Das venezianische Erlebnis des Herrn von N.

[265] Andreas' zwei Hälften, die auseinanderklaffen. – Andreas' Charakter nicht vorneherein feststehend; er muß sich in diesen Situationen erst finden. seine Scheu, sein Stolz, – alles noch unerprobt. – Ungewißheit über einige Zustände, immer zu viel – zu wenig. Zweifel, ob er jenes Verbrechen an dem Hund wirklich begangen.

Andreas, Hauptrichtung: Mut, – der Mut, den die Atmosphäre Venedigs inkorporiert, Mut in der Sturmnacht. Moral Mut.

Schuld an der Reise der berechnende snobism des Vaters.

Wie Andreas das Leben großer Herren sieht (aus den Erzählungen des großväterlichen Kammerdieners, auch aus eigenen Erfahrungen): von der Hirschbrunft ins Schloß, umkleiden, frisieren lassen, eine Maitresse abholen in die Oper Armida.

Andreas geht hauptsächlich (wenn er auf den Grund geht) darum nach Venedig, weil dort die Leute fast immer maskiert[265] sind. Nach dem Abenteuer mit der hochmütigen Gräfin auf dem Land, die ihn wie einen Bedienten behandelt hatte, ist in ihm, halb geträumt, die Vorstellung entstanden, daß dies Abenteuer herrlich gewesen wäre, wenn er maskiert gewesen wäre. Überhaupt quält ihn jetzt der Unterschied zwischen Sein und Erscheinung, zum Beispiel wenn er Strohmanderln sieht, die wie Bäuerinnen mit Hüten oder wie Mönche ausschauen und ihn unheimlich und feierlich impressionieren und doch eigentlich nichts Gescheites sind. Kapiteleinteilung (provisorisch): I. Castell Finazzer II. Ankunft III. Drei Bekanntschaften IV. Der Malteser V. Doppeltes Leben VI. Ein Gespräch VII. Dämonie VIII. Abreise.

Kap. I. Ende: Die Berggegend: – er verlangt sich nicht, hier zu wohnen, er hat mehr als der Ersteiger, mehr als der Bewohner in diesem Augenblick; er braucht keinen Bezug auf Romana, – es ist ganz Selbstgenuß, aber nur durch sie möglich. War es da, – so war auch der Besitz Romanas verbürgt.

Camposagrado: ein breiter Mensch, an einem Ohr einen Perltropfen, worin ein Stückchen von der Hostie. Kapitel V: Der neue Freund (Der Malteser)

Andreas war in einen Zustand geraten, der nichts Erfreuliches hatte. Der Gedanke an die Heimat vergällte ihm das Hier; das Hier machte ihn traurig an die Heimat denken.

Er gab den Brief ab und hörte, die Herrschaft wäre tot. Der Geschäftsfreund verreist. Er fragte nach seinem Koffer, und es ist Sehnsucht, von zuhaus etwas zu erfahren. Das Brot schmeckt ihm nicht. Carossen und Elégance gehen ihm ab, die Leute ihm so gleichgiltig, verglichen mit Graben und Kohlmarkt; das Aussteigen einer Dame in Wien.

Er versucht es, Nina zu sehen, ohne rechte Hoffnung. (Zorzi sagt ihm, der Malteser wolle seinen Namen wissen; fragt ob er Wünsche habe. Andreas lehnt ab) – Das was in ihm zu ihr will, gefällt ihm nicht. Er wird abgewiesen.

Abends Gespräch mit Zustina, auf der Treppe. Er fragt sie, warum sie nicht heiraten wollte. Wie konnte sie ahnen, daß er von sich sprach. Sie weist ihn zurück. Ihre Rechtfertigung, »es sind vornehme Leute, ein jeder wird etwas Gutes sein. Die Mutter von einem Dummen hat für ihn ein Los genommen.«[266]

Er eifersüchtig auf Glückliche. Er sagt, er werde wahrscheinlich abreisen. Es läßt sie kalt. – Ihr Weltbild: Familientyrannen oder Spieler aller Art. Sie entfernt sich von ihm.

Verschiedentlich Besuche bei Nina, ein zweites Mal den übernächsten Tag, darauf ein drittes Mal, – aber immer Hindernisse. Einmal jemand bei ihr, ein andermal sie ausgegangen oder krank, – einmal wird er vorgelassen, hört sie im Nebenzimmer: sie hat aber ausgehen müssen. Er wird aber immer aufgefordert, wiederzukommen. – Die Sache wird ganz unlösbar dadurch, daß Zustina ihm sagt, »Nina tut es so leid, daß Sie sie vernachlässigen.« – Gefühl der Ohnmacht.

Sehenswürdigkeiten. Gerichtsverhandlung. Prozession. Jesuiten. Kirchen. Bilder; Tintoretto: Vornehmheit, Kühnheit, Selbstgefühl.

Neid gegen alle Menschen, Hypochondrie, wachsende Unlust an Menschen, zuviel Menschen, er hätte sie wollen von sich wegstreifen. Sehnsucht nach Bäumen (einen Baum umarmen), Hinüberblicken nach Bergen. Rückdenken an jenen Augenblick. Melancholie. Er wird unordentlicher und unreinlicher in seinem Denken.

Meerungeheuer für zehn soldi aus Creta, seltsames Interieur. Um die Leere seines Innern auszufüllen, tritt er nicht in die Kirche, sondern in die Bude. Die Spanierin (die Maske).

Der Meermann: »welch Schauspiel, – aber ach ein Schauspiel nur!« gibt ihm alles was das Theater ihm schuldig geblieben, obwohl er ein Tier, kaum ein wirkliches. Andreas' Schmerz, daß der Meermann ihm mehr Eindruck macht als ein wirkliches Theater.

Die Maske. ihr Arm liegt auf seinem; zärtliches Reden der Maske: »unsere erste Begegnung war ein schönes Fest. Ich war gerade angekommen von einem recht häßlichen Aufenthalt; Ihr Gesicht war das erste, wie hätte es mir nicht gefallen sollen, – ich war zu allem frei, hätte mich von oben herabschwingen mögen, sicher, fliegen zu können. Ahnen Sie denn, was es heißt, gefangen liegen?« – (er denkt an die Bleidächer).

Er zweifelt. Sie: »ich rede vom Wirklichen, spüren Sie es nicht?« (ihr Händedruck) – Er versichert, damals bei Nina[267] habe er nur an sie gedacht. – »und bei den späteren Besuchen?«

Zärtliches Reden der Maske. sie redet von Nina; er kombiniert, »sie ists« – das Blut strömt ihm zum Herzen.

