Der Minister in der Hölle

[145] Ich armer Sündenbock verschmachte

In dieser heißen Höllenglut,

Und doch, wenn ich es recht betrachte,

So geht's mir immer noch zu gut.


Ich habe mit Rescripten weiland

Geplagt die ganze Monarchie:

Ich war gewiß für sie kein Heiland,

Und dennoch plagten sie mich nie.[146]


Ich habe mit Berichterstatten

Gepeinigt manchen braven Mann,

Und was sie dann berichtet hatten,

Das sah ich niemals weiter an.


Ich habe durch Conduitenlisten

Und durch geheime Polizei

Verleitet viele gute Christen

Zu Lug und Trug und Heuchelei.


Ich habe mit Censurerlassen

Gehemmt den Fortschritt unsrer Zeit:

Ich zwang die Welt, mich recht zu hassen,

Und dennoch bracht' ich's nicht so weit.


Ich habe jeden Stand beleidigt,

Und als der Tod mich abgesetzt,

Da haben sie mich noch vertheidigt,

Gelobt und benedeit zuletzt.[147]


Ich habe mit des Fortschritts Schlangen

Gekämpfet wie Laokoon:

Die Zeit ist ruhig fortgegangen,

Mein Herr wie ich hat nichts davon.


Ich hab' an meinen Herren immer,

An unsern Herrngott nie gedacht:

Der liebe Herrgott hätt' auch nimmer

Zum Herrn Minister mich gemacht.


Nun schmacht' ich in der Hölle Schlünden

Geschmückt mit Ordensband und Stern;

Gern möcht' ich büßen meine Sünden,

Doch büß' ich erst für meinen Herrn.


Ich war auf Erden nie mein eigen,

So schlage doch der Teufel drein!

Ich kann mich nicht mehr anders zeigen,

Muß immerfort Minister sein.

Quelle:
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Deutsche Lieder aus der Schweiz, Hildesheim/New York 1975, S. 145-148.
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