Ein Saal in der Burg. An der linken Seitenwand ein erhöhter Thronsitz unter einem Baldachin, daneben eine verborgene Tür. An der Wand gegenüber eine Flügeltür, die auf einen Balkon führt. Rechts vorne und in der Mitte der Rückwand die Haupttüren des Saales.
Einige alte Herren vom Hof und einige Damen. Pagen und Lakaien, Erfrischungen servierend. Ein Teil der Personen auf dem Balkon, ein Teil herinnen. Läuten des Armensünderglöckchens, anhaltend.
ERSTER ALTER HERR einen Becher leerend. Führt man den Menschen noch immer an den Tribünen vorbei? Das dauert endlos.
ZWEITER ALTER HERR sieht hin. Jetzt ist der Priester auf dem Schafott. Dort ganz hoch oben. Ein Paulaner.
DRITTER ALTER HERR vom Balkon hereinkommend. Einen Fächer der Gräfin, sie hat die Sonne im Gesicht.
ERSTER ALTER HERR. Ein Fächer wird benötigt für die Palatina. Schafft einen, Pagen.
ZWEITER ALTER HERR. Und Seine Majestät auf der Estrade mit der Sonne im Gesicht, seit zweige schlagenen Stunden!
ERSTER ALTER HERR. Jetzt geht sie gleich hinter das Dach der Marienkirche.
ZWEITER ALTER HERR. Gott sei Dank.
Die Unruhe gespannter Aufmerksamkeit auf dem Balkon. Page mit einem Fächer geht hinaus. Die drei alten Herren treten gleichfalls hinaus. Graf Adam und der Starost von Utarkow sind durch die mit einer Tapete verhängte Tür neben dem Thronsitz eingetreten. Beide sind sehr bleich. Sie gewahren die Personen auf dem Balkon und verhalten sich lautlos. Das Armensünderglöckchen bimmelt eintönig.
ADAM. Wie ist dir zumute, Starost, daß du einer Hinrichtung zusiehst, an dem Tag, auf den deine eigene anberaumt war?
STAROST. Meine Nerven sind zu gespannt, um witzige Fragen zu beantworten. Warum fällt der Signalschuß nicht? Da ist etwas nicht in Ordnung.
ADAM. Der Schuß wird fallen, sobald das Glöckchen zu bimmeln aufgehört hat. Im gleichen Augenblick werfen sich die zweitausend Sträflinge auf die Garden zu Pferd.
STAROST. Warum fällt der Schuß nicht? Eine Sache, die fünftausend Mitwisser hat, ist verloren, wenn sie sich um eine Minute verzögert.
ADAM. Der Schuß wird fallen, sobald das Glöckchen zu bimmeln aufgehört hat.
STAROST. Es ist nicht möglich, er muß längst auf der Treppe zu dem Schafott sein. Da stimmt etwas nicht. Wir sind verraten, Adam! Die Hand am Schwert. Lebendig soll mich der Basilius nicht haben.
Das Glöckchen ist stille. Sie horchen angespannt.
ADAM. Ruhig, Starost. Jetzt spielen wir das große Spiel. In drei Sekunden stechen wir den König, oder der König sticht uns.
Unten fällt ein Schuß, gleich darauf noch mehrere. Geschrei. Unruhe auf dem Balkon. Ein Paar Damen auf. Ein Aufschrei.
ADAM. Wir stechen den König! Vorwärts, Starost, auf deinen Posten.
Der Starost hebt die Tapete auf und verschwindet, Graf Adam läuft an die rückwärtige Tür, öffnet sie und verschwindet dort. Alle Damen, vom Balkon herein.
DIE DAMEN. Was ist denn los? Was ist denn geschehen!
EINE DAME. Sie reißen die Dragoner von den Pferden!
JUNGE DAME. Ich habe die Bannerherren rings um den König die Säbel ziehen sehen! Was bedeutet denn das?
EIN ALTER HERR. Aufruhr ist das! Eine hochverräterische Verschwörung ist das!
ZWEITER ALTER HERR. Warum feuern denn die Garden nicht?
Sturmläuten von einer, dann von mehreren Glocken.
Alle herinnen durcheinander.
ERSTE DAME. Man kann nicht unterscheiden. Sie schreien etwas.
ZWEITE DAME. Ich fürchte mich.
ZWEITER ALTER HERR. Warum feuern denn die Garden nicht! Zu Hilfe dem König! Er zieht.
Damen laufen zur Tür rechts vorne, kommen gleich wieder zurück.
Tafeldecker läuft an die verborgene Tür links.
ALTER HERR. Wohin da?