Die Maske: »ich habe eine gewisse Person gezwungen, nach Ihrem Namen zu fragen. Seit heute und damals liegt ein ganzes Leben.«

Andreas beschließt Zustina Verschiedenes zu fragen, um sich über die Familie aufzuklären. tuts wieder nicht: es ist ihm zu mühsam.

Im Haus: »Ihre gute Bekannte hat nach Ihnen gefragt« – ein Weinblatt mit einem Blutstropfen.

Einsamer hier unter Menschen als dort auf dem Grab des Hundes.

Eine Maske will ihn wohin führen, wo gespielt wird. Er verweigerts, kehrt im Vorzimmer noch um, will wenigstens wissen, wer sie ist und wohin sie ihn bringen will. Die Maske hat ihm erzählt, es gäbe verschiedene Leute, die sich hier für ihn interessierten, außer dem Malteser, – mindestens zwei Personen. Woher weiß sie das? – Auf der Treppe glaubt er zu sehen, es wäre jene Spanierin oder sonstige junge Person aus Ninas Haus (sie weiß auch von seinen Besuchen bei Nina).

Eintritt in eine Kirche. hofft die Spanierin zu sehen. wird gehoben in traumartige Höhe, aber nur kurz. Jemand kniet hinter ihm und seufzt; als wäre das ein ihm ausgeliefertes Wesen. das Wesen lehnt am Rand der Stufe, sieht in die Ferne.


Am nächsten Tage abermals nach der Dogana. Brief über den Zustand der Kaiserin, Mißbehagen, Alles so arg puppenhaft.

Jemand in einer Gondel fährt ihm nach, erreicht ihn: der Malteser. Dieser sagt, er habe ihn in dem kleinen Caféhaus gesucht. Dem Malteser wurde ein ähnlicher Brief wie jener erste ins Haus geworfen. »Sollten Sie davon nicht wissen? wenn ich Sie bitten dürfte, über die Personen nachzudenken, mit denen Sie gesellschaftlich zusammengekommen sind. Es gibt nichts Einzelnes, Alles vollzieht sich in Kreisen. Vieles entgeht uns, und doch ist es in uns, und wir müßten es nur hervorzuarbeiten[268] verstehen. Eine Person, der ich sehr ergeben bin, ist in großer Aufregung über diese Sache. Ich will Ihnen sagen, was in dem Briefe stand. Haben Sie Verwandte in Italien?« (Verwandtschaftsfluidum) Andreas: »Ich wollte Ihnen gern so viel Kenntnis meiner Person verschaffen, daß Ihr Verdacht erlischt« – sonderbarer Mangel an Selbstgefühl, daß ihm selbst sein Wort nicht hinzureichen scheint! zugleich eine Todesangst, wenn jener Verdacht erloschen, werde er dem Malteser gänzlich uninteressant sein. Wie wohl war ihm, als der Mann bei ihm saß. Staunen, daß auch dieser Mann von etwas gequält wird.

Behagliches Schlendern dann nachher. Malteser: »versäumen Sie nicht, nach Murano zu fahren; man hört die beste Musik. Ihr Gesandter ist auch oft dort.«

Indes bringt der Einarmige einen Brief für Andreas. »Von wem?« – »der Herr weiß es.« – Staunen des Maltesers wegen Coincidenz. Er bittet den Malteser, mitzugehen. Malteser lehnts ab. Ist ägriert, nimmt an, Andreas habe sich lustig gemacht: »Sie empfangen den Sendboten, von dem ich Ihnen spreche.«


Erster Anblick des Maltesers: ein geahnter harmonischer Kontrast zwischen Erscheinung und Geist. Etwas Witziges um ihn, eben dieser Kontrast.

Im Anfang ist Andreas' Haupteinwand gegen den Chevalier: die Zufälligkeit der Bekanntschaft, »der kann doch nichts Rechtes sein, daß er gerade Zeit hätte, sich mit mir abzugeben. «

Die Stunden mit Sacramozo waren das Leuchtende in seinen Tagen. Wie war er erstaunt, als dieser ihn angeredet hatte. Es ärgerte ihn dann, daß der Chevalier dadurch verblaßte.

Wie der Chevalier für ihn immer schöner wird aus einem häßlichen und er allmählich ahnt, daß das Wesen dieses Menschen ganz Liebe, oder ganz Form ist. Das Doppelte seiner Natur: wenn er von mystischen Gegenständen spricht – wozu für ihn im richtigen Zusammenhang alles auf der Welt, auch die gewöhnlichsten Bezüge und Verrichtungen gehören können –, ist er offen, der Vereinigung zugänglich, nur[269] menschlich, von sich mitteilend, durch Enthusiasmus zugänglich.

Wenn er sich in gewöhnlichen Verhältnissen findet, ist er durch Höflichkeit völlig abgesondert; undenkbar, daß er zu berühren, zu beeinflussen, zu erreichen wäre. Es ist unmöglich, wenn er in diesem Zustande ist, ihn an den andern erinnern zu wollen. Er übt hier eine ebenso starke coercitive Kraft aus, wie andererseits eine inducierende. Manchmal erscheint er Andreas in der weltlichen verschlossenen Verfassung noch merkwürdiger; der Begriff »Kraft der Verzweiflung« auf ihn in dieser Situation anzuwenden.

Begegnungen mit dem Malteser. Dieser allein concentriert ihn; zugleich verwirrt er ihn: durch sein Zuhausesein in dieser Welt, durch seine Diskretion, alles als selbstverständlich Nehmen. – Andreas' Angst in unvollkommenen Momenten: an Sacramozo sei alles nur Fassade.

Malteser lädt ihn nicht zu sich; scheint als selbstverständlich anzunehmen, daß er Bekannte hat, daß er weiß, wo die Bilder zu sehen sind usw.

Sein Wesen: die Geheimnisse; deutet sie durch minus dicere nicht durch plus dicere an. Sein Wesen ein Wissen um das Geheimnis der menschlichen Organisation.


Gespräche mit Sacramozo:

Andreas steckt voller Vorurteile; die schlimmsten gegen sich selber; die Geldvorurteile, die Vorurteile inbezug auf die Welt, – auf sich selbst: meint sein Glück verscherzt zu haben, alles wird schlechter, alles ist schon vorgegessen Brot. – Sacramozo: »Sie sind reich an verborgenen Kräften. – Sie schließen das Außerordentliche aus, – Sie haben Unrecht. Sie reden von Glück: wie vermöchten Sie es zu genießen, – fragen Sie sich noch mehr: wer ist es, ders genießt.« Sacramozo lehrt ihn an Ariost die Funktion der Poesie erkennen: die Poesie hat es ganz und gar nicht mit der Natur zu tun. Die Durchdringung der Natur (des Lebens) beim Dichter ist Voraussetzung.

