger hervorschoß, als wenn sie bloß aus der Wurzel der Fest- und Höflichkeit entsprossen wäre! – In seines Vaters Hause war er höflich und festlich, und zwar gegen seinen Vater; ungezogen curisch in aller Rücksicht, sobald er ins Freie kam. Alles von dieser Verfahrungsart konnte dem Vater unmöglich verborgen bleiben; indessen schrieb er dieß flugs der großen Kunst zu, sich in die Zeit zu schicken. Ueberhaupt glaubte der Herr Vater einen wohleingeschlagenen Sohn in Junker Petern vorzeigen zu können, und hatte nie etwas dagegen, wenn es dem jungen Herrn einfiel, seinen Vergnügungen Thür und Thor zu öffnen. Die gute Mutter, die kein doppeltes Gesicht ausstehen konnte, weil das Gesicht das Patent des Herzens, des Gemüths ist, hörte nicht auf einzulenken; allein da war der Herr Sohn, so wie es die Zeit mitbrachte, oft höflich, wie gegen seinen Vater, oft rauh und curisch, wie mit seinen Brüdern!

Was ich einen sich immer gleichen Charakter liebe! Und wahrlich, zu diesem Gleichlaut den Menschen zu bringen, kann nicht schwer halten, wenn man ihn von der Bahn der Ausdrücke, der Worte, zu Handlungen, zu Thaten, von dem Wege der Empfindungen auf den Weg der Grundsätze und der Regeln leitet! Wer kann das zu oft sagen! Wahrlich, es wäre gut, den Menschen[279] von allen Neigungen abzuhalten, die sich nicht aus der Naturschule herschreiben! – Man lasse das Kind, wie Herr v. G., der Selige, der Meinung war, essen, wenn es hungert, man lass' es zu Bette gehen, wenn es schläfert! – Man überlass' es sich in solchen Dingen so sehr, daß man jedes Gängelband verabscheue! – Es hat gute Wege. Wenn der Finger verbrannt ist, wird man das Licht scheuen, und wenn sich das Kind den Kopf gestoßen, wird es dem Fall ausweichen. – Die Erziehung geht nicht diesen, sondern einen ganz andern Weg. Man sehe doch, wie Gott den Menschen zu erziehen sich bemüht, da der Mensch sich in die Unnatur stürzte und in seinem Blute lag.

Neigungen, Angewohnheiten schränken die Macht der vernünftigen Bewegungsgründe, der Grundsätze ein, und überhaupt, was macht uns unglücklich in der Welt? Wahrlich nicht der Mangel der Sache. Der Mensch kann sich ohn' alles behelfen. Selbst ohne die Hoffnungen der andern Welt kann man Gutes thun. Der Appetit, Freunde! die Neigung zu etwas, das entweder gar nicht da ist, oder schwer erhalten werden kann, macht uns unglücklich! – Mensch, du bist ein geborner Diogenes! Lerne dich selbst kennen!

Ob und in wie weit der Mückenheld diese Lection verdient habe, die ich ihm gelesen, sey meinen Lesern zu beurtheilen überlassen!

Jetzt zur Geschichte, und damit ich meinen Lesern doppelt einbringe, was sie bei dieser Nutzanwendung eingebüßt, so sey mir gleich mit der Anzeige anzufangen erlaubt, daß Junker Gotthard nicht Tinens Bräutigam war. Wie das möglich ist? und wie ich denn auf Trinchen und Amalchen in meiner Unterredung mit der lieben Frau v. W. fallen können? Wohlgesprochen! Aber ich frage wieder: Wie man glauben können, daß Dr. Saft todt sey? Und ob nicht jedes der Meinung seyn müssen, Junker[280] Gotthard wäre der Bräutigam? Wer anderer Meinung ist, blättre das griesgrämische Gesicht des Herrn v. W. auf, da er die heißesten Wünsche seinem Schwiegersohne bei der academischen Wanderung auf den Weg gab, daß der große Gott ihn auf seiner Reise begleiten, seine Studia zu seiner Ehre und des Vaterlandes Nutzen segnen, und ihn zu seiner Zeit in die Arme seiner kleinen Braut gesund zurückbringen wolle! – Und das war nur ein Theil, der kleinste, von seiner Schwiegervaterempfindung.

Junker Gotthard war's nicht? Warum nicht? Daran wird weniger liegen, als an der Frage: Wer es denn sonst gewesen? Ich will versuchen, beide Antworten unter einen Hut zu bringen.

Junker Gotthard hatte in Göttingen und Königsberg so wenig Aufmunterung zur heiligen Ehe gefunden, daß ihm vielmehr seine Trine je länger, je schmucker vorkam, und was ihm den Rest gab, kann wohl die Art gewesen seyn, wie Tine v. W. ihm bei seiner ersten Aufwartung begegnete! – Herr v. W. mit offnen Armen. Frau v. W. reicht' ihm die Hand. Tinchen benahm sich dabei so, als wenn sie nur zum Zusehen da wäre! – Erbarmung, dieß Mittelstück der Liebe, wenn Erbarmung rechter Art ist, sieht aufs Unglück, nicht auf die Person; und die Liebe? Sagt ihr, die ihr geliebt habt, hat nicht jede Liebe einen Götzen, den sie anbetet? Idol, oder Ideal, ist hier nicht weit auseinander. Alexander bringt das Bild seiner Mine auf die Welt, und Mine das Bild Alexanders. Die Sinnen bringen nur auf etwas, was schon da ist. Sie decken nur den Tisch, um die fertigen Schüsseln aufzutragen, und noch jetzt, wenn gleich die Eheangelegenheiten ihre sieben magern Jahre angetreten, gibt's doch noch Adams- und Evasehen.

Junker Gotthard empfand, daß er gekommen, gesehen und nicht gesiegt hatte, und ging gerechtfertigt in sein Haus! – Er sah ein, daß hier keine Aussicht für ihn wäre, wenn er mit gutem[281] Gewissen verfahren sollte, und es kostete ihm wenig Mühe umzusatteln, um aus seiner Sprache ein Wort anzubringen. Ich glaube, daß er nie mit dem ernsten Gedanken zu Tinchen gekommen, seine alten Rechte geltend zu machen, und da er fand, daß das Wasser im Teiche Bethesda sichtbarlich nicht für ihn, sondern für einen andern bewegt ward, hoffte er nach der Liebe, daß, wenn ihm ja nach der Eheklause eine Sehnsucht anwandeln sollte, ihm sein Kämmerchen nicht fehlschlagen würde.

Tinchen und Gotthard fanden bei diesem Auftritte vollkommen ihre Rechnung; nur Tinchens Vater und Mutter waren nicht sonderlich erbaut, welches Gotthards mindester Kummer war. – Ein Glück für Junker Gotthard war es (denn sonst würde ihn Herr v. W. mit Höflichkeit verfolgt haben), daß er bei dieser Gelegenheit alle Regeln der Höflichkeit gegen den Herrn Schwiegervater übertreten. Kein Wunder, daß er diesen Ehrenmann, der mit seiner Tochter nicht verlegen war, in Harnisch jagte, und daß die fehlgeschlagene Hoffnung dem Herrn v. W. keine Minute verdarb! – Fast hätte man glauben sollen, Tinchen und Gotthard hätten sich aus bloßer Liebe verlassen, so schien es, da sie sich einander los waren. Tinchen legte indessen ein Jahr nach dem andern zurück, und was noch mehr ist, so war sie so sehr in sich gekehrt, daß die Eltern ihrethalben fürchteten. Es kann sich wohl auch ein Dr. Saft mit einem Heirathsrecipe obenein gemeldet haben, worauf um so mehr Rücksicht genommen ward, als ein Lorchen, wie schon erwähnt worden, in der Gegend sich so herabgesetzt, daß sogar Tinchen nicht mehr Lorchen genannt wurde. In dieser Lage ward Tinchen von einem reichen Junker gesehen, der nicht aus dem Lande gekommen war. Auge auf, Beutel auf, sagte Herr v. W., und interessirte sich fast gröblich für diese Heirath. Herr v. W. bewies, daß, wenn gleich die Höflichkeit zu allen Dingen nütze wäre, das Geld ihr nur etwas weniges nachgebe,[282] und da er Festlichkeit mit der Höflichkeit paarte, wie sie denn sich gegen einander wirklich verhalten, wie Mann und Weib, so war es sehr natürlich, daß er das Vermögen des reichen Junkers in eine der Sache gemäße Erwägung zog. Tinchens Freier unterstützte den Mückenhelden mit Vermögen zu allerlei Vergnügungen, und dieser ihn mit Empfehlungen im väterlichen Hause. So hoben sich die Brüche, und selbst die gute Frau v. W. war, wie wir gehört haben, eben nicht wider diese Heirath.

Tinchen allein sah die Sache von einer ganz andern Seite an. Sie wollte nicht fremdes Feuer auf einen Altar bringen, der einem unbekannten Liebhaber geweiht war, und eben in dieser Rücksicht sielen ihr tausend Dinge an ihrem Liebhaber auf, die andere Leute nicht bemerkten. Selbst ihre seine Mutter nicht. Die Liebe entschuldigt, die Abneigung tadelt alles – und wahrlich, Tinchen hatte nicht Ursache, bei dieser Tadelsucht sich anzustrengen. Tinchens Werber, Herr v. K., damit ich den ersten Buchstaben gebe, hatte sich nicht bloß auf eine schmucke Trine eingeschränkt, sondern auf jedem seiner Dörfer und Vorwerke war eine dergleichen schmucke Person, die er begnadigte (ein lettischer Ausdruck, den ich nur sehr unkräftig verdolmetscht habe). Der Mückenheld war in Absicht dreier dieser Trinchens in Compagnie getreten, wo aller Schaden auf Herrn v. K., der Vortheil aber zu wenigstens gleichen Theilen ging; juristisch Löwengesellschaft genannt. v. K. war ein Verschwender, und geizig – er liebte und haßte auf eine so uncivile, ungesittete Art, daß freilich bei der Verbindung mit Tinchen keine sehr glückliche Ehe abzusehen war. – Was solche Leute ekelhaft sind! – Ich trinke darum ungern Punsch, weil er, wie Herr v. E. und Herr v. K., sich widerspricht. Indessen ward Tinchen endlich eingeschläfert, im Schlafe aufgesprengt, und da hatte sie den Kopf nach vorn genickt, wie alle gute Leute, wenn sie schlafen, nach vorn den Kopf zu neigen pflegen. Dieß Nicken hieß[283] beim Herrn v. W. um so mehr Ja, als, nach seinen Regeln der Höflichkeit, er keinem Mädchen in ein deutliches Ja! auszubrechen gestattete; höchstens konnte sie es verlieren. Eben darum hätte er das Trauungsformular, trotz dem zweigliederigen Segen, gern reformirt, wenn es in seiner Macht gewesen wäre. Die gute Mutter empfand desto mehr, daß Kopfnicken und deutlich Ja sagen verschieden wären. Sie sah ihre Tochter so oft ganz Gott ergeben vor dem Altare dienen, wo freilich nur das Fest des unbekannten Liebhabers gefeiert wurde; indessen ist die Liebe der Einbildung die gefährlichste!

Kind! fing sie an, und Tinchen erwiederte: Mutter!

Liebes Kind!

Liebe Mutter!

Einzige Tochter!

Einzige Mutter!

Das war alles, Was verhandelt ward. Du hast gewollt! Ja, liebe Mutter! Ungern? Ja, liebe Mutter! Gott wird helfen! Tinchen blickte gen Himmel! – Ihre Mutter führte sie auf so manche Höflichkeitsscene, durch welche sie sich durchdrängen müssen, auf die Abneigung, die sie für alles, was sich biegt, gehabt und noch hätte, und dann unterbrach diese Lieben der Mückenheld, oder sein Herr Vater, und Tine empfand die Unannehmlichkeit in ihrem ganzen Umfange, von diesem des Herrn v. K. halber geliebkost und von jenem aufgefordert zu werden! – Alle Zudringlichkeit ist, bei Gemüthern, die selbst zu wissen glauben, was zu thun ist, unausstehlich, es kleide sich diese Zudringlichkeit schwarz oder weiß.

Herr v. K., der wohl wußte, daß Geld bei ihm die Losung sey, bot seiner Braut auf eine recht curische Art ein Geschenk in baarem Gelde an, um nach ihrem weltberühmten Geschmack, wie er sagte, selbst davon Gebrauch zu machen. Wer kann das so, wie[284] Sie, setzte der galante Herr v. K. dazu! – Weltbekannt, erwiderte Tinchen, – kehrte den rothen Netzbeutel zurück und fügte auf eine Art hinzu: Wir sind beide nicht aus Curland gewesen! daß Herr v. K. selbst es verstand. Das muß doch eine sehr deutliche Art gewesen seyn! – Herr v. W., der höfliche Herr v. W. wußte selbst diese Geschenkmanier zu Gunsten des Herrn v. K. auszulegen, obgleich Geschenke in Geld so was Widerstehliches an sich haben, daß kein guter, edler Mensch sie mit offenen Augen nehmen kann. Geschenke machen die Weisen blind! – Herr v. W. hatte dem Junker v. K. den Hochzeitstag seines Herrn Großvaters verziehen; wie sollte er ihm ein Geschenk in Geld übel deuten? Geld war des Junkers v. K. Losung.

Geschenke in Geld heißen Geschenke in originali, sing Herr v. W. an. Präsente, in Sachen bestehend, heißen Geschenke in authentischer Copie. Alle Originale sind hart, oft widerlich, gestrichen und mit Fähnchen versehen. Eine vidimirte Copie wird gemeinhin schön geschrieben, fällt weicher ins Auge. Original ist indessen Original und bleibt Original.

Tinchen war endlich wirklich entschlossen, Ja in den Augen von ganz Curland und Semgallen zu nicken, bis sie den Tag vor meiner Ankunft solche Beklemmungen erhielt, daß ihre Mutter ihrethalben besorgt war. Ihr Vater hielt es für ein Kapitel aus der Weiberpolitik, und klatschte, daß sie ihre Rolle so schön spielte. – Auf Schauspiele hätte sich doch Herr v. W. besser verstehen sollen!

Auf diese Rechnung gehörten die herzlichen Worte: »Dein Wille geschehe!« und das Pianissimo beim Schluß:

»Dann liegen wir in unserm Grabe, und schlafen unbekümmert den süßen Schlaf des Todes, und ein Bote des Herrn geht mit einem: Gesegnet seyst du dem Herrn, vorüber!«

Meine Ankunft war ihr so etwas Wunderbares, daß sie völlig aus dem Zusammenhang kam. Sie extemporirte. Wer denkt beim[285] Extemporiren viel an das, was vorhergeht und was nachflogt? Wer glaubt nicht Wunder, wenn er liebt? Und bald hätte ich gefragt: Wo geschehen in diesen wundergeizigen Zeiten anders Wunder, als in der Liebe? Im alten Bunde versandte Gott Engel; jetzt macht er gute Menschen zu Commissarien! Kommen Sie mir doch wie ein Engel, sagte ich zu meinem I – – s, da er mich zum letztenmal heimsuchte, und wahrlich! Du warst mir ein Engel, guter I – – s!

Da die Bräutigamspferde ansprengten, fiel Tinchen in Ohnmacht. – Warum? Als ob man bei einer Ohnmacht warum fragen könnte? Des Morgens, wie wir alle wissen, war sie gesund und heil aus Wasser gegangen.

Die Bräutigamspferde brachten nur den Junker Peter, unbepackt mit Entschuldigungen, die freilich, wenn gleich sie noch so schwer gewesen, an einem solchen Tage unbefriedigend geblieben wären. War es denn nicht der Verlobungstag des Herrn Großvaters Hochwohlgeboren? Konnte denn aber Peter nicht wenigstens vorgeben, Herr v. K. wäre sterbenskrank geworden, und dem Dr. Saft einen Brief an die Braut übertragen? Junker Peter schien nicht undeutlich zu verstehen zu geben, daß der Ton beim Präsent in originali viel zu dieser Führung beigetragen. Den folgenden Morgen kam ein Brief vom Herrn v. K., worin er alle Unterhandlungen unterbrach, Herr v. W. gab mir in der ersten Hitze diesen Brief zu lesen. Gewiß würde er's nicht gethan haben, war' es nicht in der ersten Hitze gewesen. Herr v. K. hatte seinem Freunde keinen unhöflichen Blick von seinem Vater zuziehen wollen, der aber mit 300 Thlr. Alb. herausrücken sollte!

Man bat mich, zu bleiben; ich blieb. Der Ton schien überhaupt in diesem Hause zu Hause zu gehören. Ueberhaupt gehört er zum Weiberdepartement. Fast würde ich behaupten, daß alle Declamation Weiberwerk sey.

[286] Lieschen war bis jetzt Tinchens Vertraute geblieben, und da ich mich ihrer so lebhaft und oft erinnerte, ward sie herbei geholt. Sie war an einen Amtmann verheirathet. Sie hatte keine Kinder. – Frau Luischen kam und freute sich so, mich zu sehen, daß nichts drüber ging. Sie fand, daß ich alt geworden, und daß mein Arm schwerlich ein Fräulein Lorchen mehr aus dem Wasser holen würde. Ein Fräulein Tinchen noch weniger, setzte sie hinzu. Frau v. W. und ihre Tochter fanden der keines. – Die Frau Amtmännin besuchte mich öfters auf meinem Zimmer, wenn ich allein war, und unser einziger Text war Tinchen. In der Nutzanwendung kam Herr v. K. vor, und da ward er behandelt, wie man die Sünder in der Nutzanwendung zu behandeln pflegt.

Noch vier schöne Tage lebte ich in –, und da sich meine Commission nicht länger verschieben ließ, ging ich mit dem Versprechen ab, nach geendigtem Geschäfte wieder zu kommen.

Beim Abschiede wieder der Ton! Wie ich den Ton liebe und alles Kopfnicken hasse, wenn der Kopf gleich nach vom fällt! – Nur beim Tode nicht. Herr v. G. starb nach vorn! Nur beim Schlaf nicht; denn er ist des Todes leiblicher Bruder.

Junker Peter hatte sich gegen mich ziemlich fremd benommen, und ich bezahlte ihn mit gleicher Münze; indessen muß ihm der Abschied, den Tine und ich nahmen, aufgefallen seyn, ohne daß eben der Ton, der freilich ein zu gutherziges Kapitel für ihn war, dazu etwas beigetragen haben kann. Wenn? fragte Tine. O, wie anders, als Nathanael, als er sein Gretchen sehen wollte! – Auch die liebe Mutter dieses edlen Geschöpfes fragte: Wenn? Herr v. W. konnte sich nicht aus dem Strudel herausarbeiten. Oft kam er in die Complimente, die er seinem Schwiegersohne zugedacht hatte und die er für nichts und wieder nichts gelernt – und nun verlernen mußte! – Wie er dann abbrach, wenn er auf einmal merkte, es sey ein Wort des Schwiegervaters zum Sohne! –[287] Wer sieht nicht gern schwimmen, wenn ein Kunstverständiger im Wasser ist?

Die Frau Amtmännin konnte nicht umhin, mich weit dringender, als das ganze Haus, zu bitten, wieder zu kommen. Aber, liebe Frau Amtmännin, mein Arm ist nicht mehr in den Umständen, Lorchen aus dem Wasser zu ziehen! Kommen Sie doch, Herr Major!

Ob Herr v. K. durch seine abschlägige Antwort die Absicht gehabt, Tinchen weichherziger zu machen, das Präsent in originali anzunehmen, um das Lämmchen anzugewöhnen, aus seiner Hand zu essen, oder ob er ihren Vater zu einer andern Eheverschreibung auffordern wollen, oder ob er sich, was weiß ich, in der Gegend, wo man ihn mit Tinchens Sprödigkeit aufzuziehen anfing, wieder in Credit zu bringen gedacht, oder ob er es seinem Herrn Schwager bloß zu Gunsten gethan, um seinen Herrn Vater bei dieser erwünschten Angelegenheit des Hauses so geschmeidig im Geben zu machen, als der Herr Sohn es im Reden war, das sind kitzliche Fragen, die ich meiner Aeltermutter überlassen würde, wenn sie noch am Leben wäre.

Junker Peter, ohne einen Auftrag selbst vom Vater zu haben, reiste von selbst wieder, wo er gekommen, und erzählte dem Herrn v. K., was er gesehen und gehört und was er zu glauben Ursache hätte; erhielt auch sogleich von ihm Macht und Gewalt, sobald ich wieder einträfe, mich zur Rede zu stellen, wie ich zu der Dreistigkeit käme, in einem Hause mich aufzudrängen, wo er Regent wäre?

Mein politischer Auftrag ging so von statten, als noch kein Geschäft mir je von statten gegangen? Den Türkenkrieg nicht ausgenommen! Ich kam? fand Tinen so, wie ich, sie gelassen; ihre Mutter deßgleichen. Ihr Vater hatte etwas Rückhaltendes angenommen, obgleich er nicht verfehlte, in Absicht der Treppe mich so zu empfangen, als zuvor![288]

Warum Nebenumstände, da ein einziger alles entscheidet? Bis jetzt hatte ich an Tine nicht anders als an ein liebes, gutes Mädchen gedacht. Den Abend, als ich zurück kam, ging ich weiter. Was war es, was mich weiter brachte? Ein Ungefähr? O ihr Kleingläubigen! Ich ehre jedes Ungefähr als göttlichen Fingerzeig. Es ist etwas, das eine unsichtbare, im Stillen wirkende Hand thut, und was sie thut, ist wohlgethan! Was ist's denn hier? Ich kam in mein Zimmer, und da war's wie eine Stimme, die zu mir sprach: Mine! Schnell lief ich zu ihren Papieren und fand die Stelle! – Groß geschrieben:

»Nun meine feierlichste Bitte, mein Beschwur! Ich bitte dich vor Gott und nach Gott! Ich beschwöre dich bei allem, was heilig ist, im Himmel und auf Erden, und nach diesem hohen Schwur bei meinem letzten, letzten Seufzer, bei meinem letzten Todesstoß, bei meinem letzten warmen Hauch – dich zu seiner Zeit ehelich zu verbinden. Gott segne dein Weib und die Kinder, die er dir schenken wird!«

Wie mir dabei war, weiß Gott! Ich konnte kein Wort mehr lesen. Schnell legte ich mich nieder, um keine Zeit zu versäumen. Als ob ich nicht schon zum voraus wußte, ich würde nach dieser Stelle keine Stunde schlafen. Ich schlief wirklich keine Stunde, und doch hatte ich ausgeschlafen! Mein Entschluß war, alles dem Ungefähr zu überlassen, mich nicht um Tinen zu bewerben, allein ihrer Hand auch nicht auszuweichen. Daß mir Tine schon zuvor nicht gleichgültig gewesen, läugne ich nicht; mich aber so gegen sie zu benehmen, war das Werk dieses Abends, welches der in mir wirkte, der Wollen und Vollbringen gibt nach seinem Wohlgefallen.

Ein Traum? wird der gelehrte Kunstrichter fragen, und wenn er bitter ist, bemerken, daß dieß ein Hauptstück eines regelmäßigen Trauerspiels sey! Mein Vater sagte an einem dunkeln Tage: Wenn ja Arzneien genommen werden sollen, ist's gleichviel, was[289] für welche. Auf die Art, wie? auf den Glauben kommt's an. »Solch einen Glauben,« konnte man wohl hinzufügen, »habe ich in Israel nicht gefunden.«

Mehr als einmal hat mich eine dergleichen Stimme eines Unsichtbaren aufgefordert. Noch nie hat es mich gereut, diesen Seelenappetit befriedigt zu haben.

Wie ich Tinen und das Haus ihrer Eltern gefunden, wissen meine Leser schon, und eben diese Aufnahme machte mich empfänglich, das Wort Mine zu fassen! – Ich ging mit Tine in den Garten, und eben an der Stelle, wo sie am Wasser herumirrte, fragte ich sie, was sie zum Wechsel zwischen dem Herrn v. K. und mir sagen würde? Daß es kein Wechsel ist. Wie so? Fragen Sie das? Mit einer Art, daß ich alles wußte. Ich nahm ihre Hand und sie legte ihr Gesicht auf meine Schulter. Wir weinten beide.

Gott ist die Liebe! Ist es denn Schande, zu lieben? Alles, was nur diesen süßen Namen führt und mit ihm in Verbindung ist, stammt von ihm, ist seines Geschlechts! Gott ist die Liebe!

»Jenes korinthische Mädchen zog Striche um den Schatten ihres schlafenden Liebhabers, in denen sie sein Bild sah! Ihre Einbildung füllte mit einem wohlgerüttelten und überfließenden Maß diesen Schattenumriß aus.« – So ging es mir mit Ihnen, nur daß meine Einbildungskraft auch alle die Striche zog. – Liebe Tine!

Was man auch immer von Silhouetten sagen mag, Personen, die man kennt und liebt, sollte man nicht malen! Da hat die Einbildung zu viel Muße! Bei einer Silhouette arbeitet sie mit, sie füllt die Striche aus, bringt Colorit an. – Um unsere Lieben der geehrten Nachwelt zurückzulassen? ist ein Gemälde nöthig!

Wir waren so eins am Wasser, daß alles Er und Sie, Sie[290] und Er war. Warum wir uns nicht duzten, weiß ich bis diesen Augenblick nicht.

Ihre Mutter?

Weiß alles.

Gott Lob!

An Herrn v. W. dacht' ich nicht.

Ich sprach die gute Mutter, die keinen Schatten von Bedenklichkeit fand; allein sie wünschte, daß ich mich an ihren Mann oder wie sie sagte, an Herrn v. W. wenden möchte.

Ich that's, und merkte, daß er sich herzlich freute, eine Gelegenheit zu haben, von seiner Complimentensammlung Gebrauch zu machen. Nachdem ich aber alles sichtete, fand ich unendlich mehr Spreu als Körner, und was noch Korn war, lief auf die wohlhergebrachte Landesmanier heraus, daß man ein Vierteljahr seiner Geliebten die Aufwartung machen, und nach so mancherlei Beiurteln endlich die Definitivsentenz abwarten müsse. Hiezu kam, daß Herr v. K.; doch, warum soll ich all die Umwege bemerken? In diesem Schattenriß kann jeder die Striche machen, ohne den Herrn v. K. gekannt zu haben. Da darf man nur den Menschen kennen, und dieß Zutrauen hab' ich zur Zeitwelt, und weit, weit zuversichtlicher zur Nachwelt.

Wer will nicht das haben, wornach er einen andern ringen sieht? Wer hätte nicht ein Landgut, ein Haus gern, wenn es eben verkauft ist? Geht auf die erste beste Auction, um euch hievon zu überzeugen!

Das schlimmste bei dem gegenwärtigen Falle war, daß Herr v. W. fest entschlossen war, wenn Herr v. K. nur irgend ernstlich wollte, auch zu wollen. Seine Meinung war, es zu machen wie meine Großmutter, da mein Vater nach meiner Mutter ging. Herr v. W. wollte seine Tochter auf keine Weise einem Major geben, dessen Vater Pastor in Curland gewesen; er mochte nun in[291] seiner Jugend Alexander gespielt haben, oder nicht! – Man muß, sagte Herr v. W., freilich nicht Fleisch und Blut Männern von Verdienst vorziehen; allein Ehre und Geburt sind die Wurzel alles Guten! O des verfehlten Wurzelmannes! Wie kam dieser Blätterliebhaber selbst aufs Wort Wurzel, das nur dem Herrn v. G. zustand, den ich bei dieser Gelegenheit vermißte? Ich hatte freilich mein Auskommen; allein Junker v. K. war reich.