TAFELDECKER. Das Goldgeschirr in Sicherheit bringen. Es geht drunter und drüber.
Verschwindet durch die kleine Tür.
DIE DAMEN. Die Haupttreppe ist abgesperrt. Man läßt niemand durch! – Wie, abgesperrt? Mit Truppen?
ALTE DAME. Wir müssen hinaus! Wer kommandiert die Wache?
JUNGE DAME. Dort hinüber! Durch die Kapelle!
Sie wollen nach dem Hintergrund.
GRAF ADAM mit einem Offizier der Wache betritt den Saal durch die Tür im Hintergrund. Hier geht niemand hinaus. Abführen, wer hier ist.
JUNGE DAME. Was ist geschehen?
GRAF ADAM. Die Damen dort hinüber, bitte. Durch die Kapelle. Die Treppe wird abgesperrt. Der König kommt sogleich hier herauf.
Unten Geschrei. Einige Schüsse.
ALTER HERR. Unser König ist dort unten in den Händen von Rebellen.
GRAF ADAM nach hinten. Wache antreten! Zu den vorderen. Seine Majestät König Sigismund wird inmitten seiner getreuen Bannerherren sogleich hier sein. Zur Wache. Es lebe der König!
WACHE. Vivat Sigismund!
Die Damen gehn durch die Wache ab.
DIE ALTEN HERREN. Hochverrat!
Sie ziehen.
GRAF ADAM sehr ruhig. Entwaffnen! Abführen!
Die alten Herren werden abgeführt.
Graf Adam und der Offizier folgen ihnen. Die Tür wird sogleich geschlossen. Die verborgene Tür öffnet sich. Gervasy und Protasy heraus, ängstlich spähend.
Gervasy an der rückwärtigen Tür, horcht.
Protasy schleicht sich ans Fenster, hinunterzuspähen, dann an die Tür rechts.
Basilius' Gesicht hinter der Tapete hervorsehend.
PROTASY leise zu Gervasy. Versperrt?
GERVASY. Das Zimmer ist voller Menschen, sie halten den Atem an, aber es klirrt trotzdem von Waffen.
PROTASY lautlos zu ihm hin. Dort ist ein Aug am Schlüsselloch. Sie schauen herein.
GERVASY versucht durchs Schlüsselloch zu sehen. Hier auch.
Basilius tritt hervor, in einem prächtigen aber zerstörten Gewand, das bloße Schwert in der Hand. Niemand ist bei ihm als ein alter Höfling.
Protasy und Gervasy winken ihm warnend.
BASILIUS. Wie bin ich ihnen entkommen?
DER ALTE HÖFLING. Sie haben nicht gewagt, die Hand an den gesalbten König zu legen.
BASILIUS in bleicher Wut. Nicht einer soll mir mit dem Leben davonkommen. Warum schießen meine Garden nicht? Schaff mir den Offizier, der die Schloßwache kommandiert. Hierher bring ihn mir.
Gervasy und Protasy nahe heran, die Hand auf dem Mund.
DER ALTE HÖFLING. Zurück, mein gnädiger Herr! Zurück! durch die Kapelle. Hier bist du verloren.
Er hebt die Tapete. Basilius ab, der Höfling hinter ihm.
Gervasy will nach, Protasy hinter ihm.
GERVASY prallt zurück. Die Tür geht nicht auf. Sie ist von außen verriegelt. Jetzt haben sie ihn.
Sie horchen.
PROTASY. In der Mausefalle haben sie ihn.
GERVASY. Und uns mit ihm.
Draußen Fanfare.
Gervasy und Protasy bergen sich hinter einer Tapete. Die Flügeltüren hinter ihnen tun sich auf.
Graf Adam tritt ein, man sieht Garden hinter ihm.
Fanfare abermals.
Sigismund rechts herein, halb geführt, halb getragen von den Woiwoden. Er trägt ein langes weißes Hemd, darüber noch Fetzen des Scharlachgewandes. Zwei geleiten Sigismund auf
den Thronsitz. Die Wache leistet die Ehrenbezeigung. Draußen Fanfaren.
Alle Woiwoden knien vor dem Thron nieder.
Sigismund gibt ein schwaches Zeichen, aufzustehen.
PALATIN VON KRAKAU bleibt knien. Wir erbitten mit aufgehobenen Händen Verzeihung dafür, daß wir Eurer erhabenen Person diesen Gang über den Marktplatz nicht ersparen konnten. Wir bedurften des Aufruhrs der Niedrigsten, um alle fortzureißen und die Truppe zu überwältigen.
SIGISMUND. Ich bitte, stehen die Herrn auf. Etwas stärker. Ich will niemand knien sehen! – Ich hätte in dieser Minute knien sollen und meinen Kopf auf den Block legen.
