Der vierte Aufzug


[336] Unterirdisches Gewölbe, links eine Wendeltreppe nach oben in den Fels gehauen.

Sigismund auf seinem Bette sitzend. Julian kommt die Wendeltreppe herab, Anton leuchtet ihm mit einer Lampe; er trägt unter dem linken Arm Kleider in ein Tuch eingeschlagen.


JULIAN. Weck ihn, Anton!

ANTON. Sigismund! schläfst du? Er hat die Augen offen.

SIGISMUND sieht Julian an. Mein Wächter, du bist lange nicht bei mir gewesen.

JULIAN. Ich habe eine Reise tun müssen, heimlich: um deinetwillen. Zu dir zu treten, Ohnmacht zur Ohnmacht, dessen war ich überdrüssig. Nun aber komme ich zurück als ein Verwandelter. Schüttle den Schlaf ab, völlig, für immer. Ich bleibe von jetzt an bei dir, als dein Diener, Tag und Nacht.

SIGISMUND sieht ihn an. Du bist mit flüsterndem Anhauch immer bei mir, wie die Gruft selber mir vertraut, als ihr Atem: daß keine Welt ist, außer meinem Traum, so hast du mich gelehrt, und daß aus ihm kein Erwachen sein wird.

JULIAN. Anton, achte, ob mein Bote nicht kommt, wir haben nicht Zeit zu verlieren, vor Tag müssen wir weit von hier sein.

ANTON. Hörst dus, Sigismundi! mach deine Ohren auf! Jetzt kommt eine unverhoffte Neuigkeit!

SIGISMUND schaut ringsum, wo das Licht hinfällt, dann auf Julian. Immer wieder trittst du herein in meine Finsternis, wie der zaubernde Mann, von dem die Ziehmutter gesagt hat, da ich ein Kind war. Vor dem war mir Angst, aber dich fürchte ich nicht. Sooft du gekommen bist und dies rosige Licht geflossen ist aus deiner Lampe gegen die Wände meines Grabes, sooft bin ich wieder in der Welt gewesen. Ich liege hier und dennoch zugleich fliege ich dahin, die Kühle[336] der Nachtluft weht mir ins Gesicht und unter mir sehe ich das Dorf und den Wald in dem Licht des Mondes, in dem alles von Schmach befreit ist, und im Fluß, unter dem silbernen Schimmer stehen die Fische und freuen sich an der lauen fließenden Tiefe und ich spiele in ihrer Mitte, aber dann kehre ich hierher zurück und sehe dein Gesicht an und es verwandelt sich vor mir – ich weiß nicht wie – und goldenes und blaues Licht fließt um deine Schläfen und um deine Wangen – und trächtig mit Botschaft richten sich deine Augen auf mich, aber dann lösen sich deine Lippen voneinander und es kommt – o weh! von ihnen zu mir aufs neue immer nur das Wort, das hart zu hören ist, o mein Lehrer! die Wahrheit!

JULIAN. Ja! Höre nun, höre, mein Sohn! Denn von mir bist du, deinem Bildner, nicht von dem, der den Klumpen Erde dazu hergegeben hatte, noch von ihr, die dich unter Heulen geboren hat, ehe sie dahinfuhr –: ich habe dich geformt für diese Stunde, nun lasse mich nicht im Stich!

ANTON. Es ist ein Schuß gefallen, Euer Exzellenz, jetzt noch einer, ganz in der Nähe. Was wär denn das?

JULIAN. Achte auf einen, der oben klopfen wird, sonst auf nichts! Zu Sigismund. Mein Tun, verborgen dir, war Verwirklichung; ein Plan, ungeheuer, unter dem allem. Fassest du mich! Aufruhr, offener Aufruhr schüttelt diese Nacht seinen Rachen wie der Bär, der auf das Dach des Schafstalles geklettert ist. Über den Wäldern und Bergen geht jetzt Brand auf. Zwinger, solche wie dieser da, bersten und die Kerker geben ihre lebenden Eingeweide von sich, und Wut stürzt auf Wut. Aber die Zehntausend, die ein Pferd und einen adeligen Degen haben, reiten mit blutenden Sporen querfeldein, und ihr Feldgeschrei ist dein Name.

SIGISMUND hebt abwehrend die Hände.

JULIAN. Noch mehr! höre noch mehr! Ich habe durchgegriffen bis ans Ende, die Erde selber habe ich wachgekitzelt und was in ihr wohnt, was aus ihr geboren ist, den Bauer, den Kloß aus Erde, den fürchterlich starken – ich habe ihm[337] Atem eingeblasen – das Tier mit Zähnen und Klauen habe ich aufgestört, aus Schweinsschnauze und Fuchsrachen stößt es deinen Namen hervor und erwürgt mit erdigen Händen die Schergen und Büttel. Das habe ich zustande gebracht! denn Gewalt gibt es, wo es einen Geist gibt – und Recht hat der, der gesagt hat, daß man die Unterwelt aufwühlen muß. – Jetzt steh auf und komm mit mir dorthin wo du Legionen der Deinigen so siehst, wie der Mond am Jüngsten Tag die Auferstehenden sehen wird, und sein Auge wird nicht groß genug sein, ihre Menge zu fassen -laß dich ankleiden und tritt mit mir hin, dies zu sehen. – Du hast lange genug ins Schwarze gestiert.

SIGISMUND. Wissend: das sind Träume! – denn so hast du mich gelehrt zu benennen und zu erkennen, was sich regt vor meinem Auge. – Träume! – so hast du mich es nennen gelehrt.

JULIAN. Träume! Recht so. Das Wort war Weisheit und Schutz gegen dich selber. Sprach ich: dies, was dir widerfuhr, war Wirklichkeit, so stürzte die Welt auf dich und begrub dich unter Trümmern. Darum sprach ich: es träumt dir. Und wiederum: es träumt dir!

SIGISMUND. Bis es fing – dann hatte es mich, und keine Hand reißt den Köder aus mir als mit meinen Eingeweiden.

JULIAN. Deine Seele hat leiden müssen, um sich zu erheben – und alles andere war eitel!

SIGISMUND. Du hast es mich fassen gelehrt. Eitel ist alles außer der Rede zwischen Geist und Geist.