Das korinthische Mädchen, Tine, wäre nun wohl bereit gewesen mit ihrem Liebling zu ziehen, wie und wo er's verlangt; allein wer wollte das Licht mit dem Finger auslöschen, wenn Putzscheeren vorhanden? Wer wollt' es ausblasen und Gestank zurücklassen? sagte Herr v. W. bei einer andern Gelegenheit, und hatte nicht Unrecht, obgleich, wenn es eine reine schöne Wachskerze ist, der angebliche Gestank Geruch heißen könnte. Wer weiß überhaupt, wie dieß zum Geruch und jenes zum Gestank gekommen? Zwar mußte Petrus sein Schwert einstecken, fuhr Herr v. W. bei dieser andern Gelegenheit fort, allein dem Adel gebührt es, sich zu gürten, wenn sich der Unadel etwas herausnehmen will. Ein Edelmann ist ein verstärkter Mann, er präsentirt sich und seine Vorfahren. Wer hätte wohl solchen Till und Kümmel vom festlich höflichen Herrn v. W. erwartet?

Da kam Junker Peter im Harnisch gejagt! Ja wohl gejagt, mit Entschlüssen, die nicht Fleisch, nicht Fisch waren. Er schnitzelte am Rahmen, noch eh' das Bild angefangen war. Stolz, daß er seinen Vater Hochwohlgeboren gesattelt fand, verzog er seinen Mund, als wollt' er Hohn sprechen, und empfing mich so unartig, daß ich, weil er Tinens Bruder war, nichts anders thun konnte, als ihn großmüthig übersehen! – Zum Mückenfänger war ich nie aufgelegt. War ich dazu zu kräftig, oder zu gut, das weiß ich nicht. Ich gab auf alle seine Reden, die er entweder vor sich, oder gegen andere richtete, kein Wort. Da aber dieß Wüschen eben hiedurch[292] dreister ward, und sich gerad' an meine Stirn klebte, sah ich mich gedrungen, es wegzuscheuchen. Unfehlbar hatte unser Held einige Romane gelesen, wo der Zweikampf in einer Kinderlehre abgehandelt wird! – Ihr lieben Herren! Wenn ihr den Menschen da bessern wollt, so habt ihr eben nicht das rechte End' ergriffen. Vorwärts, ihr Herren! zu allen Zeiten stehe oder falle, was da will! Unser Mückenheld erwartete eine Katechismusantwort, und sah mich über Hals und Kopf blank. Was wollen Sie, junger Mensch? Ihre Schwester? Die werd' ich nicht nehmen, wenn Tine nicht selbst will, und wenn Tinens Eltern nicht wollen, Vater und Mutter. Was haben Sie für Rechte auf Ihre Schwester, so lange Ihre Eltern leben, und so lange Tine selbst denken und handeln kann? Unser Held steckte sein Schwert so nothdürftig in die Scheide, daß er den Namen v. K. stammelte und sich eben nicht in der besten Ordnung zurückzog. – Wie er sah, daß auch ich nachließ, fing er seine Vorbehalte an. – Wollen Sie mehr, als ich versprochen? erwiederte ich. Haben Sie denn versprochen, meine Schwester dem Herrn v. K., dem sie eigenet, ungestört zu lassen?

Nein.

Aber sie gehörte ihm.

Hat er sie nicht aufgegeben?

Hat er sie nicht wiedergenommen?

Da sie nicht mehr frei war.

Hur v. K. that, oder war wirklich unerträglich verliebt. Er bereute seine Uebereilungen, wie es hieß, und schrieb und sandte Boten ohne Ende. Herr v. W., der schon an sich entschlossen war, dem Herrn v. K. zu verzeihen und, außer dem Versöhnungsfest, noch auf so mancherlei rechnete, was diese Anwerbung begünstigte ging ihm mit zuvorkommender Huld entgegen. Zu allem diesem wissen wir die Beweggründe.

Der Vater Pastor![293]

Lieber Mann, der Sohn Major!

Aber, liebe Frau, beim Adel gilt der Vater immer mehr als der Sohn.

Will denn Tine den Vater?

Wenn sie aber auch Sohn, Vater, Großvater und so weiter in der Person des Sohnes heirathen kann?

Dann ist's Blutschande!

Herr v. W. ward über die Blutschande böse und fing pathetisch an: ein anderes ist ein Siegel mit dem Lindwurm am Taschenmesser, ein anderes ein wohlhergebrachtes Wappen, ein anderes die feinsten Spitzen, ein anderes Judenkanten, ein anderes Prinzmetall, ein anderes ächtes gediegenes Gold; ein anderes ein Kratzfuß, ein anderes eine Verbeugung. Wer wird sich denn die Finger verbrennen, wenn man sein Kind mehr ist?

Allgemach legte sich dieser Ahneneifer, an welchen? Junker Peter vielen Antheil hatte! – Der Mückenheld hatte mich blank gesehen und so mochte er seinen Schwager, wohl aus mehr als einer Ursache, nicht sehen!

Die Frau v. W. nahm Gelegenheit, ihrem Gemahl ans Herz zu legen, was sie gehört, daß ich nämlich von gutem alten Adel wäre und Tinchen also auch Vater, Großvater, Aeltervater und so weiter in mir vereinigt heirathen würde. Warum, fuhr sie fort, ihm Luft und Athem abschneiden, ehe man noch die Gränzen seines Seyns kennt? Der Schein betrügt –

Er stammt von Melchisedech.

Der war ein König und Priester!

Warum diese Ahnentafelunterredung, die das Alltägliche enthält? Sie hatte indessen die Folge, die ich meinen Lesern schuldig bin.

Frau v. W. nahm mich bei der Hand und zwar so, daß diese Art mir Bürge wurde: es sey wie es sey; Sie sind Tinens[294] und Tine ist die Ihre! – Sie wußte nicht, wie sie es recht anfangen sollte und fing endlich, nachdem sie mich lange bei der Hand gehalten., allein, wie mich dünkt, viel zu entfernt an: der Schleier der Bescheidenheit gibt jedem Gesichte, jeder Tugend einen größern Werth!

Ja, Gnädige! der Beleg ist Tine!

Da war sie wieder weiter zurück wie zuvor. Sie nahm mich aufs neue bei der Hand, und ohne daß sie blitzte, mein Schlag!

Gnädige! Sie wollen was sagen – Fragen! erwiederte sie.

Die Liebe, das einzige, was die Natur uns noch zurückgelassen, sollte freilich über alle Kunst hinaus seyn – bei einem Haar wäre sie wieder vom Wege gekommen. – Wer ist aber heut zu Tage natürlich? Mein Mann? Sie kennen ihn! – Können Sie sich so viel von Ihrer Denkart auf einen Augenblick abmüßigen und ihm in der Nähe zeigen, was so viele von weitem gesehen? Jedes Auge trägt nicht gleich weit. Sind Sie ein Edelmann?

Eine Ehre ist der andern werth. Um wie vieles hätt' ich das Vergnügen nicht gegeben, erst Tinen zu heirathen und ihr sodann zu beweisen, daß sie von dieser Seite keine Ungezogenheit vom adlichen Pöbel zu fürchten hätte.

Das Wort: ein Gewisser könnt' ich selbst von meinem Eidam nicht leiden, um wie vieles! fuhr Frau v. W. fort.

Das traf! Frau v. W. hatte Recht. Ein Gewisser, so vortrefflich das Wort gewiß sonst ist, welch ein erniedrigendes Wort! Ein Gewisser heißt Einer, der wegen seiner Existenz besorgt zu seyn Ursache hat und eine Tafel aushängen muß: hier wird Seife gesotten! Es ist ein in einem kleinen Enkel bloß Bekannter, ein Kleinstädter, der will und nicht kann! Fast scheint es, daß es mit dem Menschen nicht aufs Gewisse angelegt ist – Liebe gnädige Frau! Ich will alles thun, um mich aus dem Gewissen[295] ins Ungewisse zu setzen! Der vorliegende Fall ist von der Art, daß ich's kann. Ich wollte der Frau v. W. zeigen; allein wie doch die Weiber sind, das Siegel war ihr genug! – Sie ging zu ihrem Mann, der aber bei der ganzen Erzählung, das Siegel mit eingerechnet, so ungewiß als möglich blieb. Tine war mir so werth, daß ich selbst Gelegenheit nahm, dem Herrn v. W. zu zeigen, wovon seine Gemahlin nur das Siegel gesehen, und da er weniger erfahren in Familienregistern als der hochgeborne Todtengräber war, so konnt' ich ihm zwar von meinem uralten Adel nicht so überzeugende Beweise geben, indessen sah er eben darum die Sache größer als sie war! – Er fand in der Dunkelheit so etwas Festliches; daß er den Pastor drüber vergaß. Er sah über die Hütte hinweg und heftete sein Auge an die Kirchenmauern. Die rechte Saite in seiner Seele war getroffen. Die Glücksumstände des Herrn v. K. konnten mir nicht den Weg vertreten, da ich ihn vom Geschenk der Kaiserin und dem dazu gekommenen glücklichen Kauf unterrichtete!

Alle Geschenke erniedrigen, nur Geschenke der Großen nicht, da gilt ein Band mehr als man glauben sollte. Wie doch alle Leidenschaften Nachbarskinder sind! – Stolz und Furcht sind außer der Nachbarschaft verwandt. Herr v. W. fürchtete den Junker v. K. und seinen leibeigenen Sohn, der es mit Junker v. K. hielt. Sie wissen, fing er an, und suchte Kraft zum Athemholen! – wie es in Curland geht! Die Wahrheit zu sagen, ich bin froh, daß eins von meinen Kindern aus diesem Waldhornstaat, aus diesem Du-Lande erlöst wird! – Wer ist hier vor ein paar Pistolen sicher? Jeder, der Herz hat, erwiederte ich. Nicht immer! Herr Major! Es gibt unter den Krippenrittern Leute, die ihr Leben keinen Pfeifenkopf werth halten. Was haben sie denn in dieser Welt zu gewinnen und zu verlieren? und wenn Herr v. K. es dazu anlegt, so ist mein Haus belagert und ich mit Mann und[296] Maus verloren. Junker v. K. hat Geld, das will in Curland viel sagen. Freilich, wer's Glück hat, führt die Braut heim. Der verstorbene Herr v. G. hatte sie weit von sich entfernt. Sie kamen! Er begegnete ihnen nicht wie hochwohlgebornen Brüdern, sondern wie bettelnden Schneidergesellen! – Den Pferden und Waffenträgern dieser Don-Quischoten noch übler. Einer unter diesen Krippenrittern nahm das Ding unrecht und forderte den Schlüssel zum Gastzimmer, und weil sich der Gerechte auch seines Viehes erbarmt, zum Stall. Hier ist der Schlüssel, sagte Herr v. G. und zeigte auf den Degen. Freilich hätte er hier sind sie sagen sollen, da zwei Schlüssel gefordert worden, einer zum Stall und einer zum Gastzimmer, und alsdann hätte er auf die Pistolen weisen können, die verheirathet sind und die man nicht anders als paarweise hat – Mag! – Sein Haus ist von dieser Zeit an von der ägyptischen Plage der curischen Heuschrecken verschont blieben. Das nenn' ich aber tolldreist. Zwar hab' ich es, beschloß Herr v. W., mit meiner Höflichkeit so weit nicht gebracht, indessen kann ich auch nicht bittre Klagen führen!

Ich versicherte ihn, daß dieses mein geringster Kummer wäre und er schien wirklich die Meinung von mir zu fassen, daß mir nicht leicht das Haar zu Berge stünde!

Sie versprechen, sagte er, mein Herr Major! bei allem, was Gott geben, die Seele denken, das Herz wollen, der Mund sprechen, die Hand greifen kann, meine Tochter zu lieben, bis der Tod sie scheidet? Ich verspreche! – Wohlan! so will ich den Verlobungstag festsetzen, an dem ich mich mit meiner Frau verlobte!

Nach dieser Feierlichkeit fiel ihm, das sah ich, mein Vater ein; allein konnt' er nach diesem festlichen Auftritt von diesem Einfall Gebrauch machen?

Wenn ich nicht durchaus mir vorgesetzt, nicht in den alten Geschmack von Gefechten zu fallen, sondern der reinen klaren Liebe[297] getreu zu bleiben, so könnte ich wirklich mit einigen Vorfällen aufwarten, die niemanden als dem Herrn v. W. schwer fielen! – Gotthard! wer sollte das denken, legte alle diese Neckereien bei und alles war wie abgeschnitten oder abgehauen! – Gotthard? er ganz allein! Ein Tauber hält sich Vögel und freut sich, daß sie springen, wenn gleich er sie nicht singen hört, und Gotthard war im Stande, in Curland solche Strahlen zu sprühen, daß alles wie vom Blitze gerührt stand.

Gotthard, den mein Brief nicht getroffen, hatte durch viel Mühe erfahren, daß ich in – wäre und flog in meine Arme. Entzückt über alles, was vorging, versicherte er mich auf Ehre, daß er Tinen mir aufrichtig gönne! und nur dann, fügte er hinzu, wäre keine Schlacke unterm Golde, wenn ich mit meiner Frau in Curland bliebe! – Was sich Gotthard freute! – Aus lichterloher Freude war er gegen den Herrn v. W. höflich, der ihm wegen der Befehdungen seine Noth klagte, worauf er ihm seinen kräftigsten Beistand versprach. »Bruder?« Ich! erwiederte er, da gehen viele auf der Heerstraße, andere über Stock und Stiel, viele durch Blumenbeete, andere über Felsen, durch Dornen und Disteln. – Nicht auf den Weg, Bruder, sondern aufs Ziel kommt's an.

Bruder!

Was ich dir sage!


Junker Gotthard löste diese Räthsel und es ergab sich, daß er seine Helfershelfer hatte, die er besoldete, um andere Helfershelfer abzuhalten. Wer hier Geld hat, Bruder! fügte er hinzu, ist schußsicher! Er hält sich seine Leibwache, und Trotz dem geboten, der sich erfrecht, ihm zu nahe zu kommen und nicht drei Schritte vom Leibe zu bleiben. Jetzt macht mich nichts wild! – Herr v. W., der zum Theil von diesen Haustruppen unterrichtet war, nahm[298] dieses Anerbieten mit vielen Complimenten an, das ich aber kurz und gut abschlug.

Bruder! fuhr Gotthard fort, die Kerls, so dich anfallen wollen, sind keine Türken, sind keines Tropfens Christenblut werth. Solchen Lumps auszuweichen ist Ehre.

Herr v. W. trat dieser Behauptung bei, ich nicht völlig. Es sey indessen, daß Herr v. W. mit Junker Gotthard eine geheime Allianz geschlossen, oder daß seine Anwesenheit im Hause schon die gegenseitige streitführende Macht durch Furcht in die Flucht geschlagen, genug, wir waren so ruhig wie möglich.

Der Mückenheld selbst, da Junker Gotthard mit ihm allein gesprochen und ihm vielleicht eine Bürgschaft wegen der nächst zu bezahlenden Schuld und etwa eine schmucke Trine zugesagt, hatte andere Saiten aufgezogen, und so waren wir dahin gediehen, daß wirklich in der folgenden Woche das Verlobungsfest ohne zu fürchtende Belagerung gefeiert werden konnte!

Junker Gotthard wich nicht von dannen und war mir ein so angenehmer, lieber Gast, daß Tine selbst so viel Vergnügen in seinem Umgange fand, als sie zuvor Mißwillen geäußert hatte.

Ich weiß nicht, wie mir der einige Ausdruck Busenfreund entfuhr, den mir Herr v. W. entsetzlich übel nahm.

Das Wort Busenfreund, fing Herr v. W. an, ist das zweideutigste, was man brauchen kann, so bald man zur heiligen Ehe schreitet. Ist man Junggesell, wo ist ein besseres zu Freund, als Busen!

Junker Gotthard umarmte mich brennend und zeigte mir, wie man auch bei der größten Rauhigkeit bieder und gut seyn könne. – Kein großer Mann, sagte er zum Herrn v. W., hat sich in sein Hauptwerk allein verliebt. (Es war eine Anmerkung seines lieben seligen Vaters, die er aber besonders lenkte; unfehlbar dachte er an seine schmucke Trine.) Er sucht ein Nebenwerk und findet[299] es. Er sieht die Beklommenheit, die Eingeschränktheit seines Hauptwerks ein und will der schwachen Menschheit durch Abänderung aushelfen! Kein Mann, der sich von andern unterscheidet, ist daher groß in seiner Hauptkunst. Im Nebenwerk bringt er's oft weiter – welches auf die Rechnung des Freiheitstriebes gehört, der überall ausschlägt und schöne Zweige zeigt.

Bruder! sagt' ich ihm, von Anbeginn ist es so nicht gewesen! – Vortrefflich fiel Herr v. W. ein, bis auf das Wort: Bruder, das ihm, wie er sagte, zu kahl, zu entblättert da stünde! – Wenn nur nicht unsaftig, erwiederte ich. Gern hätt' es Herr v. W. gesehen, wenn Gotthard und ich das Du gestrichen; allein das ging nicht, und da ich den Herrn v. W. versicherte, daß nur Gotthard und Darius meine Dus waren, die ich in der Welt hätte, und daß ich selbst meine beiden Kriegskameraden, die bei Bukarest im Herrn ruhen, nicht Du genannt; so begab er sich. Froh legte er unsere Hände in einander und sprach: Was Gott zusammengefügt, soll der Mensch nicht scheiden! – Und nun nahm er mich allein. Gelt, fing er an, zum Eherath würde ich den Herrn v. G. nicht vorschlagen? Und ich nicht nehmen, war meine Antwort.

Er. Sie lieben Tinen!

Ich. Herzlich!

Er. Einzig?

Ich. Bis in den Tod.

Griechen und Römer, fing er zu uns beiden an (im Wiederhall des Festes der Deutschen), wo ist jene edle Einfalt, die, wenn gleich sie geradezu ging und mit Gott und mit Menschen gleich sprach, doch so viel Feinheit anbrachte, daß man kein Du merkte, so wie es noch in keiner wohlgesetzten Poesie zu merken ist! Ist wohl eine neuere Sprache ohne Erbsünde? Was lästert ihr Nachbaren über unser Hoch- und Wohlgeboren, Hochedelgeboren und[300] Hochedlen, da doch auch ihr: Ew. Majestät wird erlauben, Ew. Excellenz denkt zu gerecht, sprecht? Wie man da von hinten kommt! Wie ein Politikus! Wo ist eine Sprache, die nicht dergleichen Flecken oder Runzeln, oder deß etwas hätte? – (Mir fiel das Wort Monsieur aus dem Garten Eben des seligen v. G. ein.) Utinam viveret!

Ich nahm das Wort und bemerkte, daß die Deutschen Ew. Durchlauchten, Hochgeboren, Hochwohlgeboren, Hochgelahrten, Hochbenamten, Hochweisen, Gestrengen, vielleicht als eine Satyre über die andern Sprachen auf- und angenommen! Wie! fiel mir Herr v. W. ein, so würden Sie auch mich nicht für einen höflichen Mann gelten lassen, sondern für einen Swift über die Höflichkeit halten? Ich bückte mich so, daß Herr v. W. völlig mit mir ausgesöhnt ward, und da er nicht lange darauf anfing:

Lieber Major, Ihre Meinung, als wäre die deutsche Sprache eine Satyre über andere Sprachen, stieß mir so auf; so erschrak er selbst über den harten Ausdruck: stieß mir auf, daß Herr v. W. sich selbst aufstieß. – Es hob sich Credit und Debet und wir waren eins.

Die Verlobung kam dem Herrn v. W. sehr hoch zu stehen. Umstände verändern die Sache. Ein anderes übers Evangelium, ein anderes über die Epistel! – Wir sahen ihn so oft allein und mit sich selbst zu Rathe gehen, wobei wir, die Wahrheit zu sagen, nichts an Rath verloren!

Unausstehlich würde es meinen Lesern seyn, wenn ich ihnen die ganze Procession dieses Verlobungsfestes erzählen sollte. Nur ungesuchte Züge, wie sie fallen!

Gern wollte Herr v. W., daß ich auf Knien Ja sagen sollte. Es war ihm so etwas Ritterliches, so etwas Altadeliches drin. Da ich ihm indessen das Ungewöhnliche zu Gemüth führte, so mancher Mißdeutungen er wähnte, welche hiedurch zum Vorschein[301] kommen würden, ließ er mich auf den Füßen, nachdem er von mir das Versprechen abgenommen, meiner Prinzessin diese schuldige Ehre inter privatos parietes zu erweisen.

Bei so viel Natur, die bei der Verlobung herrschte, in so weit sie zum Departement der Frau v. W. gehörte, stach die Unnatur des Herrn v. W. so ab, daß man keine Abstufung sah, sondern hier gleich und eben ging, und dort auf dem Sprunge war!

Unter andern war Herr v. W. so parfümirt, daß jeder einen Schlagfluß befürchten mußte, der ihm zu nahe kam. Zwar duftete er jederzeit, noch nie aber so, wie heute. – Kurz vor der Ceremonie hatte er sich so wohlriechend gemacht.

Junker Gotthard konnte nicht umhin, darüber ein Wort zu verlieren, allein Herr v. W. führte ihn an Stelle und Ort, indem er ihn belehrte, daß Christus der Herr selbst für wohlriechendes Wasser gewesen, indem er sich von einer Dame mit eau de Lavande besprengen lassen.

Die Verlobung fing mit einer Rede an, die Herr v. W. übernahm, indessen schloß er dabei, wie bei der Redeübung am Fest der Deutschen, zu kurz. Sein Allerseits nach Stand und Würden Hochwohlgeborne Versammlung verlor keine Sylbe, und eine Thräne, die ihm allemal zu Diensten stand, wenn ihm ein Wort versagte, bewegte mich so, als ob er zum erstenmal geweint hätte. Wir sagten, ohne daß wir gefragt wurden, Ja, und küßten einander so herzlich, daß jeder glaubte, der uns ansah, er hätte nichts von der Rede verloren. Da Herr v. W. selbst nicht aus und ein gewußt und darüber, wie mir vorkam, verlegen schien, so ließ er's geschehen, daß alles über und über ging, und eben dieß über und über, wie schön war es! – Wie der Lenz ist die Verlobung! Das Beilager ist ein schöner Sommertag dieses die Sonne im Glanz, jene Aurora!

Tine warf sich ihrer Mutter in die Arme und bat um ihren[302] Segen. Herr v. W. lenkte diesen zu natürlichen Armwurf so künstlich ein, daß die Frisur dabei nicht litte. – Bei solchen Vorfällen, bemerkte er, muß man schon zuweilen fünfe gerade gehen lassen!

Bei Tafel bemerkte Herr v. W., daß man durchaus etwas auf dem Teller liegen lassen müsse. Bin ich beim Vornehmern, wie ich, sagt er, lasse ich das beste zurück, um zu zeigen, daß auch das schlechteste für mich das beste ist! – Selbst in meinem Hause mache ich meiner Frau dieß Compliment, welches auch dießmal beobachtet ward!

Mein lieber Gotthard blieb noch acht Tage bei uns und reiste mit der Versicherung ab, so lange er lebe unser Freund zu seyn! – Herr v. W., der ihn bis dahin als einen Commandanten angesehen, nahm ihn beim Abschiede allein. Unfehlbar gaben sie sich die Parole; wenigstens konnte man dieß aus den Worten schließen, womit Junker Gotthard aufbrach: Es ist besser, sein Roß an des Feindes Zaun binden, als daß der Feind es an unsern Baum anstrickt! Gute Nachbarschaft, erwiederte Herr v. W., ist die beste Mauer; und ich: Muth der leichteste Harnisch! Peter und Gotthard sprachen wieder geheim. Bald hätte ich vergessen zu bemerken, daß sich Peter bei dem über und über an meinem Verlobungstage artig genug benahm!

Ich blieb noch drei Tage in –. Tine und ich waren so seelenfroh, daß alles, was uns sah, Theil dran nahm! – Die Liebe ist wahrlich die Sonne des Lebens. Durch sie leben und sind wir! Du bist nicht werth, daß dich die Sonne der Liebe bescheint, ist eine Injurie, welche die größte ist, die je ausgesprochen worden! – Sinai's Fluch ist dagegen Segen!

Meine Uebernahme in – ward von einem Tage zum andern ausgesetzt. Herr v. W. bat aus Höflichkeit, meine Tine und ihre Mutter herzlich!herzlich! meiner Tine Leibwort![303]

Es war die höchste Zeit, daß ich nach – ging. Manche kleine Einrichtung wartete auf mein Auge. Tine sah selbst die Nothwendigkeit meines Hingangs, und doch ließ sie mich ungern hingehen. Ich hatte die geringste Kleinigkeit mit ihr überlegt. Die Liebe macht alles wichtig, was die Liebenden betrifft – außerhalb ihrer Grenze ist eine Krone des Aufhebens nicht werth! – Da sollte ein Sopha, dort ein Nähtischchen, hier ein Schränkchen seyn – da eine blaue und wieder da eine rothe Tapete zu stehen kommen!

Nur an die Schlafkammer ward nicht gedacht. Die bleibt immer dem Geschmack des Bräutigams und der Schwiegermutter anheimgestellt. Nachdem nun alles und jedes bis auf die letzten vier blinkenden Nägel, die meine Mutter, da sie am Kupferstich eines Eierreformators angebracht wurden, für Sterne hielt, verabredet war, kam die Frage zur Erörterung: ob ich Morgens oder Nachmittags reisen sollte? – Was darüber für und wider verhandelt ward, ist unaussprechlich. Wahrlich, die Andacht und die Liebe sieht alles für Sterne an, wenn gleich sechs für einen Vierding zu haben sind. Ich ließ nur fallen, daß, wenn ich früh in mein Land zöge, ich schwerlich mehr als zwei ganzer Tage zur Reise nöthig haben würde. Herr v. W. glaubte, so frühe nicht mit allem fertig werden zu können, was doch der Wohlstand bei dieser Gelegenheit mit sich brächte. Der Fall war eigen. – Endlich kamen die Präliminarien in Richtigkeit, früh des Morgens. So sehr ich darauf drang, daß niemand sich sehen lassen möchte, so war doch Herr v. W. der Meinung, daß dieses auf keine Weise Styli werden könnte. Um indessen eine Finte anzubringen, ließ er mich halb und halb in Ungewißheit. Er wollte dadurch der Sache einen Anstrich von Unerwartung und einen desto größeren Werth beilegen. – Ich war um vier Uhr Morgens in Reisekleidern, und eben, da ich mich durch den Saal schleichen wollte, kam[304] mir Herr v. W. entgegen, der, wie ein wachsamer Chef, eine Viertelstunde vor der bestimmten Zeit auf dem Platze witterte. – Meine Schuld ist es nicht, fing er an. – Und was konnte ich wohl bei diesen Umständen anders, als Compliment über Compliment machen? – Tinchen kam am letzten, nicht weil sie am spätsten aufgestanden war, sondern weil ihr Vater es ihr vorgezeichnet. Auch bei der zärtlichsten, herzlichsten Liebe muß der Wohlstand nicht aus den Augen gesetzt werden, sagte Herr v. W., da er ihr ihre Rolle übergab. O dieser Morgen! – Was ist alles im menschlichen Leben, wenn man es nur zu nehmen versteht! Niemand, selbst Herr v. W. nicht, war völlig in pontificalibus (wie ers nannte). Der Morgen, bemerkte er, muß anzusehen seyn. Diese edle Nachlässigkeit, die jedes Blatt zeigt, ehe es ausgeschlafen hat, wie schön! – Mag wohl seyn, weil der Mensch wirklich nicht da ist, um auf Draht gezogen zu werden, wäre es selbst durch Arbeit. – Wie es alles dahinschlenderte! – Die Milch, noch von keiner Sonne getroffen. Alles so frisch! – Tine kam zu mir, sobald in ihrer Rolle der lange Monolog zu Ende war, und gab mir, obgleich es nicht vorgeschrieben stand, die Hand, die ich in die meinige einschloß. – Ein Handkuß würde die Sonne verdorben haben. Da kam ihre Mutter und legte sich auf meine Schulter. Selbst Junker Peter, dem der Morgen am meisten anzusehen war, fragte zweimal, wenn er mich wieder sehen würde? Solch eine Morgengruppe, ich kann sie nicht malen! – Tine verlangte aufs genaueste zu wissen, wo ich jeden Mittag essen und jede Nacht schlafen würde.