PALATIN VON KRAKAU knieend. Eurer Majestät Haupt umgibt nunmehr, ehe noch die Krone sich darauf gesenkt hat, der Goldglanz eines Heiligen und Märtyrers für ewige Zeiten.
Er steht auf. Alle mit ihm. Sie stehen Sigismund gegenüber. Woiwod von Lublin und Kanzler von Litauen treten zu dem sitzenden Sigismund, zu beiden Seiten des Thrones auf der untersten Stufe stehenbleibend.
WOIWOD VON LUBLIN. Vermag Seine Hoheit uns Ihre Aufmerksamkeit zu gewähren?
KANZLER nach hinten rufend. Den Arzt! Seine Hoheit bedarf einer Stärkung!
PALATIN VON KRAKAU nach hinten rufend. Kämmerer her! Schafft Kleider für Seine Majestät!
ANTON an der Tür im Hintergrund zu den dort Spalier bildenden Soldaten. Lassen mich herein, ich muß zu meinem Herrn. Er wird durchgelassen.
SIGISMUND sieht auf Anton, der sich ihm nähert. Anton!
ANTON. Ist mein Herr nicht da? Sieht sich angstvoll um. Eure Hoheit! Eure Majestät! Wo ist mein gnädiger Herr?
Sigismund sagt etwas, das unhörbar bleibt.
Woiwod von Lublin, Kanzler von Litauen treten ihm näher.
SIGISMUND. Suchen! Meinen Lehrer!
KANZLER. Wen befehlen Eure Hoheit zu suchen?
SIGISMUND. Den, der mit mir im Kerker war! Den sie auf der Kuhhaut geschleift haben.
ANTON. Soll ich gehen?
Sigismund nickt ihm zu.
WOIWOD VON LUBLIN. Der Graf ist, dafür bürge ich, unversehrt. Er war von allem unterrichtet. Man wird ihn später herbeiholen. Aber jetzt bedürfen Euer Hoheit Ihrer ganzen Stärke zum unaufschieblichsten Staatsgeschäft.
Unruhe an der vorderen Tür.
RUFE AUS DER MITTE DER WOIWODEN. Die Schreiber, herein, durchlassen die Schreiber! sonst niemanden!
KANZLER geht hin, läßt zwei Staatsschreiber eintreten. Jetzt tritt niemand mehr ein, der kein Bannerherr ist.
WOIWOD VON LUBLIN ruft über die Wache hinüber. Die Treppe hinabdrängen den kleinen Adel! In den Vorhof die Landboten. Absperren!
PALATIN. Hier tagt der Staatsgerichtshof, und niemand betritt diesen Saal.
OFFIZIER. Wache, kehrt euch!
Wache wendet sich gegen außen.
SIGISMUND. Man soll ihn mir herbringen, den sie auf der Kuhhaut geschleppt haben.
ANTON reißt die Scharlachfetzen von Sigismund ab. Es sind welche gegangen, Eure Majestät!
MEHRERE. Herbei mit dem Basilius! Keine Zeit zu verlieren!
KANZLER. Hauptmann der Wache!
OFFIZIER zu ihm.
KANZLER. Der Herr übernimmt mit sechs Offizieren im Karabiniersaal die Person des ehemaligen Königs und macht dieselbe hier stellig.
OFFIZIER. Zu Befehl, Euer Erlaucht.
Sigismund flüstert indessen mit Anton.
ANTON geht hinten ans Spalier. Ich muß Kleider holen für den König.
Er wird durchgelassen.
SIGISMUND will vom Thron herab. Ich will mit ihm gehen und den suchen, den sie auf der Kuhhaut geschleift haben.
Woiwod von Lublin und Kanzler von Litauen nötigen ihn sanft auf seinen Thronsitz zurück.
WOIWOD VON LUBLIN. Wir bitten untertänig, sich zu fügen. Ein hochwichtiger Staatsakt verlangt Euer Hoheit Fassung und Geistesgegenwart.
KANZLER. Es ist notwendig, gnädiger Herr! Es ist notwendig.
Trommel, langsam, umflort, von außen. Wache gibt die Tür rechts vorne frei und macht Spalier für den eintretenden Zug. Die Herren treten zurück und geben Raum.
Basilius, bloßköpfig, ohne Waffen, in einem prächtigen, aber zerstörten Kleid, zwischen den Hellebarden zweier Hartschierer. Vier andere nach, der Offizier mit gezogenem Degen voraus. Offizier salutiert mit dem Degen.