JULIAN. Jetzt aber ist Herrschaft vor dir hingebreitet, Allmacht greifbar – Wirklichkeit, goldene! Knieende Männer, zehntausend Edelleute reißen die Schwerter aus der Scheide; wer in den Sturm hinaushorcht, der hört deinen Namen donnernd von ihren Lippen!

SIGISMUND. Aber mein Geist schwebt höher, und Schreien ficht mich nicht an!

JULIAN. Deinem Geist gab ich Nahrung; denn ich habe ihn gezeugt in dir! Dich selber gebildet aus dir selber, mein Innerstes eingießend in dich!

SIGISMUND. Aber ich nun, dein Gezeugter, bin über dem Zeugenden.[338] Wenn ich liege, einsam, so geht mein Geist, wohin deiner nicht dringt.

JULIAN. Ja? Erfüllt dich Ahnung? Gewaltige Ahnung deiner selbst? Herrliche Zukunft?

SIGISMUND. Zukunft und Gegenwart zugleich. Fasse ganz, was du selber in mich gelegt hast, wenn du mich hinauftrugest an deiner Brust unter die Sterne, die aufziehen überm Turm – denn so hast du mich erhöht, um meine Seele heil zu erhalten vor der Starrnis der Verzweiflung. Da ich gewaltiger Mensch eins bin mit den Sternen, so lehrtest du mich, darum warten sie wissend auf mein Tun. Aus meiner Brust gebäre ich ihnen die Welt, nach der sie zittern. Ihnen ist alles Gegenwart, die sich gebiert – die Qualen, die dem niedrigen Menschen geschehen mit Harren und Stocken, und daß ihn zermalmen will mit zermalmendem Heranschreiten ein Übergewaltiges – derer sind sie ledig. Ihresgleichen aber, so sprachest du, mein Lehrer, – ihresgleichen in Auserwählung ist eines träumenden Menschen herrliche Brust, die aus sich selber die Welt schafft, genießend ihres innersten Selbst. Wer daliegt im Dunkel und dieses weiß, was bedarf der noch? so sprachst du zu mir: diese Erde kann ihm nichts hinzu geben.

JULIAN. Gepriesener! den kein Königsmantel erhöhen kann. Ich habe dich einmal hinausgeführt aus diesem Turm, angetan mit fürstlichen Gewändern, was aber ist das gegen die Ausfahrt, die ich dir jetzt bereitet habe!

SIGISMUND. Richtig: denn jetzt laufe ich nimmer Gefahr, daß der Wahn als ein Wahn sich ausweist!

JULIAN. Du sprichst es aus, mein Sohn, denn diesmal bist du gesichert.

SIGISMUND. Ja, das bin ich. Herr und König auf immer in diesem festen Turm!


Er schlägt sich auf die Brust.


JULIAN. Jetzt geht es nicht mehr um die Teilung des Erbes.

SIGISMUND. Nein, das Ganze bleibt bei mir auf immer und niemand wird mirs entwinden!

JULIAN. Jetzt sind wir die Weissager und die Wahrmacher zugleich![339]

SIGISMUND. Wahrhaftig, das sind wir! Heil uns, daß wir gewitzigt sind!

JULIAN. Taten tun, das ist nunmehr uns vorbehalten! Nur der Gebietende tut – die anderen braucht er nur nach seiner Willkür, wie Geräte!

SIGISMUND. Ha! das haben wir erfahren! als sie uns auf den Wagen warfen, wie ein Kalb mit gebundenen Füßen.

JULIAN. Meine Herrschaft! Mein Reich! Diese beiden Worte presse an dein Herz! Zieh dich an! Er zieht ein Gewand, einen scharlachnen Leibrock, aus dem Pack. Die kühnen Edelleute nehmen dich in ihre Mitte, fünfzigtausend Bauern sind auf und haben ihre Sensen umgenagelt zu Spießen!

ANTON nähert sich Julian. Es zieht sich Lärmen und Schießen immer näher. Jetzt läuten sie Sturm in unserer Kapelle und es riecht nach Brand. Was wär dann das?

JULIAN. Der lebendige Beweis meines Tuns! Der Adel ist herein. Sie läuten. Sie zünden gewaltige Freudenfeuer an. Sie schießen Viktoria. Vorwärts! Das Gewand her! den Gürtel!

ANTON läuft wieder an die Treppe, horcht nach oben. Ich höre was: es lallt so. Es stöhnt wer. Es kommt wer die Stiege hinunter. Geht sie hinauf.

JULIAN packt vollends die Kleider aus und reicht sie Sigismund hin. Schnell! schnell! Ich habe in deinem Namen die Schlachta aufgeboten! und die Nackigten aus den Erdhöhlen ans Licht gestampft! Nimm! Zieh an! Wir reiten!

SIGISMUND. Ich verstehe was du willst, aber ich will nicht. Ich stehe fest und du bringst mich nicht von der Stelle. Ich habe mit deinen Anstalten nichts zu schaffen.

ANTON von der Treppe her, zu Julian, halblaut. Kommen gleich daher. Der Berittene ist zurück. Er redet was, aber ich versteh ihn nicht.

JULIAN zu Sigismund. Jetzt versag mir nicht, denn jetzt ist unsere Stunde gekommen.

SIGISMUND. Was weißt du von mir? Hast du den Zugang zu mir? da ich unzugänglich bin, wie mit tausend Trabanten verwahrt.[340]

JULIAN. Zieh an das Gewand. Schnall um den Gürtel!

SIGISMUND. Ich tus nicht!

JULIAN. Tust es nicht?

SIGISMUND wehrts ihm, weicht zurück. Du hast mich ins Stroh gelegt wie einen Apfel und ich bin reif geworden und jetzt weiß ich meinen Platz. Aber der ist nicht dort wohin du mich haben willst.

JULIAN. Zu mir! ich reiß dich hinaus aus deiner Gruft.

SIGISMUND. Einmal und nicht wieder! Jetzt, jetzt! versinke ich dir, wie dem Gräber der Schatz beim Hahnenkrat!

JULIAN. Ich werde auf meinem Nacken dich aus deinem Kerker tragen!

SIGISMUND. Nein, das wird nicht sein! Ich gehöre mir und nichts kann mich berühren!

ANTON bringt den Reiter die Treppe herabgeschleppt, ein Bub kommt hinter ihm, der Reiter und der Bub schwarz wie aus dem Morast gezogen. Der Reiter wäre da. Aber die Unsrigen haben auf ihn geschossen. Das hat ihm die Red verschlagen.

JULIAN. Was ist die Botschaft, schnell! Was melden die wohlgeborenen Herren aus deinem Mund?

REITER faltet die Hände und murmelt Sprüche. Quibus, Quabus, Sanctus Hacabus! Jetzt und in der Stunde unseres Absterbens, Amen.

ANTON. Mit Sprüchemurmeln, sagt der Bub, sind sie durch die aufrührerischen Bauern durchgekommen.

REITER. Sanctus Hacabus! surgite mortis!

ANTON. Sie tropfen von Schlamm, haben sich im Sumpf verstecken müssen drei Tag und drei Nächte! Darüber hat er den Verstand verloren!

REITER. Pater nisters! gratibus plenis! Als auch wir vergeben unsern Schuldigern und erlöse uns von dem Übel, Amen.

JULIAN. Her die Botschaft! Sie werden sie ihm eingenäht haben. Heraus damit!

SIGISMUND. Achte nicht auf diese! Höre meine Weigerung und immer wieder meine Weigerung!


Reiter, unter Zittern, bringt nichts heraus.


BUB. Die Bauern sind auf aus ihren Erdlöchern. Haben Flegel in der Hand, Mistgabeln, Sensen –[341]

JULIAN. Gerufen von mir. Was zitterst du, Narr! Deine Botschaft von den Herren! wo halten die Geschwader? gib Antwort!


Er rüttelt ihn.


BUB. Die Herren sind alle im Wald, sie gehen nicht heraus. Ihre Füße sind in der Luft, so hoch! Lacht verwirrt. Die Bauern sind über sie und haben sie in die Bäume gehängt!

JULIAN. Unsere Pferde! Pack diesen dort! Hinauf mit uns! Durch die Furt in den Wald.

BUB kommt hervor. Es ist kein Weg frei. Der Olivier, der rebellische Soldat – der verritten war –

JULIAN. Verritten ist der in meinem Auftrag. Rebellisch ist der in meinem Sold. Mit Sendungen und Briefen von mir.

BUB lacht. Umgekehrt ist auch gefahren. Zurück selbzwanzig um Mitternacht auf eigene Faust! Er und die Seinigen machen mit Spießen unsere Leut nieder. Man hört schreien bis hier in Keller. Jetzt läuten sie Sturm, daß ihrer noch mehr zusammenlaufen, Räubergesindel, Landlose, Diebsleut, Mörder!

JULIAN. Wo sind die Pferde? Er schüttelt ihn. Wo sind unsere Pferde?

BUB. Weiß nicht! weiß nicht! es ist alles drunter und drüber. Es geht jeder gegen jeden.


Reiter entweicht nach oben.


JULIAN. Ich hab die Hölle losgelassen und jetzt ist die Hölle los. So muß ich ihr ins Gesicht schauen. Anton, du wartest hier. Ruf ich, so bringst du mir diesen nach, oder – Er zieht ein Pistol. du bist dahin. Er will hinauf.

BUB hängt sich an ihn. Nicht hinaufgehen! Sie erschießen alles was herrisch ist: auch Buben, Pferd, Katzen, Hund.


Julian schüttelt ihn ab, geht hinauf, Bub schleicht ihm nach.


ANTON vor Angst trippelnd. Mir wird entrisch! sehr entrisch wird mir! Auf, Sigismundi, jetzt heißts gescheit sein.[342]

SIGISMUND ganz ruhig. Was ist dir, Anton? Anton, bring mir frisch Wasser, mich dürstet.

ANTON will ihm Reitstiefel anziehen. Ziehn schon an! Ziehn an! wir reiten! hopp, hopp! über Land! Wir müssen uns davonmachen!

SIGISMUND sinnt etwas, setzt sich aufs Bett.

ANTON. Heraus aus dem Traum! Kennen mich? Sigismund! Prinz! Prinz!

SIGISMUND. Was willst du, Anton? Gut kenn ich dich!

ANTON. Es geht ums Leben, Herr Prinz. Wir müssen fort! hinaus!

SIGISMUND. Mir ist gut. Hab zu trinken und Brot. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Dank schön, Anton. Geh weg. Nimm die Latern. Ich brauch kein Licht.

ANTON. Heut ist nicht wie alle Tag. Es geschieht was. Es ist was los.

BUB von der Treppe. Der Herr schreit nach dir! Sie schießen auf den Herrn.

ANTON. Wer?

BUB. Alle miteinander, Rebellische! Er will reden, aber sie lassen ihn nicht. Sie stechen auf ihn los!


Verschwindet wieder.


ANTON. Soll ich davonlaufen ohne ihn? Mutter der Schmerzen! Sigismund! hören auf mich! Himmlische Trompeten! Hinaus! uns verstecken! es geht ums Leben!

SIGISMUND. Du sprichst nicht recht, jetzt geschieht etwas Neues mit mir. Ich spürs wie einen Vorschmack, aber nicht im Mund, sondern tiefer unten in der Brust.

ANTON. Strafende Hand Gottes! Wir haben dich um den Verstand betrogen! Du warst wirklich im Schloß vor einem Jahr! Es gibt deinen Vater! Es war kein Traum, sondern die Wahrheit. Das hohe Schloß steht, so wahr wie der Turm da. Jetzt sollst du wieder hin! König sein drin!

SIGISMUND. Ich weiß recht wohl, daß ihr das ausgesonnen habt. Aber ich will nicht. Ich bleibe noch hier. Bis ich werde hinausgehen wollen.

ANTON. Jetzt schwitz ich Blut! – Jetzt bleibt mir ein einziger Ausweg! [343] Er zieht ein Messer, geht mit gespielter Drohung auf Sigismund los. Gleich folgst du mir, Bub, widerspenstiger! – oder –

SIGISMUND sieht ihn ruhig an. Ich will nicht, denn ich habe mit denen nichts zu tun, die Schwerter und Messer in den Händen haben. Wenn ich aber sagen werde: ich will! dann wirst du sehen, wie herrlich ich aus diesem Turm hinausgehe.

