Der dritte Aufzug


[313] Das Sterbegemach der Königin, in der Königsburg. Im Hintergrund ein hohes Fenster. In der rechten Wand ein Alkoven mit dem Bett, durch einen Vorhang verschließbar. Links vorne ein Oratorium, von welchem man in die Kirche hinabsieht. In der Mitte der linken Wand der Eingangstür gegenüber ein Kamin. Aus dem Oratorium führt eine geheime Tür in einen schmalen Gang, von dem der Anfang noch in der linken Kulisse sichtbar ist. Hier kann man sich aufhalten und durch ein Fenster des Oratoriums unbemerkt in das Hauptgemach sehen. Das Gemach ist karmesinrot ausgeschlagen, desgleichen der Alkoven und das Oratorium. Die Fensterladen sind zu. Im Alkoven brennt ein ewiges Licht.

Der Kastellan sperrt von draußen auf und tritt mit zwei Dienern ein, indem sie nur einen Flügel der Haupttür öffnen. Die Diener öffnen die Holzladen an dem hohen Fenster im Hintergrund: draußen ist heller Tag.


KASTELLAN mit dem großen Schlüsselbund klirrend. Das Sterbegemach der hochseligen Königin! Unbetreten durch diesen Haupteingang seit einundzwanzig Jahren. Die ehrwürdigen Schwestern von der Heimsuchung, deren zwei hier von Mitternacht bis Morgengrauen im Gebete verharren, betreten es durch diese kleine Tür, welche durch eine Wendeltreppe, die im Pfeiler verborgen ist, zur Sakristei hinabführt.


Man hört von unten die Orgel und den Gesang der Nonnen. Der Kastellan tritt an den Alkoven, besprengt das Bett mit Weihwasser aus einem silbernen Becken am Eingang des Alkovens, schließt dann ehrerbietig den Vorhang. Man hört draußen die Annäherung von Menschen. Dann das dreimalige Stoßen einer Hellebarde auf den Steinboden. Auf einen Wink des Kastellans eilen die Diener hin und öffnen die Flügeltür sperrangelweit. Der Hof tritt ein; Trabanten, Stabträger, Pagen mit Wachslichtern. Dann der Träger des Reichsbanners mit dem Silbernen Adler, so dann[313] ein Page, der auf karmesinrotem Kissen des Königs Gebetbuch und Handschuhe trägt. Der König, den krummen Säbel umgehängt, seinen polnischen Hut in der Hand. Dicht hinter ihm sein Beichtiger. Hofherren paarweise, zuvorderst Julian allein; hinter den Hofherren vier Kämmerer. Zuletzt der Arzt, mit ihm sein Gehilfe – ein junger Mensch mit einer Brille –, hinter diesem Anton, der ein verdecktes silbernes Becken trägt. – Der König bleibt in der Mitte des Gemaches stehen, hält seinen Hut hin. Ein Page

springt vor, nimmt den Hut mit gebogenem Knie. Der König nimmt seine Handschuhe von dem knieend dargereichten Kissen, zieht den linken an, steckt den rechten in den Gürtel. Die Trabanten und die Stabträger sind rund ums Gemach und wieder zur Flügeltür hinausgegangen, ebenso der Kastellan und die Diener. Die Flügeltür wird geschlossen. Zwei Stabträger nehmen an der Tür innen Stellung. Die Herren stellen sich links, Julian am äußersten rechten Flügel, vor dem Oratorium auf. Der Arzt und der Gehilfe stehen nächst der Tür. Der König tritt auf den Alkoven zu. Ein Kämmerer eilt hin, zieht den Vorhang auf. Ein anderer Kämmerer reicht dem König den Weihwasserwedel. Der König besprengt das Bett, kniet dann nieder, verharrt einen Augenblick im Gebet. Der Beichtiger kniet mit ihm. Der König steht auf, tritt in die Mitte, Beichtiger seitlich etwas hinter ihm. Der Gesang und die Orgel haben aufgehört.


KÖNIG zum Beichtiger. Ich habe vor dem Sterbebette meiner seligen Gemahlin für mich gebetet und für ihn. Das kurze Gebet hat meine Seele wunderbar erfrischt. Er winkt den Arzt zu sich. Ihr beharrt drauf, Euch zurückzuziehen?

ARZT. Eure Majestät hat mir diese einzige Bedingung bewilligt: daß es mir erlassen bleibe, selbst vor das Angesicht des Prinzen zu treten, wenn sich die Nötigung ergeben sollte, nochmals eine Betäubung vorzunehmen. Mein Gehilfe ist von allem unterrichtet, das heißt von den Handgriffen, die nötig werden könnten – nicht von dem Tatbestand. Leiser. Er sieht in dem Prinzen einen geistig Kranken, an dem Eure Majestät um entfernter Verwandtschaft willen Anteil nehmen. Möge alles – Ich habe einen Schwamm getaucht[314] in Essenzen von unfehlbarer Wirkung. Die Betäubung tritt augenblicklich ein, wenn der Duft der Essenz eingeatmet wird, sei es mit Willen, sei es gezwungener Weise. Der Diener dort trägt ihn in einer verdeckten Schüssel. Er war dem Gefangenen vertraut, er kann, wenn es notwendig ist, Beistand leisten. – Mögen diese Vorbereitungen sich als überflüssig erweisen, darum bete ich zu Gott.

KÖNIG. So beten wir unablässig seit neun Tagen und Nächten. – Ihr seid uns in diesen Tagen sehr nahegekommen. Wir betrachten Eure illustre Person von Stund an als die unseres zugeschworenen Leibarztes.


Reicht die Rechte zum Kuß, der Arzt beugt sich über die Hand. Der Arzt schreitet zur Tür, Stabträger öffnet ihm, der Arzt geht hinaus, an der Tür verneigt er sich nochmals.


KÖNIG. Stärke mich unaufhörlich mit deinem Rat, ehrwürdiger Vater. – Ich habe mich von meinen Ratgebern überreden lassen. – Ich habe meine weiche menschliche Natur der höheren Einsicht unterworfen.

BEICHTIGER. Auch die Heilige Schrift –

KÖNIG. Ich weiß. Auch die Heiden. Selber die Heiden. Es waren die höchsten Beamten in Rom, Königen vergleichbar. Sie standen nicht an, den eigenen Sohn –

BEICHTIGER. Zweien Söhnen ließ der Konsul das Haupt an einem Tag vor die Füße legen.

KÖNIG. Zweien! An einem Tag! Was waren seine Argumente? Gegenwart der Argumente ist alles.

BEICHTIGER. Damit dem beleidigten Gesetz Genugtuung werde.

KÖNIG. Wie, dem Gesetz? Das Gesetz? Ja –

BEICHTIGER. Das Gesetz und der Souverän sind eins.