KANZLER winkt ihm, mit der Wache beiseitezutreten, nimmt dann aus der Hand des einen Schreibers eine Rolle entgegen. Basilius, Ihr seid vorgerufen worden, um das Manifest Eurer Abdankung mit lauter Stimme vorzulesen und vor uns aller Augen zu unterfertigen.
BASILIUS. Es soll hier meine Abdankung beraten werden? – Ich begehre einen Kronanwalt. Wer steht hier für meine Rechte? Was ist das für ein Gerichtshof?
EINIGE STIMMEN sehr scharf. Genug!
KANZLER die Urkunde ihm reichend, leise aber nachdrücklich. Lest und unterschreibt!
BASILIUS entfaltet die Urkunde und sieht hinein, dann. Ich bin hier eingetreten, nachdem man mir im anderen Saal feierlich mein Leben zugesichert hatte. Wo sind die Herren? Warum haben sie mich nicht begleitet?
WOIWOD VON LUBLIN. Verlies das Manifest, zu reden ist nichts!
BASILIUS sieht Sigismund an, der ihn nicht zu beachten scheint, entfaltet die Urkunde und liest. Ich, Basilius, ehedem König von Polen – Hier fehlen die übrigen Titel!
KANZLER. Sie werden nachgetragen werden. Beeilt Euch!
BASILIUS liest. – König von Polen, von Gottes strafendem Blitz erleuchtet in der Blüte meiner Sünden, meine Unwürdigkeit zu erkennen, und herabgestürzt vom Gipfel meines Hochmuts, habe den Rat meiner allzeit getreuen, freundwilligen Vettern, der Fürsten, Palatine und Bannerherren –
WOIWOD VON LUBLIN. Verneigt Euch!
BASILIUS sieht ihn an, verneigt sich dann übermäßig, liest weiter. – gesucht, dem ich mich unterwerfe, unbedingt und ohne Murren.
Er seufzt.
PALATIN VON KRAKAU. Weiter!
BASILIUS liest. Erkannt für einen Tyrannen und Räuber, Verräter am Reich und an meiner eigenen Krone – erkannt, wie? – Ah, von euch erkannt! –
MEHRERE STIMMEN. Weiter!
BASILIUS liest. – entsage ich dieser Krone, gebe aus der Hand das Siegel, lege nieder den Stab des Kriegsherren und die Standarte – die Standarte auch? –, begebe mich meiner Vorrechte und Ehren, entsage meinem Rang – Das? Inwiefern? Das kann ich nicht!
WOIWOD VON LUBLIN. Stehet ruhig, Basilius!
STIMMEN. Zu Ende! Der Kanzler soll lesen!
PALATIN VON KRAKAU zuvorderst stehend, zum Kanzler. Belieben Euer Erlaucht die Urkunde laut zu Ende zu lesen, damit wir zur Unterschrift kom men!
KANZLER nimmt die Urkunde aus Basilius' Hand und liest. – entsage meinem Rang und bin von Stund an nicht mehr König und Herr über den Ländern der Krone Polen, sondern der schuldbeladenste Untertan gedachter Krone und erharre, solcher Haft mich fügend als man mir verhängen wird –
BASILIUS. Aber mein Leben ist mir gesichert! Folgt das endlich in der Schrift da?
KANZLER mit erhobener Stimme. – die Beschlüsse, die der Staatsrat mit seiner Weisheit fassen wird.
BASILIUS. Noch Beschlüsse? Aber nicht mich betreffend! Ich ziehe mich mit einem kleinen Hofstaat auf das Schloß zurück, das man mir anweist.
KANZLER mit erhobener Stimme. Gegeben in ehemals meiner Königsburg, am letzten Tage –
BASILIUS. Letzten? Wieso letzten? Das könnte mißdeutet werden! –
KANZLER. – am letzten Tag meines Verweilens in derselben, unter dem Insiegel meines Nachfolgers, auf dem der Segen des Allmächtigen ruhe.
BASILIUS. Nicht Sohnes? Euere Hoheit sind noch in Anwartschaft? Er verneigt sich übertrieben im Kreise, nur nicht vor Sigismund. Gott sege Eure gesamte Majestät!
KANZLER. Reichet ihm eine eingetauchte Feder.
Schreiber tuts.
BASILIUS sieht in die Urkunde. Das ist alles? So wenig Worte? So trocken? Er nimmt mechanisch die Feder aus der Hand des Schreibers. Das Wichtigste fehlt. Die Summe für meinen Unterhalt ist nicht genannt. Hier ist kein Tisch.
WOIWOD VON LUBLIN zeigt auf die unterste Stufe des Thrones.
