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[3] [3] Die Zeit ist die Madonna der Poeten,

Die Mater dolorosa, die gebären

Den Heiland soll; drum halt die Zeit in Ehren,

Du kannst nichts Höheres denn sie vertreten.

Georg Herwegh[4]


Noch sprosst der Bart mir nicht ums Kinn,

Auch weiss ich, hört mich, ihr Teutonen,

Dass unter allen Epigonen

Just ich der allerletzte bin!


Doch lasst's mich trotzdem euch gestehn:

Ihr jammert mich, ihr armen Dichter,

Ihr Groschen- und ihr Dreierlichter,

Von denen zwölf aufs Dutzend gehn.


Ihr stöhnt verzweifelt: Der Bien muss!

Und ampelt krampfhaft an der Leiter,

Doch ach, ihr kommt und kommt nicht weiter,

Wie weiland Fausti Famulus!


Seht, das ist eure Quintessenz,

Ihr fliedersüssen Lenzrhapsoden:

Ihr macht mit Hymnen und mit Oden

Den Nachtigallen Concurrenz![5]


Ihr glaubt verblendet, Poesie

Sei Lenznacht nur und Blüthenschimmer,

Ihr glaubt's verblendet und singt immer

Ein und dieselbe Melodie!


Ihr dichtet jeden dritten Tag

Ein hohes Lied auf eure Liebe,

Reimt selbstverständlich darauf »Triebe«

Und gebt's dann schleunigst in Verlag.


Zwar, seid ihr noch kein »grosses Thier«,

Müsst ihr auf alle Fälle »zahlen«,

Doch dann wird's auch mit Initialen

Gedruckt auf fein Velinpapier.


Und wird's dann gratis noch versandt

An so und so viel Kritikaster,

Dann lobt man euern schlechten Knaster

Und schimpft den Kieselstein Demant.


Und wenn ihr fleissig schmiert und salbt,

Sorgt auch die Clique für Verbreitung,

– Denn wozu hat man sonst die Zeitung? –

Herr X hat wieder mal gekalbt!


Ein Liederbuch ist's dieses Mal

In rothem Maroquin gebunden

Und überdies sehr warm empfunden

Und wunderbar original![6]


Und kauft man sich dann das Idol,

Dann sind's die alten tauben Nüsse,

Die längst genossenen Genüsse,

Der aufgewärmte Sauerkohl.


Von Wein und Wandern, Stern und Mond,

Vom »Rauschebächlein«, vom »Blauveilchen«,

Von »Küssmichmal« und »Warteinweilchen«,

Von »Liebe, die auf Wolken thront«!


Und will der Dichter hoch hinaus,

Dann streicht er die Rubrik: »Erotisch!«

Und hängt die Tafel: »Patriotisch!«

Als Firmenzeichen vor sein Haus.


Doch Blech bleibt Blech, und ob es auch

Der Jude oft als Gold verschachert ...

Der Ruhm, den ihr zusammenprachert,

Ist eitel Moder, Dunst und Rauch!


Denn kräht auch dreist zu eurem Wisch

Die heutige Kritik ihr Amen,

Und legt man ihn auch jungen Damen

Alljährlich auf den Weihnachtstisch:


Und labt sich auch aus eurem Quell

Der Leutnant und der Ladenschwengel,

Und nippt aus ihm auch jeder Engel,

Die Gräfin und die Nähmamsell:[7]


Lasst über euch und euer Wort

Ein einzig Menschenalter rollen,

Und was ihr singt, ist längst verschollen,

Und was ihr pflanzt, ist längst verdorrt!


Ich aber mag nicht, lass wie ihr,

Das Pfund, das Gott mir gab, verwalten,

Ich will hoch über mir entfalten

Der Neuzeit junges Lenzpanier.


Ich lache, wollt ihr blöden Blicks

Verjährten Tand modern staffiren

Und himmelbläulich phantasiren

Vom Waldgnom und vom Wassernix.


Ich lache, zählt ihr eins, zwei, drei

Die Kugeln, die ihr nie verschossen,

Die Thränen, die ihr nie vergossen,

Ein jeder Zoll ein Papagei.


Ich lache, doch mein Zorn hält Wacht,

Denn der St. Veitstanz wird zur Mode;

Ich weiss, ihr tanzt nur aus Methode,

Weil ein Narr viele Narren macht.


Doch tollt nur euren tollen Schwank,

Nur zu, je toller, desto besser:

Ich biet euch Kampf, Kampf bis aufs Messer,

Und gehe meinen eignen Gang![8]


Den Gang, den lichtumstrahlt die Kunst

Sieghaft zu wandeln mir geboten;

Und Herz an Herz mit ihren Todten,

Veracht ich euch und eure Gunst!


Denn mir schlägt nicht das Wort den Takt

Zum Reigen selbstischer Gedanken,

Ein Löwe, hat es seine Pranken

Tief in mein Herzfleisch eingehackt.


Nur, dass es mich nicht jäh zerfleischt,

Such ich's mit Liedern zu beschwören,

Doch nicht beim Rauschen alter Föhren,

Die Nachts ein schwarzer Aar umkreischt.


Auch nicht ins Grab der Lorelei

Verirrt sich mehr mein schwankes Steuer;

Die Zeit verliebter Abenteuer,

Für mich ist sie schon längst vorbei!