Alles trank Kaffee, bis auf mich. Ich blieb bei Milch, die mir verordnet war. Herr v. W. würde mich ohne diese Rücksichten nicht vom Kaffee losgelassen haben. Er versicherte, daß der Kaffee so etwas Festliches hätte, daß selbst seine Farbe, wenn die Milch oder die Wäsche, wie ers nannte, gut wäre, gewiß keinen geringen[305] Rang verdiene. Eines seiner Hauptstaatskleider war kaffeebraun, doch so, daß die gute Milch durchschien. Warum sind Bäder so nutzbar? Warum ein Frühstück so wohlschmeckend? Weil wir mit dem Morgenkleide den Menschen angezogen und den Staat nicht begrüßt haben, dessen Sklavereiuniform unser Feierkleid ist.

Versucht es einmal, ihr, die ihr so etwas zu versuchen versteht, des Morgens Abschied zu nehmen! Ists nicht rührender, wenn ein blühender junger Mensch stirbt, als wenn dieß Loos einen Greis trifft?

Her v. W. hatte sich auf einige Augenblicke entfernt, unfehlbar auf die letzte Oelung zu studiren, und da waren wir, Tine und ich, mit einem so herzlichen Kuß zusammen, daß kein Wort Platz fand; es wäre erstickt. Herr v. W. blieb wieder, wie Absalon, an einer Eiche hangen, nur mit dem Unterschiede, daß ich ihm zeitig zu Hülfe kam und sein langes Haar losriß. – Junker Peter wollte darüber spötteln, allein weder seine Schwester noch ich gaben einen Blick, geschweige ein Wort darauf.

Je weniger Saiten bei einem Instrument, je weniger Luxus! Mit diesem Plan kam ich nach –, wo alles meine Erwartung übertraf. Hier, dachte ich, wirst du Ruhe athmen und wie Fabricius Rüben ernten! Weisheit cum omni causa ist so kurz und gut, daß jeder Mensch sie fassen kann, wenn er will. In den meisten Fällen hat sie aber zwei Aeste, von denen ihr einer inoculirt ist. – Gott wird uns ins Paradies helfen, wo das Einäugige verboten ist. – Das Wort: Stille! Stille! hat schon so etwas von Silberglockenton. Diese Glocke läutet zum Himmel. Ruhe ist hart gegen Stille. – Alles ist in uns, alles thun wir aus uns, und je nachdem wir bloß Sonnen- oder Jupiters-Trabanten sind, je nachdem machen wirs um uns helle oder dunkel. – Was will man mehr, als sich? – Das ist Eigenliebe, die Gott[306] wohlgefällig ist. Sie ist die Liebe im ganzen Umfange; denn wahrlich, der Nächste kommt dabei nicht im mindesten zu kurz.

Ich richtete alles nach dem mit Tine verabredeten Risse ein, wovon ich ihr auf der Stelle getreuen schriftlichen Bericht erstattete. Viel Anlage zum Garten; Bäume und Wasser, das die Bäume unvermerkt belauschte. Wie ich über dieß alles fröhlich und guter Dinge ward! Da stellte ich mir so lebhaft vor, was da noch alles werden sollte; und das ist immer schöner, als was schon da ist.

Zwei meiner Nachbarn waren Leute, mit denen es der Mühe verlohnte umzugehen. In Rücksicht der andern, die mich begrüßten, war mein Entschluß gefaßt, daß es beim Begrüßen verbleiben sollte. Einer von den Auserwählten behauptete, noch nie ein Glas Wein allein getrunken zu haben. Ich weiß nicht, ob man ein besseres Zeugniß eines guten Herzens für sich haben kann. Der andere Auserwählte stritt sich mit einem der bloß Grußnachbarn wegen der schlechten Zeiten. Die Klagen über die schlechten Zeiten sind so alt, wie die Zeit, sagte der Auserwählte, und der Grußnachbar fand, daß dieß nicht klappte, und sah es sogar als einen Anstoß an. Es wurde nun zwar alles auf eine Art beigelegt, daß niemand darüber aus der Welt ging; wer sollte aber denken daß der Grußnachbar bei einer Sache etwas Befremdendes finden sollte, die bekannt, wie ein Kind im Hause ist? – Der Koch wird vom Geruche satt, sagte der Auserwählte in der Stille zu mir. Schickt euch in die Zeit, erwiederte ich, denn es ist böse Zeit. Der Auserwählte hatte diesem händelsuchenden Grußfreunde ein Anlehn, wie Rechtens, abgeschlagen, und dieß war die Ursache, daß er ihm so unzeitig auf's Wort merkte.

Den ersten Platz, den ich in meinem Hause aussuchte, war eine Altarstelle für Tinen, ein Betkämmerlein, eine Zelle für diese Beterin! – – und von dieser Einrichtung ging ich zu der andern über. In dieser Capelle sollte Minens Bild hängen! –[307]

Einige meiner Leserinnen werden ganz unfehlbar die Anmerkung in ihrem guten Herzen haben aufkeimen lassen, wie ich über der zweiten Ehe die erste so bald und so tief vergessen können? Freilich dachte weder Tine noch ich, von der Zeit, da wir öffentlich eins waren, laut an Minen; allein in unserm Herzen ward ihr kein Schritt von der Grenze entzogen. Ich liebte Minen in Tinen! – Das menschliche Herz ist ein wunderliches Ding. Warum vermieden wir den Namen Mine? War es, weil Tine befürchtete, ihre Vorgängerin im Amte würde ihr Abbruch thun? War es, weil ich befürchtete, daß Tine dieses befürchten könnte, oder was war es?

Oft weiß der Menschenkenner, der Menschentreffer, ganz pünktlich, was der andere denkt, und läßt ihn dabei, ohne im allergeringsten etwas dagegen zu haben; sobald dieser andere aber seine Gedanken in Worte auswechselt, weg ist die Fassung! Ich vergaß über Minen nicht meine Tine, und über Tinen nicht Minen. Sie waren mir eins. Wunderbar! Freilich wunderbar! Was ist aber die Liebe? (Das natürlichste, was in der Welt ist). Was ist sie worden? Wenn sie köstlich gewesen, was ist sie anders, als Schwärmerei. Wir sind so weit gediehen, daß diese Schwärmerei allerliebst steht? Nicht wahr? Allerliebst!

Die erste Nacht, die ich in – schlief, war's mir doch, als sprach ein Engel mit Minen über meine Verbindung. Nicht wollte er Einspruch thun, sondern über Dinge sprechen, die kommen sollten. Da kamen Rück- und Hin- und Seitensichten zum Vorschein. Mine trat mich so feierlich ab, daß ich drüber Thränen vergoß; – und endlich wurden unsere beiden Geister, Tinens und der meinige, zusammengegeben. Es soll eine Himmelehe werden, sprach ein Erzengel. – Eine Himmelehe!

Herr v. W. war ein solcher Tagewähler, daß jeder Tag, wie wir wissen, seine eigene Plage oder seine Freude hatte. So ward[308] der Hochzeittag nach der Anlage des Verlobungstages bestimmt. – Sehr natürlich!

Wer etwas fassen will, sieht es zuerst im Ganzen, und wählt, sobald es zum Zergliedern kommt, nicht die größern hervorragenden, sondern die etwas versteckteren Stellen. – So mit dem Menschen. Die guten Herren, die ihn so beschrieben, wie er aus des Modeschneiders, Modefriseurs Händen kam, recht als ging er zum Ball, haben ihn wenig getroffen. Sie treffen den Puder und die Kleiderfalten. Wir sind dieselben, wenn wir in Gallakleidern sind oder im Schlafrock. – Sagt aufrichtig, haben wir nicht höchst selten den Menschen im Buche gesehen? Einen Theatermenschen, schön geschmückt, als ging er zur Bühne, als wollte er sich zeigen, als wollte er populo esse spectaculo! Den Menschen mit einer gewissen Lebensart so vorzuschieben, als ein Bild am optischen Kasten – o, dergleichen Menschen ohne Ende und Ziel! – Jede Bibliothek hat Vorsetzbilder von Menschen dieser Art die schwere Menge. Die meisten Menschenmaler bilden ihn, in so fern er repräsentirt. – Eben darum, wie froh ist man, wenn ein Autor nur so thut, als wählte er die kleinern ungesuchtern Stellen, als riefe er: Adam, wo bist du? – als riss' er ihm die Feigenblattsschürze ab.

Ob ich bei dieser Tafel ins Schwarze getroffen, mögen die beurtheilen, die es wollen, wenn sie können.

Herr v. W. bestand darauf, ohne daß er nöthig hatte, darauf zu bestehen, weil ihm niemand widersprach, – Hermann sollte zur Hochzeit gebeten werden; – und dieß war die Tonangabe, daß Tine und ich wieder von Minen sprachen. Das pythagorische Stillschweigen war größtentheils gehoben, und Mine war nicht mehr so, wie vorhin, geflissentlich vermieden.

Hermann ward einige Tage zuvor geholt, und ich fand ihn so wie ich ihn gelassen! Sein Auge zeigte indessen eine gewisse Scham über seine begangene Sünden, eine gewisse Buße. Dem Büßenden[309] muß man nicht mehr auflegen, als er sich selbst aufgelegt hat. Da er sah, wie gut ich ihn aufnahm, so kam er zwar mehr in sein voriges Geleise, indessen blieb etwas im Auge, das man ein Cainszeichnen nennen konnte! O dergleichen haben viele!

Herr v. W., der ihn zum Adjutanten so nöthig hatte, gab ihm die erforderliche Instruktion, und hiebei fiel eine Geschichte mit dem Staatsringe vor, die nicht possierlicher seyn konnte. Herr v. W. wollte dem Hermann diesen Ring vorstrahlen.

Schön! schrie Hermann, indem Herr v. W. die einem solchen Ringe zustehenden Ueberzüge und Bemäntelungen abzog. – Tine (die dabei stand und schon wußte, wie winterlich der Ring bezogen war) ganz nach ihrer Art: Herr Hermann, es kommen noch zwei Futterale! – Mir fielen diese zwei Futterale, auf welche Hermann bei seinem Schön nicht gerechnet hatte, so auf, daß ich laut lachen mußte, allein Herr v. W. schien zu glauben, daß Hermann der Sache nicht zu viel gethan, und schon im Geist etwas beklascht hätte, so wie man einem Schauspieler oft das Opfer bringt, sobald er kommt und ehe er noch den Mund geöffnet.

Hermann hatte einsehen gelernt, daß die Liebe zum Leben die ergiebigste Quelle sey, Complimente zu schöpfen. – Einem Sterbenden würde er gesagt haben: Er sehe aus wie ein Hochzeiter! Wer dem Kinde sagt, es sehe für seine Jahre weit älter aus, und dem Manne, er sehe weit jünger aus, verbindet sich beide gar höchlich. Beides ist dem Lebensdurst zuzuschreiben; das Wort Lebenshunger kann man nur im Hospital brauchen.

Hermann versicherte, daß ich mich verjüngt hätte, und da ich ihn versicherte, daß ich vom Gegentheil überzeugt wäre, so blieb er nicht nur bei seiner Meinung, sondern wußte sie so trefflich zu beschönigen, daß Tine ihm beizutreten Willens schien. Herr v. W. brachte die Sache ins Reine, und bemerkte, daß der Mensch erst in die Höhe, dann in die Dicke wüchse und im dreißigsten Jahre mündig[310] würde. Dieß ist das Jahr, da jeder redet, wenn gleich mancher noch schweigen sollte.

Herr v. W. hielt eine lange Unterredung vor der Hochzeit wegen der Kleidung mit mir, und da er wohl von selbst einsah, daß ich meiner Uniform nicht untreu werden könnte, so bemerkte er, daß bis Einförmigkeit in der Kleidung zwar was Gesetztes (ganz gehorsamster Diener!) anzeige, allein es wäre nichts Fröhliches, nichts Aufmunterndes, nichts Schönes dabei. – Immerhin!

Mit den lieben Schönleuten! Ich liebe sie nicht, sie mögen Schöndenker, Schönschreiber, Schönfärber seyn.

Tine hatte sich ganz russisch gekleidet. Sie trug, wie sie sagte, meine Uniform. Ich zeigte ihr, wie Gretchen, die russische Art beim Negligé, ein Tuch um den Kopf zu binden. – Stchy, ein russisches Originalgericht, kam oft auf die Tafel. Herr v. W. fand es den Umständen angemessen, da ich russischer Major wäre. Kiengis (Pelzschuhe) verehrte ich meiner Braut, und sie zeigte solch eine Freude darüber, daß sie solche stehenden Fußes anzog. Sie schien sie anbehalten zu wollen. Für den Winter, fing ich an, liebe Tine! Für den Winter? sagte Tine. Ja, liebe Tine!

Herr v. W., der auch diese und andere russische Trachten meinethalber großmüthigst gestattet hatte, gab seiner Tochter den Wink, daß, da nun bald der tabelnoi prasznick einfiele, sie auf ihren Brautschmuck denken sollte. So sehr ich auch Gretchens Hochzeit empfahl, so fand ich doch sein Gehör und gab gern nach.

Mit den lieben Ehepakten! Ich habe sie nie recht ausstehen können; indessen war ich ihnen eben so wenig als dem Brautschmuck entgegen. Nachdem sie unterschrieben und besiegelt waren, bat ich eine Abänderung, welche darin bestand, daß ich meiner künftigen Frau Gemahlin die Herrschaft abtreten wollte, in bester Form Rechtens. Zwar, fuhr ich fort, nennt Dr. Martin Luther dergleichen Männer verba anomala: allein den Herrn Dr. Martin Luther in[311] Ehren, ich trat die Herrschaft ab, und wenn ich mir ja was ausbitte, ist's, daß es nicht zu merklich sey. Ich sprach im Ernst. Tine kam nicht aus dem Lachen. Sie warf sich in meinen Arm, als ob sie mir gern huldigte. Herr v. W. und sein Waffenträger nahmen diesen Verzicht so hoch, daß sie es für das feinste Compliment erklärten, das ich meiner Braut hätte machen können. Indessen hielt Herr v. W. nach gepflogenem Rath es doch fürs beste, daß diese Abtretung nicht in Schriften verfaßt würde. Ein ehrlicher Mann hält Wort. Tine, hab' ich Wort gehalten? Ich schreibe Ja oder Nein, was du willst. Schreib Ja und Nein. Da steht's.

Zur Hochzeit hatte Herr v. W. noch einen Adjutanten gebeten. Ein Gesellschafter für Hermann, ein Märtyrer der deutschen Sprache. Dieser Ehrenmann hatte als Privatsecretär gedient, und sein Unglück gemacht, weil er durchaus nicht Herr Capitän, sondern Hauptmann schreiben wollen. Wahrlich, darum verdient er zur Hochzeit gebeten zu werden!

Diese Märtyrer-Geschichte brachte den Herrn v. W. geradeswegs auf das Wort Herr, womit er so ganz wegen der zwei erren nicht zufrieden schien; da ich ihm aber erwiederte, daß ein deutscher Herr und französischer Monsieur zwei sehr unterschiedene Leute wären, so gab er nach. Ein deutscher Herr ist ein Herr mit einem Zähnezusammenbiß.

Mein guter Gotthard brachte einen Hochzeitgast mit, auf den niemand gerechnet hatte; er commandirte sein Corps, und war ein so toller Hund, wie er ihn nannte, daß nichts drüber war. – Stolz, barsch. – Zum Glück bekam dieser Barsche einen Auftrag und konnte nicht bleiben, so daß seine Gastrolle eben nicht stark war. – Vielleicht dien' ich vielen meiner Leser, die solch ein curisches Original in meinem Buche gesucht und nicht gefunden.[312] Der Commandeur ließ schießen, wenn es donnerte, nicht um die Dünste zu zertheilen. Ein Herr begrüßt den andern, sagte er.

Den lieben Gott hat er förmlich zu Gevatter gebeten. Der Pastor loci mußte ihm einen Insinuationsschein ausstellen, und den lieben Gott wirklich als Taufzeugen aufführen.

Seinen Hund machte er zum Wacker! Die Bauern mußten den Hut vor ihm abziehen.

Bei der Taufe seiner Kinder mußte der Pastor fragen: Wollen Ew. Hochwohlgeboren getauft werden? und beim Abendmahl: Befehlen Ew. Hochwohlgeboren auch vom andern? Seine Beichte fing an: Ich von Gottes Gnaden, Erbherr auf – – – diesen Augenblick vor Gott allein, nicht aber vor dem Pastor, ein armer Sünder!

Ich glaube, meine Leser werden es gerne sehen, daß dieser tolle Curländer abgerufen worden. Wie Oel und Wasser paßt' er zu uns allen, am wenigsten aber zum armen Herrn v. W., der wohl lieber ein Waldhorn vor den Willen genommen hätte, wenn ihm die Wahl wäre überlassen worden.

Bruder! wie kommst du zu dem Menschen? – Es sind deren etliche unter meinem Regiment; der ehrlichste Kerl, den du denken kannst! – Den lieben Gott zu Gevatter zu bitten? Sieh, Bruder! Er hat nicht viel, und will sich doch zeigen! – Der Herr Gevatter verzehrte einen Wildbraten, zwei Bouteillen Franzwein und eine Ungarisch, gab uns allen die Hand und zog seine Straße, fröhlich, wie es schien. Starke, gesunde Kinder! sagte er zu mir. Ich: Eine glückliche Reise!

Gottlob, daß ich in Liefland wohne! So etwas war mir in Curland noch nicht vorgekommen, obgleich kein Zug unrichtig, nicht einmal verstellt ist. – Alles wie es war! Herr v. W. kannte ihn, wie er sagte, par renommée, bemerkte indessen, daß er dergleichen Schlag Menschen vor den Tod nicht ausstehen könnte! Ich[313] auch nicht so ganz, sagte Junker Gotthard. Was muß man aber nicht, um Frieden zu haben? Nur daß ich ihn mitgebracht, hält dir den Herrn v. K. und seine Spießgesellen zehn Meilen vom Leibe. – Wie kann ihm aber, fragt' ich, der Pastor einen Empfangschein geben? Ei müssen! Bruder! du glaubst nicht, wie viel Pastors es gibt, die sich hier mit dem Edelmann messen wollen. Solch ein Empfangschein schadet ihnen nicht!

Herr v. W. war gezwungen, dem Junker Gotthard für dieses Meteor den verbundensten Dank zu sagen; indessen dankt' er ihm noch weit mehr dafür, daß er die Hochzeit von diesem feuerspeienden Drachen auch wieder befreit hätte. Er ist nüchtern so unausstehlich nicht, als wenn er was im Krönchen hat, sagte Junker Gotthard, und hätten Sie ihn durchaus nicht länger haben wollen, ich würd' ihn schon zum Aufbruch gebracht haben, ohne daß er abgerufen wäre. Einigen gelingt's in Curland, ohne dergleichen Helfershelfern, sich die Landplagen der Krippenritter vom Halse zu halten; indessen hat sich mein Vater doch fünfmal schießen müssen – und Ihnen, Herr v. W., kostet es gewiß manches Compliment. – Ich liebe nicht, mich herum zu schießen; warum sollt' ich's, so lang ich so abkommen kann? Dieser Gottes-Gevatter ist arm, hat eine mäßige Pension von mir und von meinen Brüdern meines Gleichen, die sich nicht schießen mögen. Ein alter Edelmann ist er, und sein Vermögen hat er mit guten Kerls aufgegessen und aufgetrunken.

Den Tag vor der Hochzeit war ein erschreckliches Regenwetter. Man konnte sagen, die Fenster des Himmels thäten sich auf. Dieß brachte dem Herrn v. W. keine kleine Sorge zuwege. Er hatte durchaus schönes Wetter auf die Hochzeit invitirt, und mancherlei Vergnügungen gar darnach eingerichtet. Die ganze Nacht an keinen Stern, der Aufklärung verkündigte, zu denken! Den Morgen klärte es sich auf, und wir hatten einen so heitern, einen so schönen Tag,[314] daß Herr v. W. diesen Umstand zum heutigen Feste verzeichnete. Er war es werth, daß er zum Protokoll genommen ward.

Unter vielen Ceremonien nur einige:

Die Trauung war in eine Rede eingeschaltet, welche der Pastor der Gegend über die Worte hielt!

Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird es wohl machen! zu reden aus dem fünften Vers des sieben und dreißigsten Psalms Königs und Propheten Davids.

Wahrlich kein Gedanke, der auch nur eine Pflanzengröße übertraf; indessen traf so mancher mein Herz.

Meine Tine gab mir mitten unter der Rede bei einer Stelle, die ihr auffiel, die Hand, und obgleich ihr Herr Vater diesen Vorfall so übel vermerkte, daß er uns gern aus einandergeschlagen hätte, so blieb es doch bei diesem Hand in Hand, bis wir sie von Trauungs wegen aus einander nahmen, damit sie der Herr Pastor zusammenlegen, und: was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden, darüber sagen konnte.

Wie solch eine Kleinigkeit, zum wahren Beweise, daß die Natur über die Kunst geht, bis ins Innerste dringt!

Nach der Trauung warf sich Tine in meine Arme. Dein! sagte sie, ohne daß wir ein Du verabredet hatten, und von Stund an war es du und du, dem Herrn v. W. nicht zur kleinen Aergerniß, der dieses auch unter Eheleuten nicht so leicht erlaubte. – Wir brachten ihm anderswo ein, was hier drauf ging.

Keine von allen diesen Ceremonien rührte mich mehr als die Wallfahrt, die der Herr v. W. in Begleitung unserer und einiger ausgesuchten Hochzeitgäste, wozu auch Hermann und der Herr Hauptmann gehörten, anstellte.

Er allein mit einem Theeschälchen in der Hand, das mit grünen Blättern bedeckt war. Es ward so feierlich getragen, und[315] die ganze Ceremonie sah fast so aus, als wie meine Mutter und ich den Eierheiligen verewigten.

In der Opferschaale lagen zwei Pomeranzenkörner, die er mit einer großen Feierlichkeit zur Hand nahm und in zwei dazu schon gemachte Töpfe setzte. – Seyd fruchtbar, sagte er, und mehret euch! Jedem, meiner Tine sowohl, als mir, ward ein Glas Wasser gegeben, womit wir diese eingeackerten Pomeranzenkörner begossen. – Gott, sagte er, gebe das Gedeihen! – Er hatte überhaupt die Gewohnheit, die Körner von Pomeranzen und Citronen, die er zu Papst, Kardinal, Bischof und Punsch an festlichen Tagen verbraucht hatte, zum Andenken des festlichen Tages zu pflanzen. So hatte seine ganze curische Orangerie festliche Geburtstage. Er glaubte der Frucht dadurch ein Andenken zu stiften und ihr eine Art von Erkenntlichkeit zu beweisen. Mein Vater dachte in Absicht der Pomeranzen- und Citronenkörner anders. Dafür war er ein Kernmann, Herr v. W. aber ein Blättermann.

Bei Tafel war Herr v. W. der gefälligste Wirth, den man sich nur denken kann.

Er fing eine Unterredung an, oder brach sie schnell ab, je nachdem es Zeit und Gelegenheit wollten.

Den guten Pastor, der heute alles wohlgemacht hatte, brachte er in die Enge, indem Herr v. W. den undeutschen Anfang des Vater unsers auf die Rechnung der Höflichkeit schrieb. Das Substantivum sollte überhaupt vor dem Adjectiv zu stehen kommen.

Eine Unterredung fiel mir sehr auf, die Herr v. W. so recht aus dem Innersten seines Herzens geschöpft zu haben anschien. Grobe Leute, sagte er, sind glücklicher, als die Höflichen. Vor Groben fürchtet sich jedermann. Man freut sich, wenn sie ein Lächeln wo leuchten lassen. – Ich habe Leute gekannt, die sich durch Grobheit als Gelehrte, als Herzhafte, als – – alles was man will, ins Geschrei gebracht. Indessen ist erspartes Geld,[316] fügte Herr v. W. wohlbedächtig hinzu, besser, als erworbenes, und kommt ein harter Stein zum andern, so steht der hinterste im Genitiv. Die selige Mutter meines Herrn Schwiegersohns würde gesagt haben: zwei harte Steine mahlen selten reine.

Unser Jupiter, unser Gottes-Gevatter hätte sich, wie mich dünkt, bloß bei dieser Unterredung erholt, alles andere wären Schaubrode für ihn gewesen, bei denen er nun freilich weit dreister, wie David, zu Werke gegangen. Selbst aber diese Dreistigkeit, würde sie nicht allen, die zu Tische saßen, unerträglich gewesen seyn? Der geschickteste Mann, sagte Junker Peter, um grob und fein zu seyn, bei den besten Kohlen und recht gesunden Funken: fehlt ihm Wind, das heißt, eine gewisse Art – Gefälligkeit, Gelindigkeit – er wird in der Geburt ersticken. – Gewünscht hätte ich, daß den Junker Peter ein Maler gesehen hätte, wie seine Herzhaftigkeit in der Geburt erstickte, da der Commandeur an ihn kam, um ihm die Hand zu reichen, die er uns allen beim Abschiede reichte. Jupiter ließ es dabei nicht, sondern drohte ihm mit den Vorderfingern der rechten Hand. Im Spaß, versteht sich. Wie fuhr aber Junker Peter im Ernst zusammen!

Meine Leser werden ohne meinen Fingerzeig bemerken, daß ich dem Herrn v. W. bei der Tafel das Heft in Händen ließ. Sein Refrain war, daß Festlichkeit die Freude leite und führe auf ebner Bahn, so wie sie auch die Betrübniß in Schranken setze! Wahrlich, ein theures werthes Wort!

Ich hatte mit Tinen Herzensangelegenheiten, die über alles gingen. Wir sprachen von unserer Trauung, von der wir alle beide nicht sonderlich erbaut waren. Ich freue mich, sagte ich, liebe Tine, daß sie pompreicher und weniger herzlich ablief, als Gretchens – Schwerlich würde ich sie sonst ausgehalten haben.