BASILIUS. Der König winkt mir. Er scheint mich sprechen zu wollen.
WOIWOD VON LUBLIN. Hier unterschreibt!
BASILIUS kniet hin und unterschreibt; steht dann auf, spricht zu Sigismund. Sohn, du hast einen armen Erdenwurm aus mir gemacht. – Ich gehe. Zu den Herren. Mein Leben und mein Unterhalt sind mir gesichert! Nochmals sich zu Sigismund zurückwendend. Unsere Vettern sind geschickter, Könige zu untergraben als zu stützen. Ich warne Eure Hoheit.
WOIWOD VON LUBLIN. Schweiget, Basilius. Verneigt Euch vor Seiner Hoheit und vor den Herren, Euren Richtern, und tretet ab. Zu dem Offizier, der vortritt. Führt ihn dorthin ab.
BASILIUS. Dorthin? Soll das heißen: in den Turm? Dorthin lasse ich mich nicht führen! Ich habe niemals einem alten Mann diesen Turm angewiesen. Ein Kind kann allein sein – ein alter Mann kann nicht allein sein. Laßt mich! Er springt beiseite. Ich habe kein todeswürdiges Verbrechen begangen. Ich habe ihn nicht getötet. Es stand bei mir, noch im letzten Moment die Begnadigung vorzunehmen. Wer kann wissen, ob ich nicht entschlossen war, mit einem weißen Tuch zu winken!
KANZLER. Trabanten! Macht ein Ende!
Trabanten stehen unschlüssig, sehen auf ihren Offizier.
BASILIUS. Wartet! Man kann mich in ein Kloster bringen. Das ist zulässig. Ich bin eine geistliche Person. Der König ist der Oberste Seelenhirt. Holt den Kardinal, er ist verantwortlich für meine Seele! Ich will keinen Hofstaat, aber man soll mir Bücher geben, die ich beherzigen kann – ich will erbauliche Bücher – deutlich gedruckt –
OFFIZIER. Greift ihn, Trabanten!
BASILIUS entläuft ihnen, klammert sich an den Fuß des Thronsessels. – deutlich gedruckte mit faßlichen Bildern, denn mein Herz ist kindlich geblieben – nur die Welt hat mich verderbt. Ich appelliere! Ich mache verantwortlich!
Trabanten haben ihn gefaßt und aufgerichtet.
BASILIUS. Man wird ein erbauliches Wunder erleben, wenn man mich sanft behandelt – aber wer mich in einen einsamen Turm sperrt, der wird es mit einem Verzweifelten zu tun haben!
Trabanten führen ihn ab.
Es ist halbdunkel geworden. Zur rückwärtigen Tür treten Diener mit Armleuchtern herein, andere, darunter Anton, mit Gewändern und einem Mantel; zuvorderst der Arzt.
ANTON. Dem König seine Kleider, Herr Kommandant!
Das Spalier läßt sie durch.
WOIWOD VON LUBLIN. Bevor wir Eure Hoheit lehenspflichtig auf den Knien als die Majestät unseres Herrn begrüßen, wird sie mit Hand und Mund einen Eid ablegen auf das Konstitutum, das ich Er winkt dem zweiten Schreiber. hier in Händen halte.
Sigismund erkennt Julian, der vermummt unter den Dienern eingetreten ist, erhebt sich.
PALATIN VON KRAKAU. Gibt uns Eure Majestät Ihre Aufmerksamkeit? Es ist notwendig.
SIGISMUND. Dürfen meine Kammerdiener zu mir treten? Die Herren sind angekleidet, und ich habe nur ein Hemde an. Er steigt die Stufen herab.
Die Diener treten hin, auch die mit den Leuchtern, und verdecken Sigismund. Man hört in der Ferne
schießen. Etliche der Woiwoden sehen zur Balkontür hinaus.
ERSTER DIENER. Man hört schießen in der Vorstadt. Es wird nicht abgehen, ohne daß man den losgelassenen Pöbel mit blutiger Gewalt wieder an die Kette legt.
ZWEITER DIENER. Der Teufel sät sein Unkraut zwischen den Weizen; das ist einmal so.
Sigismund tritt hervor.
Julian neben ihn.
SIGISMUND leise zu ihm. Bleibe jetzt dicht bei mir, mein Lehrer.
KANZLER tritt vor Sigismund. Es erscheint nötig, daß durch ein feierliches Konstitutum in allem die Befugnisse des Staatsrates festgesetzt werden. Es handelt sich darum, daß Eure Hoheit eidlich gebunden sein wird –
Sigismund reicht dem Arzt die Hand, der sie küßt. Setzt sich dann auf den Thron.