KÖNIG. Vatersgewalt – der Vater ist der Schöpfer – die Gewalt abgeleitet unmittelbar –

BEICHTIGER. Von der Gewalt des schaffenden Gottes, dem Quell alles Daseins.

KÖNIG tritt einen Schritt von den Höflingen weg, zieht den Beichtiger nach sich. Und die Absolution, wenn ich mich genötigt sehe, ihn dorthin bringen zu lassen wiederum – meinen leiblichen Sohn – wiederum hin, wo die Sonne ihn nicht bescheint –?[315]

BEICHTIGER. Du zweifelst? Zur Verhütung unabsehbaren Übels!


Es hat von draußen an der Tür gescharrt.


KÄMMERER ist hingegangen, spricht mit jemandem durch die halboffene Tür. Tritt dann zum König, mit gebeugtem Knie. Der Stallmeister ist vor der Tür, der den fremden Prinzen auf seinem Ausritt begleitet hat. Er ist auf kürzerem Wege vorausgeeilt. Der Prinz wird in wenigen Augenblicken in den Burghof einreiten.


König winkt. Stabträger öffnet, läßt den Stallmeister eintreten. Stallmeister eilt zum König, beugt die Knie. König winkt ihm zu sprechen.


STALLMEISTER. Euer Majestät zu melden: Dieser fremde Prinz ist ein schlechter Redner, dann er tut beinahe den Mund nicht auf, aber das kann ich beschwören, ein geborener Reiter.

KÖNIG. Ei!

STALLMEISTER. Er kam vor das für ihn herausgeführte Pferd – und stellte sich zuerst an, als hätte er noch nie den Fuß in einen Bügel gesetzt. Er ließ sich von mir die Zügel in die Hand legen – dann wollte er aufsteigen und setzte den rechten Fuß vorauf, – die Stallburschen lachten – der Fuchs wurde unruhig – da gab uns der Prinz einen Blick wie kaltes Eisen – und dann schwang er sich ohne Bügel hinauf und saß im Sattel und hielt die Sprünge des ungebärdigen Fuchsen aus, wie der fürstlichste Kavalier unter der Sonne.


König sieht Julian an.


JULIAN. Er ist im Leben nie auf einem Pferde gesessen! Ich war des strengen Verbotes immer eingedenk.

KÖNIG. Eine Herrschaft über sich selber ohnegleichen! Muß ich nicht die ungeheure Gewalt der Verstellung fürchten?

JULIAN. Wie, mein gnädiger König?

KÖNIG. Er würdigt die Personen, die Wir ihm zum Gefolge gegeben haben, kaum eines Blickes, – welche Sprache ist von ihm zu erwarten, wenn er vor Uns tritt?

JULIAN. Die ehrerbietigste, aber freilich nicht wie sie an einem Hofe gesprochen wird.

KÖNIG. Sondern?[316]

JULIAN. Wie vielleicht die Engel sprechen. Seine Sprache ist Zutagetreten des inwärts Quellenden – wie beim angehauenen Baum, der durch eben seine Wunde einen balsamischen Saft entläßt.


Der Stallmeister zieht sich mit gebeugtem Knie zurück.


KÖNIG winkt einen der älteren Höflinge zu sich. Ist der junge Kavalier, der dem Prinzen als Dienstkämmerer beigegeben ist –

HÖFLING. Graf Adam vom Weißen Berge –

KÖNIG. Ist ihm eingeschärft, daß er den Fremden durch geschickte Fragen und Anmutungen aller Art, wie zwischen jungen Leuten üblich – dazu verleitet, unvermerkt seine Beschaffenheit zu enthüllen?

HÖFLING. Der Graf weiß, daß Eure Majestät von verborgener Stelle aus das Gespräch anzuhören geruhen werden, das er scheinbar unter vier Augen mit dem jungen Fürsten führen wird.

KÖNIG zu Julian, leise. Der oberste Begriff der Autorität ist diesem Knaben eingeprägt? der Begriff unbedingten Gehorsams? Er sieht ihn scharf an.

JULIAN hält den Blick aus. Mein König bedenke, daß der Jüngling diese Welt nicht kennt, so wenig als seine Stellung in ihr. Er kennt ein Höchstes: er hebt seine Augen zu den Sternen und seine Seele zu Gott.

KÖNIG. Wir wollen hoffen, daß dies genüge. Sehr hörbar. Denn die Welt ist außer Rand und Band und Wir sind entschlossen, das um sich greifende Feuer zu ersticken, – und wenn nötig, in Strömen Blutes.


Die Höflinge, die zuhinterst, dem Fenster zunächst stehen, spähen hinab. Die Pagen drängen sich in der Nähe des Fensters zusammen und suchen unter einiger Unruhe hinunterzusehen. König bemerkt es, sieht hin.


KÄMMERER. Der Prinz steigt vom Pferde. Graf Adam will ihm den Bügel halten, aber er kommt ihm zuvor. Er wendet sich gegen das Portal und tritt in die Burg.

KÖNIG zu Julian, sich mit Mühe beherrschend. Ich will ihn noch nicht sehen. [317] Er führt Julian von den Höflingen weg, nach vorne. Ein großer Augenblick, ein furchtbar entscheidender Augenblick.

JULIAN fällt auf die Knie. Seine Worte klingen zuweilen heftig und jäh – bedenke Eure Majestät in ihrer Weisheit und Langmut: das Wesen hat nie einen Freund gehabt.

KÖNIG. Auch ich habe nie einen Freund um mich gehabt.

JULIAN auf den Knien. Sein junger Fuß hat nie einen Schritt getan, ohne eine schwere hündische Fessel!

KÖNIG. Auch ich, Graf Julian, habe nie einen freien Schritt getan.

JULIAN auf den Knien. Sei langmütig, großer Fürst, mit dem Geprüften!

KÖNIG sieht ihn an. Sei du für immer sein Berater, mein weiser Julian, milder ihm, als der meine mir! Er nimmt eine goldene Kette mit dem Weißen Adler in Edelsteinen vom Hals und hängt sie ihm um, und spricht dazu. Sic nobis placuit.


Reicht Julian die Hand zum Kusse, hebt ihn auf. Man hört nun wieder die Orgel, aber ohne Gesang. Auf ein Geräusch an der Tür ist der eine Kämmerer hingegangen und hat währenddem mit dem Draußenstehenden gesprochen. Dann steht er und sieht auf den König. König winkt ihn heran.


KÄMMERER. Der Prinz begehrt in ein inneres Gemach und zu ruhen.

KÖNIG. Was spricht er?

KÄMMERER. Kaum ein Wort, keine Frage. Nur dies sagte er, was ich melde.


König nickt.


BEICHTIGER. Er begehrt in seines Vaters Haus. Ducunt fata volentem.


Die Orgel schwillt etwas an, ohne sehr laut zu werden.


KÖNIG wirds gewahr. Was ist dies? Aus der Kirche herauf? Man heiße dies einstellen –

JULIAN. Lasse mein König dies gewähren. – Seine Seele ist für Töne empfänglich und – bedenken in Gnaden! – er hat nie eine andere Musik gehört als die rauhe Trommel oder die schneidende Trompete![318]

KÖNIG winkt einen der Höflinge zu sich. Versammle den Hofaußen.


Die Stabträger öffnen die Tür, die Pagen laufen ab, die Stabträger treten ab. Die beiden jungen Kämmerer und einige Höflinge treten ab. – Der König zu der Gruppe, die geblieben. Der Kastellan ist eingetreten mit den Schlüsseln und übergibt sie dem Ältesten unter Verneigen, geht wieder ab.


KÖNIG. Ihr meine Vertrautesten, durch heilige Eide gebunden – wartet hier innen. Die anticamera, woselbst der Kleine Dienst der Königin sich vor der Messe zu versammeln pflegte – dort haltet euch auf. Was ich mit dem Prinzen zu sprechen habe, verträgt keine Zeugen. Trete ich aber mit meinem jungen Gast auf den Altan und lege ihm als Zeichen des Einvernehmens väterlich den Arm um seine Schulter, dann lasset Posaunen erschallen: denn dann ist für dieses Königreich eine große Stunde herangekommen.


Die Höflinge verneigen sich und gehen. Man sieht sie durch die geheime Tür des Oratoriums in den kleinen Korridor links treten und sich nach links entfernen: außer dem Beichtvater. Ihnen folgt der Gehilfe des Arztes, hinter ihm Anton.


ANTON im Vorübergehen zu Julian. Mir hat von schmutzigem Wasser geträumt und von ausgefallene Zähn! es geht schlecht aus.

KÖNIG winkt dem Beichtvater zu warten, ruft dann Julian durch einen Wink des Auges. Jene Worte meines hochseligen Großoheims, Kaiser Karls des Fünften, treten mir vor die Seele, mit denen er seine Krone und Länder seinem einzigen Sohne, Don Philipp, übergab. Wenn Euch mein Tod, sprach er, in den Besitz dieser Länder gesetzt hätte, so würde mir ein so kostbares Vermächtnis schon großen Anspruch auf Eure Dankbarkeit gegeben haben. Aber jetzt, da ich sie Euch aus freier Wahl überlasse, da ich zu sterben eile, um Euch den Genuß derselben zu beschleunigen, jetzt verlange ich von Euch, daß Ihr diesen Völkern bezahlet, was Ihr mir dafür schuldig zu sein glaubt. – Er hat die Augen voller Tränen.

JULIAN kniet nieder und küßt ihm die Hand. Möge sich seine Seele dir offenbaren. Erringt nicht der Kristall unter gräßlichem[319] Druck seine edle Gestalt? So ist er, wenn ihn dein Auge recht gewahrt.

KÖNIG. Vielleicht werde auch ich mich für den Rest meiner Tage in ein Kloster zurückziehen – möge ein würdiger Sohn meinen Untertanen bezahlen, was er an Dank mir schuldig zu sein glaubt.


Sein Gesicht verändert sich, er winkt den Beichtiger zu sich, Julian tritt zurück.


KÖNIG zum Beichtiger. Wo aber läuft der schmale Grenzrain, dessen Überschreitung vor Gott und der Welt – die äußerste Strenge rechtfertigen würde? wo? mein Vater? – du schweigst. Wenn er seine Hand gegen mich erhübe?

BEICHTIGER. Das verhüte Gott!

KÖNIG. Welche werden auch dann noch sagen: das Opfer der Staatsräson sei seiner verstörten Sinne nicht mächtig gewesen.

BEICHTIGER. Weise Richter, mein König, haben die Erkenntnis gefällt: ein fünfjähriges Kind wird straffällig und kann durch das Schwert vom Leben zum Tod gebracht werden, wofern es zu wählen versteht zwischen einem vorgehaltenen Apfel und einem kupfernen Pfennig.

KÖNIG lächelt. Ein fünfjähriges Kind! Höchst weise ersonnen! Ein wunderbares Paradigma! Ein Prinz, der zu Pferde sitzt wie ein geborener König und ein fürstliches Gefolge vor Stolz keiner Anrede würdigt, ist jedenfalls kein fünfjähriges Kind.

DER EINE KÄMMERER kommt eilig durch die Tür rechts, meldet knieend. Sie kommen!

KÖNIG. Wer ist mit ihm?

KÄMMERER. Der Prinz hieß mit einer gebietenden Gebärde die Diensttuenden zurückbleiben. Graf Adam allein ist pflichtschuldig gefolgt und führt ihn die Treppe herauf hierher.

KÖNIG. Fort! Dort hinein. Zu den Übrigen. Auch du, ehrwürdiger Vater. Beichtiger und Kämmerer ab. Zu Julian. Du bleibst!


Man sieht den Beichtiger, hinter ihm den Kämmerer, durch den Korridor abgehen. Dann treten der König und Julian in den Korridor[320] und bleiben sichtbar stehen, indem sie durchs Fenster in das Gemach spähen.

Das Gemach bleibt eine Sekunde leer, dann wird der junge Kämmerer, Graf Adam, an der Tür, die aufgeht, sichtbar: er öffnet von außen. Läßt Sigismund eintreten, tritt hinter ihm ein, und schließt die Tür. Sigismund ist fürstlich gekleidet, trägt aber keine Waffe im Gürtel. Er tritt herein, sieht sich um. Dann ans Fenster, sieht hinaus, dann wieder in die Mitte des Zimmers.


GRAF ADAM. Sie haben ruhen wollen, gnädiger Herr. – Dieses Zimmer ist Ihnen zugewiesen vom fürstlichen Gebieter dieses Palastes, dessen Gast Sie sind.


Er zieht den Vorhang am Alkoven auf und deutet mit ehrerbietiger Gebärde auf das Bett.

Sigismund tritt hin, sieht das Bett, den Alkoven, das ewige Licht an; ein Schauder überfällt ihn, er tritt

zurück.


GRAF ADAM mit gespielter Unbefangenheit. Dies ist nicht das Bett, allerdings, auf dem Sie heute morgen erwacht sind. Sie kamen zu unerwartet früher Stunde. Sie waren im Reisewagen fest eingeschlafen – man trug Sie in das nächste beste Gemach. Indessen wurde dieses würdigere vorbereitet.


Sigismund sieht alles an; erblickt sich im Spiegel, der überm Kamin hängt; erschrickt etwas, verbirgt seine Hände unter den Ärmeln. Seine Miene drückt Mißtrauen aus und eine angespannte Wachheit. – Plötzlich läßt er den Kopf sinken. Der Kämmerer springt hin, stellt ihm einen Stuhl hin, der neben dem Kamin stand, Sigismund dankt mit einem schwachen Lächeln und einer kleinen Gebärde, läßt sich auf den Stuhl hin.


KÖNIG mit Julian außerhalb des Gemaches als Zuschauer sichtbar. Höchst edel! Fürstlich in jeder Gebärde!


Er stützt sich auf Julian.


SIGISMUND vor sich, leise. Mich hungert!

GRAF ADAM. Ich befehle einen Imbiß hierher und reiche Ihnen knieend Brot und einen Becher Weins, aber nicht mehr als dies, zur Stillung des ersten hitzigen Hungers, – Klatscht gegen die Tür in die Hände. he, Diener! – denn die Mahlzeit selber, die Freude des festlichen Tages, muß mein erhabener Gebieter mit Ihnen zu teilen[321] das Glück haben – er will Sie zu seiner Rechten sitzen sehen und um Sie stehend die Großen, die seine Diener sind – er als erster will den Blick auffangen, Kniet. mit dem Sie zu erkennen geben, daß Ihre Seele einem ungeheuren Umschwung des Glücks gewachsen ist.


Sigismund mustert ihn von oben bis unten, als wollte er fragen: wer bist du, daß du mir so nahekommst?


KÖNIG. Meine Frau, wie sie leibt und lebt! Gegen jedes Zunahetreten gewappnet mit schierer stummer Unmöglichkeit! Zu Julian. Hinein! und bereite ihn vor! ganz! sag ihm Alles!

JULIAN leise. Alles, auch das Letzte?

KÖNIG von Tränen übermannt. Auch das Letzte! sag ihm, daß sein Vater hier wartet, ihn an seine Brust zu drücken. Und dann öffne mir die Tür und laß mich allein mit ihm. Geh!


Julian tritt durch die geheime Tür ins Oratorium und von dort ins Gemach. Die Orgel war einen Augenblick stärker hörbar, weiterhin ist sie hie und da sehr leise vernehmlich. Der Kämmerer wird ihn zuerst gewahr, tritt zurück, verneigt sich. Auf einen Wink Julians geht er an die Tür, verneigt sich nochmals tief gegen Sigismund hin und geht hinaus.

Sigismund wendet den Kopf, erblickt Julian, steht jäh auf, kehrt Julian den Rücken. Er zittert heftig.


JULIAN läßt sich hinter Sigismund, drei Schritte von ihm, auf ein Knie nieder. Auch er kann seine Erregung kaum bemeistern. Leise. Prinz Sigismund!

SIGISMUND hebt die Hände wie flehend abwehrend, vor sich hin, aber ohne sich Julian zuzuwenden, mit einem leisen, kaum hörbaren Laut des Schreckens.

JULIAN. Ja, ich. Eine Stille. Dies war die Reise, die ich dir versprach. Dies Haus ist ihr Ziel.

SIGISMUND sieht sich hastig um, wendet ihm sogleich wieder den Rücken.

JULIAN. Habe ich dir je gelogen?

SIGISMUND schüttelt den Kopf, noch ohne sich ihm zuzuwenden.[322]

JULIAN. Hier ist Alles! Was dieses Wort bedeutet, kannst du nicht ermessen – aber indem du es vernimmst, ahndet dir viel. – Du bist weise: du willst die Welt nicht anders als sie ist. Jeden Augenblick nimmst du, wie er ist, möchtest nichts verändern – weil du gelernt hast: zu wissen.

SIGISMUND kehrt sich allmählich ihm zu.

JULIAN erhebt sich und spricht aus der gleichen Entfernung. Du willst nicht fort, da man dich hergebracht hat. Du verlangst nichts; was man dir gibt, nimmst du – denn du weißt: es ist deines Vaters Haus.

SIGISMUND zuckt zusammen.

JULIAN. Du hast dir gesagt, daß es dein Vater ist, der so über dich gebietet, und daß, nun du hier bist, er dir auch nahe ist: das hast du dir gesagt, Sigismund, denn dein Sinn ist stark und geht auf den Kern der Dinge. Du begreifst, daß deines Vaters Wege dir unerforschlich sein mußten, wie dem Getier deine Wege übers Getier. Du möchtest nicht leben, wenn nicht Höheres über dir wäre, so ist dein Sinn. – Du fragst nicht: Was ist mir geschehen? –

SIGISMUND schüttelt den Kopf.

JULIAN. – Noch: Warum ist es mir geschehen? –

SIGISMUND schüttelt den Kopf.

JULIAN. Denn dein Herz ist uneitel. Du verehrtest Gewalt, die über dir ist. Dir ahnt immer das Höhere, weil du selbst von Hohem bist. Und nun bist du bereit?

SIGISMUND. Wohin führst du mich?

JULIAN. Bleibe. Verbirg nicht deine Hände. Zeige sie ohne Scheu. Dies halte fest: ich bin deines Vaters Diener. Ein Mann ist bei jedem Atemzug des Höheren eingedenk.

SIGISMUND steht in unsäglicher Spannung.

JULIAN nachdem er sich umgesehen hat. Sigismund, Kronprinz von Polen, Herzog von Gothland, ich habe dir den Besuch deines königlichen Vaters anzukündigen.


Die Orgel tönt nun stärker, schwillt mächtig an, die vox humana tritt gewaltig hervor.

Sigismund steht entgeistert. Dann sucht er mit den Augen wo dieser Klang herkomme, er sieht nach oben, zittert heftig. Tränen schießen ihm in die Augen.
[323]

JULIAN. So recht. Laß die Orgel dir den Namen: Vater – in die Seele dröhnen. Vater, Schöpfer Himmels und der Erde! Von Angesicht! Fall nieder!

KÖNIG außerhalb, aber sichtbar, kniet nieder und betet. Tu ein Wunder, Herr im Himmel! und versöhne ihn mit seinem Schicksal, dessen unschuldiges Werkzeug ich war. Amen.


Sein Gesicht, wie er wieder aufsteht, ist von Tränen überströmt. Sigismund fällt auf die Knie, birgt sein Gesicht in den Händen. Julian eilt hin, öffnet die Tür, läßt den König eintreten. Die Orgel wird leiser. Der König steht im Gemach. Sigismund liegt noch auf den Knien, das Gesicht in den Händen, wie sein Vater schon vor ihm steht.


JULIAN tritt auf den Korridor hinaus, verschwindet nach links.

KÖNIG nach einer Pause. Sprich, mein Sohn. Laß mich deine Stimme hören.

SIGISMUND auf den Knien, den Kopf zur Erde.

KÖNIG. Sohn, Wir haben dir verziehen. Du bist Uns heimgekehrt. Unsere Arme sind offen. Laß Uns dein Antlitz sehen!

SIGISMUND zittert, zuckt; wendet sein Gesicht gegen die Wand; kniet dort nieder, abgewandt. Drückt das Gesicht gegen die Mauer.

KÖNIG. Nein, es ist an Uns. Wir demütigen Uns vor dem, der gelitten hat. Wir neigen Uns. Er neigt sich ein wenig.

SIGISMUND zittert stärker, birgt den Kopf hinterm Sessel.

KÖNIG. Wie Sankt Martin, da er den Bettler fand, den nackenden, vor Kälte zitternden – Wir schneiden Uns einen Teil Unseres Mantels ab! Er greift ans Schwert. Sieh auf! Sollen Wir Unseren königlichen Mantel mit dir teilen? Oder – Er stößt das Schwert wieder in die Scheide. kommst du an Unser Herz in seine ungeteilte Wärme?


Er öffnet seine Arme.


SIGISMUND sieht auf.

KÖNIG. Steh auf, mein Sohn, und tritt getrost auf deinen Vater zu.

SIGISMUND steht auf.[324]

KÖNIG. Laß Uns deine Stimme hören, junger Fürst! Wir sind begierig nach ihr. Wir haben ihren Klang zu lange entbehrt.

SIGISMUND redet, aber es dringt kein Laut über seine Lippen.

KÖNIG. Was flüsterst du in dir? Möge es ein guter Geist sein, der aus dir flüstert!

SIGISMUND kann nicht reden.

KÖNIG. Rede laut das Wort der gerührten Anerkenntnis. Du vermagst nicht zu wissen, was du gegen Uns verschuldet hast.

SIGISMUND qualvoll ringend, stumm.

KÖNIG einen Schritt näher. Wir bedürfen eines weisen Sohnes. Wir wollen einen jungen Fürsten sehen, der großen Dingen gewachsen ist. Wir wollen Uns selber wiedererkennen im Saft und Glast Unserer Jugend. Wir warten.

SIGISMUND geht zurück.

KÖNIG. Scheue nicht zurück vor Unserem Anblick, auch nicht aus Ehrfurcht. Dein Auge in Unseres! vernimm einmal für alle Male, Kronprinz von Polen! Wir vermögen nicht mißzuhandeln als König an dem Untertan, als Vater an dem Sohn; und hätten Wir dir ohne Gericht das Haupt auf den Block gelegt: so war Uns heilige Gewalt verliehen, und da ist niemand, der wider Uns klagete. Denn Wir waren vor dir – so bist du in Unsere Hand gegeben von Gott selber.

SIGISMUND deutet durch Zeichen, er habe Furcht vor Gewalt, Furcht vor des Königs Händen.

KÖNIG versteht ihn. Die Hände? Furcht vor Unseren königlichen Händen? Sie sind milde, fruchtspendend, heilen den Kranken, dem ich sie auflege. Aber Ehrfurcht gebührt ihnen: recht so, mein kluger Sohn. Eines Königs Hand ist beredter als die Zunge des Weisen. Ihr Wink ist Befehl und im Befehl ist die Welt eingeschlossen: denn in ihm liegt die Vorwegnahme des Gehorsams. Indem er befiehlt, gleicht der König seinem Schöpfer. – Wie Gott befahl: es werde Licht! so befehle ich dir: es werde Licht in deinem Haupt und Gehorsam in deinem Herzen! Und dies wird dir leicht sein: denn rege dich, tritt hierher und dahin, und Alles, worauf dein Auge fällt, kommt von mir!

SIGISMUND berührt angstvoll den eigenen Leib.[325]

KÖNIG. Alles! Auch dein Leib, auf den du deutest. Wir zeugten dich hier – in diesem selben Gemach – dort auf diesem fürstlichen Lager.

SIGISMUND stöhnt auf.

KÖNIG tritt wieder vor ihn hin. Ist dein Herz überwältigt? will es dich vor Unsere Füße werfen? zuckst du vor Ehrfurcht? – Ja, du empfängst viel in einer Stunde.

SIGISMUND. Woher – so viel Gewalt?

KÖNIG lächelt. Nur die Fülle der Gewalt frommt: in der Wir sitzen, als der Einzige, einsam. So ist Gewalt des Königs. Alle andere ist von ihm geliehen und ein Schein.

SIGISMUND sehr stark. Woher?

KÖNIG. Von Gott unmittelbar. Vom Vater her, den du kennst. – Am Tage, da es Gott gefiel, sind Wir in Unser Recht getreten als Erbe. Ein Heroldsruf erscholl in die vier Winde. Die Krone berührte das gesalbte Haupt. Dieser Mantel wurde Uns umgetan. So war wieder ein König in Polen. Denn es stirbt Basilius oder Sigismund, es stirbt nicht der König. Ahndet dir, wer vor dir steht?

SIGISMUND. Gib schon dein Geheimnis preis! Laß schon dein Gesicht vor mir aufgehen! Offenbar dich mir! – Ich habe nie einen Menschen geküßt. Gib mir den Friedenskuß, mein Vater! Aber zuvor erhöhe mich über dich selber zu dir! Gib dich mir so, wie du mich genommen hast! Laß aufgehen dein Gesicht! Zeige mir, wie du mitgebunden bist worden! mitgeschlagen bist worden! Laß deine Wunden aufgehen! Mutter, Vater! Nimm mich zu dir!

KÖNIG. Genug. Ich liebe diese Maske nicht. Komm zu dir, Prinz von Polen. Besinne dich, von wo ich, dein König, dich gerufen habe und wohin ich dich erhöht habe.

SIGISMUND steht ratlos.

KÖNIG. Setz dich hier zu meinen Füßen, mein Sohn. Er setzt sich auf den hohen Stuhl, Sigismund zu seinen Füßen auf den niedrigen. Der König sieht ihm lange ins Gesicht. Du bist ehrgeizig und begierig nach Macht: das lese ich in deinen Zügen. – Man hat dich gelehrt mit gefühlvollen Worten die Herzen zu gewinnen. – Mögen solche Gaben dir nach meinem Tode zugute kommen. – [326] Er nimmt seine Hand. Mir vertraue und keinem sonst. Eines ist Königen not: daß sie sich ihrer bösen Ratgeber zu erwehren lernen. Sie sind die Schlangen an unserem Busen. Hörst du mich, mein Sohn? Antworte mir.

SIGISMUND. Ich höre, mein Vater.

KÖNIG. Du bist verschlossen, mein Sohn. Du bist schlau und geschickt. Ich sehe, du bist jedem Geschäft gewachsen. Ich übertrage dir das erste und größte. Er steht auf, Sigismund gleichfalls. Entledige mich dieses arglistigen Dieners. Mache uns frei von der Schlange Julian, die uns beide umstrickt hat.

SIGISMUND sieht ihn an. Wie, mein Vater?

KÖNIG. Wie, mein Vater? Wie? in Ketten dich? unter seiner Peitsche den Erben dreier Kronen? Und mir deine Wildheit vorgespiegelt! meine Tage vergiftet, meine Nächte ausgehöhlt mit dem Schauermärchen von einem tobenden Knaben mit mörderischen Augen! mit dem Gespenst eines geborenen Aufrührers! – Begreifst du die Anstalten der satanischen Bosheit? Begreifst du, wie er den Keil treibt mit rastlosen Schlägen zwanzig Jahre lang zwischen Vater und Sohn? – Was ist das für ein allgemeiner Aufruhr, mit dessen Androhung er nun wieder mein argloses Herz bestürmt? In wessen Hand, wenn nicht in der seinen, laufen die Fäden zusammen? – Und zu welchem Ende verknüpft er deinen Namen mit diesen Anstalten? Schwant dirs, mein armer Sohn, zu welchem Ende? Dich an ihn zu ketten durch die Gemeinsamkeit des an mir begangenen Frevels – ihn dir unentbehrlich zu machen für immer – dich zu erniedern zum Werkzeug deines Werkzeugs – einen zweiten Basilius aus dir zu machen – einen zweiten Ignatius aus ihm!

SIGISMUND. Das ist eines Königs Großheit! die ich mir zu ahnen vermeinte, wenn ich einen Roßknochen schwang überm Getier!


Er bedeckt sein Gesicht mit den Händen.


KÖNIG. Ich frage dich nicht! Wer schürt seit einem Jahr diesen Aufruhr in meinen Ländern? Ich verhöre dich nicht. Ich begehre nicht, daß du mir deinen Lehrer preisgibst. Ich[327] gebe ihn dir preis. In deinen Händen sei sein Geschick. Ich rede als ein König zu dem mir geborenen Könige. Wer ist wider zwei Könige, wenn sie einig sind? – Nimm diesen Ring. Steck ihn an deinen Finger. Wer ihn trägt ist der Herr. Meine Garden gehorchen ihm. Meine Minister sind die Vollstrecker seiner Befehle. Ich habe ihn einem gewaltigen Teufel vom Finger genommen. Du sollst ihn tragen, mein Sohn. Er steckt Sigismund den Ring an. Handle du für uns beide. Sei klug, sei stark, sei kühn. Tritt hervor aus dieser meiner Umarmung und sei wie ein Blitz. Verhafte diesen Julian und sieh zu, ob der angezettelte Aufruhr nicht dahinfällt wie ein Bündel Reisig. Jeder deiner Schritte sei furchtbar, schnell und entscheidend. Überwältige die Bösgesinnten, ehe sie sich vom blassen Schreck zu einer rebellischen Besinnung erholt haben. Treibe Stand gegen Stand, Landschaft gegen Landschaft, die Behausten gegen die Hauslosen, den Bauer gegen den Edelmann. Der Menschen Schwäche und Dummheit sind deine Bundesgenossen, riesengroß, unerschöpflich. – Aber deine erste Tat sei jäh, erschreckend, besinnungraubend – und wäre sie die Hinrichtung dieses Julian! Die Prärogative dieses Ringes an deiner Hand sind unermeßlich. Sie heben den Lauf der Gerichte auf. Sie legen den Griff des Richtbeils unmittelbar in die Hand des Trabanten, der dich auf einem nächtlichen Gang begleitet. Sie machen dich mir gleich, mein Sohn, damit du handeln könnest für uns beide. Es ist von nun ab ein König in Polen: aber er wandelt in zwei Gestalten. Weh unseren Feinden! Er öffnet seine Arme.

SIGISMUND tritt zurück. Wer bist du, Satan, der mir Vater und Mutter unterschlägt? Beglaubige dich! Er schlägt ihm ins Gesicht.

KÖNIG. Trabanten! Zu mir! Auf deine Knie, Wahnwitziger!

SIGISMUND packt ihn. Was fletschest du? Warum wird dein Gesicht so gemein? – Ich habe schon einmal einen alten Fuchs mit Händen erwürgen müssen! Er hat gerochen wie du! Stößt ihn von sich.[328]

KÖNIG. Nieder auf deine Knie, rebellisches Tier! Hört niemand? Wir werden dich züchtigen! Wir werden nicht anstehen, dich im Angesicht des Volkes auf den Richtblock zu schleifen.

SIGISMUND. Ich bin jetzt da! Alles andere ist Gewölle, wie es die Krähen ausspeien! – Ich bin da! – Ich will! An mir ist nichts vom Weib! Mein Haar ist kurz und sträubt sich. Ich zeige meine Tatzen. Diese Stunde, zu deinem Schrecknis, hat mich geboren.

KÖNIG. Unantastbar! Die Majestät! Zu Hilfe!


Er will nach links, Sigismund vertritt ihm den Weg.


EINES PAGEN STIMME von links. Der König ruft!

SIGISMUND bedrängt den König, reißt ihm das Schwert aus der Scheide, schwingt es. Ich befehle! Da hinüber! Nieder auf den Boden! Ich will treten auf dich! – Seitdem ich da bin, bin ich König! Wozu riefest du mich sonst?

KÖNIG stöhnt unter seinem Griff.

SIGISMUND. Röhr doch! Mach Lärm! Rufe! Schrei dich tot! Her den Mantel!


König will entspringen. Julian wird in dem Korridor links sichtbar, stürzt herein und durch die Tür rechts wieder heraus. Sigismund läuft dem König nach mit geschwungenem Schwert. König fällt zusammen. Sigismund reißt ihm den Mantel ab und hängt ihn sich um die Schultern.


PAGEN im Korridor links, schreien auf. Zu Hilfe!


Etliche Höflinge stürzen herbei, dringen durchs Oratorium ins Zimmer. Der Korridor füllt sich mit Hofherren, Kämmerern, Pagen.


ALLE schreien durcheinander. Wer ruft? Was ist geschehen? Da hinein! Es ist verboten! Der König ist tot!


Die ins Zimmer Eingedrungenen halten sich links.


SIGISMUND den Blick fest auf ihnen. Stille! Keinen Blick auf die alte Leiche! Auf die Knie mit euch! Küsset die Erde vor den Füßen eueres neuen Herren und werfet das alte Fleisch dort in die Grube – vorwärts hier! Die Vordersten zwei! Er deutet auf zweie mit der Spitze des Schwertes. Fort mit dem Erblasser! Packt an! – Da, ich will das nicht sehen!


[329] Die Höflinge regen sich nicht. Hinter ihnen haben sich mehrere ins Zimmer geschoben. Die Tür rechts öffnet sich.Julians Kopf erscheint. Er sieht nach allen Richtungen, springt dann herein.


JULIAN hat das Reichsbanner an sich gedrückt, wirft sich vor Sigismund auf die Knie, indem er ihm das Banner überreicht und ruft. Es lebe der König!