Tine hatte, wie sie sagte, eine Bitte über alle Bitten an mich – und diese war, daß ich sie nicht mehr Albertine, sondern[317] Mine nennen sollte! – O Tine! das ist mehr als die ganze Trauung. Es war mit mir geschehen! – Diese Firmelung brachte mein ganzes Herz aus seiner Fassung. Mine! sagte ich, und drückte sie an öffentlicher Tafel so fest an mein Herz, daß Herr v. W. aufschrie, und mitten in der Höflichkeit sich hart verging. Er faßte sich, und hätte eben so laut um Vergebung gebeten, als er aufgeschrieen, wenn ich die Sache weiter treiben wollen. – Sie selbst, als ob sie nun nichts weiter nach der priesterlichen Einsegnung zu fürchten hätte, sprach ohne Ende von Minen. Nun war die Zunge völlig gelöst. Einmal hatte Tine sie gesehen. – Ich habe sie gemalt, setzte sie hinzu. Auswendig weiß ich sie. Du sollst ihr Bild sehen! – Ueber der Rüstkammer von ihren Sachen, die du ihr zum Andenken aufbewahrest, soll es hängen!

Heiß ich Mine?

Du heißest Mine!

Junker Gotthard, dem die Geschichte von meiner seligen Mine nicht verborgen geblieben, und der diesen mir ewig süßen Namen jetzt nennen hörte, warf sich, so wie er da ein Hochzeitgast war, zur Rache wider v. E. auf, die er aber wohlbedächtig durch seinen Jupiter üben lassen wollte.

Friede! sagte ich ihm, Bruder! Ich höre, fuhr er leise fort, und hielt die Serviette vor, als ob er die Frage mit der Serviette verhängen wollte; ihr duzet euch?

Mine lächelte und Junker Gotthard konnte nicht umhin, ihr überm Tisch die Hand zu reichen, und ein Glas Wein darüber umzustürzen. – Nicht das Glas, sondern die Handgabe war ein Greuel in den Augen des Herrn v. W., der aber nicht einmal aufschrie wie oben, da ich Minen an mein Herz nahm. – Wie gütig!

Ich darf es wohl nicht bemerken, daß, außer dem wohlgemachten Pastor, wenig Leute da wären, die einen Begriff vom[318] Zusammenhange in Gesellschaft hatten. Herr v. G. der Selige! was meinen meine Leser, war er nicht geboren, in eine Gesellschaft Geist und Ordnung zu bringen, – und selbst Waldhörnern den Kammerton beizulegen? Ich wette, Jupiter wäre unter seinem Vorsitz ein angenehmer Gesellschafter worden, und behaupte, daß in der Conversation, da wir auf seinem Gute waren, so viel Einheit, so viel Stimmung liege, daß es ein Concert heißen könnte, wenn der Kunstrichter es so erlauben will.

Wahrheiten, die jeder sieht und hört, wer kann sie aushalten? Es regnet, es hat geregnet, es wird regnen! – Wer einen Garten anlegt, muß für Schatten sorgen. Wagen gewinnt, wagen verliert. Wenn ich gehe, komm' ich weiter. Solcher Augenscheinlichkeiten drängten sich in schwerer Menge zum Vorschein; wer kann aber daran Theil nehmen? Wer über Einfälle der nämlichen Art lachen? Ist's Wunder, daß sich unsere Redner geflissentlich bemühen, den gemeinsten Hut nach der Mode zu stutzen? So wasserklar waren auch die Hochzeittischreden, und das Gedicht, welches Minens gewesener Informator zusammengewürfelt hatte. Das Gedicht lief allen an Wasserklarheit den Rang ab. Ein Reim nahm die Erklärung des andern über sich. – Wie Herr und Knecht war einer gegen den andern.

Ein alter Edelmann unterschied sich durch den Brauch, nach Noten zu gähnen, und hielt dabei ordentlich Melodie. Anfänglich fiel uns diese Musikneigung auf; indessen nahm Herr v. W. in eigener Person seine Vertheidigung über, und Hermann, der nur auf dieß Kommando gewartet hatte, behauptete, daß das Gähnen die Erfindung der Cadenzen wäre, die doch heutzutage so trefflich beklatscht würden. Man bewunderte sogar die Euphonie unseres Gähnenden. Versteht sich, daß er sich desto öfter sehen und hören ließ. – Herr v. W. hätte seinen so freigebigen Beifall, sobald unser Edelmann es zur förmlichen Tafelmusik anlegte, gar zu[319] gern widerrufen; wie konnte sich aber Herr v. W. widersprechen? Freilich war er sonst die leibhafte Katachresis, eine Figur in der andern. Er war ein Trauerfröhlicher. Die Figur ließ sich indessen nicht bei dem vorliegenden Fall anbringen.

Auf der Hochzeit zu Cana in Galiläa gebrach es an Wein; hier gebrach es an mehr! An etwas, das kein Wein geben kann; wenn gleich tausendmal jenes paulinische Recept: Trinke ein wenig Weins, deines schwachen Magens halber, in Ausübung gebracht wird.

Darf ich noch bemerken, daß es bei der Mahlzeit, in so weit es überhaupt das Departement der Martha betraf, das sich Herr v. W. in hoher Person zugeeignet, nicht fehlte an irgend einem Guten? – Wohl aber war von allem etwas drüber; ein Compliment stach überall durch! – Ist das nicht etwas drüber?

Der Cadenzgähner brachte, wiewohl in unmaßgeblichem Vorschlag, Hamburger Pulver zum Desert; indessen fand er keinen Beifall. Herr v. W. selbst meinte, das würde heißen: Zum Bußtage gratuliren.

Unter einem Märtyrer stellt man sich einen thätigen, hervorragenden Mann vor, der einen Kopf zu viel hat, oder der einen Kopf größer wie der Hause ist. Was aber den unsrigen betrifft, so war er so leidend wie möglich. Wo studirt, Herr Hauptmann?

In Königsberg.

Auch ein Collegium über den deutschen Styl?

Beim Professor – – gehört.

Das dachte ich wohl! beim Professor, Feldherr anstatt General.

Ein Märtyrer also vom Hörensagen.

Beide, Hermann und unser Hauptmann, saßen an einem kleinen Tische, der an unsere Tafel grenzte. Ich hätte sie zur Tafel gezogen, auch meine Mine hätte es, wenn es auf uns angekommen wäre.[320]

Wegen einer aus dem Alter genommenen und auf curischen Grund und Boden verpflanzten Geschichte wäre der Herr Pastor, der sonst alles wohl machte, bei einem Haar übel angekommen. Auf die schriftliche Anfrage: wie viel jährlich für einen einzigen Junker? hätte ein Hofmeister, nach der Erzählung des Herrn Pastors, hundert Thaler Alb. gefordert. Wir werden nicht Handelsleute, erwiederte der Edelmann, dafür halte ich meinem Sohne zeitlebens zwei deutsche Bediente, und da hat er Verstand und Dienst obenein. Facit, erwiederte der Hofmeister, drei Schlingel. – Dieß unschickliche Wort, welches eben, weil ein Junker mit darin begriffen war, desto härter auffiel, brachte alles in Bewegung, obgleich es nicht auf die Rechnung des Pastors, sondern des Hofmeisters gehörte. Wenn nicht Hermann die Sache ins Geleise gebracht, wer weiß, ob nicht selbst der Cadanzmacher aus der Weise gekommen wäre. Richtig, sagte Hermann, und der Cavalier beschloß: Eins zu drei thut vier. Schriftlich oder mündlich? fragte ein anderer. Schriftlich, erwiederte der Pastor; der Hofmeister war noch zur Zeit in Preußen. Das war dem Schlingel zu rathen. Ich dächte, der Pastor hätte die Geschichte weglassen und der Märtyrer hätte Capitän statt Hauptmann schreiben sollen!

Noch hatte der gute Herr v. W. zwei Reden auf dem Herzen.

Die Begleitungsrede ins Schlafgemach und die Strohkranzrede! Und wo war bei so vieler Verwirrung Zeit, auf diese Arbeiten zu denken – und sie anzuordnen?

Solche zehn Reden, wenn sie auch alle zehn so geglückt wären, als die beim Schlafengehen verunglückte, waren nicht den Segen werth, den unsere gute Mutter auf ihre Tochter legte. Sie verließ uns mit dem Leichentext meiner Mutter: Selig sind die reines Herzens sind, denn sie wer den Gott schauen!

Mehr, dünkt mich, war nicht nöthig anzuführen, als daß diese[321] Schlaftrunksrede verunglückt sey, um zugleich zu bemerken, daß Herr v. W. sie selbst übernommen!

Die Strohkranzrede ausgenommen, fiel nichts vor unserer Heimführung vor, was bemerkungswürdig gewesen wäre.

Ob nun Herr v. W. wieder befürchtet, daß er seinen Mund an einen Stein stoßen würde, oder ob er in Erwägung gezogen, daß eine Strohkranzrede sich für keinen Vater schickt, wenn gleich dieser Vater zum Complimentiren oder zum Redehalten (das ist sich wohl nicht viel aus dem Wege) geboren ist, weiß ich nicht. Dieses Geschäft war indessen einem jungen Edelmann übertragen, dem der Hermann soufflirte!

Zu Hermanns Ehre ein Wort: er weinte ungesehen, da ich mit Minen zu Bette ging – ungesehen!

Und warum war die Frau v. G. nicht bei der Hochzeit?

Ich bat die gute Seele der Frau v. W., außer dem Gewöhnlichen, noch ein Wort des Vertrauens an sie zu senden, ihres Seligen und Bruder Gotthards wegen. Warum kam sie dieses Worts des Vertrauens unerachtet nicht? Weil mein adliches Blut durch das poetische Blut meiner Mutter Schaden gelitten, und weil meines Vaters Adel dadurch, daß er die Kanzel bestiegen, einen unauslöschlichen Fettfleck erhalten. – Junker Gotthard! Deine Mutter, warum? – – Wäre sie meine Mutter nicht, würde ich mir die Freiheit nehmen, zu sagen: Warum? – Guter Junge!

Herr v. W. und Frau v. W. geleiteten uns bis zu unserer Heimath. Besonders, daß keine Thräne bei allen diesen Abschieden vorfiel. Junker Peter blieb zu Hause; er hatte sich zu einem Abschiede vorbereitet, der zu lang war, um nur herzlich zu scheinen.

Ohne Umstände, Peter!

Darf ich –

Sie sind der Bruder meines Weibes, wollen Sie auch mein Bruder seyn?[322]

Ernst?

Wahrer!

Können Sie vergeben?

Was denn?

Vergessen ist mehr als vergeben! Bruder!

Junker Gotthard gab meinem Weibe und mir die Hände. Jedes von uns erhielt eine. Wir küßten ihn beide. Desto besser, sagt' er. Gott lass' es euch wohlgehen! Meine Trine wird mir die ersten vierzehn Tage kein Leckerbissen seyn, da ich euch gesehen!

Er gab uns sein Ehrenwort, uns alle Jahr' einmal zu besuchen. Sind Jagden in – –? – Versteht sich! – Lebt wohl!

Auch du, guter Gotthard! ich liebe dich herzlich!

Ich halte, was ich versprochen, sagte Gotthard zum Bruder Peter, der sich verbindlichst verbeugte. – Noch wollte Peter mit Gottharden in der Stille sprechen. Es bleibt! schrie ihm Gotthard zu.

Ehemann also? der Mann eines Weibes, das mich liebt, und das ich wieder liebe! – Komm, liebes Weib! Tine! Mine genannt, komm! schreib selbst – damit meine Leser wissen, was an dir ist.

Was soll ich schreiben?

Von der Zeit an, da ich ins Wasser fiel, bis diesen Augenblick.

Ich liebte meinen Mann von dem Augenblick, da die Rett's und die Wo's vorfielen, ohne daß ich wußte, was Liebe sey. Meine Liebe äußerte sich durch meinen Hang, von ihm ohne Aufhören zu reden. Alle meine Kinderfragen auf die Manier, wie: Sehen Sie doch, Gnädige! wie hoch der Baum ist; der Babylonische Thurm war wohl weit höher?

Meine liebe Mutter ward nicht müde, mir Mutterantworten zu geben. Ich weiß den Tag noch, da ich nicht mehr über ihn[323] kinderfragte, und von dieser Zeit an verwandelte er sich in ein Ideal, das mit mir ging und kam, und aß und trank, das mich zuweilen froh machte, wenn ich glaubte, ich könnte sein werden, und zuweilen betrübte, wenn es mir einfiel: und wenn dieß Ideal ein ander Ideal hätte? Dieß Ideal verdrängte meinen Alexander, und doch war es mein Alexander, als wenn er gesessen hätte.

Minens Andenken war mir nicht im mindesten im Wege. Nie kam der Gedanken in meine Seele: Ihr Tod ist dein Leben. Ihr Alexander war nicht der meinige. Der ihrige war da; der meinige war ein Seelenalexander! – Es war alles, ich weiß nicht wie. Ich hätte einen andern, der diesem Bilde nicht ähnlich war, heirathen können; allein aus blindem Gehorsam gegen meine Eltern. Ein dergleichen Isaaksopfertag erschien, und ein Engel brachte mir den zu, den ich liebe und lieben werde bis in den Tod! Wenn ich jetzt an meine Hirngespinnstperiode zurückdenke, kommt es mir vor, ein Mädchen, das über fünfzehn ist, könne nur zweierlei, entweder ein solch Ideal haben, oder – sich lieben lassen und sich verlieben, wie das arme Lorchen, derentwegen ich diesen meinen Namen in Tine verwandelte, der jetzt in Mine verändert ist. – Es thut mir recht leid um den Namen Lorchen, den ich verlor; Tine hab ich gern verloren.

Es ist eine ganz andere Liebe vor, und eine ganz andere nach der Hochzeit. Bei dieser ist mehr Seyn, bei jener mehr Schein, wie der Drosselpastor sich erklären würde, den mein Alexander bei seinem Heimzug nicht gesprochen hat. – Was mir das leid thut!

Von dem Augenblick, da ich den Namen Mine erhielt, und ich meinen Alexander du nannte, trat die Vesper ein, das

Nach der Hochzeit – –

Ich bin ein so glückliches Weib, als man es in einer Welt seyn kann, die ein Sonnabend ist, und auf die der Sonntag folgt. Meine selige Mutter (das Schwieger kann ich nicht schreiben, es[324] ist nicht kalt, nicht warm) war nicht allein ein Sonnabend. Alles in der Welt ist es! Alles! Unsere Liebe selbst, das vollständigste was ich kenne, ein Sonnabend! – Wollt ihr mehr von unserm Eheleben?

Was ich mir nur merken lasse, thut mein Alexander. Fast aber sollte ich denken, seiner Herrschaftsabtretung unerachtet würd' er nicht thun. was ich will. Wie kann ein Weib wollen?

Unsere Trauungseinsegnung wäre freilich anders ausgefallen, wenn sie der Pastor aus L. übernommen. Wie sie mir aber noch lebhaft sind die Worte (alle Fragen haben was Feierliches für mich): Wollen Sie mit diesem Manne ziehen, Glück und Unglück mit ihm theilen, und sich nicht eher von ihm trennen, als bis ein, Gott geb! seliger Tod Sie scheidet? – Mein Vater hatte mir Ja vorpräludirt; allein mein Herz hielt so wenig Melodie, daß ich laut Ja sagte, und so laut, so herzlich sag' ich es noch jetzo, bis der Tod uns scheidet. Ja, ja! Amen, Amen! Hörst du, Alexander? Ja!

Mein Mann kann mir keinen größern Beweis von seiner Liebe geben, als daß er mir eine Aehnlichkeit mit Minen zuschreibt. Zwar hab' ich sie nur ein einzigesmal in ihrem kummervollen Leben zu sehen das Glück gehabt, so wie auch vor diesem die frömmsten Leute nicht alle Tage Engel sahen; allein auch dieß einemal macht sie mir auf ewig wie gegenwärtig. Da steht sie! Auch dort werd' ich sie gleich kennen.

Sie hängt in unserm Hause nicht bloß über den Kleinigkeiten, die sich mein Mann zum Andenken erkoren: überall hängt sie in Oel, in Pastell und Silhouetten ohn' Ende. – Sie lebt und schwebt mir vor Augen. Dank lieber Schutzgeist! daß du mir sie präsentirt hast, da ich mich auf die paar Züge nicht besinnen konnte! – Jetzt darf ich dich nicht mehr beschweren.

Mein Alexander ist sehr geradezu. – Meine Mutter liebt[325] ihn wie eine Mutter ihren Sohn. Mein Bruder fängt sich so sehr nach ihm zu bilden an, als es einem äußerst verdorbenen Menschen nur immer möglich ist. – Mein Vater selbst ist mit diesem Geradezu so zufrieden, als ich es nie gedacht habe. Aeußerst zufrieden mit meinem Manne, behauptete er jüngst, daß ein gewisses edles Geradezu die allerfeinste Höflichkeit wäre. Aufs Einkleiden kommt's an, setzte er hinzu, und eben das Einkleiden scheint meines Alexanders Sache eben nicht zu seyn. Mein Vater fängt mehr an über die Höflichkeit und Festlichkeit zu speculiren, als sie zu üben. Ganz wird er diesen Schmuck nicht ablegen, und warum sollt' er? Mein Mann steigt nicht zu Dache. Sein Geradezu ist ein edles Geradezu.

Die Liebe ist kühn und schüchtern im Großen und im Kleinen. – Mein Vater will nicht leiden, daß ich meinem Alexander unters Kinn greife. – Warum nicht, lieber Vater? Ein Eheweib darf nichts Entehrendes finden, als ein Schelmstück, und da sey Gott vor! – – Wahrlich eine gewisse unzeitige Scham hat unser Geschlecht unter dem Vorwande es zu heben, so heruntergebracht, daß die wenigsten wissen, was sie thun.

Dem guten Vater fällt oft was auf die Nerven, was andere keinen Augenblick anhält.

Ehrenthalber, sagt mein Mann, ist der unausstehlichste Ausdruck, den ich kenne, und beim Kratzfuß des alten Herrn pflegt er zu sagen: Warum verstellst du deine Geberde?

Der alte Herr ist, so oft er kommt, ein mir sehr lieber Gast! Was mir das leid thut, daß er am Hochzeittage am kleinen Tische aß! So oft er kommt, muß er mir: Ich hab' mein Sach' Gott heimgestellt etc. spielen, und da sing' ich es dann so herzlich, daß ich ihn noch jedesmal weinen gesehen! Auch ich weine. Es ist ein Regenlied.

Mein Mann beschuldigt mich, daß ich zu spitzig bin. Noch[326] hab' ich keinem als mir selbst mit einer Nadel Schaden gethan! Wie Alexander da lacht! Sollt' ich wieder wo zu nadelspitz gewesen seyn? – Fürs Lachen eine Klage!

Mir ist äußerst schwül zu Muthe, wenn ich die Zimmer kehren und aufputzen lasse! Freilich sagt mein Mann kein Wort darüber; allein wenn sein Blick diese meine Thaten bestreicht, ist nur's so, als sage er etwas. Seine Schreibstube wird fast gar nicht geläutert. Weiß der Himmel, es ist wenig Staub drin, aller der Bücher unerachtet, von denen sich manche recht nach Staub zu sehnen scheinen, – wie er selbst sagt.

Ehegestern sah er sehr steif an einen Ort und war so tief in Gedanken als man in keinen Schlaf sinken kann. Da hab' ich dich gesehen, sagte Alexander, wie du einst alt und wohlbetagt seyn wirst! – Recht so! Sobald die Mienen, wenn man so sagen soll, ohne steife Wüste zusammenfallen, sieht man alle die Ansätze zu Runzeln, die man einst haben wird, wenn keine Ermunterung, keine Aufraffung diese Linien, diese Falten mehr zu verlöschen im Stande ist.

Mein Mann ißt stark, lauter natürliche Speisen, trinkt wenig Wein, allein immer aus der Quelle! – Ich lege vor – er gießt ein! – Alles was bei Tische nur gebraut und angerichtet werden kann, wird öffentlich gebraut und angerichtet. Er macht Punsch und Bischof, ich Salat – oft ein Ragout aus freier Faust. – Man gewinnt viel, sagt mein Mann, wenn man was werden sieht! Ich glaube selbst. Was muß es dem lieben Gott nicht angenehm gewesen seyn, so alles entstehen zu sehen! – Ich will schon gern nicht nach den Sternen sehen können, aber Gras und Bäume wachsen möcht' ich gern sehen! – Wer kann es beschleichen!

Noch einen Beweis der zärtlichsten Liebe meines Alexanders! Mein Leopold hat viel Züge von mir. Er küßt mich in ihm![327] O! das sind Küsse, sagt er selbst, wenn man sein Weib in seinem Sohne küssen kann! Sage noch einmal, das sind Küsse! Ich fühle jeden, den du deinem Sohne gibst!

Wie sehr hab' ich mich gescheut, einen Vorfall anzuzeigen, welcher der wichtigste meines Lebens ist; kein Wunder, daß ich ihn bis auf die letzt gespart!

Ich bin die Mutter nur von einem einzigen Sohne, Alexander Leopold genannt. Er heißt im gemeinen Leben Leopold, weil mein Mann da Alexander heißt. Dieß waren meine ersten und letzten Wochen.

Nach einem der vergnügtesten Jahre empfand ich alle Bitterkeiten des Ehestandes und den Fluch, der auf unsere Allmutter Eva gelegt ward: Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären. – Verzeiht den Seufzer, den ich tief hole! und diese Thränen, die auf dieses Blatt fallen. – Mein Mann konnte die Scene nicht aushalten. Er ging davon, da er sie nur anfangen sah. In meiner Sterbensnoth ging er nicht davon! – Nun bin ich allein! – Vielleicht dreister! Es kam bei der Geburt meines Einzigen auf die Frage an, ob das Kind oder ich geopfert werden sollte. Mein Mann sollte entscheiden, der Arzt und die Hebamme setzten es darauf aus. Mein Gott, was für Vorfällen kann der Mensch ausgesetzt werden! Führ' uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von allem Uebel! Gott, unser Vater – Ich kann nicht weiter.

Nach einem sehr harten Kampfe blieben zwar Mutter und Kind, ich und Leopold leben, allein weh mir! – Ich kann nicht mehr Mutter werden!


* * *


Ich habe geendigt in dieser Welt! – Ich bin in ein Kloster gegangen. Als Kloster in ein sehr glückliches! Mein[328] Mann liebt mich wie seine Freundin. Mein Leopold, der Lohn meines Kampfes, ist der beste Junge, der in der ganzen Welt ist. – Was will ich mehr?


Einen guten Kampf hab' ich

auf der Welt gekämpfet –

– – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – –

daß ich meinen Lebenslauf

seliglich vollendet,

und mein arme Seel' hinauf

Gott dem Herrn gesendet.


* * *


Daß ich meiner seligen Mutter nicht völlig im Gesang gleich komme, ergibt sich, dünkt mich, aus meiner Erzählung. Wenn ich aber in meiner Lage ein Lied anstimme, wo mein Mann, seinem Vater gleich, im zweiten Diskant einfällt, wie wohl ist mir!

Ich bin der Welt im eigentlichsten Sinn abgestorben! und finde in der Hoffnung der künftigen Welt so viel Trost, daß es wohl der Mühe lohnt, hier nicht ganz glücklich zu seyn! – Ich wollte um wie vieles nicht mein Theil in diesem Leben haben, um wie vieles nicht! – Wie du willst, Herr, wie du willst, schick' es mit mir! – Wahrlich, wir sind zur Hoffnung geboren. Mit dem Genuß will es nicht recht fort. – Ich weiß nicht, ich kann keinen Menschen so recht ausstehen, der es sich geflissentlich angelegen seyn läßt zu genießen, dem man es anmerkt, daß es ihm so recht schmeckt!

Man sagt, daß es die Wehemutter bei meiner Niederkunft versehen haben soll. Ich verzeih es ihr herzlich – herzlich. – Gott tröste sie! Sie ist nach der Zeit öfters tiefsinnig – Mein Mann und ich, das weiß Gott, haben nichts dazu beigetragen,[329] daß sie tiefsinnig worden. Gott tröste sie und alle, die dieß lesen, bei ihren Leiden mit dem Troste des bessern Lebens, das Gott geben wird denen, die ihn lieben!

Tine, genannt Mine.


Damit ich dich ablöse. Mine ist eine Dichterin. Hier ist eine Probe von ihr, die sie nicht lange nach unserer Heirath lieferte. Man wird noch immer das Fräulein Lorchen drin finden, das spitzige Mädchen! obgleich sie es nicht haben will, und öffentlich behauptet, sie hätte noch keinem andern, als sich selbst, mit der Nadel Schaden gethan. Aus Lorchen ist Tine, und aus Tinen ist Mine worden! – Dieß ist die letzte Verwandlung, bis der Tod sie und mich verwandeln wird, und das Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit. – Wär' es doch auf Einen Tag, auf Eine Stunde!


* * *


Komm, mein Geliebter, hier ans Kamin, damit ich den Unterschied desto mehr empfinde, in deinem warmen Arm zu seyn und mich am Kaminfeuer zu wärmen. Welch ein Abstand zwischen Feuer und Feuer! gemein und Opferbrand! Deine Hand, deine beiden Hände, in allem schlägt ein Schlag der Liebe, und wenn du deine Hand in meine legst, ist's so, als würden unsere Nerven in einander gestrickt, unsere Adern zusammengebunden! Wir sind eins! Wie fremde es klingt, Er und Sie! Mine und Alexander! du und ich! Zwei Du's sind wir, zwei Ich's. Außer dir ist nichts und außer mir ist nichts!

Welch ein Schauder! Noch einer! Was seh' ich! Sieh Geliebter! an die Fensterscheibe, vor deinen sichtlichen Augen, malt sich ein Vergißmeinnicht! Sieh! Sieh! im Zuge M und A! Fühlst du es so, wie ich! Mine war's, der Engel Mine! der es malt! Mine, die mich an dich in der Welt abtrat, die dich im Himmel wieder fordern wird. Das war nicht die Hand der Natur,[330] die diese Züge herausspielte. Dieses M und A im weißen Damast! Genäht ist's nicht. – Da ist kein Stich zu kennen! – Wie schön, himmlisch schön! wo auch kein Stich zu kennen ist! – O Geliebter, verzeih diesen Seufzer! Wenn ich dich im Himmel zu verlieren denke, wie ist mir! der Himmel und Verlust! – Wen willst du wählen? wen? O der zwei Sieen! Sie oder mich? Mich oder Sie? – Mine, die immer ein Engel war, oder Mine, die Fleisch und Bein hatte, und die werden wird, was Mine immer war! Engel Mine! Ist's möglich, schreibt's bei hellem Mondschein ans Fenster, wenn mich ein Herzbeben ergreift, das mir das Naheseyn eines Geistes verkündigt. Du oder ich? – Verzeih, Himmlische! diese Erdenfrage! Großmüthige, verzeih! – Du bist mein Geliebter! – du bleibst mein Geliebter! – Mine, die Göttliche, wie sie mich dir läßt! – Komm in meinen Arm, komm ans Kaminfeuer! Wir sind Ein Herz und Eine Seele, wir sind Eins für Himmel und Erde! – Höre, wie das Feuer im Kamin in Jubel ausbricht! Das ist kein gemeines Geprassel! – Und auch jene sanftere Stimme, wie harmonisch! – Kohlen vom Heiligthum geben dem stummen Wasser Leben und Sprache. So kocht kein schlechtes Wasser, wie dieß da, das sich mit dem Geprassel des Kaminbrandes in Melodie setzt, – das sich vordrängt, um gehört zu werden. Alles spricht: Du und Ich! Wir beide Du's, wir beide Ich' s! Großmüthiger Engel Mine! – Unaussprechliche Himmlische! – Wenn ich ein Engel werde, wie du es immer warst, will ich dir danken!