WOIWOD. Geben Eure Hoheit dem Kanzler Audienz. Es ist vonnöten. – Man verzögere nicht den grundlegenden Staatsakt, zu dem wir hier sind.
SIGISMUND steigt herunter, geht auf die Woiwoden zu. An euch allen bin ich vorbeigeführt worden – Ich habe dein Gesicht gesehen – deines – deines! Du verbargst dein Gesicht in deinen Händen. Du sahest mich fest an, und ich verstand, daß du mir Trost geben wolltest. Du gabest mir ein Zeichen zum Himmel empor. Sie neigen sich tief und küssen ihm die Hand. Aber jetzt gehet, meine Vettern, und lasset mich allein mit diesem Mann, Er zeigt auf Julian. denn er wird mein Minister sein, und ich will mich mit ihm beraten.
WOIWOD VON LUBLIN geht mit starken Schritten auf Julian zu. Graf Julian, verlasset diesen Saal, den zu betreten Euch niemand ermächtigt hat.
PALATIN VON KRAKAU. Das Konstitutum enthält die Namen der fürstlichen Personen, mit denen allein der König sich beraten darf.
KANZLER. Das königliche Siegel verbleibet dem Staatsrat und dem König zu gemeinsamer Hand.
JULIAN. Das Siegel ist in meiner Hand. In des Königs Namen: die Herren sind beurlaubt. Wenn man ihres Rates bedürfen wird, wird man sie zu finden wissen.
DIE WOIWODEN drohend. Wir werden sie zu finden wissen! Wir werden zu treffen wissen! Wir werden zu strafen wissen!
JULIAN. Offizier! In des Königs Namen! Die Herren verlassen uns. Gebt ihnen den Ausgang frei.
DIE WOIWODEN legen die Hand an die Schwerter. Oho! Das werden wir sehen.
JULIAN sehr stark. Garden! Wer ist König in Polen?
OFFIZIER stellt sich etwas neben Sigismund hin. Standarte zu mir!
Standarte tritt hinter den Offizier. Fanfare draußen.
Garden, die Piken querhaltend, stellen sich zwischen Sigismund und die Woiwoden, so daß diese einen Schritt zurückweichen müssen.
JULIAN. Die Herren sind geschickter, Könige abzusetzen als einzusetzen, man wird sie danach behandeln.
Garden, die Piken querhaltend, tun einen Schritt, die Woiwoden weichen einen Schritt gegen den Ausgang zurück.
PALATIN VON KRAKAU. Ein königlicher Ratschluß ohne unsere Zustimmung ist null und nichtig!
DIE WOIWODEN. So ist es!
Garden tun einen Schritt.
JULIAN. Wir werden die königlichen Siegel vor Mißbrauch zu wahren wissen!
WOIWOD VON LUBLIN. Du Hochverräter hast die Siegel gestohlen! Darauf steht der Tod!
Garden tun einen Schritt.
JULIAN. Begeben sich die Herren unverweilt in ihre Häuser! Jeder einzeln! Jede Zusammenrottung wird als Hochverrat geahndet.
Garden tun einen Schritt.
DIE WOIWODEN schon ganz nahe der Tür, schütteln ihre Fäuste. Wir sprechen uns noch!
JULIAN. Dazu, Ihr Herrn, sind Könige von Gott gesetzt, daß sie Unordnung in Ordnung überführen.
Die Woiwoden werden hinausgedrängt.
Wache an beiden Türen tritt ab.
Anton rückt für Sigismund einen Armstuhl heran, dann für Julian.
Arzt tritt in den Hintergrund.
JULIAN tritt vor Sigismund, indem er sein Knie beugt, dann sich gleich aufrichtet. O du mein König! O du mein Sohn! – denn von mir bist du, deinem Bildner, nicht von dem, der den Klumpen Erde dazu hergegeben hat, noch von ihr, die dich unter Heulen geboren hat, ehe sie dahinfuhr! Ich habe dich geformt für diese Stunde! Jetzt laß mich nicht in Stich! – Ich verstehe deinen Blick. Deine Seele hat leiden müssen um sich zu erheben – und alles andere war eitel.
SIGISMUND. Du hast mich es fassen gelehrt. Eitel ist alles außer der Rede zwischen Geist und Geist. – Aber ich nun, dein Gezeugter, bin über dem Zeugenden. Wenn ich jetzt einsam liege, so geht mein Geist, wohin deiner nicht dringt.
JULIAN. Ja? Erfüllt dich Ahnung? Herrliche Ahnung deiner Selbst? Gewaltige Zukunft?
SIGISMUND. Zukunft und Gegenwart zugleich.
