III.

[151] Ich will mich in dem, was ich noch zu sagen habe, möglichst kurz fassen.

Im Januar 1890, also wieder genau nach einem Jahr, erschien im Verlage von Wilhelm Issleib (Gustav Schuhr) in Berlin unser erstes Drama: »Die Familie Selicke«. Es gelangte zur Aufführung an der »Freien Bühne«, drei Monate später, am 7. April.

Den Tag drauf schrieb Theodor Fontane in der Vossischen Zeitung:[151]

»Die gestrige Vorstellung der »Freien Bühne« brachte das dreiactige Drama der Herren Arno Holz und Johannes Schlaf: Die Familie Selicke. Diese Vorstellung wuchs insoweit über alle vorhergegangenen an Interesse hinaus, als wir hier eigentlichstes Neuland haben. Hier scheiden sich die Wege, hier trennt sich Alt und Neu. Die beiden am härtesten angefochtenen Stücke, die die »Freie Bühne« bisher brachte: G. Hauptmann's »Vor Sonnenaufgang« und Leo Tolstoi's »Die Macht der Finsterniss«, sind auf ihre Kunstart, Richtung und Technik hin angesehn, keine neuen Stücke, die Stücke bez. ihre Verfasser, haben nur den Muth gehabt, in diesem und jenem über die bis dahin traditionell innegehaltene Grenzlinie hinauszugehen, sie haben eine Fehde mit Anstands- und Zulässigkeitsanschauungen aufgenommen, und haben auf dem Gebiete dieser kunstbezüglichen, im Publikum gäng und gäben Anschauungen zu reformiren getrachtet, aber nicht auf dem Gebiete der Kunst selbst. Ein bischen mehr, ein bischen weniger, das war alles; die Frage »wie soll ein Stück sein[152] oder »sind nicht Stücke denkbar, die von dem bisher Ueblichen vollkommen abweichen?«, diese Frage wurde durch die Schnapskomödie des einen und die Knackkomödie des anderen kaum berührt. Ich darf diese Worte wählen, weil ich durch mein Eingenommensein für Beide vor dem Verdacht des Uebelwollens geschützt bin.«

Ich citire hier diesen Absatz, weil es uns eine Freude ist, konstatiren zu können, dass es grade Theodor Fontane gewesen, der die jähe Kluft, die uns von aller bisherigen Bühnenproduction trennt, Ibsen nicht ausgeschlossen, als Erster wahrgenommen hat.

Nichts kann uns in der That mehr lächeln machen, nichts zeugt mehr von der urkomischen Verwirrung, die wir Aermsten unter unsern verehrten Herren Collegen, den Schreibern der Zeitungen, nun einmal angerichtet haben, als wenn man uns in seiner Herzensnoth, die nach Schablonen schreit, als Nachtreter der grossen Ausländer etikettirt.

Möge man es sich daher gesagt sein lassen. In aller Ruhe, bewusst, und aus unserer Ueberzeugung[153] heraus. Uns ist darum nicht bange. Es wird dereinst erkannt werden: noch nie hat es in unserer Litteratur eine Bewegung gegeben, die von Aussen her weniger beeinflusst gewesen wäre, die so von innen heraus gewachsen, die mit einem Wort nationaler war, als eben grade diejenige, vor deren weiteren Entwicklung wir heute stehn und die mit unserm »Papa Hamlet« ihren ersten, sichtbaren Ausgang genommen. Die »Familie Selicke« ist das deutscheste Stück, das unsre Litteratur überhaupt besitzt. Es ist auch nicht ein einziges Element in ihr und wäre es auch noch so winzig, das uns von jenseits der Vogesen zugeflogen wäre, von jenseits der Memel, oder von jenseits der Eider. Und wenn uns nichts dafür ein Beweis gewesen wäre, nicht einmal die Thatsache selbst, die unerhörten Beschimpfungen, die damals auf uns niederprasselten, hätten uns hinlänglich darüber die Augen öffnen müssen. Sätze, wie: »diese Thierlautkomödie ist für das Affentheater zu schlecht!« werden sicher nicht allzu oft niedergeschrieben; selbst in den bewegtesten[154] Zeiten nicht. Und gar als das Stück erst angekündigt war in den Zeitungen, als acceptirt zur Aufführung an der »Freien Bühne«, schrieb dasselbe Blatt: « ... dann wird eben keine Frau, die auf Reputirlichkeit Anspruch erhebt, sich dort sehen lassen dürfen und die Herren werden sich in diese Vorstellungen hineinstehlen müssen, wie man das beim Besuche zweifelhafter Lokale thut.« Mit einem Wort: es fehlte nur noch, dass man den Vorschlag machte, uns ins Irrenhaus zu sperren. O bêtise!


Drei Dinge haben hier im Leben Macht:

Der Neid, die Hoffahrt und die Niedertracht;

Doch wenn sie Dich auch noch so schön bespucken,

Am Ende wirst Du sie zu Boden ducken!


Verloren aber bist Du auf der Welt,

Wenn sich die Dummheit Dir entgegenstellt;

Sie setzt Spinoza hinter Löbel Pintus

Und hat die Weisheit aller Zeiten intus.


Sie lacht wie ein Kretin Dir ins Gesicht

Und lästert Alles, nur sich selber nicht;

Und nichts bleibt übrig Dir vor diesem Viehchen,

Als sacht Dich in Dich selber zu verkriechen.[155]


Dieses Gedicht war als ein Heine'sches, »ungedruckt aus dem Nachlass«, im Frühling 1887 fast durch die gesammte deutsche Presse gegangen, und kaum eine Redaktion hatte vergessen hinzuzufügen, dass es wieder einmal »so recht Zeugniss ablege für die Wahrheit des Satzes, dass der echte Dichter für die Ewigkeit schriebe. Angesichts heutiger Verhältnisse hätte Heine auch nichts Treffenderes schreiben können. Die Nutzanwendungen lägen auf der Hand. Wen's juckte, der möge sich kratzen.«

Wie wahr! Das Gedicht stammte freilich von mir, und ich hatte mir mit den Herren ganz einfach einen Aprilscherz erlaubt, aber trotzdem: wie wahr! Die Nutzanwendungen liegen auf der Hand. Wen's juckt der möge sich kratzen. O bêtise! ...


Stahnsdorf, August 1890.[156]

Quelle:
Arno Holz: Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze. Berlin 1891, S. 151-157.
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