Gelegentlich Ariost: das Unmögliche ist das eigentliche Gebiet der Poesie (der Jüngling, dessen Leib sich durch den Harnisch durchbewegte).[270]

Poesie als Gegenwart. Das mystische Element der Poesie: die Überwindung der Zeit. –

Das Hohe erkennt man an den Übergängen. Alles Leben ist ein Übergang. –

Man muß alles nach Vorbildern tun; das ist das Große am Christentum. – Ungeistige Christen betrügen Gott: Schmutz hinterm Altar. –

Sein Element kennen: man lebt wirklich nur unterm Auge des uns Liebenden. Sacramozo: »Aufmerksamkeit ist soviel wie Liebe. – Ich bitte Sie, daß Sie meine Seele mit Aufmerksamkeit behandeln. Wer ist aufmerksam? der Diplomat, der Beamte, der Arzt, der Priester ...? – keiner genug. Jenes Wort ›ich habe nichts vernachlässigt‹ – wer darf es von sich mit gutem Gewissen sagen.«

Woran man wirklich teilzunehmen vermag, dem ist man schon zur Hälfte vereinigt. Sacramozo über Teilnahme von Negern an Freude ihres Herrn: er hat gefunden was er suchte, – er hat einen Brief erhalten.

Sacramozo erklärt den Abscheu der Seele vor dem vor kurzem Gelebten.

Inwiefern einem Menschen wie Sacramozo nichts mehr Furcht macht, doch alle Schrecken nahe sind, durch das Leiseste heraufberufbar; was Angst, Schreck, Ängstlichkeit bedeuten.

Inwiefern für Sacramozo jede Materie die Materie zu Göttlichem. – Andreas grübelt: »warum gerade mit mir?« – darüber muß Andreas hinweg, – Sacramozo: »überall ist Alles, aber nur im Augenblick.«

Inwiefern jemanden um Verzeihung bitten zu können, eine erreichte hohe Stufe bedeutet.

Wozu ein Mann wie Sacramozo von nun ab unfähig ist, darin liegt seine Herrlichkeit.

Sacramozo beanstandet Wort und Begriff »in die Tiefe dringen«, – man sollte es ersetzen durch »gewahr werden« – »sich erinnern«.

Der Geist ist einerlei. Im Geistigen gibt es keine Stufen, nur Grade der Durchdringung. Der Geist ist ein Tun, vollkommen oder minder vollkommen. Sie halten die Welt an einem[271] Teil auf, zu denken. Die Menschen sind die Leiden und Taten des Geistes.

Durch Sacramozo erkennt Andreas: er liebe Romana Finazzer.

Sacramozo glaubt an die Zweizahl. So erzählt er die zwei ausschlaggebenden Erlebnisse seines Lebens; »man muß eine sehr geniale Natur sein (wie Franz von Assisi), um durch ein einziges Erlebnis für immer bestimmt zu werden. Der gewöhnliche Mensch wird sich, wenn eine furchtbare Erfahrung ihm den Weg nach einer Seite verlegt, nach der anderen Seite hinziehen ...« – auch pflegen wir ein Individuum aus einem Typus hervorzubringen, indem wir eine zweite Reihe ihn durchkreuzen lassen: Narciss ist ein Lump, aber ein ordentlicher Musiker (cf. Goethe, »Anmerkung«)

Malteser: »Sie erwähnen sehr oft Ihren Onkel in einer gewissen Weise, – er muß Ihnen wichtig sein.« (mehr Aufforderung ist bei Sacramozo undenkbar) – Andreas wurde rot. Die Geschichte vom Onkel Leopold und die beiden Entscheidungstage. Im Sterbezimmer: die Witwe, die zweite Familie, Bauernjungen (Zehenter). Die della Sphina, »wir beide haben viel verloren, liebe Frau.« – indem Andreas erzählt, kommt ihm Castell Finazzer, jener traurige Tag zurück. – der Malteser (mit einem warmen Blick) »Sie haben das schön erzählt. Menschenleben ist in Ihnen gediegen enthalten und löst sich schön ab.« – Sein Vorschlag zum Besuch.

Kap. VI. Ein Besuch.

»Wer kennt sein eigenes Element?«

In der Gesellschaft des Maltesers, ja nur durch einen Bezug auf diesen, verfeinert und sammelt sich Andreas' Existenz. Begegnet er diesem, so kann er sicher sein, nachher etwas Merkwürdiges oder wenigstens Unerwartetes zu erleben. Seine Sinne verfeinern sich, er fühlt sich fähiger, im andern das Individuum zu genießen, fühlt sich selber mehr und höheres Individuum. Liebe und Haß sind ihm näher. Die Bestandteile der eigenen Natur sind ihm interessanter, er ahnt hinter ihnen das Schöne. In dem Malteser ahnt er eine Meisterschaft im Spiel von dessen eigener Rolle. Es gibt keine Situation, in der er ihn sich nicht vorstellen könnte. An dem Malteser[272] tritt ihm die höchste Empfänglichkeit für eigene Natur entgegen.

Er sagt sich das alles selbst, aber in hypochondrischen Selbstvorwürfen: »was bin ich für ein Mensch, der erste beste vornehmere Mensch wirkt so stark auf mich.«

Anfang: Malteser kommt ihm nach auf der Riva dei Schiavoni, »wie gut, daß ich Sie finde.« (Andreas hat ein unbestimmtes Gefühl dorthin getrieben) »Fast hätte ich nach Ihnen geschickt. Man will Sie sehen ...«

Geheimnis um Maria: beim ersten Besuch Andreas' macht sie eine ganz kleine hilflose Bewegung nach einer dunklen Ecke hinter ihrem Sofa, mit einer Unfreiheit um die Mitte des Leibes, – und in diesem Augenblick ahnt Andreas, daß es ein für ihn unauflösliches Geheimnis hier gibt, daß er diese Frau nie kennen wird, und fühlt, daß ihn hier die Unendlichkeit mit einem schärferen Pfeil getroffen als je ein bestimmter Schmerz; er hat drei oder vier Erinnerungen, die alle diese pointe acérée de l'infini in sich tragen (die Begegnung mit der alten Frau und dem Kind am ersten Morgen), – fühlt diesen ungefühlten Schmerz, ohne zu wissen, daß er in diesem Augenblicke liebt.