JULIAN. Gepriesener, den kein Königsmantel erhöhen kann. Ich habe dich hinausgeführt aus deinem Turm, angetan mit fürstlichen Gewändern, aber was war das gegen die Ausfahrt, die ich dir jetzt bereitet habe!
SIGISMUND lächelnd. Richtig! Denn jetzt laufe ich nimmer Gefahr, daß der Wahn als ein Wahn sich ausweist.
JULIAN. Du sprichst es aus, mein König. Denn diesmal bist du gesichert.
SIGISMUND. Ja, das bin ich, Herr und König auf immer in diesem festen Turm.
Er schlägt sich auf die Brust.
JULIAN. Jetzt sind wir die Weissager und die Wahrmacher zugleich.
SIGISMUND. Das sind wir. Heil uns, daß wir gewitzigt sind!
Er setzt sich.
JULIAN. Taten tun, das ist nunmehr uns vorbehalten.
SIGISMUND. Das ist uns vorbehalten.
JULIAN. Und jetzt sitz auf und reite mit mir dahin, wo du die Legionen der Deinigen so siehst, wie der Mond am Jüngsten Tag die Auferstandenen sehen wird, und sein Auge wird nicht groß genug sein, die Menge zu fassen. – Höre mich! Verstehe mich! Mein Tun, verborgen vor dir, war Verwirklichung; ein Plan, ein riesenhafter, unter dem allem. Noch auf der Kuhhaut war ich der Stärkere als alle zusammen Hörst du mich? Diese prahlerischen Großen waren die Fanghunde. Jetzt, da der Hirsch liegt, peitscht man sie weg. Ungeheurer Aufruhr, von ihnen nicht geahnt, schüttelt diese Nacht seinen Rachen über dem ganzen Land, wie der Bär, der auf das Dach eines Schafstalles geklettert ist. Ich habe durchgegriffen bis ans Ende, die Erde selber habe ich wachgekitzelt und was in ihr wohnt, dem Bauer, dem Kloß aus Erde, dem fürchterlich starken – ich habe ihm Atem eingeblasen –, aus Schweinsschnauze und Wolfsrachen stößt er deinen Namen hervor und erwürgt mit erdigen Händen die Büttel und Schergen, die sich ihm entgegenstellen. – Ich habe in deinem Namen die Schlachta aufgeboten – ihrer zehntausend von gemeinem Adel reiten und nehmen dich in ihre Mitte, fünfzigtausend Bauern sind auf und haben die Sensen umgenagelt zu Spießen.
Öffnet die Balkontür, Brandröte am Himmel.
ANTON. Jetzt läuten sie Sturm von allen Kirchen in der Vorstadt, und der Wind bringt einen starken Brandgeruch mit. Auch grob schießen hört man. Was wäre denn jetzt das?
Ein Diener mit einem Reitgewand überm Arm ist von links eingetreten und wartet.
JULIAN. Der lebendige Beweis meines Tuns – Das ist mein Geschütz, und die es bedienen, sind die Meinigen. Die Bergwerke haben ihr lebendiges Eingeweide hergegeben, mit angebrannten Pfählen gehen nackende Leute gegen ein Karree von Musketieren an – der Jüngste Tag ist da für alle, die die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben. – Jetzt stehen die großen Herrn auf den Balkonen ihrer Paläste und pissen vor Angst. – Hörst du schreien? Es gibt niemanden, der diese Nacht nicht marschiert und deinen Namen schreit. – Aber ich halte sie dir zusammen: ich bändige die Gewalt mit der Gewalt, den Soldaten mit dem Bauer, das flache Land mit den festen Städten, die großen Herrn mit dem adeligen Aufgebot, das Aufgebot mit den Schweizer Regimentern, die ich auf dich vereidigt habe, und das Heft wird in deiner Hand bleiben. Nimm dort, mein König! Zieh an! Wir reiten. Was siehst du mich so an?
SIGISMUND. Ich verstehe was du willst, aber ich will nicht.
JULIAN. Du willst nicht? Versteht nicht. Ei doch! Vorwärts. Das Gewand her! Den Gürtel!
SIGISMUND. Ich stehe fest, und du bringst mich nicht von der Stelle. Ich habe mit deinen Anstalten nichts zu schaffen.
Arzt tritt zu Sigismund.
JULIAN. Mein König! Jetzt versag mir nicht, denn jetzt oder nie ist deine Stunde gekommen.
SIGISMUND. Was weißt du von mir? Hast du Zugang zu mir? Der ich unzugänglich bin, wie mit tausend Trabanten verwahrt.