ANTON gewahrt eine Brandröte von oben. Jesus Maria und Josef!

SIGISMUND lacht. Was beißt sich der Anton in die Fäust?

ANTON. Unglückseliger, siehst du nicht den roten Schein? Mord und Brand ist das! Tumult von draußen. Verkriech dich in Winkel! Jetzt kommts: die Hand an die Gurgel, das Knie auf die Brust! Und das muß mir passieren! mir, einem rekommandierten Herrschaftsdiener aus Wien! Wie bin ich denn in das vermaledeite Land hineingekommen! Ich kann mich auf gar nichts mehr besinnen! Er läuft nach hinten.

SIGISMUND sieht um sich, lächelt. Schön wirds jetzt hier; die Sonne geht auf aus dem Finsteren, die Spinnen in der Mauer freuen sich, wie wenn der Frühling kommt über Nacht und der Hecht mit seinem Schwanz das zarte Eis zerschlägt. Horch, Leute kommen, viele, wie Rauschen vom Bach!

STIMMEN. Sigismund! Sigismund! Sigismund!

ANTON. Jetzt brüllen die Höllteufel deinen Namen! verkriech dich!

SIGISMUND. Tritt her, weise auf mich und schreie laut: hier steht er!


Der Fackelschein wird stärker.


OLIVIER mit Aufrührern von rechts. Noch im Hintergrund. Halt! Wer zuerst der Kreatur ansichtig wird, tut die Meldung an mich. Rufet ihn noch einmal bei seinem Namen.

VIELE. Sigismund!

ANTON leise. Achtung! Der hat Heu am Horn, der ist stößig!

SIGISMUND tritt ein.

OLIVIER fährt zurück. Spieße gefällt! Äxte parat! Ist dies die Kreatur?[344]

ANTON laut. Lassen ihn! verschonen ihn! Ihm ist nicht richtig. Er ist kein vollsinniger Mensch.

OLIVIER. Bringet ihn ins Licht. Zwei mit Fackeln treten hin. Sperrt er einen Wolfsrachen auf? Wo ist mein Passauersegen? Greift unters Wams. Gebet ihm zu verstehen, daß er sich als unser Alliierter anzusehen hat! Wir wollen zwei Schritte ihm entgegen, damit er uns erkenne und seine Reverenz erweise, als seinem Retter. Er trinkt aus einem zinnernen Branntweinkrug, den einer ihm hinhält.

ANTON grüßt.

JERONIM tritt vor. Sehet her, nackigte Brüder, erstgeborene Söhne Adams! Dies ist der, von dem ich euch gesagt habe. Sehet: der Königssohn unter der Erde, mit Ketten geschmiedet an das fließende Gewölb!


Immer mehr bewaffnete Bauern hinten herein.


ANTON. Wie der Herr sagt. Er ist tiefsinnig geworden über dem, was sein Vater ihm angetan hat. Es ist über ihn gekommen, wie der Dummkoller beim Roß, wenn der Herr das weiß. Nicht einmal Essen freut ihn.

OLIVIER. Maul halten, Lakai. Zu Sigismund. Tritt vor, Kreatur. Bist du deiner Sinne mächtig und willens, deines Vaters Blut aus einem silbernen Humpen zu trinken?

SIGISMUND antwortet nicht.

OLIVIER. Haben sie dir dein Hirn aus dem Schädel kastriert? Vermagst du zu erkennen, was man dir hinhalt? Zücket ein Waffen gegen ihn!


Sie tuns.


SIGISMUND. Es geht ein süßer Geruch vom Eisen, wie von Bohnenblüten in der Luft: das kommt vom Blut, in das ihr sie getaucht habt.

OLIVIER. Du erkennst demnach, was man dir vor Augen bringt?[345]

SIGISMUND. Die Geräte des Ackers sind entfremdet ihrem Dienst und müssen jetzt die Welt reinigen. Das erkenne ich. Und ich erkenne auch, daß du der Rechte bist für ein blutiges Werk, genau so wie du bist. Denn du hast einen Stiernacken und die Zähne eines Hundes.

OLIVIER. Ha, spricht meine Miene dich an? Recht so: denn ich brauche dich und lege meine Hand auf dich. Fassest du meine Rede?

SIGISMUND tritt zurück. Alles geht in mich hinein und aus mir wieder heraus, und ich bleibe in meinem Gedinge. Ich bin mein eigener Vater und Sohn und lebe mit mir in Eintracht.


Der Feuerschein wird stärker.


OLIVIER. Wo glotzest du hin? Bougre, Larron, écoute.

SIGISMUND hebt die Hand. Horch, jetzt flattern die Dohlen um den Turm und schreien über ihre Nester, in denen die Brut verbrennt – aber der Wanderer, der zehn Stunden weit übern Hochpaß geht, sieht nur ein kleines, glimmendes Fünkchen. So bescheiden ist alles!

OLIVIER. Sperr die Ohren auf! Weißt du, wessen Fleisch und Blut du bist?

SIGISMUND sieht ihn an. Ich habe es erfahren müssen.

OLIVIER. Dann weißt du genug. Reiß dein Maul auf und schrei: Tod, Tod, Tod! Mordjo! Gericht! Gericht! Tod und Verdammnis über meinen Mörder!

SIGISMUND. Ich habe einmal geschrieen wie einer, den der Alp drückt, aber ich habe mir keine Hilfe herbeigeschrieen. Ihr riecht nach Verbranntem, nach Geschlachtetem und nach Erde! Euer scharfer Dunst macht mich dürsten.


Anton reicht ihm den Krug, er tut einen langen Zug.


OLIVIER. Her jetzt mit dem Judas, mit dem malefikantischen Hofschranzen, und ob er aus siebenundneunzig Wunden blute, her mit Seiner Exzellenz, lebend oder tot. Denn dazu sind wir aufgestanden, damit wir allezeit das Rad der Gerechtigkeit aus dem Sumpf stemmen!