* * *


Tine, genannt Mine, ist äußerst fromm! – Sie betet alle Abend, so wie sie es in ihres Vaters Hause zu thun gewohnt war. – Selbst hat sie Gebete aufgesetzt, die, wenn gleich sie auch nicht Bild und Ueberschrift: Volksgebete, verdienen, doch von[331] einem Herzen zeigen, in dem Gott sein Werk angefangen hat. Er wolle es in ihr durch seinen heiligen Geist bestätigen und vollführen bis zu seinem Tage. Amen! Ich will das


Gebet für den Sonnabend


hersetzen.

Dieser Tag, in Parentheft, ist meines Weibes Liebling, so wie es der Tag meiner Mutter war; allein aus verschiedenen Ursachen. Mit mir, sagt mein liebes Weib, ists Sonnabend! – Gute Seele! – Unsere Wege sind nicht Gottes Wege. Unsere Gedanken sind nicht Gottes Gedanken. So hoch der Himmel über der Erde, so sind auch Gottes Wege höher denn unsere Wege, und Gottes Gedanken höher denn unsere Gedanken.


Am Sonnabend.


Gottlob! wieder eine Woche! Wie sie war und nun nicht mehr ist! Ich glaube, es wissen viele Leute nicht, wenn sie sterben, daß sie gelebt haben. O selige Kürze der Zeit, einziger lebendiger Trost bei allen Leiden dieser Welt! die eben deretwegen zeitlich und leicht sind, und doch schaffen sie eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare, nicht auf den Leib, sondern auf die Seele, nicht auf die Welt, sondern auf Gott, den Anfänger und Vollender, den Höchsten, so wie der Menschen Geist vielleicht der niedrigste ist. – – Es geht mit der Zeit so, wie mit allem, was gut ist. Wir schätzen es nicht eher, als bis wir es nicht mehr haben! – Nichts ist weniger habhaft zu werden, als die Zeit. Ich stelle mir vor, sie verwandelt sich in Ewigkeit, so wie wir in Engel. Wer kann alles begreifen, wie es zugeht! Ich fürchte mich nicht, wenn diese Woche auftritt und mich einst vor jenem Richterstuhl zur Rechenschaft fordert, wo wir alle werden offenbar werden, an diesem Sonnabend der Welt! Wer kann aber, Richter der Welt, wer kann vor dir bestehen, du Herzenskündiger,[332] du Gedankenkenner? Barmherzigkeit komme über mich und über alle, die sich bemühen, Barmherzigkeit zu üben und Gutes zu thun und in guten Werken zu trachten nach dem ewigen Leben!

Die Zeit vergeht, allein gute Thaten pflanzen sich fort, und ihre Geschlechter dauern bis zum Ende der Tage. – Jede gute That hat mehr als einen Sohn, hat viel Erben; und diese Kinder haben wieder Kinder. – Wer wollte nicht gut seyn, um ein Vater, eine Mutter von so guten lieben Kindern zu werden, die sich selbst erziehen?

Der Schluß der Woche kann der Anfang zur Besserung seyn. Ich gelobe und wills halten, mein Fleisch und Blut niederzuschlagen, wenn der Eigendünkel mir einbilden will, ich wäre besser, als ein anderer; wenn die Härte mir ins Ohr zischt: Verdient es auch der Arme? will ich antworten: Bei Gott gilt der gute Wille; was würde sonst aus uns allen werden? So will ich leben, damit ich einst froh sterben kann. Wann werde ich? Das weiß Gott, der Herr des Lebens! Wohl mir, daß er nicht ein Gott der Todten, sondern der Lebendigen ist! Wohl mir, daß er mir den Trieb zum Leben so tief eingepflanzt hat! Je älter wir werden, je mehr Lust zum Leben wandelt uns an. Diesen Trieb zum Leben sollte ich haben und doch sterblich seyn? Nein, wahrlich! wahrlich! Ich glaube es, nimmermehr werde ich sterben, es wird nur so scheinen, als stürbe ich! – Der liebe Gott würde sich geirrt haben, wenn er den Lebensplan in den Menschen gelegt hätte, falls der Mensch ihn auszuführen außer Stande wäre. Gott begeht keinen Irrthum! Ist der Tod nicht Ende? Wie glücklich, daß wir sterben! Erwachen wir nicht, nach einer Nacht voll Schlaf, frisch zu einem schönen Morgen? Die Nacht ist ein Bild des Todes, der Morgen ein Bild der Wiedergeburt, die uns allen bevorsteht. – Herr, lehre du mich bedenken, daß ich sterben muß, lehre es mich in jeder Dämmerung, lehre es mich am Sonnabend[333] vor allen Dingen! Mache es mit mir, wie du willst – und ist der Sonnabend meines Lebens vorhanden, helfe mir Gott, der helfen kann, wenn alle menschliche Hülfe verzweifelt! – Wenn kein Trunk mehr unsere gedorrten Lippen labt, erquicke uns der Trost der Unsterblichkeit. Wenn die Unsrigen unsern Segen fordern, und wir segnen wollen und nicht mehr können, vollende das Werk; Abba, lieber Vater! du hast mehr als Einen Segen. Laß unsere Lieben bedenken, daß wir sie alle wiederfinden werden an einem schönen Sonntage, mit Feierkleidern angethan! – Halleluja! – Vollbracht! sey unser letztes Wort, Gnade! unser letzter Seufzer.

Da denke ich eben an die, so eben jetzt, da ich um ein sanftes, seliges Ende bete, wenn mein Stündlein vorhanden ist, ihr Haupt zum Tode zurecht legen! Möchte doch ihr Sterbekissen ihnen leicht seyn! – so wie uns allen einst die Erde! Wir sind ja alle aus deinem Hause, lieber Vater! Kinder der Todesangst unseres sterbenden Bruders, unserer entschlafenen Schwester. Laß den guten Geist, der sie in dieser Welt leitete, ihre Seele geleiten zu den Wohnungen der Gerechten! – Sie sterben an einem schönen Tage! Erbarme dich ihrer und unser aller! – Kürze die Noth eines jeden, die er auch seinem Vertrautesten nicht entdeckt, der Mann nicht seinem Weibe! – Erhöre jeden Wunsch, wenn es auch dein Wunsch ist! Amen! In deine Hände befehle ich meinen Geist! Amen!


* * *


Ich habe die Gewohnheit beibehalten, daß sie alle Abend in Gegenwart der Leute betet und auch ein Lied nach dem Gebete anstimmt, das wir alle singen. Ihr gebührt die Wahl, und ich habe oft die Freude, durch diesen oder jenen Gedanken eines Liebes herzinniglich überrascht und selig erquickt zu werden. – Würde sich meine selige[334] Mutter über eine solche Tochter nicht freuen, wenn gleich sie nicht aus dem Stamme Levi ist, und ich nicht Superintendent worden! Aus dem Liede sehe ich, wie mein liebes Weib gestimmt ist:

Gestern Abend sangen wir:


Warum sollt' ich mich denn grämen?


Gott! wie sang sie den Vers:


Kann uns denn der Tod wohl tödten?

Nein! er reißt

meinen Geist

aus viel tausend Nöthen;

schließt das Thor der schweren Leiden, –

und macht Bahn

himmelan!

zu dem Sitz der Freuden.


Heute singen wir ein Loblied, das sehe ich ihr an; alle Sonnabend einen Sterbegesang, das weiß ich schon! Meiner seligen Mine Regenlied: Ich hab' mein' Sach' Gott heimgestellt, ist auch ihr Seelenlied. – Ich wünschte, daß manche edle Seele von meinen Leserinnen den Hermann spielen und mein Weib singen hören könnte. – O des guten Weibes!

Unserm Leopold habe ich in diesem Buche sein Kind- und Pflichttheil berichtigt! Ich habe ihn beim Publico eingeschrieben; mehr gebührt ihm nicht. So viel indessen zur Nachricht, daß er ein lieber, lieber Junge ist, der seinen Lebenslauf zu seiner Zeit schon ohne seines Vaters Beihülfe schreiben wird. – Es hat gute Wege mit ihm; Fähigkeiten seltener Art!

Junker Gotthard besucht uns alle Jahre, so wie er uns sein Wort gegeben. Noch ist er nicht Ehemann. – Seine Ja Jagdliebhaberei nimmt täglich zu. – Sein Herz ist untadelhaft. Man[335] mag sagen, was man will, er ist doch immer das beste Wild in allen seinen schönen Wäldern.

Seine Mutter kann es sich noch nicht vorstellen, daß ich die Tochter eines benachbarten Edelmanns geheirathet, und freut sich herzlich, daß nicht die Sonne in Curland diesen unerhörten Fall bescheine. – Käme es auf sie an, sie würde unsere Ehe noch bis diesen Augenblick ungültig erklären. – Sie zahlt zehn Ahnen mehr, als nach Sethi Calvisii Berechnung (der doch auch sein Exempel zu rechnen wußte) die Welt gestanden. O, der stifts- und turnierfähigen Frauen! – Doch, warum von ihr Auskunft, da mir noch jemand weit näher ist?

Der alte Herr hat jetzt seine Freistatt beim Herrn v. W. Seine dürftigen Umstände erforderten Beihülfe, und wer wird sich nicht freuen, daß Hermann, der nach dem betrübten Sündenfall den Apfelbaum aus seinem Garten rottete und der tugendbelobten Jungfer Dene einen Scheidebrief ertheilte, nicht Noth leidet? Herr v. W. konnte aber auch sich selbst nicht besser rathen, als auf diese Weise.

Hermann ging nach Minens Tode krumm und gebückt, und meine Mutter fand sich verpflichtet, ihm Nahrung und Kleider zuzuwenden. Diese Sorgfalt versprach sie, so lange sie lebte, für ihn zu haben. Sie hielt mehr, als sie versprochen, und noch nach ihrem Tode empfand er ihre milde, kalte Hand. In die Stelle ihrer Gutherzigkeit trat das Legat der Frau v. – b –; indessen war Hermann noch nicht völlig aus aller Leibesnoth, aus welcher ihn Herr v. W. völlig setzte. Der Herr Inspektor fand sich auch mit hundert Thalern preuß. ein, die Hermann zum Bratenrock verwendete. Indessen hat Darius so wenig Lust, seinen Vater, als der Vater den Herrn Inspektor zu sehen. Diese Pension von hundert Thalern preuß. will Darius jährlich fortsetzen.[336]

Man sagt, Schulmeister werden darum so sehr alt, weil sie immer mit jungen Leuten umgehen. Diesen Kunstgriff haben viele Alte, um sich zu verjüngen, wie die Adler. – Freude steckt an. Man darf hier nicht bloß auf die Ausdünstung Rücksicht nehmen, auf die es vielleicht bei dem Kebsweibe des Königs David angesehen war. – Hermann hatte nun wohl schon längstens das Schulhandwerk aufgegeben; indessen hatte er ein Temperament, das hier mehr galt, als der Umgang mit der Jugend.

Wenn er zur Treppe heruntergeworfen wird, sagte Herr v. G. der Selige, kommt er zuverlässig, seinen Hut zu holen. – –

Hast du, lieber Leser, je einen observirt, der dem andern zu Gefallen lacht oder weint? Beides ist häßlich! Unendlich lieber aber will ich, jemanden zu Gefallen, weinen als lachen sehen. Wie Ekel, wenn man jemanden zu Gefallen freundlich thut! – Hermann war ein dergleichen Klag- und Freudenweib. Er gibt, wie Herr v. G. der Selige sagte, wie ein Teich, nasse und trockene Nutzung.

Der Stolz ist zweierlei, innerlich und äußerlich. Leibes- und Seelenstolz. So kann man stolz seyn auf seine Nase, Augen, Ohren, aufs Zifferblatt; allein auch aufs Werk selbst, auf die Seele. Dieser innerliche Stolz, wenn er übel angebracht ist, heißt Aufgeblasenheit. Dieß war Hermanns Fehler, den er beim Herrn v. W. abzulegen schwerlich Gelegenheit finden wird. Von seinem Schnupftuche hängt ein großer Theil aus der Tasche. Er schmückt sich gern mit einem lateinischen Wörtchen, welches wie ein Schönfleckchen absticht.

Herr v. G. selbst indessen, wenn er noch lebte, würde dem Hermann, dieses Schönfleckchens und des herausragenden Schnupftuchs unerachtet, das Zeugniß der Besserung in sehr vielen Stücken nicht versagen. – Wir wollen uns nur der stillverweinten Thräne zurückerinnern, da ich mit Minen zu Bette ging![337]

Seine Einfälle freilich hat er noch nicht gelassen; wer läßt aber auch Busensünden so leicht? Sie sind Parderflecken.

Herr v. G. der Selige nannte seinen Witz des Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlüge, und wahrlich mit Recht! Seine Einfälle? Sind sie denn Einfälle? Kaum! Es sind Gypsabgüsse von Witz.

War es Wunder, daß Hermann wieder zu Kräften kam, da ihm Herr v. W. mit Rath und That so höflich beistand? Der Tremulant ward zwar noch zuweilen gezogen; indessen ließ von Zeit zu Zeit der Trompetenzug sich hören.

Lange hungern, ist nicht Brod sparen, sagte Junker Gotthard, der gute Junge. Er hatte eine gewisse Antipathie wider den Hermann von seinem Vater geerbt. – Jüngst sah er mich an, und liebängelte mir auf Rechnung meines Schwiegervaters und seines Waffenträgers zu. Das Wetter, sagte er, kennt man am Winde. Als Hermann von seinen ausgestandenen Unglücksfällen anfing, machte ihn Gotthard mit der Bemerkung still: was ein guter Haken werden will, krümmt sich in Zeiten. Hermann erzählte eine Beleidigung, die ihm ohne sein Verschulden zugefügt worden. – Da hielten Sie wohl ein Schnupftuch vor, und sagten: Mir blutet die Nase? fragte Junker Gotthard.

Hermann hatte die Art, wenn ihn jemand seines Gleichen was fragte, nicht zu antworten, sondern recht, als fürchtete er etwas, anstatt der Antwort wieder zu fragen: Wie so? Er begegnete der Frage durch ein andere Frage, und so wie kluge Leute, wenn sie nach gothischer Weise examinirt werden, die schwere Pflicht zu antworten sehr weislich auf den Frager schieben; so machte es auch Hermann, und eben hiedurch gewann er Zeit, erhielt sich bei Ehren, und suchte sich, wie alle Leute seiner Art, zu präserviren.

Dem Junker Gotthard, der doch wahrlich nicht seines Gleichen[338] war, begegnete Hermann auf gleiche Weise; indessen gewöhnte er ihm sein: wie so? auf eine so auffallende Art ab, daß Hermann sich bei jeder Frage verscheute, wenn gleich sie nicht: wie so? war.

Das ist so platt, daß es keine Nase hat, sagte Hermann zum Herrn v. W. über einen Ausdruck des Junkers Gotthard; allein er fand keinen Beistand, vielmehr ward er auch vom Herrn v. W. auf eine Art angelassen, daß, um seinen gewöhnlichen Ausdruck beizubehalten, ihm die Ohren klangen. Da verdienen Sie eine Nase, erwiederte Herr v. W. und freute sich, daß bei seinem Scheltwort wenigstens ein Wohllaut, wie er dafür hielt, anzubringen gewesen. – Wohllaut Herr v. W.?

Die Gewohnheit, die Hermann, seit so lange ich ihn kenne, hatte, seine Weste mit Nadeln zu bestecken, daß sie wie mit goldenem Rundschnur besetzt aussah, hat ihm Herr v. W. glücklich abgewöhnt. – Versteht sich, mit Höflichkeit.

Vor kurzem nahm mein Schwiegervater bei Gelegenheit der Nase die Sache des Junkers Gotthard; jetzt rettete er Hermanns Ehre, als Gotthard ihm den Schneider vorrückte. Federschneider wollen Sie sagen, fiel ihm Herr v. W. ein. Freilich hätte Gotthard bedenken sollen, daß Hermann ein Häusling des Herrn v. W ist. Gotthard war gewohnt, dem Herrn v. W. nachzugeben. Es blieb beim Federschneider. Viele nannten den Hermann Sekretär, und man ließ sie, ohne daß sie zurechtgeholfen wurden, dabei.

Um die Zeit, wenn der Inspektor seinem Vater das Jahrgeld sendet, ist Hermann so tief in Gedanken, daß Herr v. W. alle Mühe hat, ihn zu zerstreuen. – Er könne sich, sagt Herr v. W., vor Unruhe nicht bergen. – Wie das kommen mag! Wenn es nur nicht mit Hermann zum Ende geht! sagte Herr v.[339] W., da er mich zum letztenmal besuchte. – Jetzt fängt er an, so tief in Gedanken zu fallen, wenn er nur etwas anlegt, das von dieser Pension gekauft worden! Den Bratenrock zieht er gar nicht mehr an. Gott sey seiner Seele gnädig!

Der Schwager Peter hat ein Weib genommen, darum kann er nicht kommen, sagt Junker Gotthard, das heißt: Der gute Junker Peter hat die Herrschaft in seinem Hause nicht abgetreten; allein er ist so wenig Herr, daß seine Frau sogar den Stab Wehe über ihn führt. – Herr v. K. nahm ihn in Anspruch, und forderte alles Geld, das er ihm geschenkt, oder mit ihm gemeinschaftlich reichmännisch durchgebracht hatte. Es war nur, schreibt ihm Herr v. K., auf die Hand gegeben. v. K., der ehemals ein Verschwender war, ist jetzt in einen solchen Geizsumpf gefallen, daß er sich entsetzlich besudelt. – Jeder Redliche im Lande flieht ihn. Wer hat aber nicht seinen Anhang in Curland, der auch mit v. K.'s vor den Willen nimmt. Junker Peter konnte sich in der Noth, da er vom v. K. in Anspruch genommen ward, und bei dieser Gelegenheit so mancherlei und manches ans Licht brach, nicht anders als durch ein Eheverbündniß helfen. Wie oft decken Ehen der Sünden Menge! Fast immer sind sie heut zu Tage Sündendiener.

v. E. hat eine sehr liebenswürdige Frau, und von ihr drei Söhne, die dem Bilde ihrer Mutter ähnlich sind. Ich hab' ihn seit der Zeit nicht gesehen, da er in Königsberg König eines Freudenmahls war. Warum bracht' ich die Nacht, da Herr v. E. mit Extrapost von Königsberg ging, schlaflos zu? Seine Zuschrift, nachdem er von meiner Ankunft in Curland Nachricht eingezogen, will ich so wenig mittheilen als meine Antwort. Wir wissen alle, daß er Franzos und Curländer war, daß er kriechen und sich ein Paar Zog höher heben konnte, als er gewachsen war. Ob seine Frau ihn nicht wenigstens auf Eins einschränken, und entweder[340] zum Curländer oder zum Franzosen bringen wird? muß die Zeit lehren. Wie es zugegangen, weiß ich nicht; allein v. E. hat den v. K. gefordert. Wie gewöhnlich, haben sie sich nichts gethan. Da hat jeder seinen heißhungrigen Jupiter, und dergleichen Gevatter wetzen die Scharten aus.

Diesen Augenblick erhalt' ich vom Herrn v. W. die Nachricht, daß Hermann in wirklichen Wahnsinn gefallen. Welch ein Unterschied gegen eine Lindenkrankheit! – Die Höflichkeit des Herrn v. W. erlaubt es nicht, ihn von sich zu entfernen. Und auf der andern Seite, bemerkt er, bin ich äußerst mit ihm geplagt. – Sich selbst kann Hermann nicht überlassen werden.

Sein Sohn hat ihm dieses Jahr hundert und fünfzig Thaler gesandt. Ob ihm diese Erhöhung völlig den Kopf verrückt, oder die Bitte, die Benjamin der Zusage beigefügt, ihn in Preußen zu besuchen, weiß Herr v. W. nicht.

Die Frau Inspektorin sey in gesegneten Umständen, und trüge ein so großes Verlangen (schreibt Darius) ihren Schwiegervater zu sehen, daß er auf das dringendste bitten müßte – Müßte, das glaub' ich selbst! Einen andern Vater würde dieß entzückt haben, und Hermann – –

Ist todt! – Ein Brief von meiner lieben Mutter. – Drei Tage vor seinem Ende ist er vernünftig gewesen. In den Anfällen der Raserei hat er sehr laut Benjamin gerufen! Mine aber so hohl, als dürft' er nicht. Inspektor! Inspektor! jetzt könnt' es dir leid thun, daß du deinen Vater nicht noch gesprochen hast! Gute Wochen deiner Frau! Eben meld' ich ihm den väterlichen Tod. In der Beilage dieses Briefes erfolgten 350 Reichsthaler preuß., die Hermann unerbrochen weggelegt hat. Unerbrochen! Das Ehrenkleid, das er von der Pension des ersten Jahres berichtigt, ist ihm mit ins Grab gegeben, auf sein ausdrückliches[341] Verlangen. Ich will es anziehen, hat er gesagt, wenn ich Minen sehe!

Roth wird seinetwegen kein Tag im Kalender des Herrn v. W. gefärbt werden, dafür steh' ich; so wie ich weiß, daß er seinen Tod herzlicher, als den Tod so vieler anderer Rothgefärbten bedauern wird!

Junker Gotthard soll Bräutigam seyn! Das wäre viel! – Alles, was ich sonst noch auf meinem Herzen und Gewissen habe, in die Nutzanwendung!


Schluß.

Endlich! wird ein großer Theil meiner wohlmeinenden Leser, wie ich wünsche und hoffe, sagen, und diesem Endlichsagen setz' ich aus dem Innersten meines Herzens Gottlob entgegen. – Gottlob!

Also hätten wir in den gegenwärtigen Theilen abgehandelt, ob kürzlich, weiß ich nicht, einfältig aber gewiß, meinen Lebenslauf, bis auf eine sächsische Frist vor der Messe, nebst drei Beilagen, A, B, C., denen ich am Thor ein vielleicht zu stolzes Prognostikon gestellt habe. Nichts ist wahrer, als jene Bemerkung: nulla tam odiosa narratio, quam sui ipsius laus, welches Junker Gotthard sehr schön: Eigenlob stinkt, verdolmetschen würde. Darius würd' es noch handgreiflicher geben. Damit also nur ja niemand auf den unrichtigen Gedanken falle, als hätt' ich mir selbst dieses Monument errichtet, so sey es mir erlaubt, zu bemerken, daß solches bloß der lettischen Muse, dem Organisten in L. und dem guten Gottfried zu Ehren prangt, und daß der vierte und[342] fünfte Theil mehr durch meine Feder, als durch meinen Kopf gehen werde. Qui bene distinguit, bene docet.

Dank dir, Deutschland, an das meines Schwiegervaters Hochwohlgeboren tausend Empfehlungen mit gehen, daß du mir nicht manum de tabula, die Hand vom Schreibtisch! zugerufen. Schuldig bin ich noch (da ich dieses Werk mit einer Hand verglichen, ob rechte oder linke? hab' ich wohlbedächtig unbestimmt gelassen) den Goldfinger und Ohrfinger. Getreulich und sonder Gefährde hab' ich die drei ersten oder die Schwurfinger dargereicht, den Daumen oder den Kopf der Hand, den Zeige- und Mittelfinger. – Zu Abtragung meiner Schuld nur eine kurze Frist.


Frist!

Ich weiß so gut, wie Nathanael, versprechen macht Schuld? und wer mehr verspricht, als er zu halten im Stande ist, kann zur Ersetzung des Schadens ex L. Aquilia angehalten werden. Schaden? Vortheil soll euch mein Anstand zuziehen und landübliche Zinsen tragen. Es fehlen nur noch einige Nachrichten, meines Vaters Jugend und meines Großvaters Alter betreffend, um allen respektive Frag- und Verwunderungszeichen zu entgehen. Ein Kind, wenn es sich die Finger verbrannt, pflegt das Licht zu scheuen, obgleich mein Leopold es noch lange erst versuchen würde, ob die Finger mit der Zeit nicht stärker als das Licht seyn würden.


Kurze.

Ich habe nicht nöthig zu fragen: Meinst du, daß diese Gebeine wieder lebendig werden? Es liegt alles bis auf einen Hauch da! – Es ringt nach Leben.

Da seht, meine Ehrlichkeit! – Hätt' ich denn nicht meiner Länge, wo nicht eine ganze Eile, so doch ein Viertel, und da ich Soldat gewesen, ein Paar Zoll zusetzen und behaupten können, daß[343] mich ein anderes gelehrtes Werk abhielte? Ich habe aber nie auf den Zehen in diesem Buche gestanden, oder mich durch einen hohen Absatz vergrößert. Warum sollt' ich's? Warum sollt' ich sagen, daß mich eine andere gelehrte Arbeit beschäftige, und daß ich zwei Herren diene? Bloß bin ich im Dienst der Wissenschaften, und diese meine hochgebietende Herren sind so geneigt, wie Gott der Herr, ihren Dienst einzurichten. Wir dienen nicht Gott, sondern uns, und so geht's auch mir mit den Wissenschaften.

Ich glaube nicht, daß ein Speisemeister vom andern und dritten Theile zu sagen Ursache gefunden: Jedermann gibt zuerst den guten Wein, und wenn die Gäste trunken sind, den geringen. Dieß sey die Bürgschaft, die ich bei meinen Lesern in bester Rechtsform wegen der Fortsetzung einlege, und sollte hie und da ein Speisemeister diese Klage wider mich rechtlich führen zu können des Dafürhaltens seyn; so wisse er, daß ich nicht Jedermann bin, und daß ich in Wahrheit es nicht zum Betrinken angelegt. Freiheit ist meine Losung bei Tisch, als Schriftsteller – überall. – Ein Jesuiterräuschchen hat bei den trüben Tagen des Lebens nichts zu sagen. – Zwar hab' ich mich bemühet, allen einschläfernden Erweiterungen auszuweichen. Was ist aber ganz vollendet? Alles, was vollendet ist, ist dem Menschen nicht auf seinen Leib, oder eigentlich auf seine Seele gemacht. Selbst ihr Unsterblichen, du, Newton, und du, Copernikus! wißt ihr denn auch gewiß, daß alles so ist, wie es euch in einer glücklichen Nacht träumte? – Das rechte Wort zu allen Empfindungen. – Könnt' ihr sagen, es ist vollendet? Ihr, die ihr selbst nicht vollendet, sondern nur Numero sieben seyd. Maulwürfe, können die vollenden? Homer und Milton, Vater und Sohn; was meint ihr? – Ach Gott! du allein, Unbegreiflicher, du allein bist vollständig, vollkommen. Alle Erfindungen, so hoch man auch kommt, lehren nur den Menschen, wie weit er noch vom Ziel sey. Die Hauptmenschen in der[344] Welt verdienen nur den Namen Propheten. Sie sagen, was künftig seyn wird.

Es würde die vires haereditatis übersteigen heißen, wenn sich irgend ein Mensch einbilden wollte etwas zu schreiben, wovon er behaupten könnte, es wäre so ganz da, wie er! Ein andres Schöpfer, ein andres Geschöpfe! Niemand kann sagen: er sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war alles sehr gut.