Beim ersten Besuch sagt Maria: »Man wird Ihnen wieder schreiben.« Einmal bekommt er einen Brief von Maria, der leidenschaftlich, ja beinahe cynisch ist; er eilt hin, findet sie nicht. Später findet er sie. Sie ist verstört: »man hat mich von dem Brief unterrichtet ...« – sie muß sich zu einem halben Geständnis entschließen: »meine Hand ist verhext, sie handelt gegen meinen Willen. Ich bin nahe daran, mich zu verstümmeln, aber das ist gegen das fünfte Gebot ...« (– Problem: inwiefern bin ich für meine Hand verantwortlich ...)

Elégance und Vornehmheit, die Phantome, denen Andreas nachgelaufen ist, sind in Maria in ihrer höchsten Form verkörpert: als seelischer Adel. Jetzt kommen ihm die Wiener Gräfinnen nur als Marionetten vor, deren Bewegendes die Rasse ist.

Sacramozos Verhältnis zu Maria ist dies, daß er sie unterhalten will, um sie im Leben zu erhalten, weil sie allein ihm noch das Leben lebenswert macht (– so wenig er im übrigen von ihr fordert, erwartet)[273] Sacramozo hat zu Maria »Religion nicht Liebe« (Novalis) – der Chevalier: »ich fand sie in Genua; schlechte Menschen behaupteten Anrechte auf sie zu haben. Ich schützte sie, – und ich vermochte sie hierher zu bringen. Ja, aber ich stehe ihr darum nicht näher als Sie. Ich halte jeden Tag für den letzten. Ich denke von Tag zu Tag, sie wird dir entschwinden!« – Andreas: »Meinen Sie, sie wird in ein Kloster gehen?« – Chevalier: »Sie war nahe daran. Aber sie scheint es aufgegeben zu haben. Sie sagte mir, sie habe Briefe bekommen, die sie davon abgebracht hätten.«

Maria mit dreizehn Jahren einem bösen Mann vermählt. Sie ist Witwe; ihr Mann war grausam. – Die religiöse Krise, die Schuld an der Spaltung Marias war. Ein Gebet (dies erzählt Sacramozo dem Andreas) – Maria betrachtet es als Strafe dafür, daß sie Christus als Helfer für ihre Liebesabenteuer herabgefleht und dadurch gelästert habe. – Seither Maria von Ekel erfüllt vor dem eigentlichen Akt; sie hat die vage Ermüdung, ein ihr entsetzliches physisches Wissen von der Sache.

Ihr Astralleib, bestehend aus ihren Gedanken, Ängsten, Aspirationen, der oft mit immenser Sensibilität von etwas was einer sagt, ja von einer bloßen Nachricht, einem »stummen Niederfallen ferner Sterne« tangiert wird –: dies Ganze empfindet sie als ihr Ich; dies Ganze muß selig werden, dies Ganze wäre nie fähig gewesen, sich in der Liebe hinzugeben, dies Ganze kann Andreas niemals umklammern, dies Ganze ist ihre Last und ihr Leiden.

Ein mittlerer Aspekt von Maria, – wo sie am meisten als Dame wirkt: daß in ihr noch nicht alles zusammengekommen ist, daß sie weder resigniert noch erschöpft ist, daß die Möglichkeiten des Märtyrertodes ebenso wie des Erstarrens in aristokratischer morgue vor ihr liegen.

Sacramozo weiß aus Confidenzen, daß sich Maria zuweilen verliert. Seine Vermutungen über den Zustand.


Die Dame (Maria) und die Cocotte (Mariquita) sind beide Spanierinnen; sie sind Spaltungen ein und derselben Person, die sich gegenseitig trucs spielen. Die Cocotte schreibt ihm[274] die Briefe. Die Cocotte haßt den Sacramozo und die ganze sentimentale Tuerei. Einmal begegnet Andreas der Cocotte, wie er die Dame verläßt; einmal verwandelt sich die gute Dame vor dem Spiegel in die böse Cocotte. Die Cocotte fürchtet sich vor Sacramozo, glaubt, er hat den bösen Blick (auch fürchtet sie, er könne sie umbringen, wirklich rennt er mit dem Messer hinter ihr her) – Dadurch wird Andreas viel verliebter in die Dame und begreift den Platonismus des Sacramozo gar nicht mehr. Einmal schläft er bei der Cocotte: in der Früh ist das Bett leer, er hört ein Aufstöhnen, und mit den Zeichen gräßlichster Verwirrung läuft die andere fort. Während dieser wirren Zeit findet er einmal in seinem Felleisen das Brusttuch der kleinen Finazzer. – Die Cocotte gibt an, sie müsse zeitweise zu einem reichen Alten.

Porträt von Maria und Mariquita im Tagebuch: mit Maria zu sein, heißt dem feinsten und tiefsten Begriff des Individuums nachgehen: nach dieser Richtung ist Marias religiöser Ästhetismus orientiert. Ihr kommt es auf die Einheit, auf die Einzigkeit der Seele an, – aber an dem Leib wird sie zuschanden. Es wäre unmöglich, ihr ein Kompliment über ihre Schönheit oder ein Detail ihrer Gestalt zu machen. Sie hält daran, daß kein Baum, keine Wolke ihresgleichen haben. Ihr graut vor der Liebe, welche mit Verwechslung arbeitet (sie erinnert an die Prinzessin im »Tasso«).

An Mariquita ist es jedes körperliche Detail, was einzig und ewig scheint: das Knie, die Hüfte, das Lächeln. Sonst kümmert sie sich wenig um Einzigkeit; sie glaubt nicht an die Unsterblichkeit der Seele. Ihr Reden, ihr Argumentieren, ihr Denken selbst ist ganz Pantomime, ganz potentielle Erotik, kein Wort darin über den Moment hinaus gemeint, – sie buhlt immerfort mit allem was sie umgibt.

Durch einen kleinen kurzatmigen King Charles-Hund, namens Fidèle, ein mißtrauisches und hochmütiges Tier, der im Hause von Maria immer versteckt ist bis auf einmal, hängen Maria und Mariquita zusammen (es ist wiederum das Grundproblem von »Gestern«: Treue, Beharren und Wechsel) – Dunkel ahnt Maria das Chaotische in sich, das was sie mit Mariquita gemein hat. So haben sie das Hündchen gemein.[275]

ad Maria und Mariquita: die Ansicht des Franziskanerpaters über den Fall; die Ansichten des Medicus materialistisch (La Mettrie, Condillac); die Anekdote von dem Mann, der durch einen Unfall zerstört, durch den anderen wiederhergestellt wurde, – »was folgern Sie daraus?« fragte der Malteser.