Einige bringen Julian getragen, er ist notdürftig verbunden, er hält die Augen geschlossen, sie setzen ihn auf das Bett.


JERONIM verneigt sich. Königlicher Prinz Sigismund, erkennst[346] du diesen für den belialischen Judas, deinen Kerkermeister, der dich, unsern König, an der Kette gehalten hat, ärger wie einen Hund?

SIGISMUND. Was arg und was nicht arg ist, wer entscheidet das?

OLIVIER. Was! du Gans, die in ein neues Faß sieht! Schrei Zeter, gib Zeugnis gegen ihn! – Und du, antworte ihnen, so wie man es brauchen kann, du! – Ich will eine Prozedur! Jetzt ist bei mir das schleunige Recht! Kapierst du?

JULIAN schweigt.

OLIVIER zu Julian. Hast du die zehn verbotenen Artikel gemacht! Oder nicht? Hast du dir in einem silbernen Waschbecken die Hände gewaschen! Oder nicht? Was? Das Maul nicht auf? Leugne das, wenn du kannst! Her mit dem Waschbecken, daß ich es ihm um den Schädel schlage! Vorwärts!

JULIAN öffnet die Augen.

ANTON. Sofort! zu Befehl!


Will gehen, einer stellt ihm ein Bein, man hält ihn.


SIGISMUND. Er hat mich nicht geschlagen, wie ihm befohlen war, sondern: er hat mich gehalten, wie er ausgesonnen hatte: in der Erfüllung seines geistigen Werkes. Denn er war der Meister über dem allen. Und solange er lebte, hielt er sein Werk nicht für verloren, und mit Recht.

OLIVIER nachdem er getrunken. Maulhalten jetzt, bis das Waschbecken da ist. Habt acht, ich habe Inspiration, einen Befehl zu erlassen! Regimentsschreiber, schreib! An die gesamten Haufen! Also setzen, ordnen und befehligen wir: Die Bauern sind allerorts vom Pflug zu rufen, weil ein neuer Weltstand eintreten wird, bei dem die Erde nicht mehr umgebrochen wird, sondern das menschliche Fleisch und Bein wird umgebrochen. Alle Männer von fünfzehn bis siebenzig sind befehligt unter die Blutfahn; die nicht wollen vom Pflug lassen, denen die Händ abhauen. An die Pflüge gespannt Edelleute und Bürger – Salz gesät in die Furchen: Im neuen Weltstand werden wir vom Überfluß ernährt und bewegen uns immer von der Stell, so braucht es einen Acker nimmermehr. Sodann: Alle Eß waren herbei,[347] dem Heer zu dienen: als da sind die Waben und die Käse, die Lebkuchen und den Branntwein, die Kälber und Schwein, die Lämmer, die Ziegen, Hühner und Gäns, Salz und Schmalz, Störe und Hecht – also gegeben unter der Blutfahn. – Unterschreibts. Vorwärts in der Prozedur! Quetsch aus ihm heraus was nötig ist nach Form Rechtens, daß wir ihn aufs Rad flechten!

SIGISMUND. Ich bezeuge, dieser Mann hat mich die Wahrheit gelehrt, die einzige Wahrheit, vermöge der meine Seele lebt, denn meine Seele braucht Wahrheit, wie die Flamme, die ausgeht wenn ihr die Luft versperrt wird.

OLIVIER. Und was ist das für Wahrheit? Du Erzkreatur, du epileptische?

SIGISMUND zu ihm. Wir wissen von keinem Ding wie es ist, und nichts ist, von dem wir sagen könnten, daß es anderer Natur sei als unsere Träume. Aber mißverstehe mich nicht. Was ich fürchte, ist der Irrtum, als ob ich dadurch anders sei als du oder dieser oder einer dort unter diesen. Ich bin wie ihr seid. Aber ich weiß, und ihr seid ohne Wissen.

JERONIM. Höret alle! er läuft am lichten Tag herum und glaubt, daß ihm träumt! wie einer dem man den Kopf in einen Sack gesteckt hat und den Sack am Hals fest zugebunden hat. Er bezeugt, daß sie ihn närrisch gemacht haben! Dafür werden sie von euren Händen sterben müssen.


Einige seufzen schwer.


SIGISMUND. Ich sage dir: es ist kein Ding anderer Natur als unsere Träume, – das Wasser, das aus diesem irdenen Quellbrunnen rinnt, – Er zeigt auf seinen Krug. – was ist wirklicher? Aber auch diesem ist das beigemischt – und die Sterne schwimmen wie Fische im gleichen. Dieses haben sie mich gelehrt.

JERONIM. Hört alle! Volk! Oh! Oh!

SIGISMUND. Sie haben mich hinangeführt, bei Nacht mit verbundenen Augen in meines Vaters Palast, und mich wieder zurückgeführt und haben gesagt: Du warst nirgends als du bist Dies, und das ist einerlei Ort.[348]

JERONIM. Mit solchen Reden ihrer vermaledeiten, satanischen Zungen, ihr guten Ackersmänner, haben diesen euren armen König um den Verstand gebracht der Scherge da und sein Lakai. Dafür müssen sie sieben Fuß höher hängen und die Raben müssen ihnen die Zungen aus dem Maul hacken!

ANTON dicht bei Sigismund. Jetzt hats g'raten! Jetzt zeig, daß du weißt, wo der Bartel den Most holt!

SIGISMUND. Sei still. – Sie haben zu mir gesagt: du hast geträumt, und immer wieder: du hast geträumt! Dadurch, wie wenn einer einen eisernen Finger unter den Türnagel steckt, haben sie vor mir eine Tür ausgehoben und ich bin hinter eine Wand getreten, von wo ich alles höre, was ihr redet, aber ihr könnt nicht zu mir und ich bin sicher vor euren Händen!

OLIVIER. Verdeutsch ihnen den Galimathias! schrei es aus, Schlaukopf, so daß alle es begreifen, was sie für eine Malefizschandtat an dieser Kreatur verübt haben.

JERONIM mit schriller Stimme. Er sagt sie haben ihn frieren und hungern lassen, und wenn sie vollgesoffen waren, haben sie ihn geprügelt wie einen störrischen Esel.


