Mutterliebe

[153] Jung geraubt, und auferzogen

Vom Canarienvogelpaar,

Sitzt der Hänfling, ein Gefangner

Schon ein halbes Vierteljahr.


Nicht ein Vetter, nicht ein Bäschen,

Niemand kümmert sich um ihn,

Und die fremden gelben Vögel,

Alle scheinen ihn zu fliehn.[153]


Einsam in der Vogelhecke

Sitzt er da in seinem Schmerz;

Wenn die Andern um ihn singen,

Möchte brechen ihm das Herz.


Armer Hänfling! armer Hänfling!

Darfst nicht weiter traurig sein.

Sieh, was flattert an den Gittern?

Es ist dein treues Mütterlein.


Endlich hat sie dich gefunden!

Täglich kommt sie nun und schreit,

Und im Menschen wohnt ja Mitleid –

Tröste dich! du wirst befreit.

Quelle:
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Kinderlieder, Hildesheim/New York 1976, S. 153-154.
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