SIGISMUND ergreift das Banner mit der Linken. Herein da mit euch! Hier seht euren Herrn! Bereitet euch! Ich will mit euch hausen wie der Sperber im Hühnerhof. Mein Tun wird meinem Willen genugtun. Verstehet mich! Meine Gewalt wird so weit reichen als mein Wille. Auf die Knie mit euch! Er wirft ihnen das nackte Schwert vor die Füße. Da! Ich brauche das nicht! Ich bin der Herr!


Einige der vordersten knien nieder.


GRAF ADAM zwischen den Höflingen, schreit auf. Der König lebt! Zu Hilfe Seiner Majestät! Er reißt aus Sigismunds Hand das Panier an sich. Es ist nur ein König in Polen! Vivat Basilius!


Zwei Kämmerer schieben sich an der linken Wand entlang und kommen Sigismund in den Rücken. Der eine wirft seine Arme von hinten um Sigismund und bringt ihn zu Fall. Mehrere stürzen sich nun noch auf ihn. Er wird in den Alkoven halb gerissen, halb getragen. Die älteren Höflinge und die Pagen eilen zum König, helfen ihm sich aufrichten. Pagen bringen von hinten den Mantel, hängen ihn dem König um. Der Beichtiger stützt ihn.

Gleichzeitig.


EINE STIMME aus dem Alkoven. Er liegt!

EINE ANDERE STIMME. Her mit dem Arzt!


Der Gehilfe des Arztes, Anton mit der verdeckten Schüssel neben ihm, sind als letzte aus dem Oratorium getreten. Der Gehilfe geht gegen den Alkoven, von wo man ihm winkt. Er sieht sich nach Anton um. Anton preßt die verdeckte Schüssel gegen sich. Mehrere kommen gelaufen, reißen Anton die Schüssel weg, tragen sie hastig nach dem Alkoven. König hat sich aufgerichtet.


GKAF ADAM kommt atemlos aus dem Alkoven, wirft sich vor dem König auf die Knie, überreicht den Ring. Ich habe ihm von hinten die Sehne durchschnitten wie einem Hirsch. Er liegt.[330]

EIN ANDEBER JUNGER HÖFLING ebenso. Ich habe ihn aufs Bett gerissen.

EIN DRITTER ebenso. Wir haben ihm den Schwamm unter die Nüstern gehalten und jetzt liegt er unschädlich.


Julian kommt nach vorne. Er ist leichenblaß und wie betäubt. Er geht mechanisch bis an die linke Wand und stellt sich dorthin, wo er zu Anfang gestanden hat. Eine Gruppe älterer Höflinge nehmen seitlich hinter ihm Stellung, heften drohende Blicke auf ihn und halten ihre Dolche gezückt, König scheint Julian nicht zu sehen. Julian wird sich plötzlich der Lage bewußt, fällt mit dem Gesicht gegen den König auf die Knie, ohne sich dem König zu nähern. König wendet sich ein wenig, so daß er den knieenden Julian nicht mehr vor dem Gesicht hat. Von den Höflingen einige, die nächsten, küssen gerührt den Saum von des Königs Rock, dann andere. Beichtiger redet leise und eindringlich auf den König ein.


KÖNIG. Es ist geschehen, wie prophezeit war. Er hat seinen Fuß auf mich gesetzt im Angesicht des Volkes. Jetzt muß er sterben.

BEICHTIGER dicht bei ihm. Erhaben, ich weiß es, mein König, war dein Denken im entscheidenden Augenblick. Dein Leib lag im Staub, unterworfen dem Rasenden, aber deine Seele in einem Nu schwang sich auf und du standest vor Gott, erhöht und nicht erniedrigt.

KÖNIG. Wie prophezeit war! Aber Wir sind Unserer Krone mächtig geblieben und können über ihn die Strafe verhängen! Ah! Wer hätte das gewagt zu hoffen!

BEICHTIGER. Als du lagest unter dem Schwert des rasenden Sklaven, wie ein verlorener Mann, da war in Wahrheit ein Gedränge von Engeln zwischen der gezückten Schneide und deinem Nacken und deine Seele lag wie ein Tropfen Tau im Kelch einer Lilie, die im Frühwind schaukelt, und ihre Gedanken, ich weiß es, waren erhaben und ruhig. Was empfandest du, mein heiliger König, im Augenblick, da uns das Blut in den Adern gerann? Welches Bild erfüllte deine Seele erhaben und glanzvoll, wie der Pinsel des begnadeten Malers es schafft auf die Tafeln, zu zieren den Hochaltar?[331]

KÖNIG. Als ich hinschlug auf den Boden, dröhnte in meinem Ohr eine schwere gräßliche Last! Wie von eisernen Stangen und Ketten. Was war das?

BEICHTIGER. Heil dir! Das waren die Ketten, die er tragen soll in der Nacht seines Kerkers! Eingegeben durch Gott, dröhnte durch dich das Sinnbild der unblutigen Sühne. Hebe deine weißen Hände zu Gott, barmherziger König, er hat dir eingegeben, deine Hände rein zu halten von Blutschuld. Dank wollen wir sagen unserem Gott und Herrn!


Die Türe rechts geht auf, Diener bringen einen Trunk, Kämmerer reichen ihn knieend dem König.


EIN HÖFLING. Der König trinkt!

ALLE. Heil Eurer Majestät!


König gibt den geleerten Becher zurück. Dann wendet er sich, winkt dem Hof ihm zu folgen und geht mit starken Schritten durch die Türrechts, die vor ihm auffliegt, ab. Alle folgen in Eile. Die Julian zunächst stehen, bespeien ihn. Julian bleibt an seiner Stelle und stöhnt dumpf.


ANTON. Recht so – machen sich Luft – daß sich die Gall nicht inwendig aufs Herz ergießt –

JULIAN stöhnt.

ANTON. O mein! ist Ihnen so schlecht?

JULIAN. Nicht ich – nicht mich laßt zur Ader – aber das Tier mit Hörnern, bis es weiß wird und umfällt: den alten Bock mit einer Krone auf! Alle Herrschaft ist auf den Wahnwitz der Untertänigkeit gegründet, ein Narr wird mit einem Strohhalm regiert, ein Elefant gehorcht einem Zwerg, den er zertrampeln könnte wie eine Mücke.

ANTON. Die Red ist dunkel, aber sie kommt halt auch aus einem blauschwarzen Gesicht heraus. Reden nur weiter. Schaun mich nur nicht so stier an!

JULIAN verloren. Was?

ANTON in Angst. Natürlich! natürlich! Wie Sie es sagen!


Die Tür rechts geht auf, einer der Höflinge tritt mit starken Schritten ein, Pagen mit ihm.