Volk stöhnt auf.


OLIVIER. Wir wollen sie hängen, ehrwürdiges Volk! aber zuvor will ich ein Einbekenntnis haben und den da zu unseren Füßen um Gnade winseln hören für sein Leben!

ANTON. Jetzt ist Matthäi am letzten! Sag ihnen, daß ich ein fremdländischer Herrschaftsdiener bin und mit der Sache nichts zu tun habe.

OLIVIER. Rede, Ankläger! Vorwärts! Laß Schlauheiten aufsteigen aus deinem Bauch! Bring ihn zum Reden! Er soll wiehern vor Angst! Als einen Geständigen will ich ihn hängen!


Junge Zigeunerin mit dem silbernen Waschbecken und einem schönen Handtuch kommt, ängstlich. Man zeigt ihr den Weg.


OLIVIER zu Julian. So viel Zeit als ich brauche, mir die Hände zu waschen, geb ich dir zu deiner Rechtfertigung. Dann will ich dies Spülwasser hingeben und sie werden dir darin den Strick einseifen!

JULIAN blickt um sich. Du Gesicht einer Ratte! Du Schweinsstirn mit bösen nach oben schielenden Augen! Du[349] Schnauze eines gierigen Hundes! – Klumpen ihr, wandelnde! Beim Licht dieser Fackel, die mir eure scheußlichen Gesichter zeigt – ich will über euch lachen ohne daß ihr mich kitzelt! Er hebt sich auf. Tut eure Spieße fort! Ha, du Nichts mit tausend Köpfen, vor mir totem Mann weichst du zurück wie die Schafherde vor dem Hund, und dennoch erdrückst du Erdhaufen den, der in unsagbarer Mühe dich unterwühlt hat um dich über Nacht auf das Dach seines Feindes zu stürzen. Denn ich habe aus einem Nichts ein Etwas gemacht – aber daß ich dies gewollt habe, war das Einzige, das mir angestanden hat! Du kannst mir nichts davon rauben, Kanaille. – Du dienst mir jetzt noch, denn meine Schwermut, wie ich dich ansehe, wird zu gewaltig, als daß das Grausen mich angehen könnte. Steh unter meinem Blick, du Nichts, du Kehricht, das ich zusammengekehrt habe. Solange ich dich mit den Augen bändige, werde ich das Gefühl meines Selbst nicht entbehren.

OLIVIER. Geht nichts anderes aus diesem hoffärtigen Rachen als stinkende Schmähung? So will ich dir dies Spülicht aus deinem eigenen Wasserbecken übern Schädel gießen, so wahr nunmehr das schleunige Recht bei mir ist!

JULIAN sieht ihn fest an. Das wirst du nicht wagen!

SIGISMUND. Mein Lehrer, warum sprichst du zu ihnen? Was zu sagen der Mühe wert wäre, dazu ist die Zunge zu dick.

JULIAN wendet sich ihm zu. Bist du auch da, mein Geschöpf? -Er ist, wie er da steht, mein Werk, und erbärmlich. – Wer ist der, der mir ein Werk aufgedrungen hat, das über meine Kräfte ging?

SIGISMUND. Deine Augen sind vermauert mit dem was nicht ist, sonst würdest du erkennen, daß dein Werk gelungen ist und nicht vereitelt.

JULIAN. Kehre dich ab von mir, du Kloß aus Lehm, dem ich das unrechte Wort unter die Zunge gelegt habe. Ich will dich nicht sehen.

SIGISMUND. Du hast mir das rechte Wort unter die Zunge gelegt, mein Lehrer, das Wort des Trostes in der Öde dieses Lebens, und ich gebe es dir zurück in dieser Stunde.[350]

JULIAN setzt sich wieder auf sein Bett. Ich will dich nicht sehen! Wendet den Blick von ihm. Ich habe etliche in ihren Betten sterben sehen, die in feiger Angst alles an sich raffen wollten. Ich aber stoße jetzt alles von mir und bleibe allein.


Er schließt die Augen.


SIGISMUND. Ich lächle dir zu in deine Einsamkeit. – Dein Gebet ist nicht ohne Kraft, wenn du auch die Fäuste ballst anstatt die Hände zu falten.

JULIAN öffnet die Augen und schließt sie wieder. Ich habe das Unterste nach oben gemacht, aber es hat nichts gefruchtet!

SIGISMUND. Du quälst dich, daß eine Ader in dir aufgehe, von der du trinken könntest. In mir aber fließt es ohne Stocken, und das ist dein Werk.

JULIAN öffnet noch einmal die Augen, als wollte er reden, schließt sie dann und sinkt um mit dem einen Wort. Nichts!

OLIVIER tritt näher. Ist er mir echappiert? Denn was hab ich davon, wenn ich einem Toten Spülwasser übern Schädel gieße? Her, daß ich mir die Hände trockne! Er tuts. – und hängt dort die lakaiische Sau an ein Fensterkreuz. Er trinkt Branntwein.


Einige fassen Anton an.


SIGISMUND tritt an Julians Bette. Gleich wird dir so zumut sein wie mir ist. Es gibt etwas Besseres als Vergessen: eine wunderbare Erleuchtung in der Einsamkeit. – Er ist tot. – Und du Zu Anton. bleibe bei mir und fürchte dich nicht. Auch der Hund will zuweilen gestreichelt sein, geschweige denn der Mensch. Also lasset diesen in Frieden.

OLIVIER. Du Malefizschindaasvogel mit Teufelsflügeln! Hab ich dich dazu, daß du mir Insubordination prästierst unter meinen Augen?

SIGISMUND sieht ihn ruhig an. Du hast mich nicht. Denn ich bin für mich. Du siehst mich nicht einmal, denn du vermagst nicht zu schauen.

OLIVIER. Wirfst du dein Maul auf gegen meine Erlauchtige[351] Person? – So will ich dich demnächst in ein Hundsfell genäht in die Mistgrube fahren lassen. – Aber zuvörderst habe ich dich betreffend anzubefehlen! Habt acht! Trommelwirbel. Denn ich brauche seine phantastische Fratze für die Weiber, daß sie mir warm bleiben und sich mit Messern an die Kürassierpferde machen. –

SIGISMUND. Es braucht keine Weiber, denn ihr werdet durchreißen wie der Ostwind, ihr werdet Gefangene zusammenraffen wie Heu, und alle Türme und Festungen werden euch ein Scherz sein!