JULIAN. Zieh dich erst an! Schnall nur den Degen um! Pferde sind bereit! Jetzt müssen sie dich sehen. Dann steh ich fürs Ende.
SIGISMUND. Leb wohl, Julian.
Wendet sich.
JULIAN. Mein König! Was tust du mir jetzt an?
SIGISMUND. Du hast mich ins Stroh gelegt wie einen Apfel, und ich bin reif geworden, und jetzt weiß ich meinen Platz. Aber der ist nicht dort, wohin du mich haben willst.
Sie sehen einander in die Augen.
ARZT. Bedenken Euer Exzellenz, welch einen Tag der König hinter sich hat.
SIGISMUND. Nein, mein Freund. Sondern ich will nicht. Wenn ich aber sagen werde: ich will, dann sollst du sehen, wie herrlich ich aus diesem Haus hinausgehe.
ANTON leise zu Julian. Lassen der Herr. Er ist tiefsinnig geworden über dem, was man ihm angetan hat.
Die Tür rechts öffnet sich ein wenig. Simon schiebt sich herein.
ARZT. Es ist hier unter diesem Saal ein Schlafgemach bereitet. Ich mit den Dienern werde wachen.
JULIAN bemerkt Simon, tritt auf ihn zu. Wie kommst du herein? Wie hat dich die Wache durchgelassen?
SIMON. Wache ist nicht da. Kein Mensch im Vorsaal. Kein Mensch auf den Stiegen.
SIGISMUND. Ich werde schlafen. Morgen wird viel geschehen, und da werde ich nicht beiseite bleiben dürfen. Leb wohl, Julian.
Er geht, Anton geht ihm voran, öffnet die Tür rückwärts; Arzt folgt ihm.
JULIAN. Du kommst von drüben aus der Vorstadt?
SIMON. Hinüber bin ich leicht gekommen, herüber war es schon schwer.
JULIAN. Ich sehe einen starken Feuerschein. Aber das Schießen hat aufgehört.
SIMON. Der was hat, hat sich in ein Mausloch verkrochen. Das Gesindel tanzt und springt. Auf wen sollen sie schießen?
JULIAN. Die Schweizer halten die Brücke von der Vorstadt herüber?
SIMON. Die Schweizer sind abgezogen.
JULIAN. Abgezogen?
SIMON. Auf Befehl des Staatsrats, heißt es.
JULIAN ruft. Jerzy!
REITKNECHT tritt rechts ein mit Julians Hut und Degen.
JULIAN zum Reitknecht. Meine Pferde sind unten bei der Schloßwache?
REITKNECHT. Die Pferde sind unten – aber Wache ist keine mehr da. Alles abgezogen in der Stille.
JULIAN. Die Schloßwache abgezogen?
SIMON. Das ist es eben. Sie haben die Losung verändert. Es ist überhaupt alles anders. – Vom neuen Herrn König ist keine Sprach. Von Euer Exzellenz ist keine Sprach. Der ohne Namen hat jetzt drüben alles in der Hand.
JULIAN. Der ohne Namen heißt Olivier und handelt auf meinen Befehl.
Reitknecht tritt näher.
SIMON. Sehr wohl. Der hat jetzt alles in der Hand. Die Geschütze und die Leut. Aber es schaut nicht aus, als ob der Befehl annehmen tät.
REITKNECHT. Euer Exzellenz haben einen Offizier zu ihm geschickt: er soll aufhören mit Schießen und Brennen. Das hat der ihm vorgehalten. Hat er geantwortet: er fängt jetzt erst an. Und was das betrifft, daß er herüberkommen soll und sich hier melden, so wird er schon kommen, aber mit zwanzigtausend hinter ihm. Darauf ohne weiteres den Offizier vom Pferd heruntergeschossen. Der Reitbursch ist ausgekommen und hats gemeldet.
JULIAN. Vor Morgengrauen ist das adelige Aufgebot in ihrem Rücken. Wo halten die Geschwader? Weiß man das?
SIMON. Die Herrn sind alle in die großen Wälder- da drüben. Aber sie gehen nicht heraus.
JULIAN. Wie? Sie gehen nicht heraus?
SIMON. Ihre Füße sind in der Luft. – Die rebellischen Bauern sind über sie und haben sie alle in die Bäum hineingehängt.
JULIAN. Ich habe die Hölle losgelassen, und jetzt ist die Hölle los. So muß ich ihr ins Gesicht schauen.
Schnallt den Degen um, setzt den Hut auf und geht schnell ab. Reitknecht folgt ihm, Simon schleicht sich hinaus.
Vorhang.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Turm (Neue Fassung)
|
Buchempfehlung
Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.
110 Seiten, 4.40 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro