[Ich singe tauben ohren]

[378] C.H.v.H.


Ich singe tauben ohren/

Dein schönes antlitz kennt mich nicht/

Hab ich der freundschafft süsses licht/

Mein bestes kleinod gantz verlohren?

Wird denn mein tag zu düstrer nacht?

Soll ich mich lebendig begraben?

Und deiner augen schöne pracht/

So vormahls sonne war/ itzt zu cometen haben?


Was sind es doch für sünden/

Davor ich peinlich büssen muß/

Und aller schmertzen überfluß/

Als übelthäter/ itzt empfinden?

Doch laß der übelthäter recht

Mich/ eh' ich sterbe/ nur geniessen!

Und mache/ daß dein armer knecht/

Was er verbrochen hat/ mag vor dem tode wissen.[378]

Vor was hab ich zu büssen?

Vor göttin hab ich dich erkennt/

Mein hertz als weyrauch dir gebrennt/

Und mich gelegt zu deinen füssen.

Strafft mich der himmel oder du?

Dir hab ich mich in mir verzehret;

Der himmel stürmet auff mich zu/

Dieweil ich dir zu viel/ und ihm fast nichts gewähret.


Ach zürne nicht/ Melinde/

So mir diß freche wort entfährt!

Ein sünder ist erbarmens werth.

Du fühlest nicht/ was ich empfinde!

Nicht lache/ wenn dein sclave fällt/

Du weist/ verwirret seyn/ und lieben

Hat allbereit die erste welt

Mit schrifft/ die nicht verlescht/ zusammen eingeschrieben.


Doch wilt du göttin heissen/

Zu der dich deine tugend macht?

So must du auch bey solcher pracht

Dich der erbarmung stets befleissen.

Reiß deinen kalten vorsatz ein/

Nicht mache meine noth zum schertze/

Die hölle lehret grausam seyn/

Der himmel/ dem du gleichst/ verträgt kein steinern hertze.


Quelle:
Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Teil, Tübingen 1961, S. 378-379.
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