OLIVIER. Potz Element! Bist du der Prophet Daniel? So sollst du mir auf einem Ochsenwagen immer vor dem mittelsten Haufen herfahren und sollst schreien: Blut über meine Verkäufer! Lasset die Blutfahne wehen!

SIGISMUND. Irre dich nicht, denn bei mir ist kein Ding besser beherbergt als ein anderes.

OLIVIER. Dafür will ich ihn füttern und er soll auf seinem Wagen so viel zu essen haben, daß ihm der Bauch platzt. – Wofern er aber als ein Narr das Maul gegen unsere Sache aufwirft, so soll getrommelt und geblasen werden in seine Red hinein, daß er sein eigenes Wort nicht hört, indem es ihm aus dem Maul fährt, – dafür stehst du mir ein, tatarischer Aron, und zu diesem Behuf sollst du mein Stab- und Statthalter übern Tross sein.

JERONIM. Dazu hast mich gemacht, Olivier, und es mir überm Becher Branntwein zugeschworen!

OLIVIER. Du hast mich Gestrenger Generalissimus anzusprechen und dein Maul zu halten, wo ich Anordnung treffe. Achtung! Wer ist hier Kapitän? Trommelwirbel. Jedennoch werde ich mich herbeilassen, jetzt sogleich unter währendem Bankett eine ewige Rangliste anzufertigen, gemäß der sich zu halten sein wird in jeglichem Stück, und euch, meine Generalleutnants, will ich Teufelsnamen geben, wie eine alte Hexe sie mir zugeraunt hat – und unter diesen Namen sollt ihr fliegende Brandrotten kommandieren! Wo die auftreten, da sollen die Edelleute und Stadtbürger[352] pissen vor Angst, wissend, daß ihr letztes Stündlein geschlagen hat. – Was siehst du mich so an, Kreatur? Glaubst du mir nicht? Ich sage, die in Burgen, Herrenschlössern und Städten wohnen, sollen Junge kriegen vor Grausen! Aus ihren Bäuchen soll das Letzte heraus, wenn sie auf ihren Mauern stehen und uns anreiten sehen!

JERONIM. Und was, gestrenger Kapitän, wenn wir straßauf straßab die Häuser besetzt haben und mit einem solchen geschliffenen Schlüssel Er deutet auf eine Axt. die Türen aufgesperrt haben, was soll dann mit den Herrn der Häuser geschehen?

OLIVIER. Herren! Herren! Daß dich der Schwarze schänd und dir das Wort in der Kehle abwürg! Die Herren sollen kopfunter in den Abtritt fahren!

JERONIM. Und die Grundherrn?

OLIVIER. Die sollen in die Erde, von der sie Zins erhoben haben, eingegraben werden.

EIN ANDERER. Und die Herrn über Flüsse und Teiche? die Brückenzoll erhoben und armen Leuten das Fischen verwehrt haben?

OLIVIER. Ersäuft sollen sie werden in ihren Gewässern!

JERONIM. Und die Jagdherrn?

OLIVIER. In Wolfshäute vernähen und ihre Bluthunde auf sie hetzen!

EIN DRITTER. Und die Pfaffen? Schullehrer? Amtsschreiber? Steuereinnehmer? Lakaien?

OLIVIER. Hinwerden müssen sie wie Fliegen! Die Zucht soll verschwinden! Es sollen hinter uns die Geier und Wölfe kommen und sie sollen nicht sagen, daß wir halbe Arbeit getan haben. – Jetzt aber bin ich genug inkommodiert und behelligt, und es weiß jeder wonach er sich zu achten hat, und es ist mir die Kehle trocken. Jetzt sollen die Stabsmetzger und der Koch herbei und ich will ihnen den Brocken Fleisch anbefehlen, den ich will an Spieß gesteckt haben, und dich da, keine andere, will ich den Branntwein einschenken sehen – und wenn ich eine martialische Gesundheit ausbringe, so will ich sie vom Altan mit Posaunen[353] und im Burghof mit Stücklösen verkündet wissen und das soll bis in den hellen Tag hinein währen.

SIGISMUND. Recht so. Aber du mußt später einmal auch die Hefe aussaufen, und mein Trunk da Er deutet auf den irdenen Wasserkrug. bleibt immer lieblich.

OLIVIER. Achtet mir auf den Masilisken da und hängt ihm einen Maulkorb um, wofern er seine Zunge nicht im Zaum hält. – Euch zwei da will ich verantwortlich machen, daß diese Kreatur nütze und nicht schade. Er soll keinen Schritt tun ohne meine Genehmigung. – Generalmarsch! zu meinem Abgang! schlag auf das Fell, daß dir die Schlägel samt den Fingern abfliegen. Tambour schlägt den Generalmarsch. Jedermann soll wissen, daß meine Erlauchtige Person sich jetzt zur Mahlzeit begibt. Fackeln voraus! und ihr da rangiert euch hinter meine Durchlauchtige Magnifizenz! Geht ab mit Gefolge die Treppe hinauf unter Trommelschlag und Vorantritt von Fackeln.

EINER VOM VOLK zu Sigismund, mit Ehrerbietung. Wir sind bei dir! Sprich zu uns!

EIN ALTER MIT EINEM STELZBEIN. Das ist der Armeleute-König und sie werden vor ihm das Schwert und die Waage tragen.

EIN ANDERER. Sprich zu Uns!

EIN DRITTER. Rufet ihn bei seinem Namen!

EIN ANDERER. Dieser Name darf nicht genannt sein!

EIN FÜNFTER. Die ihn beim Namen genannt haben, denen ist die Zunge stumm geworden!

EIN GREIS sich vordrängend. Sehet ihn an, unseren König, wie er dasteht. Wie in lebendigem Flußwasser gebadet, so glänzt er von oben bis unten.

EINEB. Er fürchtet sich vor uns!

