Vierte Szene

[509] THEODOR noch bevor die Tür sich schließt, zu Hermine, ohne sie anzusehen. Sie packen ein – ich sortiere und reiche.

HERMINE mit ein paar zartfarbigen Kimonos und ähnlichem überm Arm. Schön ist das!

THEODOR ohne sie anzusehen. Du verlierst ja die Augen aus dem Kopf über diesem Zeug! Da – vorwärts!

HERMINE legts in einen Koffereinsatz. Wenn man denkt! Das anhaben, da muß eins doch das Gefühl haben, als ob man ein Engerl wäre mit Flügeln hinten.

THEODOR ebenso. Was ist da weiter? Da, pack ein diese Fetzen! Reicht ihr.

HERMINE kniet und packt ein. Und dabei sollen sie doch nicht viel wert sein, die Gnädigen!

THEODOR. Was redst du da? Mach weiter. Ich habe Zeit nicht gestohlen.

HERMINE sieht auf. Ja, vor dir darf ich das nicht sagen. Es wird ja geredet, du bist verliebt in die junge Baronin, deswegen ist dir jetzt unsereins viel zu gewöhnlich!

THEODOR ohne sie eines Blickes zu würdigen, aber immer so, daß es scheinen kann, er richte, mit dem Sortieren beschäftigt, nur zufällig immer seine Augen anderswohin als auf Hermine. Das sind Tratschmäuler, erbärmliche. Diese Menschen haben die Unfähigkeit, einen Menschen, wie ich es bin, zu erfassen. Weil ich einen Blick der Liebe und Aufmerksamkeit auf eine menschliche Kreatur wie diese Anna werfe, deswegen glauben sie schon, daß sie mich in ihre Mäuler nehmen[509] können. Auch noch so eine Melanie, wenn ich sie in meinen Armen in die Höhe gehoben mir denke – Er hat eines von Melanies leichten Abendkleidern in der Hand und zieht flüchtig das Parfüm ein, das davon ausgeht. Die ist ja noch tausendmal besser als wie der Gebrauch, den er von ihr macht! Und da hat sie seine Photographie stehen, als wie einen Götzen, ganz ungeniert! Er wirft ihr das Kleid und noch ein paar andere zum Einpacken hin. Was kann er denn an einem menschlichen Geschöpf wahrnehmen, als das da, diese Seiden – diese Pelze, diese Batiste, diese Chiffons – Er wirft ihr dergleichen in Haufen zu. das ist ja sein Um und Auf! Bis dahin reichen seine fünf Sinne – da, diesen parfümierten Fetzen versteht er nachzulaufen, darauf hat er Appetit – und dazu muß die ganze Weiblichkeit herhalten und dazu ist eine Stadt nicht groß genug – da müssen Eisenbahnen her und Hotel muß her! und Dienerschaft muß her, und Schlafwagen her und Automobil und Theater muß her, und eingepackt muß werden und ausgepackt muß werden und Hetzjagd geht weiter – und Telephon muß her – und Brieferl werden geschrieben und Büchel werden gelesen und englisch wird parliert und französisch und italienisch – und in diese frivole Sprache schlieft er hinein wie in seidene Pyjama, mit denen er ausgeht auf nächtliche Niederträchtigkeiten. Aber hat er denn eine Seele im Leib, die aus ihm hervorbricht? Ja? Nein! Da! – Er räumt das unterste Fach einer Kommode mit wildem Griff aus, es taumeln Stiefeletten und Halbschuhe aller Arten und Farben ihm entgegen, weiße, graue, schwarze, violette, goldfarbene. Das ist gaunerische Sprache, auf die er eingelernt – da hast du – Er nimmt zwei Schuhe auf die Hände und agiert mit ihnen wie mit Puppen. kitzlige Sprache, auf die seine blasierten, schläfrigen, niederträchtigen Blicke mit Feuer antworten. Da! Da! Er schleudert die Schuhe wie Geschosse gegen die Einpackende.[510] Das ist oberste Vierhundert! Da! Das ist Blüte der Menschheit! Da! Da! Dafür ist Welt geschaffen, von unserem Herrgott, damit auf oberstem Spitzel er mit seinem von irgendeinem Franz geputzten Lackschuh kann fußeln mit dem Ding da, was ich da in Händen halte. Da! Da! Ah du! Dein Gesicht will ich nicht mehr sehen, dein blasiertes, niederträchtiges! So stehst du da in goldenem Rahmen! So! Er hat blitzschnell Jaromirs Photographie aus dem Rahmen gezogen, reißt sie mitten durch und schiebt sie zerrissen wieder hinein.

HERMINE springt zurück. Was Sie für Augen machen, Herr Theodor! man könnte sich ja fürchten vor Ihnen! Nein, was Sie für einer sind!

THEODOR mit einem Sprung, nimmt sie um die Mitte. Ists nicht gut, wenn du dich fürchtest? Bin ich denn böse auf dich? Dir läufts ja, scheint mir, eiskalt über den Rücken herunter.

HERMINE tut, als wolle sie sich ihm entziehen, aber nicht mit voller Kraft. Nein, lassen Sie mich! Ich bin ja viel zu gewöhnlich für Sie!

THEODOR bei ihr. Ah, wenn ich zu fürchten bin, dann fürchtest du dich zu wenig! Was hast du denn zu der Wallisch über mich gesagt? Du hast gesagt: meine Männlichkeit wirkt dir nicht mehr! Du bist mir aus meinen Krallen geschlupft! Ja, da hast du ja ein Sakrilegium begangen! Plötzlich den Ton wechselnd, mit äußerster Zärtlichkeit. Freilich hast du diese Gemeinheiten gesagt! Aber das ist mir ja recht! Oh, du gewöhnliche Gewöhnlichkeit du! Küßt sie. Wer sagt mir denn, daß ich nicht deine Gewöhnlichkeit mit einer brennenden Liebe rundherum fangen und in die Höhe heben will?

DER KLEINE JAROMIR draußen. Papi! Papi!

HERMINE. Aber lassen Sie mich doch! Draußen is wer! Herr Theodor!

DER KLEINE JAROMIR an der Tür, noch außen. Papi!

THEODOR ist sofort in Miene und Ton umgewandelt. So, jetzt packen Sie zu Ende!


Der kleine Jaromir wird an der Tür hörbar.
[511]

HERMINE halblaut. Wie kann ich denn jetzt? Jetzt bin ich da ganz verwirrt!

THEODOR ebenso, aber sehr stark. Bei deiner Seele! Kein frivoles Wort vor dem Kinde! Er schiebt sie mit einem Griff ins Toilettenzimmer.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 509-512.
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