Maria immer in Halbhandschuhen, immer kalte Hände; Mariquitas Hände immer wie von flüssigem Feuer durchströmt.

Hemmungslosigkeit das Wesen von Mariquita, Hemmung das Wesen der Gräfin. Die Gräfin spricht von den hundertpfundschweren Ketten, mit denen der Himmel die Seinigen prüfe. Man ist für mehr als sich selbst verantwortlich. – Das Beschwerte in den Liebesbriefen der Gräfin.

Bei Maria lernt Andreas die Freiheit des Wesens preisen, bei Mariquita graust ihm vor der absoluten Freiheit. Bei Mariquita muß er sich nach dem universalen Bindemittel sehnen, bei Maria nach dem Lösungsmittel: so muß ihm seine eigene Natur offenbart werden.

Maria ist fabelhaft gut angezogen, Mariquita liebt Schmutz und Unordnung.

Maria verträgt Blumenduft sehr schlecht; eines Tages findet Andreas sie halb ohnmächtig und umgeben von stark riechenden Blumen, diese Blumen hat Mariquita morgens auf dem Gemüsemarkt gekauft und durch einen Furlaner an Maria geschickt.

Maria ist Christin mit mystischen molinistischen penchants; Sacramozo ist indifferent (Galiani); Mariquita ist Heidin, sie glaubt an den Moment, an sonst nichts.

Mariquitas Ansichten über Maria (gelegentlich brieflich oder in Monologen): sie haßt sie, sieht alles Unvollkommene an ihr, findet sie feig (so wie Michelangelo sich feig findet im Gegensatz zu Savonarola), und doch ist sie ihr eigenster, der einzige interessante Gegenstand. Sie beneidet sie um ihre Distinktion, ohne sich recht klar zu werden, was diese Distinktion ist, was das ist, das jeder von Marias Handlungen einen königlichen unrealen Wert gibt (gleich dem Horn auf der Stirn des Einhorns, wie ein Turm im Mond), ja sie versucht, Maria selbst diesen ihren Vorrang verdächtig zu machen, sie[276] in das Gemeine unterzutauchen (wodurch sie freilich selbst am unglücklichsten werden würde), – sie schreibt ihr: »deine gestrige Träumerei, daß es das Gemeine nicht gibt, daß dies alles völlig überwunden werden kann, daß man in einem ewigen élan leben kann, ohne jenes Danebenhocken in der Ecke, – das ist eine Vorspiegelung deiner bodenlosen Eitelkeit, deiner stupiden Unfähigkeit, das Wirkliche zu erkennen.«

Mariquitas Erzählungen (über Maria): bald, als wäre sie eine alte Hexe, dann: » das war nur figürlich zu nehmen. Man muß die Menschen überhaupt nur figürlich nehmen. Sie ist eine ganz hübsche Person, aber ein rechter Teufel ist sie doch. Gerade darum weil sie für einen Engel gehalten werden will. Aber das kann ich sagen: so durchschaut wird auf der Welt keine Frau, wie ich die durchschaue. Meine Blicke gehen unter die Haut.«


Mariquita: die verschiedenen Aspekte des Dämons: intrigant, scharfsinnig, cynisch, ruhelos, gottlos, frech libertine Angst vor Kirchen. neugierig ohne Maß. geistreich ingénue. durchgehends Vergeßlichkeit.

Das Zusammenhängende in allen ihren Phasen, etwas Aktives, Gliedermännisches. Sie will etwas vorwärtsbringen; die Ruhe, das Versinken ist ihr verhaßt, – da fürchtet sie, sich in die andere aufzulösen.

Einmal rutscht es Mariquita zu der Duenna heraus (– Andreas stellt sich schlafend): »die Verfluchte! sie möchte mich ins Kloster sperren, weil ich es ihr zu bunt treibe! ich muß ihr durch den da ein bißchen zusetzen lassen ...« – Duenna: »könntest du ihr nicht etwas eingeben, daß sie ganz verschwindet?« – Mariquita: »sie hat eine verfluchte Kraft, nicht nur wenn sie betet, sondern auch sonst, eine Art sich innerlich zu erheben, da fühl ich mich, wie wenn mir übel würde, und ich bin ganz schwach gegen sie.« – Duenna: »könntest du nicht machen, daß, während sie betet, ihr eine von deinen stärksten Stellungen einfiele?« – Mariquita: »dann fühlt sie mich kommen und drückt mich hinunter, das sind meine widerwärtigsten Momente. Da haß ich sie, wie der ewig Verdammte Gott hassen muß.«[277]

Mariquita macht über ihr Verhältnis zu Maria erst ganz allmähliche Erfahrungen; im Anfang hofft sie, bald ganz freizukommen.

Scene, wo Mariquita, sehr aufgeregt darüber, daß Maria ins Kloster gehen will, von Andreas verlangt, daß er Maria verführe; – ihr unheimlicher hündischer Blick bei dieser Scene. In Andreas der Verdacht, daß die Zauberin etwas mit Experimenten zu tun habe ähnlich jenen, welche zu den »Moreau horros« geführt haben; daß sie etwa Lieferantin für einen solchen Experimentator sei.

Indem Andreas in Mariquita die Seele zu wecken verlangt, gefährdet er Mariquita in ihrem Leben, ihrem Sonderdasein, wovon sie ängstliche Andeutungen macht. So schließt sie ihn einmal in die Arme und erklärt sich, Tränen im Auge, bereit, sich dem Glück, das er mit einer anderen finden könnte, aufzuopfern. Er fühlt, daß sie es in Wahrheit meint.

Mariquita dämonisch bis zum Hexenhaften. Succubus. Schläft einmal mit zwei Männern zugleich, sie sagt: »wenn ich mit einem einen Tag, sechs Stunden, zwei Stunden, eine halbe Stunde, zehn Minuten nach dem anderen geschlafen hätte? ... na also!«

Mariquita haßt den Begriff »die Wahrheit« – »wenn ich nur das dumme Wort nicht hören müßte! wenn ihr mich nur mit eurer Philosophie verschonen wolltet, – da die Welt doch ›sozusagen eßbar‹ ist.«

Ihr düsteres Bild von dem Malteser; seine Lebenschiffre flößt ihr Grausen ein. Wenn sie von ihm spricht, verfärbt sich ihr Gesicht.

Mariquita schreibt nie, schickt immer nur mündliche Posten; das Schreiben ist nur zu embrouillieren und compromittieren.

Die Wohnung Mariquitas in einem halbverfallenen Palast, in zwei Zimmern in größter Unordnung. In einem großen Hinterzimmer haust die Duenna, eine alte Hexe. Das helle Zimmer, offen wie ein Vogelhaus, wo Mariquita badet, ißt und empfängt. Draußen ein Gärtchen. der reiche jüdische Verehrer dalle Torre. Mariquita behandelt Andreas zuerst schlecht, dann lädt sie ihn sogleich wieder ein in einem Brief voll Anspielungen[278] auf Maria, wie sie bemerkt, daß Maria ihn gerne sieht; sie hofft, mit ihm Maria endlich zu verführen.

Am selben Tage, wo Andreas den einladenden Brief bekommt, bekommt Sacramozo einen insultierenden Brief: man sei seiner müde und werde sich um einen anderen Freund umtun.

Mariquita bei dem ersten Besuch, obwohl sie ihn schlecht behandelt, spielt buhlerisch mit seiner Hand und sagt: »schöne Hand, schade daß du einem kalten geizigen Herrn gehörst.« Sie sagt ihm, warum man ihn liebt: sein schweres zurückhaltendes Wesen, man ahnt nicht, wie er sein wird, man kann nie sicher sein, ihn ganz zu haben.

Mariquita: eine Art Schwindel des Daseins; sie unternimmt mit Andreas nachts eine Eilpostfahrt. Embrouilleuse, alles geht schief; das Undurchblickbare, heillos Verwickelte aller Dinge, eine ganze Kette von unglücklichen Einteilungen, alles stimmt nicht. Café in Mestre, im Wagen ist sie eine andere. Hier tut sie als hielte sie ihn für einen Casanova, imputiert ihm Zusammenkünfte mit der Gräfin (mit allem Detail psychologisch und realistisch), dann endlich: »verzeih mir!« dann heftig: »und warum denn nicht? warum nimmst du sie nicht?« Er will sich losreißen, da deutet sie auf ein Geheimnis, verspricht, bald ihre Seele zu offenbaren.

Mit Mariquita ein Abenteuer in einer Sturmnacht. Sie will den betäubten, durch Andreas' Schlag betäubten Gondolier ins Wasser werfen.

Die Courtisane will den Waldmenschen verführen, zu diesem Zweck wird eine Landpartie unternommen. Andreas' ganz verschiedene Gefühle in Gegenwart der zwei Frauen: Marias Nähe beglückt ihn, macht ihm die Welt schöner; Mariquita macht ihn finster, sich anspannend, wild, – nachher verdrossen, ermüdet.

Es erscheint undenkbar, die Hand von Maria in einer wollüstigen Bewegung zu sehen, zu fühlen. Der Fuß von Mariquita erwidert den Druck wie eine Hand, umrankt, preßt wie eine weiche blindere, noch wollüstigere Hand.

Andreas: sein Gefühl für Maria wachsend, so daß ihm schwindlig wird bei dem Gedanken an eine Intimität (– nur[279] die Hand auf ihrem Knie zu haben), ja bei dem bloßen intensiven Denken daran, daß sie eine Frau ist: er wird eifersüchtig auf Sacramozo. Indem er dringend wird, ermöglicht er die Erscheinung von Mariquita.

Andreas und der Begriff »elegant«: die eleganten Menschen sind ihm was dem Michelangelo der Savonarola oder ein in sich verschlossener junger Edelmann war. Die Liebe der eleganten Dame: das ist ihm zunächst sein Ziel; er glaubt darin umgewandelt zu werden, wie sein Großvater durch die Gunst der Erzherzogin. Er sagt sich, »wenn ich ihr Liebhaber wäre ...« – aber er kann sich noch nicht recht hineindenken, es ist ihm, als ob er dann ein anderer wäre (einen Augenblick glaubt er, der Chevalier hielte ihn für den Liebhaber) ... allmählich ahnt ihm, daß Maria für ihn in der Sphäre des Unberührbaren steht, und es ahnt ihm, daß hier sein Schicksal liegt, daß er gleichsam hier vor etwas steht, von dessen Spitze er immer etwas abbrechen muß. Er ahnt, daß Marias Liebe sich auf etwas beziehen muß, was ihm selbst in sich unerreichbar, seiner Eitelkeit wie seiner Unruhe wie seinem Bewußtsein ganz entrückt ist.

Andreas ist Maria gegenüber von der äußersten Schüchternheit, so vollkommen ist ihre Gesprächsführung. Bei dem bloßen Gedanken sie etwas Intimes zu fragen (z.B. ob sie von der Existenz der illegitimen Schwester etwas wisse) ist ihm so wie bei dem Gedanken, daß es möglich sei, die Heimlichkeit ihres Leibes zu berühren, – der Kopf dreht sich ihm. Bei Maria ist die Seele wie ein Schleier über dem Leib.

Seine Beziehung zu Maria ist schließlich die, daß er auf die »gegenstandslose« Freundschaft Sacramozos qualvoll eifersüchtig ist.

Sein Staunen, daß es Menschen dieser Art gibt: alles ist weicher und härter, alles häßlicher und gewissenhafter, alles im Großen gefaßter, im Einzelnen feinfühliger. – Ihm ist, als müßten ihm neue Sinne entstehen, um dies zu begreifen. Daß unseren Sinnen etwas Zufälliges anhaftet, ahnt ihm. – Ihm wird bewußt, wie er sich nur durchtreibt: wie ein Schwein in einem hochgehenden Wasser.

Er fühlt, wie der Malteser ihn trägt und hebt, jedes Wort von[280] ihm releviert, er kommt sich ganz als Geschöpf Sacramozos vor, aber ohne Gedrücktheit. Er weiß nicht, ob er sich über diese Frau mehr erstaunen soll als über diesen Mann.


Letztes Buch.

Was Sacramozo fehlt, um diese Frau zu gewinnen, ist hohe Selbstliebe, Religion zu sich selbst.

Sacramozo schreibt sich den Tod einer geliebten Person zu; Mariquita behauptet direkt, er habe eine vergiftet. Sacramozo gibt sich schuld an der Geisteszerstörung einer liebenswürdigen jungen Person, die nun wie ein genäschiges Tier dahinlebt.

In ihren Augen die »andere« zu sehen, – das hat ihn zum Philosophen gemacht. Ebenso war sein Vater kurz vor seinem Tode so merkwürdig verändert. So kommt er darauf, die Masken das Unterscheidende zu finden. In diesem Sinne sagt er, daß weder Goldoni noch Molière einen Charakter im Individuum geschaffen haben.

Er wirft sich besonders vor, daß er mit der Person, wie sie schon »eine Irrsinnige« war, noch geschlafen hat. Möchte sie eine Muschel besitzen, in der die Stimme ihres toten Geliebten enthalten wäre? auch die Doppelheit der Schrift von Maria kommt in diesem Zusammenhang zur Sprache.

Beim Sacramozo: Bild der Sternkreuzordensdame: Gräfin Welsberg (seine Mutter). – Sacramozo über die Worte seiner deutschen Mutter: er verbietet sich, sich ihrer zu erinnern; später wird er sich ihrer um so völliger erinnern dürfen. – Sacramozo hat die Fügung mit der Wiederkehr des Vetters verstanden und hat sich exilieren gelernt: in Welsberg hätte seine niedrige Natur prävaliert, die höhere Entwicklung seiner Natur wäre gehindert gewesen. – Sacramozo wollte die Burg Welsberg kaufen. Sein Übernachten in dem Zimmer, an dessen Wand die Lebenspyramide gemalt ist (seine Gedanken vielfach über die Lebensalter, sein 93jähriger Oheim) – Sacramozo nimmt als selbstverständlich an, daß von zwei Träumen der spätere den früheren aufklärt, – so verhält sich alles Spätere zu allem Früheren, – nach allen Richtungen. – Der Welsberger Traum: im zweiten ist er Landpfleger, als[281] solcher unerkannt: der an allem schuld ist, der das Todesurteil verhängen mußte usw.

Sacramozo: Glaube und Aberglaube in der Zeit: in Stunden der Exaltation ist er sicher, nur er habe den wahren Schlüssel der Welt, alle anderen gleiten an dem Geheimschloß vorbei, – alles dient ihm, auch eine einmal gesehene Landschaft, ein Pfuhl dunklen Wassers in Westindien. Er wäre wahnwitzig, wenn er nicht recht hätte. Er hat in allem recht, auch daß er der Gräfin den Andreas zubrachte. Seine Kenntnisse: er weiß, daß der Körper nichts vergißt (ebenso der Weltkörper, der große Körper) – Er kennt Marias Leben, wie nicht die Beichtväter. – Sacramozos Geschick: der Schlüssel Salomonis in Hebbels Epigramm.

Das Symbolische an den Rosenkreuzern ist ihm sympathisch, der unbedingt symbolische, also die Welt überspringende Wortgebrauch. Denn in der Seele, sagt er, ist alles: alles Beschwörende, auch alles zu Beschwörende. »Jedes Wort ist eine Beschwörung: ein welcher Geist ruft, ein solcher er scheint.« (Novalis)

So ist ihm das Eigentliche der Poesie faßbar: das Magische der Zusammenstellungen. Goldoni (= die Welt Zustinas, das völlig Unmetaphysische) ist ihm furchtbar, Molière bedeutet ihm nicht viel, der Mimus ist ihm gleichgiltig, auf die incantatio kommt es ihm an. Die wahre Poesie ist das arcanum, das uns mit dem Leben vereinigt, uns vom Leben absondert. Das Sondern – durch Sondern erst leben wir –, sondern wir, so ist auch der Tod noch erträglich, nur das Gemischte ist grausig (eine schöne reine Todesstunde wie die Stillings) – aber wie das Sondern ist auch das Vereinigen unerläßlich, –: die aurea catena Homeri. – » separabis terram ab igne, subtile a spisso, suaviter magno cum ingenio« (Tabula smaragdina Hermetis)

Sacramozo kennt die Gewalt des Schöpferischen. »Wir wissen nur insoweit wir machen. Wir kennen die Schöpfung nur, inwiefern wir selbst Gott sind, wir kennen sie nicht, insofern wir selbst Welt sind« (Novalis). Sacramozo weiß: die Dinge sind nichts anderes, als wozu die Macht einer menschlichen Seele sie immerfort macht. Die unaufhörliche Creation. Die[282] Beziehungen zwischen zwei Wesen als von ihnen geborene Sylphe (Rosencreuzer)

Er sucht das Leben dort, wo es zu finden ist: im Zartesten, in den Falten der Dinge.

Der Abgrund in einem Menschen wie Sacramozo: die Verzweiflung des Beschauenden, der sich fragen muß: »bin ich überhaupt, wenn ich hinweg muß, – werde ich gewesen sein? hab ich Haß-Liebe gekannt?? – oder war alles nichts.«

Was will ein Mensch wie Sacramozo? ... ein rasender Zorn der Impotenz, – »Dero Hochunvermögen«.

Er läßt es geschehen, daß die Sylphe, geboren aus Andreas und der Gräfin, als die mächtigere, die schwächere tötet, deren Vater er ist.

Sacramozo über die mystischen Glieder des Menschen, an die nur zu denken, die schweigend zu bewegen, schon Wollust ist (Traum der Maria).

Über die Mächte: der welcher zu beten vermag. »Vermöchte die Gräfin zu beten, wäre sie geheilt.« Sacramozos mystische Liebe zum Kind, als welches Mensch, nicht Mann noch Frau, sondern beides in einem.

Andreas hat vom Malteser zu lernen: das Erkennen des Wesenhaften, die Überwindung des Gemeinen (– alles Österreichische gemein: die Masse der Kämmerer, Häufung in allem. In Wien kommt es jedem darauf an, etwas vorzustellen). Sacramozos pessimistische Auffassung: ob ich ein Christ oder ein Atheist, ein Fatalist oder ein Skeptiker bin, darüber werde ich mich entscheiden, sobald ich weiß, wer ich bin, wo ich bin und wo ich zu sein aufhöre.

Sacramozo: »die Hoffnung und die Begierde des Menschen, in seinen früheren Zustand zurückzukehren, ist wie die Gier der Motte nach dem Licht.« (Lionardo) Der Blick, den er auf seine Jugendbekannten heftet. Frauen unterhalten ihn mehr, Männer rühren ihn tiefer. Sacramozo – das ist sein Frevel – hält es für möglich, ein zweites Leben zu führen, worin alles Versäumte eingeholt, alles Verfehlte verbessert wird. – »Vierzig Jahre: ich habe nichts mehr zu gewinnen, aber ich darf nichts mehr verlieren.«

Sacramozo erkennt den Moment, welcher der Vereinigung[283] Andreas' mit Maria günstig ist: diesen Moment wählt er für den freiwilligen Tod, – seiner Wiederkunft und Vereinigung mit der umgewandelten Maria sicher (er weiß, daß auch Elemente sich verwandeln.) Daß Andreas ihm dann wird weichen müssen – in welcher Weise, darüber denkt er absichtlich nicht nach –, erfüllt ihn für diesen mit wehmütigem Mitleid.