Nein, mitten nur im Volksgewühl,

Beim Ausblick auf die grossen Städte,

Beim Klang der Telegraphendrähte

Ergiesst ins Wort sich mein Gefühl.


Dann glaubt mein Ohr, es hört den Tritt

Von vorwärts rückenden Kolonnen,

Und eine Schlacht seh ich gewonnen,

Wie sie kein Feldherr noch erstritt.[9]


Doch gilt sie keiner Dynastie,

Auch kämpft sie nicht mit Schwert und Keule –

Galvanis Draht und Voltas Säule

Lenkt funkensprühend das Genie.


Und um sich sammelt es ein Heer

Von himmelstürmenden Ideen,

Gedanken blitzen und verwehen

Unzählig, wie der Sand am Meer.


Doch mehr als einer wird zur That

Und lenkt das Schicksal der Geschlechter,

Und als des Ideals Verfechter

Streut er der Zukunft goldne Saat.


Und auf flammt dann ein neues Licht,

Ein neuer Welttag für die Erde,

Denn auch die Menschheit hat ihr »Werde!«

Und sinnlos ist kein Traumgesicht.


Der ewge Friede baut sein Zelt,

Und ob die Zeit sie auch verdamme,

Der Freiheit goldne Oriflamme

Weht leuchtend über alle Welt.


Und wenn dann Lied auf Lied sich ringt

In immer höhre Regionen

Und alle Völker, alle Zonen

Ein einzig grosser Bund umschlingt:[10]


Dann ist's mir oft, als ob die Zeit,

Verlästert viel und viel bewundert,

Als ob das kommende Jahrhundert

Zu seinem Täufer mich geweiht


Als müsst ich stossen in die Brust,

Ein Winkelried, mir eure Speere:

Hie Wahrheit, Freiheit und hie Ehre!

O Kampf der Liebe, Kampf der Lust!!


Drum dir, die schmerzvoll mich gebar,

Dir, junge Zeit aus Blut und Eisen,

Leg ich mein Herz und seine Weisen

Nun stumm auf deinen Hochaltar!


Schaust du doch auch ins Morgenroth

Und träumst von unentdeckten Welten;

Wirst du die Liebe mir vergelten,

Die tief für dich mein Herz durchloht?


Doch ob auch Dampf und Kohlendunst

Die Züge dieser Schrift verwaschen;

Kein flüchtig Glück will ich erhaschen,

Ich liebe dich, nicht deine Gunst!


Mir schwillt die Brust, mir schlägt das Herz

Und mir ins Auge schiesst der Tropfen,

Hör ich dein Hämmern und dein Klopfen

Auf Stahl und Eisen, Stein und Erz.[11]


Denn süss klingt mir die Melodie

Aus diesen zukunftsschwangern Tönen;

Die Hämmer senken sich und dröhnen:

Schau her, auch dies ist Poesie!


Sie kehrt nicht nur auf ihrem Gang

In Wälder ein und Wirthshausstuben,

Sie steigt auch in die Kohlengruben

Und setzt sich auf die Hobelbank.


Auch harft sie nicht als Abendwind

Nur in zerbröckelten Ruinen,

Sie treibt auch singend die Maschinen

Und pocht und hämmert, näht und spinnt.


Sie schaukelt sich als schwanker Kahn

Im blauen schilfumkränzten Weiher,

Sie schlingt den Dampf ums Haupt als Schleier

Und saust dahin als Eisenbahn.


Von nie geahnter Kraft geschwellt,

Verwarf sie ihre alten Krücken,

Sie mauert Tunnels, zimmert Brücken

Und pfeift als Dampfschiff um die Welt.


Ja, Wunder thut sie sonder Zahl,

Sie lindert jegliches Verhängniss,

Sie setzt den Fuss selbst ins Gefängniss

Und speisst die Armuth im Spital.[12]


Wohl war's der Himmel, der sie schuf,

Doch heimisch ward sie längst auf Erden;

Drauf immer heimischer zu werden,

Ist ihr ureigenster Beruf!


So klingt das Lied, das hohe Lied,

Dass dumpfauf mir die Hämmer dröhnen;

Euch aber, euch, die es verhöhnen,

Euch fordr' ich kühn in Reih und Glied!


Rückt an! Mit offenem Visir

Und harter Faust will ich euch weisen:

Ich und mein Lied, wir sind von Eisen –

Ihr oder ich, ich oder ihr!


Denn nicht soll einst in später Zeit

Mit selbstgefälligem Behagen

Ein später Enkel von uns sagen,

Was roth wie Blut zum Himmel schreit:


Poeten ohne Poesie,

Und keiner rief das Wörtchen: Rette!

Sie blökten allsammt um die Wette,

Wie eine Heerde Hammelvieh!


Nein, nein und nein und aber nein!

Ein Schuft sein will ich, wenn's so endet!

Das Blatt hat endlich sich gewendet!

Dies Buch soll dess ein Zeichen sein![13]


Soll sagen, was ihr nie gewollt:

Der Singsang hat sich ausgetutet –

Auch durch das junge Lied noch fluthet

Das alte Nibelungengold!


Drum ihr, ihr Männer, die ihr's seid,

Zertrümmert eure Trugidole

Und gebt sie weiter, die Parole:

Glückauf, glückauf, du junge Zeit!


26 IV. 1884.[14]


Quelle:
Arno Holz: Buch der Zeit. Berlin 21892, S. 3-15.
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