MEHRERE. Fürchtest du dich, Herr?

EINER. Sprich zu uns!

EIN ANDERER. Wenn er schreien wollte, würde uns allen die Seele bersten wie ein Sack. Weckt ihn nicht auf. Er ist scheintot.[354]

EINE ALTE FRAU. Ich sehe ihn!

DER ALTE STELZBEINIGE. Ein Spalt geht auf und das Reich dieser Welt wird hineinstürzen.

SIGISMUND. Mutter, komm zu mir.


Mehrere bringen goldgestickte Gewänder, eine Dalmatika, goldene Schuhe, – eine goldene Krone.


EINER. Sie wollen ihn bekleiden mit goldenen Gewändern!

EINER mit dem Gewand. Will unser König gestatten, daß wir bekleiden?

EIN ALTER. Laß dich bekleiden. Wir haben es genommen vom Altar weg und wollen es dir mit Ehrerbietung umhängen.


Sie bekleiden ihn.


DER STELZBEINIGE. Ein Spalt geht auf und das Reich dieser Welt wird hineinstürzen!

EIN ANDERER. Bleib bei uns! Harre aus bei uns!

EIN ANDERER. Ein feuriger Engel wird vom Himmel kommen und wird den Bauern die Pflughand abhauen! Aber mit der linken Hand werden sie das Schwert schwingen!

SIGISMUND vor sich, halblaut. Ich aber werde mit euch hinausgehen.

EINER. Er spricht zu uns!

EIN ANDERER. Bleib bei uns!

EIN ANDERER. Daß wir nicht sterben, o Herr!

EINER von denen, die hinten stehen. Die Weiber sollen ihn sehen! Hebet ihn auf, unsern König! Aber achtet auf ihn wie auf ein wächsernes Bild!

INDRIK, DER SCHMIED. Machet eine Gasse, damit alle, die draußen stehen, ihn sehen können. Öffnet, damit alle ihn sehen können!


Es geschieht.


SIGISMUND. Tretet beiseite. – Ich spüre ein weites offenes Land. Es riecht nach Erde und Salz. Dort werde ich hingehen.

STIMMEN. Bleib bei uns!

EINER. Willst du fahren?

EIN ANDERER. Wir wollen einen Wagen rüsten und zwölf Paar Ochsen vorspannen. Auf dem sollst du fahren, und eine[355] Glocke soll läuten auf deinem Wagen, als wärest du eine Kirche auf Rädern.

STIMMEN. Bleib bei uns! Harre aus bei uns!

EIN ANDERER. Daß wir nicht sterben, o Herr!

EINER. Die Weiber wollen herein, seine Füße küssen.

EIN ANDERER. Jagt sie fort, die Stuten! Sie sind es nicht wert, sein Gesicht zu sehen.


Die Weiber draußen schreien auf.


EINER. Hungert dich nicht? Die Weiber schreien, daß wir dich hungern lassen.

EIN ANDERER. Bringet alles herbei! Ladet alles ab von dem Troßkarren, was herrlich zu essen ist, und breitet es vor seine Füße!

STIMMEN. Bleib bei uns! Harre aus bei uns!

ANDERE. Bringet alles! Machet einen Berg vor ihm. Bringet Fleisch, Brot und Milch. Bringet Honig und Rahm. Bringet Geräuchertes und Gebackenes wie für zehn hungrige Männer, die gedroschen haben.

VIELE. Bringet! Bringet! Bringet!

EINIGE. Bleibe bei uns, o Herr!


Sie bringen das Genannte in Körben, auf Blättern, auf Holztellern. Häufen es auf.


SIGISMUND. Nicht was die Vogelschlinge noch was der Angelhaken geschafft hat, noch das Messer an der Kehle des Schweines, – aber dies da aus weißem Mehl ist eine schöne Speise. Er nimmt etwas, teilt es mit Anton. Aber auch dieser muß bei mir bleiben, Er nimmt seinen Trinkkrug, birgt ihn an der Brust. denn mich wird viel dürsten in eurer Welt.

ANTON frißt eine Wurst. Sprichwort – Wahrwort! Auf einen Schrecken wird der Mensch hungrig. Jetzt versteh ich die Red!

EINER der Sigismund in einem bunten: Tüchlein Essen vorhält. Meinst du jetzt auch noch, daß du träumst? Wenn du von allem diesem gekostet hast, wirst du dann immer noch meinen, daß alles ein Traum ist?

ANTON. Ah, gar kein Denken! Jetzt wacht er gleich auf![356]

STIMMEN. Wache auf bei uns!

ANDERE. Gehe nicht fort von uns!

SIGISMUND den Krug an seine Brust drückend. Wie der Hahn auf dem Hofe rieche ich den grauenden Morgen und die Stunde, wo die Sterne von ihrem Wachtposten abtreten. Lasset uns zusammen fortgehen. Er tut einige Schritte.

ARON taumelt die Wendeltreppe herab, eine kostbare Decke um. Wo ist die Kreatur? Wo habt ihr sie hingeschafft?

INDRIK, DER SCHMIED hebt seinen Hammer. Hier steht unser König! Was willst du von ihm?


Sigismund wendet sich nach ihm.


ARON. Hinauf mit dir! Her du! Du kommst mit mir! Unser Generalissimus ist in großer Delektation und will, daß du ihm aus einem sonderlichen Becher knieend eine Maß Pfaffenwein kredenzen sollst. Also hinauf mit dir im Galopp! Es ist befohlen! Kapierst du?


Er taumelt.


INDRIK stellt Aron ein Bein und wirft ihn hin. Da lieg, säuischer Kerl, und verreck, wenn sie die Fackeln in die Pulverkammer schmeißen.

SIGISMUND. Laß ihn liegen. Dort wo wir hingehen wird gehorsamt ehe befohlen war und gemäht ohne Hoffnung aufs Nachtmahl. Aber du bist rüstig und sollst Vormäher sein.


Indrik kniet hin und küßt den Saum von Sigismunds Kleid.


VIELE. Herr, schütze uns! Harre aus bei uns!


Sigismund geht hinaus, sie folgen ihm.
[357]

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 3, Frankfurt a.M. 1979, S. 336-358.
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