1. Über Vergänglichkeit

[14] Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:

Wie kann das sein, daß diese nahen Tage

Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?


Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,

Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:

Daß alles gleitet und vorüberrinnt


Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,

Herüberglitt aus einem kleinen Kind

Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.


Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war

Und meine Ahnen, die im Totenhemd,

Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,


So eins mit mir als wie mein eignes Haar.
[14]

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke. Erste Reihe in drei Bänden, Band 1, Berlin 1924, S. 14-15.
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