HÖFLING vor Julian stehenbleibend. Mit engelsgleicher Fassung nimmt mein Souverän das Geschehene hin, daß zu unerforschlicher[332] Prüfung ein Teufel, die inkarnierte Rebellion, sich verkleidet hat in höchst sein eigenes Fleisch und Blut, der erhabenen Dynastie zu höllischem Hohn. Dunkler Ort wird diesem Wesen zum Aufenthalt angewiesen. Als ein Namenloser, nie zu Nennender verbleibe er in ewigem Gewahrsam – der Raum da er seine Glieder rege, soweit eine Kette gestattet, dreißig Pfund schwer, mit der man seinen satanischen Leib schmiedet an den mittelsten Pfeiler des Gewölbes. Nun zu dir –

ANTON. Bedenken Euer Erlaucht, mein Herr ist nicht recht gesund, lassen mich lieber um den Arzt laufen –

HÖFLING hebt den Stock gegen Anton, dann zu Julian. Über dir schwebt unverjährbares Urteil wegen hochverräterischer, satanischer Konspiration: aufgeschoben nur die Vollstreckung, hängt das Richtschwert über dir bei Tag und Nacht an einem Haar. Dein Tun trotz alledem und was dich mag getrieben haben in dunkler Brust deckt die Nachsicht des erhabenen Monarchen mit einem milden Schleier. Du bleibst nach wie vor sein Wärter. Deutet auf Sigismund hin. Wachst über seinem Leben bei Tag und bei Nacht. Du hast ins Angesicht der Majestät ein vermessenes Wort gewagt: Bestünde, sprachst du, dein Pflegling nicht die Probe, so wären diese Stunden hier zu achten als ein kurzer Traum mitten dumpfem Schlaf. Das mache wahr und friste mit diesem Dienst dein Dasein, es ist dir für unbestimmte Zeit geliehen. Der Ort, da du es fristest, ist der Turm dort, einsam im Gebirg. Wer dich antrifft nur einen Büchsenschuß weit von seinem Gemäuer, er sei ein freier Mann oder leibeigener Sklav, der vollzieht an dir die Acht und Aberacht – gibt dein Blut und Gebein der Erde, dein Auge den Vögeln, deine Zunge den Hunden. Ab vom Gürtel jetzt das königliche Insiegel, durch Verstellung von dir erschlichen, ab vom Nacken die herrliche Kette, die dir nicht ziemt. – Edelknaben, tut euren Dienst!


Pagen fallen Julian an und entreißen ihm Kette und Siegel. Höfling geht ab, die Pagen mit den Kleinodien vor ihm. Julian stöhnt.
[333]

ANTON. Lassen sich hin! legen sich in den Sessel!


Will den Sessel heranrücken, Julian weigert sich zu sitzen.

Arzt tritt ein mit Gehilfen und Dienern. Er geht zum Alkoven.


JULIAN. Stehen! Aufrecht hier hinausgehen –

ARZT am Alkoven. Verbände an die Füße, dies leichte seidene Tuch über sein Gesicht. – Wesen aus einem einzigen Edelstein, du darfst keine Schmach erleiden! Er steht einen Augenblick in Gedanken.

ANTON läuft zum Arzt. Kommen hierher, unser gnädiger Herr ist der ärgere Patient.


Arzt tritt hin, richtet den Blick auf Julian. Julian tritt ihm einen Schritt entgegen, schwankt dabei.


ARZT reicht ihm ein Fläschchen aus seiner Tasche. Trinken der Herr von diesem, es wird Ihnen die Kräfte geben, daß Sie, auf meinen Arm gestützt, bis in mein Zimmer kommen, wo ich Ihnen eine Ader schlagen werde. Jetzt mehr als je hat der Ihnen anvertraute hohe Jüngling Anspruch auf Ihre ganzen Kräfte.


Die Diener unter Aufsicht des Gehilfen heben Sigismund vom Bette und tragen ihn langsam hinaus.


JULIAN. Was wollen Sie von mir? Welche Hoffnung ist noch zurück? Sind Sie in Unkenntnis, was über uns verhängt ist?

ARZT. Jede Hoffnung. Denn er lebt und wird leben. Das verbürge ich. So und nicht anders war von jeher den Heiligen gebettet zur Erwachung.

JULIAN. Klafterdicke Mauern um uns! Überm Kopf die Faust des Wärters.


Der Kastellan und die Diener verschließen den Alkoven, sind nun näher gekommen.


ARZT leiser. Gewaltig ist die Zeit, die sich erneuern will durch einen Auserwählten. Ketten wird sie brechen wie Stroh, Stürme wegblasen wie Staub.

JULIAN. Was bindet deine Seele mit so gewaltigem Glauben an diesen Jüngling? Du hast kaum mit ihm geredet!

ARZT leise. Acheronta movebo. Ich werde die Pforten der Hölle aufriegeln und die Unteren zu meinem Werkzeug[334] machen – der Spruch war von Geburt an auf der Tafel Ihrer Seele geschrieben.

JULIAN. Haltet mich! Angst wandelt mich an, zu sterben und nichts hinter mir zu lassen.


Zwei Diener treten, von links herein, der eine mit einer Fackel.


ARZT. Man kommt, wir müssen fort von hier.

DER EINE DIENER. Ist hier der Doktor? Seine Gnaden der Graf vom Weißen Berge suchen den Herrn.

ARZT tritt hervor. Hier bin ich!


Julian tritt seitwärts ins Dunkel, kehrt das Gesicht gegen die Wand.


GRAF ADAM an der Tür stehenbleibend. Euer Hochgelahrt empfangen hiemit den Befehl, mit dem Kranken erst bei sinkender Nacht die Reise anzutreten. Es sind Umstände dazwischen getreten.

ARZT. Welcher Art?

GRAF ADAM. Gebietende für den Augenblick. In das niedere Volk ist die Hirnwut gefahren. Rottierer haben etwas Unsinniges ausgestreut. Sie liegen zu Tausenden vor den Kirchen und beten für einen Bettlerkönig, einen namenlosen Knaben, der ihr Führer sein und in Ketten ein neues Reich heranbringen soll. – Man wird mit Dragonern und Musketieren die Straßen absperren. Euer convoi verbleibt ohne jede Gefährdung.


Er nickt ihm zu und geht. Die Diener hinter ihm.


ARZT laut. Ich bin unbesorgt über den Ausgang. Wendet sich zu Julian.

JULIAN. Gewaltiger Mann, wie dein Sehstern leuchtet! Bleibe bei mir, ich werde dich verehren wie einen Engel.

ARZT. Ihr werdet mich kaum wiedersehen. Die Kräfte freizumachen ist unser Amt, über dem Ende waltet ein Höherer.


Sie gehen hinaus.
[335]

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 3, Frankfurt a.M. 1979, S. 313-336.
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