Er hat immer gewußt, dies werde ihm in seinem vierzigsten Lebensjahre begegnen. Er teilt sein Leben so ein: drei Perioden zu zwölf; die erste: Erfüllung, Offenbarung; die zweite: Verwirrung; die dritte: Verdammnis oder Prüfung. Dann drei Jahre des Operierens, dann das vierzigste: annus mirabilis. »Der echte philosophische Akt ist Selbsttötung« (Novalis) – Selbsttötung einerseits als der sublimste Akt des Selbstgenusses, das wahrhaftige Disponieren des Geistes über den Körper, zweitens als die sublimste Kommunion mit der Welt, endlich kontrastierende Übereinstimmung mit dem letzten Wort östlicher Philosophie (Neuplatoniker über den Selbstmord).

Nur im Kleinsten, im zartesten Detail, wie der Körper zu überreden: darin liegt das Geheimnis und die Schwierigkeit. Anknüpfend die Aufmerksamkeit und Verehrung des Nicht-Wiederkehrenden.

»Den Satz des Widerspruchs zu vernichten, ist vielleicht die höchste Aufgabe der höheren Logik« (Novalis) – »Allmähliche Vermehrung des inneren Reizes ist also die Hauptsorge des Künstlers der Unsterblichkeit« (Novalis)

Gespräch mit Maria über den Selbstmord: » ... vor allem müßte man sicher sein, sich ganz zu zerstören.« – Hier lächelt Sacramozo.

Sacramozo: »Jeden Morgen geht die Sonne über Millionen Menschen auf, aber wo ist unter Millionen das eine Herz, das ihr rein entgegenklingt wie die Memnonssäule? – ich stand mit Zehntausenden auf einem Hügel, eine Wallfahrt etc. – aber mein Herz war von den ihren abgetrennt. – Wann hat mich die Morgensonne wirklich beschienen? einmal vielleicht, in jenem kurzen Traum. Aber ich werde dorthin gehen, wo mich ein jungfräuliches Licht an jungfräulichen Ufern treffen[284] wird.« – » Aller Anfang ist heiter. Heil dem, der stets aufs neue anzufangen versteht!«


Sacramozos Todestag:

Die Vorbereitung. Fasten. Aspekt der Welt. Anwandlung von Zweifel. Ängstlichkeit, der Entschluß wankend, wieder befestigt.

Letztes Gespräch mit Maria: Abschied und Wiedersehen. die Kraft dieses Gespräches über sie.

Der letzte Nachmittag, Abend. – Die Gedanken währenddem. Die Tropfen; das Wissen, von Tropfen zu Tropfen innehalten zu können. Auflösende Wollust, – wie sie fahl wird unter dem Gedanken des Innehaltens. der Aspekt der Welt zwischen Leben und Tod: die Heiligung der Wollust durch das Definitive. Ein ungeheures Ehren Gottes in seinen Geschöpfen: ein Eingehen in den Tempel Gottes. Anwandlung von Todesfurcht: Paroxysmus. Verklärung.

Vor dem Tode: hört ein Wasser rauschen, hätte jedes Wasser, das er jemals rauschen gehört, nun heraufrufen mögen.

Stadien der Auflösung: ein wunderbares Nahekommen jedem Wesen, das ein sanfter leuchtender Strom ihm hervorbringt; die Wesen kommen wie Schwimmer aus einem heiligen Wasser: er weiß, daß er nichts im Leben umsonst getan. Die Nahekommenden einzeln, wie ein auflösender Kuß der Seele, – die Bläue eines Gewandes, der Hauch einer Lippe, eine Vogelstimme – (die Objekte im Zimmer: himmelblauer Stoff, eine Maske, silberne Leuchter, Blumen, Früchte, Wasserschalen) – er nimmt es für ein Vorgefühl einer unaussprechlichen Vereinigung und weiß nun, er kann nicht mehr zurück.

Das Sterbezimmer des Maltesers mit Alabasterlampen und Blumen. Sein beseligter Abschiedsbrief: All-Liebe. Ihm scheints kein vages Zerfließen, sondern sublimstes Wahren der Person.


Zur selben Zeit gewinnt Andreas Zustina in der Lotterie. Sie will sich ihm geben, hofft ihn so zu gewinnen, daß er ihr Mann bleibt. Gesteht ihre List, ihn gewinnen zu machen, die[285] sehr gut erfunden war. Ihre Tränen und ihre Fassung; Evidenz, daß auch Nina in ihn verliebt ist. – Nachricht von Romana. – Zustina spricht über die Art von Ninas Liebe im Gegensatz zu der ihrigen, leitet beide sehr scharf und zart aus dem physischen Naturell ab. In dieser Stunde ist Zustina außerordentlich schön. Zustina: »wenn Nina verliebt ist, so hört sich für ihre Seele alles auf: die ganze Welt ist anders, – sie begreift nicht, wie sie gestern hat leben können. Ich war bisher nicht verliebt, – und wenn es kein anderes Verliebtsein gibt als Ninas, so kenne ich bis heute die Liebe nicht. Denn die Welt bleibt für mich immer die Welt, obwohl sie ein Wesen enthält, dem zu begegnen köstlich ist.«


Letztes Kapitel:

Wie Andreas flüchtet und wieder bergauf fährt, ist ihm, als ob zwei Hälften seines Wesens, die auseinandergerissen waren, wieder in eins zusammengingen.

In St. Vito findet er einen Knecht, der nachts heimfährt. Wie er den nächsten Tag nach Castell Finazzer kommt, ist Romana nicht da. Allmählich hört er, sie sei seinetwegen auf die Alpe geflohen; dann: sie habe ein furchtbares Fieber gehabt, immer von ihm gesprochen, dann habe sie gelobt, ihn nie mehr zu sehen, er komme denn von Wien, sie als Frau heimzuholen (die Scham nun so ins Unendliche gesteigert, wie damals die Unbefangenheit).

Er hinterläßt einen entscheidenden Brief für Romana. Letztes Kapitel: er geht bei Tagesgrauen. Bei Sonnenaufgang kommen sie an. Mit der Mutter hinauf nach der Alm. Romana verkriecht sich in den letzten Winkel, droht endlich von droben nach außen hinabzuspringen.

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Erzählungen, Erfundene Gespräche und Briefe, Reisen. Frankfurt a.M. 1979, S. 265-286.
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