Ein Fragment ist mir aus diesem Gesichtspunkt ein angenehmes Wort. Es ist ein Menschenwerk. Der Mensch selbst kommt sich in dieser Welt nur als ein Fragment vor, so ganz er gleich da ist. Heil ihm, daß er eben von diesem Ganzen schließen kann, daß er selbst sich in allen Rücksichten begreifen, von allen Zipfeln einst fassen werde, in der Fortsetzung seines Lebens, – in der andern Welt!

Das, was meinem Herzen von meinem Leben am meisten aufgefallen, hab' ich mitgetheilt – und was die Zukunft betrifft – was kann mir künftig (beim Licht die Sache genommen) viel mehr begegnen, als der Tod? – und da hoff' ich zu dem, der in mir angefangen hat das gute Werk, er werde es durch seinen heiligen Geist in mir bestätigen und vollführen, bis an diesen meinen jüngsten Tag, auf dieser Welt und in der neuen. – Ein doppelter jüngster Tag! – Sollten sich Umstände ereignen – wer weiß die Geschichte seines morgenden Tages, die eines Protokolls werth wären? – so trag' ich es hiermit meinem beim Publico als Autor eingeschriebenen Sohne Alexander Leopold auf, getreulich alles zu geben, wie er es empfangen hat. – Gott segne dich, lieber Leopold! und deine Mutter für und für! Amen!

Schone mich nicht, mein Sohn, ziehe vielmehr den Vorhang auf, wenn ich mich vor dem Publico geflissentlich in einem andern Lichte darstellte! Schreibe getrost; schone nicht: So war mein Vater nicht, so war er![345]

Was soll ich von meinem Buche sagen? Wahrlich, es ist nicht ein olympischer Lauf nach einem Zeitungslob! – Ein unverwelktes Erbe war mein Ziel, zu trachten in guten Werken nach dem ewigen Leben, meine Hoffnung!

Ich schrieb den Menschen, oder bemühte mich, ihn zu schreiben. Jeder hat noch ein Aestchen aus dem Paradiese mitgebracht, und jeder hat etwas vom Apfel gegessen! – Die Menschen sind alle auf einen Fuß. Man darf sie nur aus dem gehörigen Gesichtspunkte nehmen, so sind sie als Einer, als Adam. Madam Eva war ja auch in ihm, in seiner Rippe. Solch ein Gesichtspunkt ist vorhanden; ob ich ihn getroffen, sey dem wachhabenden Officier, dem mit einem Achselbande zu Pferde, zu Fuß, von der Leibgarde, von der Garde der Gelehrtenrepublik, anheim gegeben! – Mit den Thorschreibern habe ich mich, wie erwecklich zu lesen, in dem Buche selbst ein Langes und Breites abgegeben.

Freilich ist zwischen Wächtern und Richtern ein Unterschied. Wie wenige verdienen aber den ehrwürdigen Namen Richter? Ein Richteramt ist ein schweres Amt. Nathanael wählte den besten Theil, da er's niederlegte, und wie wenig gibts Nathanaels und solche kunstrichterliche Justizräthe, wie er! Kleine schielende Revisionsknaben die Menge! – Die Herren α, β, γ möchte ich auch ungern darüber sprechen lassen.

Wer in den Charakteren nicht Präcision findet, kann jeden in Person kennen lernen, bis auf die, welche in diesem Buche selig entschlafen sind, und wer meiner Großmutter nachspottet, und mit gerümpfter Nase die Frage aufwirft: wie vielmal Amen in diesem Buche vorkommt? wisse, daß ich ein Liebhaber dieses Wortes bin. Ich liebe nicht Flittern, nicht Schminke, trage keinen Regenschirm, keinen Hermann'schen Glanzkittel. Eine Jahreszeit ist mir so, wie die andere. Alles, was aus Naturhänden kommt, ist Gottes Gabe! Geschmack? Ja freilich hat nicht jeder Lust zu lauter Milch[346] und Kuchen, und zum Stück vom zarten guten Kalbe, diesem Verlornensohnsbraten, obgleich Abraham himmlische Herrschaften damit bewirthete.

Wer nicht zuweilen Himmel und Erde in Eins gefühlt hat, Seele und Leib in einer Person; – wer nicht Muth gehabt, im dicken Walde die heiligem Schauer, aus seinem Grabe herausgestiegen, zu empfinden, und die Stimme der menschenfeindlichen Eiche verstanden: aus mir wird einst dem Sarg geschnitten! muß freilich ganze Bogen dieses Buchs unausstehlich finden. Wer aber dieses Gefühl kennt, das sich nicht untersteht, einen Ausdruck zu wagen, damit ihn nicht ein Bote Gottes ungewählt fände, mit dem gehe ich zusammen. Hebt sich dein Herz, wird dem Busen entzündet, komm in Charlottens Laube, und wo du sonst willst, hier ist meine Hand!

Ein Mensch, der zu empfinden weiß, daß er nicht mehr brauche, als zu leben, daß alle Reichthümer Schätze sind, die Motten und Rost fressen, und wornach die Diebe graben, um sie zu stehlen, erhält eine gewisse edle Art, ein wahres Geniegefühl, das allen hoch- und hochwohlgebornen Zwang verschmäht, sich entsattelt, und den Reiter verachtet, der sich ihm aufbürden will. Das ist ein Genie!

Muttermäler der Sinnlichkeit und Schönpflästerchen sind so unterschieden, als ein unschuldiges, frommes Mädchen und eine Nonne.

Wir verehren nicht gemeine Dinge und versündigen uns oft schwer an ihnen. Was selten ist, gefällt. – Man haßt den, der im Kleinen betrügt. Thut er's im Großen, so finden wir so viel nicht auszusetzen. Das Spiel verlohnt das Licht nicht! – Große Diebe laufen, kleine hängen. Der Beobachter wendet sich nur an kleine Züge, und überläßt gern die Hauptstücke Andern, bloß weil sie mehr ins Auge fallen. Das Gemüth, das Herz schlägt im[347] Winkel an seine Brust, wie der Zöllner, es will durchaus nicht gesehen seyn; allein jeder auch seinen Pharisäer bei sich, der geflissentlich bemüht ist, sich vorzudrängen, wenn man den Menschen malen will.

Gern, gern verzeihe ich allen, die mich trüglich behandelt, mit Lügen und mit falschem Gedicht, durch notas selectas und variorum. Scire leges, non est verba earum tenere, sed vim et potestatem.

Der, der aller Welt Richter ist und recht richtet, der das rechte Recht spricht, das sich schlafen gelegt hat, weiß den innersten Gedanken meiner Seele und den Rath meines Herzens, Er weiß, wie ich ringe, die Menschen, die sich von ihm entfernt, zu ihm zu sammeln, und wie ich getrost ohne Menschenfurcht gerufen: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes, und nach seiner Gerechtigkeit; so wird euch das andere alles zufallen. Vor ihm ist all' mein Begier, mein Seufzen ist ihm nicht verborgen, meine Thränen nicht, für Jerusalem: ach! wenn es bedächte zu dieser seiner Zeit, was zu seinem Frieden dienet, aber noch ist es vor seinen Augen verborgen, und mein Gebet: Dein Reich komme – – das alles weiß der Herzenskündiger!

Und doch hielten viele mein Buch, weil ich mit Zöllnern zu Tische saß, für einen Verführer des Volks. – Ihr, die ihr nur aufs Sichtbare seht und nicht aufs Unsichtbare, obgleich das Sichtbare zeitlich ist, und das Unsichtbare ewig! O ihr, Gottes Augendiener, die ihr Splitter im Nächstenauge seht, und euren Balken nicht bemerkt, was meint ihr wohl von Tugend und Religion, die ich entweiht haben soll? Werdet wie die Kinder, das ist die göttliche Lehre, deren Geist mich trieb, und ihr Pharisäer, die ihr nicht seyd wie andere Leute, Räuber, Abgötter, oder dieses Buch, dieser im Winkel stehende Zöllner, die ihr zwier in der Woche fastet, und gebet dem Armen von allem, was ihr habt, und die ihr dieß[348] alles gerade vor dem Altar laut sagt, glaubt ihr gerechtfertigt in euer Haus zu gehen? – Glaubt ihr, daß der Paukenschall allein gen Himmel reiche, und daß euer Odenwirbel dem ein süßer Geruch sey, der menschlich zu Menschen sprach, und allem was groß ist, Einfalt beilegte? Was schlecht und recht ist, ist ihm angenehm; nicht das Hohe, das sich bäumt und schwillt, nachdem es respective sich bäumen oder schwellen kann.

Ich will euch nicht namentlich darstellen, euch, die ihr Gottes Finger verkanntet, die ihr Steine wider mein Buch aufhobet, und ein Gesicht dabei schnittet, als thätet ihr Gott einen Dienst daran. Unser Herr und Meister schalt nicht wieder, da er gescholten ward, dräute nicht, da er litte, sondern stellte es dem heim, der da recht richtet; indessen konnte er nicht umhin, eine Geißel in die Hand zu nehmen und die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel zu treiben, und das seyd ihr! Ihr, die ihr Gott zu lieben vorgebt, den ihr nicht sehet, und euren Bruder nicht liebt, den ihr sehet. Ihr, die ihr einen Menschen, schnöden Gewinnstes, gallsüchtigen Neides halber, verfolgt, der die Lebensläufe in aufsteigender Linie schreibt, und am Sonntage Aehren ißt, wenn ihn hungert, auch, wenn ihm Gelegenheit gegeben würde, einen jeden Esel aus dem Brunnen ziehen würde am Sabbath – was habe ich euch gethan? Habe ich je einen Pharisäer und einen Sadducäer namentlich genannt? Habe ich nicht vom Laster geredet, wenn ich den Lasterhaften meinte? Mit dem einzigen Voltaire habe ich namentlich ein Gespötte getrieben, und ich versichre es euch auf Ehre, daß es mir leid thut, obgleich er gewiß den ersten Theil meines Lebenslaufs nicht gelesen hat, und also unmöglich daran gestorben seyn kann.

Fragt meine Eltern, Vater und Mutter, die alle in der Erde liegen und schlafen, ob ich sie nicht geliebt habe bis in den Tod; fragt dieß Buch; wenn gleich es die Wahrheit geschrieben, hat es[349] darum nicht Vater und Mutter geehrt? – Wahrlich, des vierten Gebots halber wird es ihm wohlgehen, und es wird lange leben auf Erden, und selbst, wenn es gekreuzigt würde, wird es auferstehen.

Entweder die Religion muß alles tingiren, oder es ist gar keine. Ist denn Gott nicht überall? Und glaubt ihr, Leutbetrüger, Gott sey wie ein Mensch, den ihr mit einem Gesichte voll Ergebenheit, wenn gleich das Herz fern von ihm ist, hinters Acht führen könnt? Mit gutem Herzen zu sagen: Es ist kein Gott – aus Tyrus und Sidon seyn, ist besser, als Gott heucheln, wie des Hiobs Freunde!

Willst du erlauben, lieber Herr α, daß ich dich ganz deutlich ins Gesicht frage: Verstehst du auch, was du liesest? Wenn meine Mutter nicht eine Originalchristin ist, möchte ich sagen, gibts kein Christenthum!

Biblische Worte und Wendungen. Ist denn die Bibel nicht werth, daß man ihr nachspricht? Fehlt es ihr wo an Lebensart, daß man sie nicht in Gesellschaft nehmen darf? Und die wohlgemeinte lutherische Uebersetzung, kommt sie nicht von Herzen und geht sie nicht zu Herzen? Wir haben schon anders den Grundtext, und wer steht uns dafür, daß Man Luthers Bibelübersetzung in der christlichen hochdeutschen Gemeine nicht verbietet; wird sie aber darum das Kindliche verlieren? Und haben nicht selbst einige dieser neuen Uebersetzer Luthers Stern und Kern, wie meine Mutter sagen würde, im Segen benutzet? Von einigen Stellen sollte man fast glauben, Christus, der Herr, würde solch Deutsch geredet haben, wenn er diese Sprache bei seiner Amtswanderschaft auf Erden gefunden.

Ist die Bibelsprache zu erhaben? zu heilig? Sollen wir denn nicht heilig seyn, wie Gott der Herr? und sind wir nicht seine Kinder? Nimmt denn Gott der Herr es übel, wenn wir in Liebe und Einfalt uns ihm auf den Schooß setzen? Kann ich mit ihm[350] umgehen wie die lieben Kinder mit ihrem lieben Vater, warum denn die affektirte Ehrerbietung gegen ein in schwarz Corduan gebundenes Buch mit goldnem Schnitt? Wo ist ein, selbst der Natur mehr nahekommendes Werk, das so sehr unter Menschen von allerlei Art bekannt ist? Kennen denn alle den Homer, welche die Bibel kennen? Und wo ist mehr wohlthätige Volksphilosopie, kindlich größere Natur, als in der Bibel? Prüft doch die Leute näher, welche die Bibel und eigentlich nicht sie, sondern das Kleid der Bibel, wie Schaubrode, wie Religion, behandeln. Der Mann da mit der frommen Miene besitzt sieben Hufen Nabotsacker, und jene Betschwester hat jedwedes Mitglied ihres Hofstaats mit einer Narbe beehrt, welche freilich eine heilige Wunde zurückgelassen; indessen war es doch Wunde, und ist doch Narbe. Sie wirft jedem, was ihr zu nahe kommt, mit der Bibel an den Kopf, der sie nachher das Blut abwascht und der sie mit einem Kuß abbittet. Judas, verräthst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?

Was macht die Ungnädige? fragte ich jüngst, und der ehrwürdige Beichtvater antwortete: Sie geht herum nach 1 Petri 5. V. 8. Und diesen silberharigen Greis, diesen Mann Gottes, sollte ich seines 1 Petri 5. V. 8. wegen ansehen, wie Cain seinen Bruder Abel? weil er nicht, wie seine Amtsbrüder, am Wort und an der Lehre hält, weil er nicht mit jedem von und jedem und Abgötterei treibt, das in der Bibel steht? An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Du sollst nicht andere Götter haben neben mir, spricht der Herr, und aus diesem Herrn ist unser Vater worden, nach dem Unterricht des, der gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, was durch Uebelverstand verloren war. Ich habe nichts dagegen, wenn Nathanael sich in den Pandekten den Titel de verborum significationibus bekannt macht; was ist aber Bild und Ueberschrift, wenn Barren da sind?

Mein Name? Was thut denn der zur Sache? Muß man[351] durchaus in Kupfer gestochen seyn, wenn man ein Autor ist? Und muß der Herr Kunstrichter, um sein Müthchen zu kühlen, noch den von Angesicht zu Angesicht kennen, den er mit Lob oder Tadel mißhandeln will? Du sollst keine Person ansehen noch Geschenke nehmen! Geschenke machen selbst die Weisen blind und verkehren die Sachen der Gerechten. Was recht ist, dem sollst du nachjagen. Kannst du denn nicht loben, Elender, als ins Gesicht? Der Name? Bin ich denn anders, seitdem ich Alexander war und russischer Major ward? seitdem mir mein Vater mit dem einen Buchstab ein Geschenk machte, und da ich dieß Geschenk noch nicht hatte? Alles auf Worte, auf Buchstaben! Kommt's denn in dieser Welt auf etwas mehr, als Grundsätze an? Gibt's nicht eine unsichtbare Kirche, für welche ich allemal viel Achtung gehabt? Freunde? – Auch euch nenn' ich' so, die ihr mir flucht und nachschmäht – es gibt sichtbare und unsichtbare Kirche, streitende und, Heil mir! triumphirende Kirche! – – –

Seht! ich hab' es dazu nicht angelegt, daß diese Schrift per honore di lettera aufgenommen werde!

Nur drei wissen meinen Namen, und Einer ist's, an den ich dieses Buch geschrieben habe! – Eine lange Epistel! Den andern beiden hab' ich meinen Namen ins Ohr gesagt, einem ins rechte, einem ins linke Was das angenehm ist, so manchen Schuster hinter dem Vorhange zu hören, der über seinen Leisten hinwegurtheilt und den ein Schneider verbessert, und mit dem ein Hutmacher das Garaus macht, da der Dummkopf sich sogar bis an den Kopf gewagt – Hut, wollt' ich sagen! Beim Leisten, Meister! beim Leisten!

Ich trinke lieber mit meiner lieben Mine und meinem Leopold frische Milch, als daß ich einem literarischen Reisenden zu Anekdoten und zu einer Sünde mehr wider den heiligen Geist Gelegenheit geben sollte![352]

Christus der Herr verbot seinen Jüngern alles Studiren: Es wird euch zu der Zeit schon alles gegeben werden! Dieß ist eine Regel, die mit goldnen Buchstaben angezeichnet zu werden verdiente, über alle Bibliotheken in der Welt! – Ueber alle Autortische!

Es ist sehr natürlich, daß man sich wundern werde, wie ich. selbst nicht an Stelle und Ort bekannt worden, und bis jetzt allen feurigen Pfeilen der Bösewichter, auch der im Dunkeln schleichenden Anekdotensucht, so ritterlich entgangen.

Obgleich ich nun eben nicht nöthig hätte, eine Polemik, ehe mir dazu Gelegenheit gegeben wird, diesem thetischen Werke anzuhängen, und eher zu antworten als ich so naseweise gefragt worden; so habe ich lieber so viel Anstoßsteine, als ich nur sehen konnte, wegzuräumen, als sie im Wege zu lassen mir in dem Herrn vorgesetzet.

Wisse also, Opponens doctissime! daß Mitau zwar nur sieben Meilen von Riga liegt; allein diese sieben Meilen sind in Absicht der Sitten und Gebräuche nicht sieben, sondern siebenzigmal sieben. Es ist zwischen beiden Städten eine so große Kluft befestigt, daß die da wollten, konnten nicht. Wer liest in Curland? Wahrlich wenig sind, die diesen schmalen Weg finden. – Herr v. G. ist todt! Also hätte ich mir Curland mit leichter Mühe vom Halse geschafft.

An Ort und Stelle habe ich dreien braven Leuten, wie oben bereits gesagt worden (der Organist in L. würde sagen, dreien getreuen Nachbarn und deßgleichen), das Geheimniß entdecken müssen. Die guten Herren lasen, und schon beim dritten Blatte des ersten Theils waren sie mir so zu Dache, wie der Inspektor es nur immer seyn konnte. Das sind Sie ja mit Leib und Seele! Nun ja doch! Ich bins! Allein für jeden nicht! – Was braucht ein Vierter und Fünfter den Ringschlüssel zu tragen, und warum soll ich jedem Gecken erlauben, in meinem Hause gemächlich zu thun? Kann ich denn nicht auch, wie Herr v. G. der Selige, auf meinen[353] Degen schlagen, wenn der Krippenritter nach dem Schlüssel zum Gastzimmer und Stall fragt?

Behalte es bei dir! du mir liebes Triumvirat! bei dir! und wenn der – – mit dem rothen Bart, her immer Wasser auf seine Mühle sucht, seine Nase in euren theuren Rath (denn guter Rath ist theuer!) steckt, schlagt dem Bengel, der mir schon so oft gallenbittere Stunden gemacht, auf seine unbedeutende, herausgegohrene Nase, damit er das Stecken in anderer Leute Händel aufgebe und seine eigene Haustafel lerne, wo Rechenmeister, nur er nicht, wie am Pasquin, mit dürren Worten gelten haben: Land- und Leutebetrüger! O du Mückensauger, Kameelverschlucker! Lederdieb, um ein Paar Pantoffeln zu fertigen, das du dem Bettler gibst, wenn er nämlich eine Rohrdommelstimme hat und in allen Straßen singen kann:

Es ist das Heil uns kommen her!

Ich kenne dich – – mit deinen Klauen kenne ich dich, Raubvogel! und könnte ich diese Klauen einem klugen Physiognomisten in copia vidimata senden, er würde ex ungue nicht leonem, sondern – – kennen, und sie zur Warnungsanzeige drucken lassen, allen, die Gottes Finger und Menschenfinger kennen. Du, ein ärgerer falscher Zeuge, als Johann Peter Beifuß und Martin Jakob Kegler, um du! bist mein Alexander Schmidt, der dem ehrlichen Petrus viel Herzeleid zufügte und seinen Werken und Worten oft widerstand! Gott vergelte dir nicht nach deinen Werken, sondern schenke, wenn's möglich ist, dir schwarzes Haar im Bart, und statt der Nebucadnezarnägel menschliche – wenn es seinem heiligen und allezeit guten Willen nicht zuwider ist.

Gott weiß am besten, mit welchem schweren beklommenen Herzen ich dieses Buch geschrieben! Menschentreffer werden es ohne Wegweiser finden, und ich sollte noch obenein mir von diesem oder jenem Weibe, wenn ich in erlaubter Entfernung am Kaminfeuer[354] stehe und mich wärme, ins Gesicht sagen lassen: warest du nicht Einer? – –

Deine Sprache verräth dich! Ich mag nicht klätschern am Kaminfeuer, Rede stehen und Gecken das Verständniß öffnen, daß sie die Schrift verstehen. Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie nicht glauben, wenn einer von den Todten auferstünde und das Reich Gottes predigte, welches nicht bestehet in Essen und Trinken, sondern in Liebe und Freude im heiligen Geist! – Kann wohl auch der Geduldigste die so boshafte Art, womit man Köpfen begegnet, ertragen? Kann er, wenn sein Name in allen Landen bekannt ist, einem Melchisedechs-Spottworte in seinem Lebenscirkel ausweichen? Gern sehe ich Wahrheit sich mit Kritik herausfordern; allein nicht pöbelhaft balgen!

Ein Burschenvivat oder Pereat ist nicht für mich. Ich verbitte beides! Und wer kann beidem entgehen, wenn man weiß, wo ich des Abends Licht brenne? Wenn nun an auch jetzt ein verzogener ungenannter Bube, der auf der Landstraße die Vorbeigehenden mit Schneebällen wirft, die er alle in seiner Hand gedrückt und gedrängt hat, eins auf mich abfeuert, laßt ihn doch, diesen Prophetenknaben, ohne ihm die Ruthe zu geben! Er ist zu petulant, um von ihm sagen zu können: Der Herr hat's ihm geheißen! Ist's doch auf der Landstraße, wo man mich auch nicht kennt. Ich sollte! – Nein! Das Bübchen wird seinen Schulmeister schon finden und das Birkenreis, wäre es auch ein Revisor!

Was willst denn du mit den kleinen Steinen? Könntest du sie schleudern wie David, und wäre eine Goliathstirn dir zu Diensten, so wär's eine Sache! – David hob anders seine kleinen Steine, wie du; und alle ihr! die ihr voll Wuth das Straßenpflaster zerstört und Steine nehmet, mich steinreich pöbelhaft zu überfallen, steinigt! Wißt, ich sehe den Himmel offen, und einen, der meinen Geist aufnimmt! Grabt mir Gruben! Ich singe mit meiner Mutter:
[355]

Wenn wir geschlafen haben,

Wird uns erwecken Gott. –


Und mit meinem Vater aus seinem Lieblingsliede, wo er zuerst den zweiten Discant anstimmte:


So ging's den lieben Alten! –


Ich werde nicht sterben, sondern leben bleiben – –

Nur dann, wenn das Wasser gerädert wird, wenn man es aufhält, macht's ein Geschrei. Was thue ich euch?

Roman?

Und wenn es denn einer wäre! Freilich bekam es dem guten Bischof Heliodorus nicht sonderlich, daß er in seiner Jugend einen Roman geschrieben, der noch unter dem Namen Aethiopica, wenn nicht blüht, so doch vorhanden ist. – Seine Herren Amtsbrüder sahen, daß sich junge Leute diesen Roman kauften und verlangten, daß der Bischof entweder diesen Roman öffentlich wie einen Sodomiten verbrennen oder seine Mütze abnehmen sollte. Der Schriftsteller ließ die Mütze fahren. – Gott sey gelobt! Ein Bischofthum habe ich nicht zu verlieren, und wer es genau nimmt, wird finden, daß alles in der Welt Roman sey. Hat je ein großer Herr das gemeine Leben, so wie es da gemein ist, gesehen? Wer kennt die Stadt, den Berg, das Thal aus der Beschreibung, wenn er an Stelle und Ort kommt? Curtius hat es nur ein klein wenig zu grob gemacht; welch ein Geschichtschreiber indessen hat ihn nicht in der Schule übersetzt? Man behauptete zu seiner Zeit: Philipp III, König von Spanien, sey Autor des Don Quixote, und Cervantes habe nur Hebammendienste verrichtet und den Druck besorgt. – Wäre mein Buch also ein Roman, warum sollte ich es zurückhalten? Was Philipp III, Könige von Spanien, anstand, kann sich ja wohl ein Major mit einem abgeänderten Buchstaben im Namen gefallen lassen![356]

Seht ihr aber, ihr Romanhelden! seht ihr nicht in meinem Buche das gemeine Leben? Ist der Geist wahr, wie er denn wahr und wahrhaftig ist, was kümmert euch der Leib? Ein König von England sagte über einen Betrunkenen, der sich Freiheiten gegen ihn herausnahm, die den übrigen, die zu Tische saßen, nicht wohlgefielen: Laßt ihn! ein Betrunkener ist mein College! Wer geizig ist, um zur rechten Zeit drauf gehen zu lassen, kann der geizig heißen? und wer seine Zinsen verzehrt, ohne den Hauptstuhl anzugreifen, ist das ein Verschwender? Wo Holz gehauen wird, fallen Späne! Sparpfennige sind wie gute Feueranstalten, um gleich zu löschen, wenn es brennt!

Ich fühle es, Freunde! Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, forthin ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, nicht allein aber mir, sondern allen, welche die Erscheinung, welche den Advent des Reichs Gottes lieb haben! – – Komm, du schöne Freudenkrone!

Der zeitlichen Ehre will ich gern entbehren! – Du wollest mir nur die ewige gewähren, und wenn ich mir noch etwas zur Gefälligkeit erbitten darf, zeichnet mein Buch nicht durch Falten; könnt ihr nicht ohne Merkmal finden, wo ihr geblieben, nehmt Denkzettel! Solltet ihr euch aber auch nicht ohne die behelfen können? Ich habe keinen Sand auf das Manuscript gestreut, es ist durchweg durch die Sonne getrocknet! Und solltet ihr nicht ohne Zeichen lesen können?

Gott grüße euch! lieben Leser und Leserinnen! und lasse es euch nie mangeln an irgend einem Gute, das heißt: Er lasse es euch selbst erkennen, wie wenig der Mensch braucht, um alles zu haben!

Wenn ich zum vierten und fünften Theil schreite, sehen wir uns wieder. Ist's gleich nicht so nahe, sehen wir uns doch. –[357] Da kommts nur aufs Auge an. So wie ich meinen Tod wünsche, so plötzlich nehme ich Abschied. Lebt wohl!

Geschrieben zu – l –

Von Tr – –1


Aus! Alles aus! Amen! Amen! Auf ewig lebt wohl, lieben Leser. Mein Leopold ist hin! – Sanft und selig ehegestern, den sechsundzwanzigsten März, des Abends um sieben Uhr. – – Bis heute konnt' ich kein Wort, und heute, was werd' ich können? Wenig oder gar nichts! Wie ruhig Pold starb! – Es war ein lieber, lieber Junge, einen Himmelszug um die Augen, welcher laut lehrte, Pold sey nicht von dieser Welt, sondern von jener! Fass' dich, armes liebes Weib! Wir werden alle sterben! Gott gebe, sanft und selig, wie Pold uns vorstarb! Kinder, die den Eltern gar nicht ähnlich sind, sind Gottes Bild, gehören ihm; Pold glich weder meinem Weibe, noch mir. Er ruhe wohl! wohl! – –

Geschrieben den neun und zwanzigsten, eben da es sieben schlägt. Polds Sterbestunde!

Mein Pold ist beerdigt, und ich bin gefaßter, als den neunundzwanzigsten um sieben Uhr Abends. Ich hoffe, daß ich Kraft haben werde, etwas von ihm zu schreiben. Nur eine Handvoll! – Ich hab' ihn in dieses Historienbuch einschreiben lassen; laßt mich, lieber Leser, laßt mich ihn ausstreichen! Mit ihm ist mein Stamm hin. Er war uns ein sehr theurer Sohn, ihr wißt wie! Daß er wie Clodius Albinus zur Welt gekommen, hab' ich gleich zu Anfange dieses Werkes gesagt. – Seine Geburt machte ihn aber zum Einzigen, zum Einzigmöglichen. Das arme Weib! Ich wählte die Mutter; Gott ließ mir den Isaak und sie zugleich. Gott! Er lieh mir den Isaak! Vollbracht! – Herr, wie du willst, dein Wille geschehe![358]

Ihr gutherzig Rachsüchtigen! ihr Edelgestrenge, die ihr im Herzen darüber aufwallt, daß ich nach Minen der ersten, Minen die zweite lieben konnte, habt ihr denn Minens Testament vergessen, – den Beschwur vor und nach Gott, und das: So wahr dir mein Andenken lieb ist? Eben geht nur eine Stelle auf in Minens Testament. – Da ist sie:

Wenn dir ein Sohn stirbt, – schreckliche Ahnung! – sey er mein in der andern Welt! Ich will mich mit ihm verbinden und deine himmlische Schwiegertochter werden, ha kommen dir dann und deinem künftigen Weibe entgegen ich, meine Mutter, dein Sohn, und lehren dich in der Stadt Gottes die Häuser kennen. Hallelujah! Hallelujah! Amen!

Erfüllt! Aber, Mine, ich habe nur den Einzigen, kann nur einen Einzigen haben! Nimm ihn hin! Gott, dein Wille ist geschehen!

Ich habe geendigt! Mein schriftlicher Lebenslauf ist zum Ende! Auch ich bin es; ich bin auch zu Ende! Mein Weib zu Ende! Alles! Amen! Amen!

Ich kann nicht weiter, – so gern ich meinem Leopold parentirte. Es ist spät! Spät oder früh! Ich schlafe keine Minute diese Nacht!

Des Abends um eilf –

Da ich heute den Tag, des Morgens um sechs Uhr, lese, was ich ehegestern, des Abends um eilf Uhr, geschrieben, find' ich schon der Parentation Anfang, Der liebe Junge! so gern wollt' er ins Buch! Komm herein, du Gesegneter des Herrn, warum stehst du draußen? Deine Wünsche sollen erfüllt werden; die meinen bleiben unerfüllt. Ich wollte, daß du meinen Lebenslauf ergänzen, und wenn zwischen jetzt und meiner Sterbestunde sich noch ein Fall ereignete, der werth wäre in einem Postscript aufbewahrt zu werden, daß du ihn verzeichnen möchtest. Ich trug du eine Durchsicht[359] auf, so wie du sie vor deinem Gewissen zu verantworten gedächtest. – Du bist vollendet! Du bist bei Minen! – Da ruft deine Mutter, deren Schmerz lange stumm war, so, daß dieß Ansichhalten meine Seele betrübte: »Süßer Mondstrahl! Kommst du von Minen, kommst du von Pold? O bringe mich, bringe mich zu meinen Lieben! – Hinauf, hinaufleuchte mich, wenn diese Augen brechen. Dort oben, wo Ruhe ist!«

Wie bald ist's mit unsern Vergnügungen geschehen! Schnell, wie der Schnee auf der Straße, schmelzen sie weg und ihre Stätte ist nicht mehr! – Diese Welt ist erster Wurf! Man sieht den Meister; allein es bedarf Ausarbeitung. Dieß sind allgemein verlautbare Klagen, die, nachdem das Blut aufschlägt, oder wieder fällt, angestellt werden. Es gibt ein besonderes Licht, wenn die Nacht sich mit dem fernen Sternenlicht kreuzt. Das ist das treue Bild unseres Wissens, unseres Weissagens und unserer Hoffnung, welches die göttlichen Kabinetsbriefe, geschrieben auf Gottes allergnädigsten Specialbefehl, durch Männer, getrieben vom heiligen Geist, uns ertheilen. Dieß ist das Sehen durch einen Spiegel in einen dunkeln Ort. – Das Regale der Vernunft ist zu zweifeln; der geoffenbarten Kinderlehre zu glauben. Gott helfe meiner Schwachheit! Amen!

Pold war nicht kindisch, sondern kindlich. Ein paar Worte, bei denen meine Mutter einen himmelweiten Unterschied fand.

Es war ein lieber, sehr lieber Junge. Weiß und roth, Lilien und Rosen! Oft in Gedanken! Was hast du kleiner Mensch zu denken? Statt einer Antwort lächelt er.

Homer und Milton und all' ihr Menschenleser! – ihr seyd alle zu früh gestorben, denn ihr habt keine Fibel geschrieben! Wie sehr ich dieß Werk bei meinem Pold vermißt, ist unaussprechlich. Welch ein großer Geist wird einst die Kindlein zu sich kommen lassen und sie nicht zu klein finden, denn ihrer ist das[360] Reich Gottes! – In solche Schulen zu gehen würde so viel heißen, als eine Promenade ins Paradies machen. Jetzt haben sich auch hier Staatsgrundsätze eingeschlichen, und jedes Kind wird jetzt schon an eine Kette gelegt, als ein beißiger Hund.

Mensch, ist denn dieß das Reich Gottes? Wahrlich! ich sage euch, wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Reich Gottes eingehen!

Etwas von Aehnlichkeit haben die Kinder auch von unmittelbaren Eltern. Dieser Aehnlichkeitsflecken ist oft sehr versteckt. Mein Vater fand ihn sehr öfters in den Nägeln an den Fingern. – Die Probe dürfte meistentheils richtig seyn.

Gottlob! daß ich Polden nicht ins Treibhaus gebracht! Was hätt' es ihm geholfen, wenn er zu decliniren und zu conjugiren gewußt? Er ist zeitig reif worden, sagt meine Mine! Er wird es werden, meine Liebe!

Gedankenwerk ist Fachwerk – Bildung der Vernunft ist eigentliche Erziehung und Seelenbeschäftigung. Mein Vater hatte die Gewohnheit, über den: Kyrie eleison! auszurufen, der nicht griechisch verstand. Warum, lieber Vater? Er gab, so klein ich war, alle Tage ein griechisch Wort zur Parole aus.

Warum, lieber Vater? Wenn Plato nichts anders als griechisch weiß, kann mein Pold kein Wort mit ihm wechseln. Gewiß wird er nicht beim Griechischen geblieben seyn! – Mein Vater sagte, die hebräische Sprache sey die metaphysische, die deutsche die philosophische im allgemeinen Sinne; die französische die witzige, die englische die dichterische! Die englische die Genie-, die französische die Geschmackssprache!

Ich überließ Polden, wo ich nur wußt' und konnte, der Natur und entfernte ihn so wenig von den Kindern gemeiner Leute, daß ich ihn vielmehr in ihre Art kleidete. Sein Anzug war nur durch innern Werth, auf den kein Kind sieht, unterschieden. –[361]

Warum wie ein Holländer, wie ein Engländer, wenn man in Liefland wohnt?


* * *


Heraus schrie Pold einmal, da mein Schwiegervater kam, und alle Jungens traten ins Gewehr. Wie hoch dieß Herr v. W. aufnahm, kann ich nicht aussprechen!

Seine Mutter hatte ihm unfehlbar gelehrt, den Bohnen nachzuhelfen, und sie von den allerersten Blättern, die sobald gelb werden, zu befreien; das war sein Leben! – Meine Frau nannte dieß den Bohnen die Kinderschuhe ausziehen. – Meine beiden Minen mochten so gern der Natur einen Liebesdienst erweisen und ihr hülfreiche Hand leisten. – Sie konnten nicht einmal eine Pflanze leiden sehen.

Besonders! Pold selbst pflanzte nicht, durchaus nicht. Warum das, Pold? »Es könnte ja ausgehen!« Guter Junge! du bist nicht ausgegangen.

Ein Kind muß in seinem irdischen Vater den himmlischen Vater kennen lernen; in seiner Mutter seine künftige Geliebte, in andern Menschen sich selbst. – Die Mutter hatte unserm Pold kein: das Walt, kein: aller Augen gelehrt; so wie er mit mir sprach, betete er auch.

Er war sehr geneigt, für sich zu seyn. – Oft hab' ich ihn laut redend mit sich selbst gefunden. Alle fleißige Beter sind Selbstsprecher! Hat dir der liebe Gott schon einen guten Morgen gewünscht? hieß an einem schönen Frühlingsmorgen: Hast du schon die Sonne scheinen gesehen? – Der liebe Kleine sprach des Morgens und des Abends vor Tisch und nach Tisch so einfältig rührend mit dem lieben Gott, als ein liebes Kind mit dem lieben Vater.

Einen guten Mittag, da er noch jünger war, trat er hin nach Tisch und sprach: Ich danke dir, lieber Gott, für die schöne Kräu tersuppe und den Braten und den Kuchen! [362] Kuchen nicht! Gestern hatten wir Kuchen, und gestern hab' ich auch dafür gedankt!

Die Mutter wollte haben daß er die Hände unter die Decke beim Schlafen legen sollte; allein er schlief nie anders, als die Hände frei und über der Decke.

Aus Händefalten war er schwer zu bringen! Er hatte einen Gefangenen an Händen geschlossen gesehen. Sind wir denn des lieben Gottes Gefangene, sagte er, daß ich die Hände schließen soll? Wir sollen beten und arbeiten, sagte ihm die Mutter, darum zeigen wir dem lieben Gott die Hände. Das gute Weib hatte diese Erklärung freilich nicht selbst erfunden. Sie war für Polden beruhigend; er faltete die Hände. – Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brod essen, ist das beste Recept für alle Krankheiten.

Wie ich noch ein kleines Mädchen war, sagte der Kleine bei einer Erzählung, und meinte die Zeit, da er noch im langen Rocke gegangen.

Die Mutter ließ ihn nur acht Stunden schlafen. So lange soll er schlafen bis er acht Jahr ist, und nach der Zeit sieben Stunden. Sie hat Recht, daß man eben sowohl zu viel essen, als zu viel schlafen kann.

Einen Tag kam ich vom Felde, und Pold hatte das Bild der seligen Mine mit den ersten Blumen so bekränzt, wie eine Braut, sagte der Kleine, und sprang herum.

Die Geselligkeit ist nicht die Folge einer aufgeklärten Vernunft. Je klüger der Mensch, je weniger theilnehmend, je weniger gesellig ist er. Je mehr Cultur, je kleiner der Wirkungskreis! Es scheint, ein vernünftiger Mensch bilde sich ein, er sey so stark an Leibeskräften, als an Verstandesvermögen, und braucht keiner Gesellen!

Das schwerste ist, den Kindern einen Eindruck von Gott machen, ohne ihnen Gott zeigen zu können. Mit Gott in Gemeinschaft treten, ohne ihn zu sehen, ist schwer, und doch stehen[363] wir uns selbst im Licht, wenn wir gewisse Begriffe nicht in der Jugend gründen, und allmählich einen Damm von dieser zur künftigen Welt schütten, die unsichtbar ist, wie Gott der Herr.

Meine selige Mutter hielt viel auf eine Lade. Jedes im Hause hatte seine Lade. Ich auch die meinige. Mein Vater lachte darüber. Sie hatte dabei die Bundeslade in Gedanken. Schon das Wort war ihr heilig. Pold mußte nichts verschließen. Was hat denn Gott der Herr verschlossen, das wir brauchen?

Mein Vater pflegte zu sagen: Es wären fünf Wünschperioden beim Menschen:

Erstlich, Beinkleider.

Zweitens, Taschenuhr.

Drittens, Mädchen.

Viertens, Vermögen.

Fünftens Landgut! – Die fünfte Zahl, setzte er hinzu, ist bei dem Menschen nicht zu verachten, es ist die Körperzahl.

Meine liebe Mine, der das meiste auf diesem Blatte zugehört, will noch etwas mehr angefügt haben. Gern, liebes Weib!

Wie er klein war, sagte sie, ließ ich ihn so lange schreien, bis er aufhörte, ohne ihn zu herzen und zu küssen. Nie hat er in einer Wiege gelegen.

Da ging ich mit ihm spazieren nach dem Berge, wo die Bäume so stehen, als stiegen sie den Berg hinauf. Es war ein schöner Abend! Pold sagte: wie die Engel auf Jakobs Leiter!

Pold aß nicht süße Früchte; saure waren für ihn!

Da sah er einen Ast an dem Birnbaum geknickt, und nahm sein Strumpfband und band ihn an.

Liebes Weib! Wem kann das alles behagen?

Nur noch, wie er starb.

Meinethalben! Herzlich gern![364]

Ich (mein liebes Weib nämlich) erzählte ihm viel von der seligen Mine, an die ich ihm, wie an eine Verwandtin unseres Hauses, eine Empfehlung gab.

Du wirst sie dort finden – sie wird dich aufsuchen. Auch sagte ich ihm, daß er keinen Bruder, keine Schwester mehr haben würde! Warum, liebe Mutter? Unser Nachbar und seine Frau haben sieben Söhne. Wir keinen, mein Kind! wenn du todt bist, keinen! Sag es Minen in meinem Namen, keinen! Auch in Vaters Namen? fragte Pold. – Ich stand an über diese Frage. Ja! erwiederte ich, auch in Vaters Namen! Hab' ich zu viel gesagt? Nein! liebes Weib, auch in meinem Namen! – Meine Mutter hatte nur mich! – Gottlob! daß sie dich behielt! sagt und schreibt Mine.


* * *


Mine wollte, daß ich Polden nach preußischer Manier begraben lassen sollte; allein ich thats nicht, sondern ließ ihn einen Morgen bei Sonnenaufgang begraben. Ich begleitete ihn mit einem meiner Freunde, den ich an diesen Ort bestimmt hatte. Sie weiß, wo er ruht, und noch heut hat sie Mutterthränen auf sein Grab geweint. – Weine nicht, Mine! – Weine nicht!

Gott, was ist das Leben?

Eben eine Antwort von unserer Mutter und ihrem Gemahl. Sehr verschiedenen Inhalts.

Zwar auch er scheint den Fall zu Herzen zu nehmen, der ihm so viel Gelegenheiten zu Freudenfesten genommen. Da er ihm aber doch ein Trauerfest verleiht, scheint er sich zu finden. Complimente machen kalt. Man löst sich ganz in Worten auf, und in abgemessenen Verstummungen. Wer es zu Worten bringt, ist getröstet: so wie ich es jetzt unendlich mehr bin, als zuvor. – – Ein Complimentist ist ein Klugredner! Meine liebe Mutter, Gott, was hat sie gelitten! Das Wort Sohn! gilt sonst nicht um die[365] Hälfte so viel bei der Großmutter, als der Mutter. Die Großmutter rechnet auf seinen Schutz nicht. – Pold aber war das einzige Großkind, und seine Großmutter war die Frau v. W. Soll ich aufhören, Großmutter zu seyn? schreibt sie und ringt die Hände; schriftlich ringt sie die Hände. Es ist ihrethalben zu fürchten – Isaak! der Eineinzige! – Ei du frommer und getreuer Knecht, schreibt die gewesene Großmutter, du bist über wenig treu gewesen; ich will dich über viel setzen! Diese Worte, so anstößig sie wegen des Knechts scheinen, beruhigen mich doch auf eine unbeschreibliche Art; ich fand sie so treffend. – Beim Trost muß man jede Gelegenheit benutzen, die ohnedem immer wie eine Sibylle ihre Waare ausbietet. Wer nicht zugreift, verliert die Hälfte davon und muß die andere Hälfte doppelt bezahlen.

Da der Mensch immer leidet, so hat auch Gott der Herr dafür gesorgt, daß er auf trostergiebigem Boden wandelt. – Der Trost hält Stich, wenn man alle zerstreute Züge in einem Brennpunkt zu vereinigen sucht. Er ist wie die Schönheit, die häßlich wird, sobald man sie zergliedert. Das dressirteste Pferd stolpert unter einem schlechten Reiter, und auch den härtesten Stein weiß der Künstler so weich darzustellen, so warm zu machen, daß man glaubt, es sey Blut in ihm.

Liebe Mutter! liebes Weib! faßt euch! wir werden zu ihm kommen! – Seht nicht auf die Person, sondern auf die Sache, und dann blickt euch um! Gehts anders in der Welt? Sind wir die Einzigen, die einen Pold verloren haben?

Beim Sonnenlicht besehen, was hat die ganze weite Welt, so lange der Mensch noch nicht auf seine eigene Hand lebt? Ohne durchs Schlüsselloch Entdeckungen zu machen, fragt den besternten Hofmann, wenn er des Tages Last und Hitze getragen, und gekrümmt nach Hause kommt, ob alles Gold sey, was man für Gold ausgibt? Der Würgengel geht keine Thür vorbei. Er hat[366] den Auftrag, sich überall an der Erstgeburt, am Markt des Lebens zu halten. – Vielleicht ist es noch am besten, den Exorcismus gebrauchen, den allgemeinen Klagen und allen Uebeln des Lebens durch eine Tollkühnheit widerstehen, den lieben Gott zu Gevatter bitten und Krippenreiten. Als ob die Spekulation etwas anderes wäre, als wenn ein Gevatterstand, den man dem lieben Gott ansinnt! – Wahrlich ein Krippenritt!

L. 3. Inst. quibus ex caus. manum. non lic. saepe de facultatibus suis amplius, quam in his est, sperant homines! – Laßt sie doch, die armen Menschen, wenn sie sich durch Selbstbetrug weiter bringen können; – ob so, oder anders!

Ehemals wirkte das Bewußtseyn der Mühseligkeiten dieses Lebens den Entschluß, der Welt zu entsagen, welcher noch bis jetzt in einer Kirche, wiewohl nur in den meisten Fällen pro forma, Stich gehalten, bei mir wirkt er das Gegentheil. Nachdem ich mich anders bedacht, fand ich mein Zoar, meine Bücherstube, der Lage nicht angemessen, in die ich versetzt war. Gibt es denn mit Zoars und Sodoms und Gomorras in der Welt? – So wie die Welt jetzt ist, was meint ihr? scheint sie uns nicht noch am allererträglichsten, wenn wir näher auf sie zugehen, und durch Wandel ohne Krümme ihr ein Beispiel zeigen, nachzufolgen unsern Fußstapfen?

Studium, wenn es Trost des Lebens seyn soll, kann nicht in einem platonischen optischen Kasten, oder in einer bessern Melodie auf den nämlichen alten Text bestehen. Und ist die Spekulation etwas anderes? Laßt euch doch nicht durch den Schall bethören! Der Text ist immer derselbe. Die Stoiker ließen sich, ihrer Philosophie unbeschadet, zu Weltgeschäften brauchen.

Christus war nur vierzig Tage und vierzig Nachts in einer Wüste, und nie wagte sich der Satan an den Heiligen als eben hier! Fleisch und Blut ist in der Einsamkeit so laut, als es die Thorheit in der Welt ist. – Wer kann mit Spekulation und wer[367] mit Weisheit zu Ende kommen? Mit Geschäften aber kommt man zum Ende. Und welch eine Freude, zum Ende zu kommen! Wer sich selbst Arbeiten auflegt, dispensirt sich auch selbst, färbt, ehe man sichs versieht, einen ganzen Monat roth im Kalender, und hat alle Augenblicke einen Heiligen, dem er nicht die Messe abschlagen kann.

Geschäften ist bei dem Uebergewicht des Menschen zur Trägheit nichts besser als ein Muß! – Wenn es schon auf Kunst angesehen ist, warum soll man nicht zu diesem kunstreichen Muß greifen? Wenn die Dienstjahre nur nicht länger als sechs Jahre dauern. Jakob diente sieben und sein Lohn war eine Lea. – Wie man schläft, wenn man was beendigt hat, ist unaussprechlich! Man ruht, man stirbt, man aufersteht wie neugeboren! Dem Pastor schmeckts am Sonntag am besten, dem Junker am Ernteschluß und dem Kaufmann am Posttage.

Ich überlegte alles mit meinem Weibe und sie fand es wie ich. Was findet dieß Mariengesicht nicht so?

Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem, sagten wir einander, und ich entschloß mich, noch einmal mich in Geschäfte einzulassen, wozu ich mich so wenig gedrängt hatte, daß vielmehr die dringendsten Anträge mich zuerst auf den Gedanken brachten. Diese Stelle ist sechsjährig, sie ist wohlthätig für andere, und ohne alle andern Einkünfte als Diäten, zu denen ich noch einmal so viel legen muß, um in – – zu leben, wo alles kostbar ist.

Mein Weib, wünschte ich, möcht' einen Victualienzettel beilegen. Warum aber Beilage D, zu der ich mich nicht verbindlich gemacht? So muß man geschäftig seyn, wenn uns Geschäfte zerstreuen und hülfliche Hand leisten sollen! Wenn diese Capitulationsjahre geendigt sind, bin ich gegen fünfzig, und wer drüber geschäftig ist, glaubt nicht, was Herr v. G. herzlich mitsingen[368] wollte und nicht mehr konnte, was meine selige Mine mir noch zu guter Letzt schrieb:


Nach diesem Elend

ist uns bereit

dort ein Leben in Ewigkeit.


Ein Versuch! werden viele meine Leser sagen, und mein lieber – s deßgleichen. Freilich ein Versuch, allein ein mißlungener Proceß in der Chemie brachte das Porzellan aus Tageslicht, welches zwar zerbrechlich ist, indessen doch schön aussieht. Das Berliner hat eine schönere Malerei als Porzellan anderer Orte!

Ein Baum ohne Zweige, ohne Kinder und Erben, schießt in die Höhe! Das will und werd' ich nicht. Mein Muth ist nicht zum Himmelstürmen und das Sechsjahrziel, wie bald verlaufen! Schon jetzt freu' ich mich auf die gütige, milde Ausspannung aus dem Jahre der Standesrücksichten und gewisser Etiketten, ohne die kein Amt ist, und die mir schon seit der kurzen Zeit, da ich eingespannt bin, so drückend sind! – Bei Geschäften, falls sie köstlich gewesen, ist alles eine authonianische Chrie, wenns noch so unpedantisch aussieht. – Auch wenn ich von dem Legat der Amazonin, der Frau v. – b-, Gebrauch gemacht, und Mantel, Rock und Kragen angelegt, wär' ich ohne authonianische Chrie abgekommen?


* * *


Jener Heide hörte: dein Sohn ist todt, da er den Göttern opferte und räucherte; ich nicht also!

Meine Stunde ist kommen, um von meinen Lesern, vielleicht auf ewig, vielleicht auf sechs Jahre, Abschied zu nehmen. Wer hätte das denken sollen, da ich über die Worte: kurze Frist commentirte. Natürlich bringt mich dieses: nach einem Endlich noch auf ein


letztes Endlich!
[369]

Ich weiß, was für eine herrliche Sache es ist, den Schlußstein des ganzen Gewölbes zu entdecken und bei dieser Gelegenheit sich zu überzeugen, daß die Säulenbogen nicht nur schön, sondern auch sicher sind! Weisheit, Stärke und Schönheit an einem dergleichen Schwibbogen finden, ist so was Erwünschtes als etwas in dieser Welt, wo so selten der Schlußstein zu sehen ist, nur seyn kann! Ists aber meine Schuld? – Dacht' ich, Zoar je zu verlassen? Legt' ich es je zu einem Buchstaben so oder anders, mehr oder weniger, in meinem Namen an, um diese Namensveränderung mit mir sterben zu lassen? Kinderlos! bei einem so lieben, edlen Weibe! – Und was soll mir der Lebenslauf meiner Vorfahren in aufsteigender Linie, da keine absteigende vorhanden ist? – So hat es dem Herrn über Leben und Tod gefallen, und er allein weiß es, ob ich noch mein Wort erfüllen und die beiden fast fertig daliegenden Theile übersehen und ergänzen werde! In meinen Amtsjahren gewiß nicht. Was da alles aufs Wort merkt! – Gewiß nicht in den sechs Dienstjahren.

Verzeiht, lieben Leser, diesen Umschlag, den ich zu machen gezwungen bin.

Seht, ich gehe hinauf!

So wie ich einen jeden, weß Standes, Alters und Ehren er ist, hiermit feierlichst ersuche, nichts zu diesem Werke hinzuzuthun, und unter dem Scheine des Rechts meinen Vater und Großvater durch magische Künste zu citiren, so sey es mir auch erlaubt, zu bitten, nichts von diesen drei Theilen abthun zu dürfen, und das Bild und die projektirte Ueberschrift zum ewigen Andenken so zu lassen, wie beides da ist!

Hiermit lebet wohl!

Nach geendigtem Buche, lieber – es, noch etwas hinzufügen heißt die Einheit verletzen und der göttlichen Natur eines Buchs zu nahe kommen. Ich bin kein Freund, wenn schon letzte Worte da[370] sind, noch mehr letzte Worte und allerletzte letzte Worte beizufügen. Meinethalben! Ein paar Züge können freilich nicht helfen, nicht schaden.

Herr v. G. war fürs Einfache: Mein Vater hatte für Eins auch eine wahre Achtung; wäre er sonst ein Monarchenfreund gewesen? Im Skelett, sagte er, scheinen Mann und Weib einerlei. Je näher man der Natur tritt, je mehr überzeugt man sich, daß der liebe Gott alles vortrefflich rubricirt hat. Sein Hausbuch der Welt hat weniger Artikel als man glauben sollte. Drei Ingredienzen konnte mein Vater leiden, nicht aber mehr. Verträgt sich doch Oel und Essig. – Die neunte Zahl war meines Vaters Liebling. Dreimal drei ist neun.

Eisen war ihm in vielen Rücksichten besser als Gold! – Gold ist Wahn und Zufall, Eisen ist Wahrheit und wirklicher Werth.

Nur neulich erinnerte mich mein Schwiegervater, daß er wegen des Abschiednehmens mit meinem Vater ein Herz und eine Seele gewesen. So ganz nicht! Etwas kann seyn.

Mein Vater haßte armselige Allgemeinheiten. Wer Abschied nimmt, singt die Melodie des Todes; mancher pfeift sie!

Herr v. W. nannte einen kurzen Abschied, der, wie mich dünkt, der beste ist, den man nehmen kann, einen Schlagfluß; einen feierlichen Abschied, die Hektik, die sich in die Zeit zu schicken versteht.

Wer ohne Abschied aus der Gesellschaft scheidet, oder, wie man sich ausdrückt, sich unsichtbar macht, hat sich, wie mein Vater sagt, selbst umgebracht.

Mein Vater war kein Tagwähner, Tagfärber! Auf Tagezeiten hielt er sehr! So hab' ich ihn nie des Morgens lachen gesehen! Den Sommer hielt er für den Gelehrten weniger zur Arbeit tauglich als den Winter. So verkehrt ist die liebe Gelehrsamkeit! Man sagt, Milton, obschon er blind gewesen, soll im Winter bessere Verse gemacht haben.

Mein Vater war ernsthaft, hager und hielt sich gerade. Ein[371] gewisses Nachdenken, das wie Schwermuth aussah (so sieht das Nachdenken gemeinhin aus, vielleicht weil wir zu sehr wissen, daß wir nicht weit damit kommen), war in seinem ganzen Gesicht verbreitet. Er war sonst heiter und guter Dinge. Selten griff ihn etwas an. – Die Augen hatten ein besonderes Feuer. – Die Lerche singt im Fluge, so auch ächte Dichter. Der Philosoph steht. Oft, wenn er spazieren ging, blieb er stehen, die linke Hand auf seinen großen weißen Stock gelegt, und mit der rechten sich aufgestützt.

Da sehen die meisten Leute diese Welt als eine Spielgesellschaft an, wo die Klugen nichts weiter thun, als Partien machen. Einigen scheint sie, wie ein Schauspiel, wo sich der Zuschauer, bloß weil er seinen Platz bezahlt hat, über andere zu lachen berechtigt hält. Der Weltpatriot sieht dieß Leben als Zeit und Gelegenheit zu ernsthaften Dingen an, wenigstens hält er sich verpflichtet, Vorsätze hiezu zu fassen. Gott segne seine Studia.

Mein Vater stritt, ohne eben darauf auszugehen, Recht zu behalten. Jeder wird seines Glaubens leben, war sein Glaube. Meine Mutter pflegte zu sagen, er sey von der streitenden, nicht aber von der triumphirenden Kirche.

Ich möchte wetten, er hätte gern einen Ring getragen, wenn er nicht Pastor gewesen. Herr v. G. seliger gewiß nicht, um wie viel nicht.

Mein Vater setzte nichts ins Spiel, was er lieb hatte. Meine Mutter glaubte, man könne seine Zuneigung zu allem Leblosen nicht anders an den Tag legen, als wenn man es an einen Ehrenort setzte. Selbst war sie für Gewölbe, bis mein Vater sie davon, wie vom Kreuzschlage, abbrachte. Mein Vater brauchte alles, was er lieb hatte. Durchs Aufbewahren, bemerkte er, zerbricht alles leichter. Peinlichkeit schadet überall. Wenn man mit der Dose im Umgange ist, wird sie zuletzt ganz dreist mit uns, und so bekannt, daß sich keines vor einander scheut, weder ich noch[372] sie. Ist es nicht thöricht, sich Knoten ins Schnupftuch machen, um sich an dieß und das zu erinnern?

Was er doch über die Theilung von Polen gesagt haben würde, wenn er sie erlebt hätte?

Gern, lieber Freund! – – hätte ich gewünscht, Sie hätten meinen Vater, wenn nicht gekannt, so doch einmal gesehen. Er gehörte unter die sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe, und war in allen Rücksichten ein verehrungswürdiger Mann.

Männer seiner Art sieht man gern. Eine doppelte Persönlichkeit am Kern und Schale, Körper und Geist!

Es gibt Leute, an denen es auffällt, daß sie den Leib nur wie einen Schlafrock umgeworfen. – Er hängt so, wie ein Dieb am Galgen. – Meinem Vater war der Leib auf die Seele gemacht, so wie man vom Kleide sagt: Es ist auf den Leib gemacht. Es war ihm Maß genommen. Ein feiner Anzug! – Keine steife Leinwand, alles so locker und ädellose und doch anprobirt! Wie auf den Leib gegossen. Oft ging er für die Seele. Es gibt wirklich Seelenbewegung, wobei man ordentlich fühlt, daß der Leib keinen Antheil hat. Den Magen nannte er die Wurzel des Thieres; das Gehirn die Wurzel der Seele.

Zu orthodox? Er war freilich den Grundsätzen seiner Kirche treu; allein wahrlich, er würde den kindlichen Communionshunger des Johann Jakob Rousseau, welcher auch in meinem Buche Todes verblichen, gestillt haben. Meine Mutter, die eine Schutzpatronin der leidigen Erbsünde war, hätte ihn zwar ohne Gnade und Barmherzigkeit vom Tisch des Herrn gewiesen und wider seinen Zutritt in bester Rechtsform protestirt; allein mein Vater nicht. Wahrlich, wahrlich! ich sage es euch, er hätte ihm diesen Tisch gedeckt und einem so hungrigen und durstigen Mann das Brod gebrochen und diesen Kelch gegeben. Ihm, der Brüder und Schwestern suchte, und so viel Seelenmordbrenner und Gewissensvergifter[373] fand, daß er zuletzt meinem vierschrötigen Freunde Hume nichts Gutes ansah, und ein solch wunderlicher Seelen- und Leibesphysiognomist ward, daß sich Gott erbarme! Nie kann ich es vergessen, was mein Vater, der mit dem Apostel Johann Jakob nur nach meiner Zeit näher bekannt worden, meiner Mutter (aus dem Einhornschen Geschlecht) bei Gelegenheit, daß sie den Stab über den Herrn v. G. brach, dessen er sich in seiner Abwesenheit immer ritterlich annahm, zurief: Preußen! Holland! Toleranz hin, Toleranz her! Ein anderes ist Toleranz aus Commerciumabsicht, ein anderes von Gotteswegen. Ein anderes Holland, ein anderes (er nannte ein Land). – Glaube mir, mein Kind! wer würde in Holland und – dem Herrn Christo die Communion versagen, wenn er da wäre? Die Narren! ohne zu bedenken, daß er sie in der Nacht da er verrathen ward, eingesetzt hat. Nenne mir ein Land, liebe orthodoxe Seele, wo man ihn nicht kreuzigen würde? Wo er nicht noch in manchem seiner Jünger (Rousseau und –) gekreuzigt wird? Lieber Rousseau! Ich habe dich meinem Schwiegervater empfohlen, und er feiert deinen Sterbetag, obgleich du nicht von Adel bist. – Mehr vermag ich nicht. Meine Mutter hätte dir kein Monument in der Speisekammer errichtet? Ob mein Vater zum Eugen im Prunkzimmer zur rechten Hand unterm Spiegel gesagt: Weiche diesem! weiß ich nicht. Wenn ich erwäge, daß du, wie alle edle Menschen, nicht hattest wo du dein Haupt hinlegtest, und da dich dürstete, dir nichts gegeben ward, als Essig und Galle, so fällt mir der Spruch ein: Was ihr gethan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir gethan!

Geburt, sagte mein Vater, klebt an bis ins Grab. Wahrlich, er hatte Recht! Die wahre Religion ist die, in der man geboren und erzogen ist. Erziehung ist ein Stück von Geburt; Seelengeburt! Seht selbst Gelehrte, wenn sie von schlechtem Herkommen sind, wie sie sich nach ihres Geburtsgleichen sehnen! – Sie finden,[374] daß der gemeine Mann eben so klug ist, wie der Hofmann, nur daß ihm der Ausdruck fehlt, zu dem ihn doch zuweilen ein Gläschen über'n Durst bringt, und dann ist dieser Ausdruck immer treffender und wärmer, als der Ausdruck des Hofpapageien. Gelehrte von geringer Abkunft wollen nicht Engelaffen, sondern Menschen seyn. Thun sie ja, als wüßten sie auch, wie es bei Hofe zugeht, so steht's ihnen gewaltig übel. – Selten ist Geschmack in ihrer Kleidung, am wenigsten bei Perücke und Schuhen. Ein Schweinbraten kommt bei einer wirklichen Hofschüssel zu stehen. – Etwas wohlfeiles in ihrem Ausdruck, und dann zuweilen ein Schwung, daß man frägt: Wo sind sie geblieben? Sie nehmen sich des gemeinen Mannes an, und wollen es nicht seyn.

Ich weiß nicht, ob es meinen Lesern nicht aufgefallen, wie sehr mein Vater von je an Zeichen einer guten Geburt schimmern lassen. Er hatte wahrlich eine sehr feine Lebensart. Ein gewisses Selbstgefühl war ihm eigen, bei einer edlen Mittheilung auch immer ein gewisser Rückhalt, der Leuten von Stande eigen ist! – Aus diesem Gesichtspunkte wird man manches so nach und nach auflösen, was in seinem Charakter sich zu widersprechen anscheint, und sich nicht widerspricht. Nie wand sich das Licht in einem schwarzen Chaos, ehe es herausspritzte. Es spritzte nicht, es floß. – Er schrie nicht, er sprach, und es ward. Sein Ausdruck war nie gemein, allein auch nie schwer. Er war kein Tongeber, allein auch kein Tonnehmer. – Die Italiener bitten aufs Casino zu Gast. Sie wollen's zu gut in ihrem Hause machen, und lassen es lieber gar bleiben. Der ist geborgen, der schon bei ihnen im Saal ist. Licht ohne Ende. Allein auf der Treppe flößt man sich den Kopf.

Vielleicht hätten wir, ohne menschliche Seele, Anlage zu Hausthieren, sagte mein Vater; und dann wieder kaum!

Meine Mutter hatte die beliebte Pastor-Erklärungswendung: [375] Als wollte er sagen. – Wenn er Pastorin in – gewesen, fiel mein Vater ein. Die Commentatores empfehlen, was jetzt getragen wird. Sie machen aus einem Kopf- ein Kniestück und sticken ein Stück Leinwand an, das sie nach Gutdünken bemalen. – Schade um den alten guten Rahmen, aus dem sie den Kopf gehoben! Meinst du? Jammer und Schade um das Bild! Ein junger hohnsprechender Pastor, der von – kam, ließ sich aus: Er würde eine Vorsündfluths-Weltgeschichte schreiben und der Bibel Vorfluth schaffen. Mein Vater vermied so sehr als möglich, mit ihm zusammen zu seyn. Noch ist das Werk nicht heraus.

Mein Vater war nie verlegen über seine Predigten. Im gemeinen Leben schien er rednerisch; es war aber bloß ein lebensartiger Ausdruck. Die Redekunst macht seichte Köpfe, pflegte er zu sagen, und wenn einige seiner vernünftig milchlautern Collegen sich unter einander beschwerten, daß sie nichts mehr zu predigen wüßten, und daß sie sich ausgepredigt hätten, versicherten; so konnte er dieß eben so wenig begreifen, als daß irgend jemand die Zeit lang werden könne. Oft nahm er eine Blume, einen Ast aus der Sonntagslection, Evangelium oder Epistel, oft ging er sie ohne meiner Mutter: Als wollte er sagen, nach ihrer ganzen Länge durch. Kopf- blieb Kopf- – Kniestück Kniestück!

Wenn Christus, sagte meine Mutter, eine Bibel vom Himmel gebracht, wie doch die gewesen wäre!

Darstellung, sagte mein Vater, ist der nächste Weg zum Menschen. Wer durch die Speculationsthür kommt, ist ein Miethling!

Die Feierlichkeit, mit der mein Vater alles that, war so sehr von der Festlichkeit des Herrn v. W. unterschieden, daß ich behaupten kann, bei einem war der Leib, bei dem andern die Seele im Sonntagsgewand.

Meine Leser! (oder soll ich mich bloß zu dir, mein guter – – es! wenden?) werden dieses Sonntagskleid oft gefunden haben;[376] nie aber mehr, als wie er: Licht! rief. – Das Papier glühte so feierlich, sagte meine Mutter, als wenn einst Gott den Bogen Papier des Himmels am Licht anzünden wird.

Meine Mutter konnte ihm seine Kopfunterlage im Bette nicht hoch genug machen! Es war ein Berg aus lauter Matratzen. – Herr v. G. hatte fast nichts unterm Kopf.

Salbei ein Kraut, woraus die Alten viel machten, ward, meinem Vater zu Gunsten, an die meisten Schüsseln gelegt, die meine Mutter anrichtete.

Er schöpft die Natur so von oben, sagte meine Mutter, wie ich den Milchrahm; obgleich sie auch naturfinderisch war.

»Gleich das erste Jahr nach unserer Hochzeit ging ich mit ihm spazieren; wir sahen eine Eiche, die am Zaun stand. Sieh nur, sagte er, sie sieht auf den Zaun, dessen Kinder und Kindeskinder sie beleben wird.«

Von abgerissenen Blumen, die im Zimmer ihr Leben aufgaben, war er kein Liebhaber. – Man riecht den Todesschweiß, sagte er, und ihre Verwesung!

Meine Mutter konnte nicht vergessen, daß er die Frösche einst Dorfmusikanten genannt.

Wie die Blumen und Bäume da schlafen, sagt' er einen schönen Abend zu mir (alles aus dem Munde meiner Mutter), da uns der Mond herausgelockt hatte. Sieh! einige Blätter legen die Füße zusammen, andere legen sich ganz zu. Alles anders, als wenn es wacht! Zweige beugen sich, als wenn du in dem Stuhl eingeschlafen bist. Wie schön alles eingeschlummert ist! Gute Nacht! lieber Mond.

Was meines Vaters theosophischen Ausdruck betrifft, so hat uns Herr v. G., der selige, auf so manche Spuren gebracht, die meinem Vater zur Phyllobolie dienen können. Wasser ist Mutter, Feuer, Vater! sagt' er.[377]

Ueber die Liebe sprach er gern und gewaltiglich. Sie hat, versichert er, wenn er menschlich darüber sprach, die Adjectiva erfunden. Kam er auf die Epistel am Sonntage Quinquagesimä: Erste Corinther das dreizehnte Capitel; so wußt' ich nicht, wo ich war, sagte meine Mutter, und ob er mit Menschen- oder Engelzungen redete.

Meine Mutter hatte diese Liebessprache so zu Herzen genommen, daß auch sie in die Liebe verliebt war, wie die Priesterwittwe mit den fünfzig Thalern Alb. sich ausdrückte. Wahrlich! die Liebe ist ein Hauch Gottes, ein elektrischer Funken, ein Geheimniß, so gemein sie da aussieht. – Es gehört Kraft und Macht dazu, zu lieben, und geliebt zu werden. – Auch meine Mutter hatte Flügel der Morgenröthe, welche das Lied: Was willt du armes Leben, niederdrückten. Sie sprach, wie mein Vater, gewaltiglich über die Liebe.

Die Epistel am Sonntage Quinquagesimä hebt sich an:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wär' ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle,

und schließt:

Nun aber bleibt Glaube! Hoffnung! Liebe! diese drei: Die Liebe ist die größte unter ihnen.

Am einundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis ging mein Vater, nach meiner Mutter Meinung, wie ein geistlicher Ritter gestiefelt und gespornt auf die Kanzel. – Herr v. G. Seliger hatte bemerkt, am Sonntage Quinquagesimä – wie ein Goldmacher. – Liebe ist die Firmelung der Seele, sagte mein Vater u.s.w.

Die heilige Eins meines Vaters ist uns bekannt, und seine heilige Drei deßgleichen.

Man muß Gott, sagt' er, nicht verkörpern und den Menschen nicht vergöttern. Statt Leib und Seele, sagte er oft: Meine Physik[378] und Metaphysik, und diese Ausdrücke sind noch in der dortigen Gegend gäng und gäbe bis auf den heutigen Tag.

Der Geiz sieht auf die Folge der Sache. Wenn andere spazieren fahren, denkt er, sie werden wieder zu Hause kommen, und dann sind sie eben so klug, als ich, der ich zu Hause geblieben. Ich könnte, denkt er, wenn ich wollte, auch traktiren, und gibt keinem Salz und Brod.

Mein Vater pflegte sehr artig die Christen aus diesem Gesichtspunkte des Geizes zu beschuldigen, die nur bloß bei ihrem Gutseyn (doch wer ist das, als Gott?), bei ihrem Bestreben gut zu seyn, auf die andere Welt sehen. – Er war kein Feind dieses Lebens, obgleich er mit einer seligen Fassung starb, und wirklich auch in der Hoffnung selig war eines künftigen Lebens.

Er ging mit der Sonne unter, wie ich schon gemeldet habe.

Er starb, sich vollständig bewußt, und nur in einer Stunde, in der er viel griechisch redete, schien die Einbildungskraft der Vernunft das Uebergewicht abgewonnen zu haben. Es währte indessen nicht lange, und alles war wieder an Stelle und Ort.

Er dachte an mich mit herzlichem väterlichem Segen.

Meine Mutter fragte ihn, ob es ihm leid thäte, daß ich Alexander hieße? Er lächelte. Gern, wie sie schreibt, hätte sie ihn wegen seines Vaterlandes und nach einer schweren Menge ihr unauflöslicher Dinge gefragt, wenn sie, wie sie anmerkt, Herz gehabt. Er sah so himmlisch aus, daß meine Liebe sich in Achtung verwandelte, schreibt sie. Liebe frägt, fuhr sie fort; Achtung merkt auf. Mein Vater starb mit den Worten: Nimm meinen Geist auf! – Er verstummte nicht, schreibt meine Mutter, dieser treue Lehrer! Er blieb nicht im Worte. Der Geist vertrat ihn und half seiner Schwachheit aus. Man hörte ganz vernehmlich: Nimm meinen Geist auf!

Sobald er kalt war, sang sie das Pfingstlied:
[379]

Nun bitten wir den heiligen Geist

Um den rechten Glauben allermeist,

Daß er uns behüte! an unserm Ende,

Wenn wir heimfahren aus diesem Elende!

Kyrie Eleison!


* * *


Auch dieß ist vollendet. Ein kleines Stück aus dem vierten Theil! – Weit weniger, als ein Fragment!

Daß ich schon in Jerusalem bin, wo ich hinaufging, will ich noch kürzlich bemerken. Ich will ausdauern, aber wahrlich niemanden rathen, ins Geschäftskloster zu gehen, um sich zu zerstreuen. – Lieber I – – es, laß dich nicht gelüsten!

Ein ehrbarer römischer Rathsherr ließ sich aufs Grab schreiben: Hier liegt Similis, ein alter Mann, der doch nur sieben Jahre gelebt hat. Sieben Jahre lebte er in Similis Höfchen – das andere von seinem Leben gehörte nicht ihm!

Sechs Jahre, weniger fünf Monat! Gott wird helfen! Amen!

Eben hat Mine mir wieder ein Pröbchen von ihrer Dichtungsgabe vorgelesen. Da ist es. – Es enthält eine treue Beschreibung meines Festungsgartens, den sie spottweise Alexandrien nennt. Meine Arbeitsstube geht in diesen Garten, so, daß ich ihn mir eigen mache.


Alexandrien.

[380] Ist die Welt denn etwas anderes, als ein Vogelbauer, wo man sich herumdreht, und, wenn es recht lustig hergeht, Sprosse auf Sprosse abspringt? Klage nicht über dein Gärtchen, das rings umher mit Häusern umgeben ist, so daß dir nur nach oben zu freie Aussicht übrig bleibt. Gibts eine andere freie Aussicht, als die nach oben gen Himmel? O die schöne Gipsdecke Gottes, so schön kann kein Künstler sie nachmachen! Alles können Maler und Zeichner nachbilden, nur den Himmel nicht. Wie kann man die Welt in eine Kammer bringen? Den großen Gott in ein Haus, wenn's auch einen Thurm hat? Sieh dich um in deinem Gärtchen, sind die nachbarlichen Mauern nicht grün behangen, und so schön von der Natur bewirkt, daß man die Festungsmauer ringsum nicht wahrnimmt? Willst du mehr, als diese augenstärkende, herzerfrischende grüne Tapete? Das Grasstück Wiese, und diese lebendige Wand, Wald; was hat die Erde herrlicher? Was war im Paradiese mehr, als Bäume und Gras? Und sieh nur jenen großen Baum! Er stammt geradeweges vom Baum des Lebens im Paradiese. Wie herrlich er da steht, sich verbreitet und sich einbildet, deinen ganzen Garten befassen zu können! Laß ihn groß thun, diesen Baum aus so gutem Hause, laß ihn groß thun! Es kostet ihm am meisten. Das Gras braucht Schatten und die Hecke Aeste, die ihr zu Hülfe kommen. Sieh! Wenn dieser Lebensbaum ihr nicht unter die Arme griffe und aushülfe, sie würde nicht bis oben zu die Mauer bedecken, die allem, was grün ist, so spinnenfeind ist. Auch würde die Sonne sonst dieser nur frisch gepflanzten Hecke das Kleid beflecken und es verderben, ehe der Herbst kommt und es Zeit ist. Klein ist dein Garten; allein merkst du nicht, wie alles sich bestrebt, sich darnach einzurichten? Die Biene sumset so laut nicht, um den Finken nicht zu stören, der deinen kleinen Garten sich zur Kapelle geheiligt hat, sein Morgenlied abzusingen[381] – und wenn die der Welt abgestorbene Philomele deine kleine Einsiedelei entdeckt, was sollte sie abhalten, hier ihr Klagelied anzustimmen und diese Einsamkeit dem vögelreichen, lärmvollen Walde vorzuziehen, welcher ihrer nicht werth ist! – nicht werth!

Sieh, wie der Sperling sich in der Stille paart, um durch sein galantes Zwitschern keinem gesitteten Bürger deines Gartens durch Ueppigkeit ein böses Beispiel zu geben!

Groß ist dein Garten dem Weisen, dem Guten, dem nichts zu klein ist, wie unserm Herr Gott! Einen so großen Erdschollen als der Mensch zum Grabe braucht, hat er auch nur nöthig. Froh zu seyn! – Wie weit mehr hast du! Du und dein Weib können in diesem Gärtchen begraben werden und selig ruhen, und doch bleibt noch Raum für einen Menschenfreund, dem Philomele beistimmt, wenn er unsern Tod beweint!


* * *


Eben ein Brief, daß meine Schwiegermutter außer Hoffnung sey. – So stirbt denn alles, was gut ist! – Vielleicht bessert sie sich! Gott geb' es! –

Meine Mine will den ältesten Sohn des Nathanael, Alexander genannt, erziehen. Mag sie sich wissen!

Hiermit lebet wohl! Das waren die Worte, in die mein Freund – – es griff. Jetzt, da ich auch ihn befriedigt, kann ich mit völlig entledigtem Herzen lebt wohl! wiederholen. Wenigstens habt ihr doch etwas von der aufsteigenden Linie, so daß Bild und Ueberschrift dieses Buchs zum kleinen Theil erfüllt ist. – Sterb' ich in den sechs Jahren, gönnt mir die Ruhe! – Laßt, was ich euch gesagt habe, im Segen bei euch bleiben. Ich lasse euch den Frieden, ich gebe euch den Segen des Friedens Gottes, der höher ist denn alle Vernunft! Nicht geb' ich euch den Frieden, wie die Welt gibt, die mit ihrer Lust vergeht. Euer Herz erschrecke nicht ob dem großen Gedanken vom Reiche Gottes und[382] fürchte sich nicht. Weiter, lieben Brüder! was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach! Der Gott des Friedens sey mit euch und meinem Geiste! Amen! –

Legt es dazu an, Freunde! daß wir uns einst wiederfinden in der Versammlung der Guten, nach dieser Zeit Leiden, wo so mancher seine Mine, seinen Pold wiederfinden wird unter den Verklärten des Herrn!

Liebes holdes Mädchen! schäme dich der Thräne nicht, die dir entfiel! Deine Liebe zu dem Vertrauten deiner Seele war eine edle, gute Liebe. Du wirst ihn wiederfinden, deine Traurigkeit wird in Freude verkehrt werden. Du hast deinen Willen überwunden, der Welt halber, du hast über die Welt gesiegt, in welcher du Angst hattest! Sey getrost!

Auch du, kinderloser Mann! der du Kraft fühltest, dir Nachkömmlinge zu erwecken, der du jene astronomische Prophezeiung nicht zu hoch fandest, zähle die Sterne, kannst du sie zählen; also soll auch deine Nachkommenschaft seyn! – Du in deiner Kraft durch den Weltlauf erstickter edler Mann, nimm Trost aus meinem Beispiel! Sieh! ich werde, ohne mich fortzupflanzen, versammelt zu meinen fruchtbaren Vätern. Kein Sohn wird bei meinem Grabe gen Himmel sehen und sagen: Mein Vater! – Keine Tochter wird ihre Hände ringen und meine Gebeine begrüßen mit einem: Ruht wohl! Und sieh Freund! Du bist weiblos, und ich habe eine Mine und sie hat mich! – Weib meiner Seele! Wende dein Auge, ich seh' es brechen, wend' es! Ich bitte, ich flehe! Laß mich mit diesen Kinderlosen allein! Unser Pold sieht das Angesicht unseres Vaters im Himmel, der heute, nach einer so langen Dürre, regnen ließ. Blick' her, wie sich der Baum vor dem Fenster erholt hat. Unser Pold ist bei Gott. Die Gerechten werden weggerafft vor dem Unglück, und die richtig vor sich gewandelt,[383] kommen zum Frieden und ruhen in ihren Kammern. – Freund! hast du sie gesehen? Hast du mich gehört? O danke Gott, daß du kinder- und weiblos bist, daß du nicht nöthig hast ein Weib zu trösten ihres einzigen Sohnes halber! Wie weit glücklicher bist du!

Die Freude an Gott und seinem Reich sey unsere Stärke. Bis unser Ende kommt, wollen wir nicht weichen von unserer Frömmigkeit. Vergiß, Lieber! was dahinten ist, und strecke dich nach dem, was da vorn ist: jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches verhält die himmlische Berufung. – Wandle würdiglich, dem Herrn zu gefallen, und sey fruchtbar in allen guten Werken, bis uns der Herr erlöst von allem Uebel und uns aushilft zu seinem himmlischen Reiche! Denk Einsamer! wenn du Kinder hättest, die deine grauen Haare in die Grube brächten? Kinder, deretwegen du wie Eli, der Priester, den Hals brächest, halsbrechende Söhne, Absalons, die die gerechte Seele quälen Tag und Nacht. Hat denn dein Bruder nicht einen Sohn? und ist sein paradiesnatürliches Weib nicht wieder gesegnet? Sey frohen Muths! Gott kann dir aus Steinen Kinder erwecken. Dein Leichenstein, wenn er glücklich gelegt ist, kann deinen Namen einem Seher ins Gesicht bringen, der dich in sein ewiges Buch schreibt: da lebst du dann so gut, als durch deine Nachkommen!

Soll ich euch, geliebtesten Leser! über sechs Jahre, wie ich hoffe, wiedersehen; so geb' es Gott, daß wir uns guten Muths treffen! Er, der mein Innerstes sieht, weiß, mit welchem Herzen ich von euch scheide! Meine Seele ist betrübt bis in den Tod! – Gott schenke euch viel Freude! – Dank euch drei Männern, die ihr mich geleitet habt! Der Engel des Herrn geleite euch wieder, und du, mein lieber – – es, dem ich dieß ganze Buch zu Gefallen geschrieben, danke nicht: Es ist gern geschehen.

Lebt alle, alle wohl, fromm und glücklich!

Steht auf und lasset uns von hinnen gehen.

Fußnoten

1 Daß dieß die Anfangsbuchstaben meines Namens sind, bekräftige ich hiermit mit Ja und Amen! –


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Lebensläufe nach aufsteigender Linie nebst Beilagen A, B, C. 3 Teile, Teil 3, Leipzig 1859.
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